Tausend Jahre Adelskronen und Hirschkronen – der Sechzehnender vom Karrenberg
Im Jahre 1995 wurde mancherorten im schönen Bundesland Mecklenburg das tausendjährige Bestehen gefeiert. Ein Jahrtausend – welch ein Zeitraum!
Die Mecklenburger blicken auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Die Mecklenburger – wer ist das überhaupt? Die Homogenität eines Volkes gab es zunächst nur vor der Völkerwanderung, als die weitläufige Moränenlandschaft und die Gestade der Ostsee von Germanen bewohnt waren.
Deren Vordringen nach dem Westen und Süden Europas nutzten wendische Stämme (Obotriten und Wilzen), um sich an ihre Stelle zu setzen.
Um das Jahr 600 können wir diese Bewegungen datieren, also gegen das Ende der Völkerwanderung hin. In den weiten Wäldern, in den Brüchen und Mooren, an den zahlreichen Seen und fischreichen Flüssen zogen Wisent und Elch, Hirsch und Sau relativ ungestört ihre Fährten, verfolgt fast nur vom großen Raubwild, denn Bär, Wolf und Luchs fanden hier ebenfalls eine ideale Heimstatt. Der gute Wildbestand war sicher mit ein Grund dafür, dass nicht alle Germanen sich an der großen Abwanderung beteiligten. Hier und da blieben die verstreut und versteckt liegenden Straßendörfer erhalten, von denen die blond- und braunmähnigen Jäger auszogen, um Felle, Decken, Schwarten und Bälge zu erbeuten und das köstliche Wildbret ans heimische Feuer zu schaffen. Wilzen und die von den Awaren aus dem Karpatenkessel vertriebenen Obotriten wiederum, obwohl gleichen Blutes, bekriegten sich gegenseitig aufs heftigste und stritten um die Vormachtstellung im Lande. Die Wilzen siedelten weiter östlich und blickten eifersüchtig auf die neuen, alten Nachbarn mit ihrem grausamen viergesichtigen Gott Svantevit.
Dieser heidnische Götze war dem großen Karl, dem Frankenherrscher, zwar auch ein Dorn im Auge, aber zu seiner Zeit – um 800 – konzentrierte die christliche Kirche ihre Bekehrungsversuche auf die Sachsen; diese zu missionieren war harte Arbeit genug, die Slawen »kamen nebenbei dran«. Weil eben Karl genug Last mit Widukinds Sippe hatte, forderte er von den Obotriten, die sich ihm oder die er sich verbündet hatte, dass sie ihm die Wilzen und besonders die Dänen vom Halse hielten.
Das konnte bei deren Kriegslust allerdings nicht hundertprozentig gelingen. Im Jahre 809 fielen Göttriks Heerscharen in Massen in Mecklenburg ein und zogen eine furchtbare Schneise von Zerstörung und Brand hinter sich her. Dieses Elend zwang die starken Franken, eine Gegenoffensive zu starten, um den Eindringlingen im Lande der Verbündeten eine harsche Lektion zu erteilen. Kaiser Karls Einflussbereich war riesig, groß mussten aber auch seine Anstrengungen zur Sicherung des Reiches sein. Die führungsstarke Persönlichkeit des unermüdlichen Herrschers war dazu imstande, doch schon bald nach seinem Tod wurde das Reich geteilt.
Kampf und Krieg, Krieg und Kampf – Mecklenburg hat genug davon gesehen, war Kriegsschauplatz in fast jedem Jahrhundert! Im 12. Jahrhundert »kümmerte sich« ein Westgermane wieder um das urgermanische Heimatland. Der Sachsenherzog Heinrich der Löwe unterwarf die slawischen Stämme. Der Obotritenfürst Pribislaw trat zum christlichen Glauben über und wurde Heinrichs Vasall. Von seinem Stammsitz »Mikilinborg«, was »große Burg« bedeutet, soll der Name Mecklenburg herrühren. Im Jahr 995 wird die »Michelenburg« erstmals in einer Urkunde Ottos III. erwähnt. Man braucht schließlich etwas Schriftliches, um abgesichert und angemessen feiern zu können!
Im 30-jährigen Krieg erfolgte eine Teilung des Landes in Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Güstrow; die beiden Herzöge wurden jedoch vertrieben und der »Kriegsunternehmer« Wallenstein, böhmischer Adliger und Feldherr der katholischen Liga, durfte sich zwei Jahre mit der ihm vom Kaiser verliehenen mecklenburgischen Herzogskrone schmücken, bis Gustav II. Adolf von Schweden, im Juli 1630 auf Usedom gelandet, die rechtmäßigen Herrscher wieder in ihr Amt einsetzte.
Umsonst ist der Tod – und der kostet das Leben; umsonst tat Gustav Adolf dies natürlich nicht: er heimste Wismar ein. Ironie des Schicksals, dass er in der Schlacht bei Lützen gegen Wallenstein fiel?
Am Ende des grauenvollen Krieges, der nicht nur Mecklenburg furchtbar verheerte, kontrollierte Schweden durch seine strategischen Brückenköpfe die für den damaligen Handel so wichtigen Flussmündungen der Weser, der Elbe und der Oder. Wismar selbst wurde 1803 an Mecklenburg-Schwerin verpfändet, 100 Jahre später verzichtete Schweden auf das Einlösungsrecht.
Die ab 1815 mit der Großherzogswürde ausgezeichneten Herrscher der Linien Schwerin und Strelitz (die 1701 aus der erloschenen Linie Güstrow entstanden war) hoben 1820 die bäuerliche Leibeigenschaft auf. Fast 300 Jahre hat es also gedauert, bis diese Forderung der Bauern, die 1525 zur Zeit der Bauernkriege in den sogenannten Zwölf Artikeln aufgestellt wurde, im Nordosten des Reiches verwirklicht werden konnte. Die Verfassung blieb erhalten, wonach der Landtag aus sämtlichen Rittergutsbesitzern und den städtischen Bürgermeistern bestand.
Die weitere Geschichte verläuft über den Norddeutschen Bund, den Deutschen Zollverein und die Vereinigung zum Land Mecklenburg unter einem Reichsstatthalter am 1.1.1934.
Nach dem Zweiten Weltkrieg die kommunistische Zwangsherrschaft, heute Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.
Wer also sind die Mecklenburger?
Kann man von einem deutschen »Neustamm« seit dem 12./13. Jahrhundert reden?
Die dünne Schicht der slawischen Bevölkerung ging auf in den Strömen der Zuwanderer aus dem Westen, das waren hauptsächlich Flamen, Niedersachsen, Ost- und Westfalen.
Vielerorts sind die westslawischen, also wendischen und sorbischen, Flur- und Ortsbezeichnungen noch erhalten. Konzentrierter erhielten sich die Sorben als Volksgruppe in der Lausitz, wo sie – genau wie im Spreewald – Kulturautonomie genießen. Das ist eines demokratischen Staates würdig, leider werden diese Maßstäbe nicht bei den zerstreuten deutschen Volksgruppen im Osten angelegt.
Die Zahl der freien Bauern wurde seit dem 16. und 17. Jahrhundert durch das »Bauernlegen«, das neben Mecklenburg in England einen unrühmlichen Höhepunkt erfuhr, sowie durch Auswanderung nach Übersee drastisch reduziert.
Neben den Angehörigen der Herzogshäuser an der Spitze wurde das Gesicht des Landes vom städtischen Bürgertum und mehr noch vom mittleren und kleinen, dem Landadel geprägt.
Ihre Besitztümer waren gleichzeitig Eigenjagden, die meisten der Herren frönten eifrig ihrer Waidmannslust.
Um nachhaltig jagen zu können, wurde das Wild auf ihren Flächen gehegt und gepflegt, manchmal sicher auch zulasten des Bauernstandes Überhege betrieben.
Trotzdem: Herzogskronen und Kronenhirsche – da gab es schon einen Zusammenhang!
Das weit ziehende Rotwild fand letzte Refugien in den Forsten der Adligen.
Auf einen Kronenhirsch in Mecklenburg zu jagen – das war mein Wunsch. Ein Mecklenburger – das war und ist nämlich nicht nur der Landjunker, der Stadtbürger, der erdverbundene Dörfler oder der schlitzohrige Fischer, nein, »Das ist wohl ein Mecklenburger«, sagt und fragt man auch in grünen Kreisen, wenn man das Geweih eines klotzigen Rothirsches an der Wand eines Bekannten betrachtet.
Erfahrung hatte ich schon reichlich gesammelt im Land zwischen der Lübecker Bucht und dem Darß. Auf Rot-, Dam-, Schwarz- und Rehwild hatte ich erfolgreich die Büchse geführt, auf Enten und Gänse die Flinte, auf diese Weise Landschaft, Menschen und Wild in so manchem Revier kennengelernt und so war dieses wunderbare Bundesland meine jagdliche Heimat geworden. Ein alter Kronenzehner war schon auf meiner Strecke, auf ihn hatte ich in der sehr früh beginnenden Brunft 1998 in der Lewitz gepirscht, der stillverwunschenen Niederung im Süden der Landeshauptstadt Schwerin. Eine Örtlichkeit mit jagdlicher Geschichte, äußerlich repräsentiert durch das Jagdschloss Friedrichsmoor; das heute in der Nachbarschaft residierende Forstamt hat den gleichen Namen.
Zu meiner Pensionierung sollte es wieder ein Hirsch aus der Heimat werden; wieder wollte ich dort am liebsten jagen, wo es noch Atmosphäre und Abgeschiedenheit gibt. Nur »eben über die Elbe rüber« – ich freute mich sehr, dass ich im zweiten Jahr nach Beantragung im Forstamt Kaliß einen reifen Hirsch der Klasse 4 (früher 1a) zur Bejagung frei bekam. Bei Dömitz auf der neuen Brücke über den breiten Strom, und dann war man fast schon da, insgesamt doch nur ein Katzensprung entfernt von der Kreisstadt Winsen/Luge, wo selbst ich mein Heim und Haus bestellt habe.
Trotzdem wollte ich die anderthalbstündige Fahrt über die Landstraße nicht jeden Morgen und Abend auf mich nehmen, also suchte und fand ich ein Quartier ganz in der Nähe des Reviers Grittel. In Malliß hatte es früher eine Ziegelei gegeben, und zum Abtransport der Tonziegeln war ein Verbindungskanal zur Elde-Müritz-Wasserstraße geschaffen worden. An diesem fischreichen sogenannten Ziegeleikanal lag die Finnhütte, die ich mir für meine persönliche Hirschbrunftwoche gemietet hatte. Ein Biber rann ab und zu vorbei, der Eisvogel blitzte im Flug durch die noch grünen Blätter der das Ufer säumenden Erlen.
Jeden Tag aufs Neue wollten jede Menge Käfer, Frösche und Kröten mit mir zusammen durch den Kellereingang die Hütte...