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Argumentationstraining gegen Stammtischparolen

Materialien und Anleitungen für Bildungsarbeit und Selbstlernen

AutorKlaus Peter Hufer
VerlagWochenschau Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783734402937
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,00 EUR
Materialien und Anleitungen für Bildungsarbeit und Selbstlernen. Wem ist es nicht schon einmal begegnet? Onkel Albert wettert beim Familienfest, der freundliche Nachbar bringt starke Sprüche am Gartenzaun, das Publikum beim Fußball skandiert Parolen. Da wird gewütet gegen die viel zu laue Strafordnung, die 'Fernseher und den Teppichboden im Gefängnis' und lauthals die Todesstrafe gefordert - was kann man dazu eigentlich sagen?

Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer ist außerplanmäßiger Professor für Erwachsenenbildung an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen und war bis zu seiner Pensionierung Fachbereichsleiter Geistes- und Sozialwissenschaften der Kreisvolkshochschule Viersen.

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Leseprobe

3. Seminarbeginn


Wenn die Teilnehmenden erscheinen, sollten sie von dem Moderator/der Moderatorin persönlich begrüßt werden. Denn es ist bekannt, dass bei Beginn von Erwachsenenbildungsveranstaltungen Ängste oder Unbehagen immer verbreitet sind. Alte Missempfindungen aus der Schulzeit kommen hoch, eine fremde, unklare Situation ist auf einmal da, die Teilnehmenden mustern einander (unauffällig), es wird Ausschau gehalten, wer sympathisch wirkt.

Eine besondere Aufmerksamkeit geniesst der Seminarleiter/die Seminarleiterin. Dieser Mensch ist immer auch ein Projektionsobjekt: Lehrer, Eltern, Vorgesetzte … ungewollt und unbewusst verkörpert er/sie auch andere – nicht immer nur positiv erlebte – Personen aus früheren Zeiten oder der Gegenwart.

Jeder Seminarbeginn hat für diejenigen, die daran teilnehmen, den Charakter einer Bewährungsprobe, einer Prüfungssituation. Da Lernen immer auch mit Leistung verbunden und es nicht einzuschätzen ist, wie diese in dem beginnenden Training aussehen wird und erbracht werden muss, ist die Stimmung eher verhalten, leicht angespannt. Die Einzelnen sind unterschiedlich nervös, aber sie wollen es nicht zeigen. In berufshomogenen Zielgruppen kann diese Anfangssituation durch gegenseitige Begrüßungen (man kennt sich ja mehr oder weniger) und durch die ersten Fachgespräche überbrückt werden.

Also: Es gibt gute Gründe, auf jede/jeden zuzugehen, sich als Leiter/Leiterin des Seminars vorzustellen und ein erstes, kleines Gespräch zu führen.

Da die Teilnehmenden sich im weiteren Verlauf ihrer gemeinsamen Arbeit auch untereinander ansprechen werden, sollten sie entweder Namensschilder erhalten (diese können vorher vorbereitet werden) oder auf Tesakrepp-Streifen selbst ihre Namen aufschreiben und diese dann gut sichtbar an der Kleidung befestigen.

3.1 Vorstellungsrunde


Nachdem alle im bereits vor Veranstaltungsbeginn aufgestellten Stuhlkreis Platz genommen haben, eröffnet der Moderator/die Moderatorin die Sitzung und stellt sich vor, und zwar bezüglich a) der eigenen Person und b) der Gründe, warum er/sie dieses Seminar durchführt. (Hier kann Bezug genommen werden auf den allen bekannten Ausschreibungstext, es können aber auch aktuelle Tagesereignisse – etwa Übergriffe auf Ausländer – oder persönliche Erlebnisse genannt werden.)

Sicherlich ist es sinnvoll, gleich zu Beginn die formale Seite des Seminars zu klären (Gepflogenheiten des Hauses, Pausen, Küche, Tagungszeiten etc.).

Danach sollen die Teilnehmenden sich durch Partnerinterviews (I 4) gegenseitig bekannt machen, und zwar anhand der Antworten auf folgende Fragen:

  • Wer bin ich (Name, Alter, Wohnort, Beruf)?
  • Warum besuche ich diese Veranstaltung?
  • Warum und wo bin ich mit „Stammtischparolen“ konfrontiert worden?
  • Was erwarte ich von der Teilnahme?

Partnerinterview


Aller Anfang ist bekanntermaßen schwer. Häufig wird in Bildungsveranstaltungen eingangs eine Vorstellungsrunde durchgeführt. D.h. einer beginnt, von sich und seinen Teilnahmemotiven zu reden, dann kommt der/die Nächste dran. Dieses Verfahren hat Nachteile: Einige hören sich gerne reden und können dies ausgiebig und – im wahrsten Sinne des Wortes – erschöpfend tun, andere sind eher zurückhaltend und beschränken sich auf die allernötigsten Mitteilungen. Außerdem ist es meistens schwieriger über sich selbst als über jemand anders zu reden.

Daher ist das Partnerinterview/die Partnervorstellung eine bessere Alternative, um die üblicherweise schwierige Anfangssituation aufzulockern und das gemeinsame Gespräch in Gang zu bringen. Am einfachsten ist es, wenn sich jeder mit seinem übernächsten Partner zusammensetzt (der/die unmittelbar daneben Sitzende könnte ein Freund/eine Freundin oder Bekannter/Bekannte sein). Die so gebildeten Paare ziehen sich in eine Ecke des Raums zurück oder verlassen diesen für die Zeit ihres Gesprächs. Bei einer ungeraden Teilnehmerzahl wird der Moderator/die Moderatorin in die Interviews miteinbezogen. Die Partner stellen sich gegenseitig vor, d.h. jeder/jede sagt einiges über sich und seine Beweggründe (s. Fragen oben), an der Veranstaltung teilzunehmen, dann kommt der/die andere zum Zug. Jeder Zuhörende merkt sich entweder, was vom Partner gesagt wird oder macht sich Notizen.

Danach kommen alle wieder zusammen und reihum stellt jeder/jede seinen Partner vor. Der/die so Vorgestellte erhält Gelegenheit zu Ergänzungen und/oder Korrekturen. Kurze Nachfragen von den Übrigen sind möglich.

Die paarweise durchgeführten Partnerinterviews sollten ca. 10 Minuten dauern.

(Das Partnerinterview sowie andere „Methoden zur Erleichterung von Anfang und Einstieg“ sind beschrieben in: Knoll, Jörg: Kurs- und Seminarmethoden. Ein Trainingsbuch zur Gestaltung von Kursen, Seminaren, Arbeits- und Gesprächskreisen, 3. Aufl., Weinheim u. Basel 1991, S. 79-93; 7. erw. Aufl. 1997)

Überlegen Sie, was Sie ärgert. Warum wollen Sie „bessere“ Argumente vorbringen? Erinnern Sie sich an zurückliegende Gespräche und Auseinandersetzungen: Was hätten Sie anders machen sollen?

3.2 Motive, sich auf ein Argumentationstraining einzulassen


Gründe für die Teilnahme an einem Argumentationstraining gegen Stammtischparolen, die immer wieder genannt werden:

  • „Ich möchte mich besser informieren.“
  • „Ich fühle mich in einigen Situationen zu dumm.“
  • „Mir gehen bei einer politischen Diskussion oft die Gefühle durch, dadurch schade ich mir und meinem Standpunkt.“
  • „Ich muss mich oft zurückhalten, weil sonst Streit da ist – aber muss ich das wirklich?“
  • „Ich möchte die Technik des Diskutierens lernen.“
  • „Ich fühle mich nach solchen Diskussionen oft zerknirscht und zweifle völlig an mir.“
  • „Ich habe Freunde, die sind z.B. für die Todesstrafe. Das finde ich ganz schlimm, aber ich mag meine Freunde trotzdem. Wie kann ich diesen Konflikt aushalten?“
  • „Ich möchte politisch aktiv werden.“
  • „Ich möchte nicht nur tatenlos und sprachlos dabei sein, wenn schlimme Äußerungen kommen.“
  • „Ich möchte lernen, verhärtete Fronten aufzulösen.“
  • „Ich möchte meine Position so vertreten können, dass ich sie durchhalte, ohne andere dabei zu verletzen.“
  • „Ich möchte mich engagieren gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit.”

Bei einem mit pädagogischen Fachleuten zusammengesetzten Seminar kommen noch spezifisch fachliche und methodische Erwartungen und Interessen hinzu. Beispielsweise wollen Politiklehrer ihren Unterricht spannender gestalten, Sozialarbeiter und -pädagogen in ihren Gruppen eine Meinungsführerschaft von rechten Jugendlichen verhindern.

Die Teilnehmeräußerungen zeigen, dass das Spektrum der Motive und Erwartungen groß ist: Neben dem Interesse an politischen Informationen stehen das Bedürfnis nach Selbstsicherheit und emotionaler Kontrolle, der Wunsch, Dissonanzen (= Unstimmigkeiten, auch Spannungen) aushalten zu können, die Frage, wie der eigene Standpunkt am geschicktesten vertreten werden kann, die Hoffnung, Einblicke in die Technik der Rhetorik zu bekommen, und die Vorstellung, „Rüstzeug“ für ein politisches oder soziales Engagement zu erhalten.

Insgesamt sind drei große Motivbereiche festzustellen:

  • ein sachlich-informativer,
  • ein emotional-affektiver,
  • ein kommunikativ-strategischer.

Bei den an die Adresse von Fachleuten gerichteten Seminaren kommt noch

  • ein professionell-pädagogischer Motivbereich hinzu.

Aus diesen unterschiedlichen Motiven heraus können sich in der Gruppe Spannungen ergeben. Um mögliche Frustrationen aufzulösen, müssen heterogene Erwartungen integriert werden. Wer ein überwiegendes Rezeptionsinteresse hat, also in erster Linie Informationen oder Kenntnisse vermittelt bekommen möchte, wird sich mit Interaktions- und Rollenspielen zunächst einmal nur schwer anfreunden können. Diese wiederum sind für diejenigen wichtig, die ein situationsangemessenes Verhalten erlernen und ausprobieren möchten. Und wer vor allem an Kommunikationstechniken und -formen interessiert ist, der wird vielleicht Widerstand zeigen, wenn andere politische Inhalte kennen lernen und diskutieren möchten. Aber gerade diese sollen zur Sprache kommen, schließlich geht es ja um ein besseres und damit fundierteres politisches Argumentieren. Das setzt Kenntnis von Sachzusammenhängen voraus.

Es ist sinnvoll, diese Heterogenität der Erwartungen nach der Vorstellungsrunde anzusprechen. Das muss aber nicht zu weiter gehenden Problematisierungen führen, denn die...

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