Einleitung
Immer wieder erleben die Menschen, dass leichthin gesagte Sätze in Wirklichkeit eine tiefe Bedeutung haben. Das betrifft auch solche über den äußeren Eindruck. Wie oft kann man den Satz hören: „Du schaust aber alt aus für dein Alter.“ Und die Antwort gibt schon wieder einen weiteren Hinweis für den geübten Zuhörer, wenn dann zu hören ist: „Ja, die letzten Jahre haben sehr viel Einsatz von mir verlangt. Ich bin überhaupt nicht mehr zur Ruhe gekommen.“ Umgekehrt gibt es natürlich auch die genau entgegengesetzten Formulierungen wie z. B.: „Du schaust aber noch sehr gut erhalten aus für dein Alter. Hast du vielleicht einen Jungbrunnen entdeckt, der dich vor dem Altern schützt?“
In der Biologie unterscheiden wir ganz selbstverständlich zwischen dem biologischen Alter und dem Lebensalter, die natürlich nicht übereinstimmen müssen. Allerdings betreffen alle diese Formulierungen einen Gesamteindruck einer Person und nicht bestimmte Einzelheiten. Diese gibt es in der Alltagssprache des Menschen allerdings schon, wenn z. B. jemand klagt, dass er/sie schon so viele Falten in seinem Gesicht habe, dass jemand eine ungesunde Farbe im Gesicht habe oder gar ein eingefallenes bzw. ein von Gram und Sorge zerfurchtes Gesicht.
Das Gesicht hat sehr viel mit dem Schicksal des Menschen zu tun und damit auch mit einem Leiden, wenn er mit einem solchen konfrontiert ist. Allerdings wird dieses Antlitz in der klassischen Medizin nicht besonders beachtet. Davon schreibt auch Stefan Zweig: „In den Kliniken, diesen Riesenwarenhäusern des menschlichen Elends, werden die Krankheiten genau wie in jenen geschäftlichen Betrieben nach Spezialabteilungen mit eigenen Betriebsleitern gesondert und ebenso die Ärzte aufgeteilt, laufende Bänder, die, von Bett zu Bett sausend, die einzelnen ,Fälle‘, immer nur das kranke Organ untersuchen, meist ohne Zeit, dabei einen Blick in das Antlitz des Menschen zu tun, aus dem das Leiden wächst.“1
In seinem Buch „Siddhartha“ schreibt Hermann Hesse sehr bewegende Worte über das Antlitz Siddhartas, über das sich sein Freund Govinda gebeugt hatte, um seine Stirn zu küssen, zum Abschied: „… Und, so sah Govinda, dies Lächeln der Maske, dies Lächeln der Einheit über den strömenden Gestaltungen, dies Lächeln der Gleichzeitigkeit über den tausend Geburten und Toden, dies Lächeln Siddharthas war genau dasselbe, war genau das gleiche, stille, feine, undurchdringliche, vielleicht gütige, vielleicht spöttische, weise, tausendfältige Lächeln Gotamas, des Buddhas, weil er selbst es hundertmal mit Ehrfurcht gesehen hatte. So, das wusste Govinda, lächelten die Vollendeten.
Nicht mehr wissend, ob es Zeit gebe, ob diese Schauung eine Sekunde oder hundert Jahre gewährt habe, nicht mehr wissend, ob es einen Siddhartha, ob es einen Gotama, ob es Ich und Du gebe, im Innersten wie von einem göttlichen Pfeile verwundet, dessen Verwundung süß schmeckt, im Innersten verzaubert und aufgelöst, stand Govinda noch eine kleine Weile, über Siddharthas stilles Gesicht gebeugt, das er soeben geküßt hatte, das soeben Schauplatz aller Gestaltungen, alles Werdens, alles Seins gewesen war. Das Antlitz war unverändert, nachdem unter seiner Oberfläche die Tiefe der Tausendfältigkeit sich wieder geschlossen hatte, er lächelte still, lächelte leise und sanft, vielleicht sehr gütig, vielleicht sehr spöttisch, genau wie er gelächelt hatte, der Erhabene.“2
Es ist dies die Beschreibung eines außergewöhnlichen Ereignisses, man könnte meinen, eines unwiederholbaren. Aber jedesmal, wenn ein Mensch in das Antlitz eines anderen blickt, schaut er das Wunder des Lebens. Emanuel Levinas, der große Philosph der Ethik des vergangenen Jahrhunderts, spricht von einer bangen Frage, die von einem Antlitz ausgeht, das betrachtet wird. Sie heißt: „Wirst du mich töten?“ Anders ausgedrückt bedeutet die Frage: „Darf ich bei dir der sein, der ich bin? Oder wirst du mir ein Vorurteil überstreifen, wirst du mich in eine Schublade stecken, eingeordnet und katalogisiert?“ Ist es möglich, dass der Betrachtende sich vom Leben des anderen überraschen lässt, berühren? Lässt er den Eindruck zu, den der andere bei ihm hinterlässt, lässt er sich beeindrucken, oder gibt es einen Filter, der nur bestimmte Zeichen und Erscheinungsformen hindurchlässt in die eigene Welt. Wenn dich das Antlitz des anderen fragt: „Wirst du mich töten?“, dann ist Behutsamkeit gefragt, Geduld und Empathie, also Einfühlungsvermögen. Eine Fähigkeit, die Carl Rogers, der Begründer der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, als eine der Voraussetzungen eines guten Therapeuten grundsätzlich gefordert hat. Für ihn war die Qualität gerade dieser Eigenschaft von primärer Bedeutung.
Wer das Wunder des Lebens, die vielfältigen Ausformungen des Lebens in den vielgestaltigen Gesichtern der Menschen zu entdecken beginnt, kommt ins Staunen. Es eröffnet sich eine Welt der Rätsel, die sich immer mehr erschließen. Es entsteht eine Art Bilderbuch, das Bilderbuch des Lebens mit seinen unerschöpflichen Variationen des immer gleichen Lebens.
So bekommt das Antlitz des Menschen eine zentrale Bedeutung, wenn es um Aussagen über sein Leben geht, um seine Erfahrungen, über sein Schicksal, über sein Gemüt, aber auch um seine Leiden.
In der Schrift „Eine Abgekürzte Therapie“ von Dr. med. Schüßler3 stehen im letzten Kapitel („Eine Antlitz-Diagnostik“) folgende Bemerkungen: „Wer nur biochemische Mittel anwendet, kann, falls er seine Beobachtungsgabe üben will, im Laufe der Zeit die Fähigkeit erwerben, in vielen Fällen von, namentlich chronischen Krankheiten an der physischen Beschaffenheit des Gesichts und an dem psychischen Ausdrucke desselben zu erkennen, welches biochemische Mittel einem gegebenen Krankheitsfalle entspricht.
Eine solche Antlitz-Diagnostik darf zwar für sich allein nicht die Wahl des anzuwendenden Mittels bestimmen, sie kann aber die Wahl erleichtern, resp. bestätigen.
Wer die Antlitz-Diagnostik erlernen will, muss dieselbe auf autodidaktischem Wege sich erwerben.“
Der Begründer der nach ihm benannten Biochemie hat aufgrund seiner ganzheitlichen Sicht vom Menschen festgestellt, dass sich der Mangel an Betriebsstoffen nicht nur im Körper als Betriebsstörung auswirkt, sondern auch im Antlitz des Menschen widerspiegelt.
Was bei ihm noch eine allgemeine Empfehlung war, fiel bei Kurt Hickethier auf fruchtbaren Boden. Er entwickelte als sein großartiges Lebenswerk die „Sonnerschau“: Die Kunst, aus dem Antlitz des Menschen jene Mängel abzulesen, die im Körper zu Störungen geführt haben, oder die ein gänzliches Wohlbefinden verhindern. Obwohl sich für diese Methode der Ausdruck „Antlitz-diagnose“ eingebürgert hat – das von Hickethier geprägte Wort „Sonnerschau“ ging nicht in den allgemeinen Sprachschatz ein – wird es ratsam sein, sich mit der Formulierung „Antlitzanalyse“ anzufreunden. Denn letztlich ist das Erkennen und Quantifizieren der Mängel keine Diagnose, vor allem von keiner Krankheit, sondern es wird das Antlitz analysiert, es wird in seine einzelnen Mangelzeichen aufgegliedert, aber immer unter dem Anspruch, das Antlitz des Menschen nicht aus den „Augen“ zu verlieren.
Die Antlitzanalyse muss von der Physiognomie unterschieden werden! In der Antlitzanalyse wird versucht, den einzelnen Mineralstoffmängeln auf die Spur zu kommen. In der Physiognomie wird versucht, aufgrund der verschiedenen Formen im Antlitz des Menschen aber auch des Kopfes und des Gesichtsausdruckes Rückschlüsse auf den Charakter, auf die Art des Menschen zu ziehen.
So schreibt Dr. Imhof im Vorwort eines Buches von Kurt Tepperwein bezüglich der Pathophysiognomie Folgendes: „Die äußere Beschaffenheit unseres Körpers ist das Ergebnis unseres inneren seelisch-geistigen Zustandes. Vor allem im Gesicht spiegelt sich das Leben und Erleben des Menschen. Hier kommt die Klarheit des Geistes, die Lauterkeit der Gesinnung, die Schwingung und Stimmung unseres Gemütes lebhaft zum Ausdruck. So ist das Gesicht nicht nur das getreue Abbild unserer Seele, sondern auch das Aushängeschild unseres Gesundheitszustandes. Wenn Albert Camus sagt: ,Von seinem 30. Lebensjahr an hat jeder das Gesicht, das er verdient‘, bezieht sich dies gewiss auch auf jene zahlreichen physiognomischen Merkmale, die uns auf körperliche Schwächen und Krankheiten hinweisen.“
Aus dem Text ist klar zu erkennen, dass die Blickrichtung in das Erkennen von Krankheiten und körperlichen Schwächen gerichtet ist, eben ganz zum Unterschied von der Antlitzanalyse.
Immer wieder wird geschmunzelt, wenn von der Antlitzanalyse und ihren Möglichkeiten erzählt wird. Es wird für unmöglich oder doch wenigstens für unwahrscheinlich gehalten, dass aus dem Antlitz des Menschen Mängel an bestimmten Mineralstoffen abgelesen und dabei schlüssige Zusammenhänge zu bestimmten Krankheiten gezogen werden könnten.
Doch überzeugen Sie sich selbst.
In den abgedruckten Bildern kommen fast 20 Jahre Erfahrung zum Ausdruck. Und die Zusammenhänge sind oft überraschend. Was als Mangel im Gesicht festgestellt wurde, bestätigt sich immer wieder im Gespräch. Oft können so die Hintergründe von jahrelangem, manchmal sogar von jahrzehntelangem Leiden aufgedeckt werden, weil der Mangel, der hinter dem hartnäckigen Leiden versteckt war, nicht gefunden wurde.
Entdecken Sie doch diese faszinierende Möglichkeit, über das Antlitz des Menschen seinem Leiden auf eine Spur zu kommen, die immer wieder überraschend ist und vor allem effizient. Es ist der...