Das Modell der Kernfamilie, bestehend aus Mutter, Vater, Kind (davon oft sehr viele) existierte bereits in der Frühen Neuzeit. Zu einem Haushalt gehörten damals jedoch nicht nur die Familienmitglieder im klassischen Sinn, sondern zumeist auch Mägde, Knechte, Dienstboten, Verwandte oder weitere Untermieter. Es wurde zusammen gearbeitet, gegessen und geschlafen, in der Regel sogar in denselben Räumen (Maihofer/Böhnisch/Wolf, S. 13). Die Betreuung und Erziehung der Kinder fand neben und im Rahmen der täglichen Arbeit durch die Mitglieder des Haushaltes und nur zu einem geringen Teil durch die Eltern selbst statt. Auf dem Land war es zudem bis zum 18. Jahrhundert üblich, dass Kinder im frühen Alter von 7 oder 8 Jahren das Elternhaus verließen, um zu Verwandten oder fremden Leuten in Dienst zu gehen (ebenda). Grundlage der Beziehungen waren keinesfalls Liebe und Zuneigung, Ehen wurden vor allem aus materiellen Gründen geschlossen. Die Anforderungen, die an die Frau gestellt wurden, waren vor allem Aufgaben als Hausfrau und Gattin. Im Mittelpunkt standen Arbeitsfähigkeit und Gehorsam, nicht aber das Verhältnis zu ihren Kindern. Die Beziehung zu den Kindern war stark durch ihre ökonomische Bedeutung geprägt (ebenda, S. 15).
Das Wort "Familie" wurde erst gegen Ende des 18. Jahrhundrets in den Sprachgebrauch aufgenommen, begleitet vom allmählichen Übergang von der bis dahin offenen Haushaltsform zur traditionellen bürgerlichen Kleinfamilie. Diese ging im 19. Jahrhundert mit der Neuentdeckung des Kindes einher(vgl. BMFSFJ, 2008, S. 16). Eltern investierten zunehmend mehr Zeit, Geld und Emotionen in die Entwicklung ihrer Kinder, der ökonomische Aspekt kindlicher Arbeitskraft oder der Unterstützung der Eltern trat zurück. Kinder wurden zu einem wertvollen Gut, deren Erziehung die Eltern nun selbst übernahmen (ebenda, S.17). Familie implizierte ein verheiratetes verschiedengeschlechtliches Paar, das in einem gemeinsamen Haushalt mit mindestens einem Kind lebt. Geheiratet wurde idealiter aus Liebe und Zuneigung und die Ehe für das ganze weitere Leben geschlossen. Eine Scheidung war nicht vorgesehen. Die Beziehung verlangte strenge Monogamität und das Bekenntnis zur Treue. Ehe und Familie waren aufs Engste miteinander verbunden. Die Struktur der traditionellen Familie ist dabei entscheidend geprägt durch die moderne bürgerliche Trennung von Erwerbsarbeit und Familie und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, bei der dem Mann die Rolle als Alleinverdiener und Ernährer und der Frau die der Hausfrau und Mutter zukam (Maihofer/Böhnisch/Wolf, S. 15).
Diesen Prozess in der europäischen Entwicklung der Familie, der im späten 19. Jahrhundert begann und bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts dauerte, bezeichneten Surkyn/Lesthaege (2004) als "Ersten Demographischen Übergang". Ihn kennzeichnet, dass mehr geheiratet wurde, das Heiratsalter sank und die Scheidungszahlen bei gleichzeitig hoher Wiederverheiratungsquote sehr gering waren. Ein Rückgang der Geburten begleitete diese Entwicklung, wobei der im wesentlichen auf eine Abnahme von Geburten im höheren Lebensalter zurückzuführen war, verbunden mit einer Verringerung des Alters bei der ersten Geburt (BMFSFJ, 2008, S.17).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Geburtenrückgang zwischen 1946 und 1970 durch einen geringen Wiederanstieg, heute auch Baby-Boom genannt, abgelöst. Ihm folgte ein europaweit zu beobachtender Absturz der Geburtenzahlen, der auf die Einführung sicherer Verhütungsmittel zurückgeführt wird. So ging die Zahl der lebend geborenen Kinder in Deutschland von 1,4 Millionen im Jahr 1964 auf 782.000 im Jahr 1975 zurück (ebenda, S.18). Dieser Trend hat sich bis heute fortgesetzt. Im Jahr 2006 wurden nur rund 673.000 Geburten gezählt (Statistisches Bundesamt, 2008, Tabelle 5). Heute werden die rückläufigen bzw. stagnierenden Geburtenzahlen auch mit der Liberalisierung von Ehe und Familie, den gestiegenen Wahlmöglichkeiten und Ansprüchen an die Elternrolle sowie eine feste und gesicherte Partnerschaft begründet.Aber auch wirtschaftliche Aspekte wie Arbeitslosigkeit und hohe Kosten der Kindererziehung spielen eine bedeutende Rolle (vgl. Dunkake, S.25/26).
Aber nicht nur der dramatische Geburtenrückgang, auch steigende Scheidungszahlen und rückläufige Eheschließungen (vgl. auch Abschnitt ) sowie die Zunahme von Haushalten und Lebensgemeinschaften ohne Kinder werden als maßgebliche Hinweise auf die Erosion der gesellschaftlichen Institution Ehe erachtet (Maihofer/Böhnisch/Wolf, S. 16). Der Wandel der Haushalts- und Familienstrukturen lässt sich in allen westlichen Industrienationen nachweisen und geht zu Lasten des Dreigenerationenhaushalts (verheiratetes Paar mit Kind). Grob lassen sich vier Entwicklungstendenzen zusammenfassen: das Aufkommen neuer Haushaltstypen, die Diversifizierung der Haushaltstypen im Sinne einer Verschiebung der Gewichte der verschiedenen Lebensformen, eine fortschreitende Verweiblichung der Haushaltsvorstände (MutterKind-Familien, alleinerziehende Frauen) und einem häufigeren Wechsel zwischen verschiedenen Haushaltstypen im Verlauf der Gesamtbiografie (Peuckert, S. 27). Nach Nave-Herz ist dieser Wandel zurückzuführen auf eine grundlegende Veränderung in der Struktur der Familie, genauer in den Beziehungen der Personen innerhalb der Familie (ebenda, S. 12).Soziologen teilen die Ansicht, dass Familie immer weniger als etwas natürlich Gegebenes oder als eine selbstverständliche gesellschaftliche Konvention verstanden werden kann. Die gesellschaftliche Individualisierung führe zu einer wachsenden Bedeutung individueller Autonomie gegenüber institutionellen Vorgaben und Bindungen an traditionelle Werte und Normen (ebenda).
Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, die für den Rückgang der Eheschließungen und den Anstieg der Ehscheidungen verantwortlich sind, haben komplementär auch zu einem Anstieg nichtehelicher Lebensgemeinschaften und anderer nichttraditionaler Lebensformen beigetragen. Dazu gehören ein bestimmtes Maß an Wohlstand, der Wertewandel, die hohe Bewertung von Unabhängigkeit, freier Entfaltung und Persönlichkeit (Gleichberechtigung von Mann und Frau), die Diskussion um außereheliche Sexualität, die nachlassende Stigmatisierung Unverheirateter, die hohe Bildungs- und Erwerbsbeteiligung junger Frauen und der Bedeutungsrückgang der Ehe, vor der Versorgerehe. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl unverheirateter Paare, die ihre Lebensform als Alternative zur Ehe begreifen und sich langfristig dagegen entscheiden. Je länger junge Menschen einen unabhängigen Weg praktiziert haben, desto stärker rücken sie endgültig von traditionalen Familienbildern ab. Dies gilt in besonderer Weise für
Frauen. Wer einmal Freiheit und Autonomie „geschnuppert" hat, ist weniger leicht bereit, sich in starre eheliche und familiale Rollenmuster einzubinden (ebenda, S. 45). Heute sind demografische Veränderungen, Veränderungen in der Arbeitswelt und Wirtschaft wie auch der Geschlechterrollen charakteristisch für die Entwicklung in Industrie- und Wohlfahrtsstaaten (Deutscher Bundestag, 2006a, S XXIII).
Eingeleitet wurde der Wandel maßgeblich durch zwei Jugendgenerationen: die "68er- Generation", die sich gegen den Wertekomplex Ehe/Familie" ideologisch abgesetzt hatte, und die "jungen Erwachsenen der Bildungsexpansionsphase", die zugleich ein neues Demokratieverständnis der Chancengleichheit zwischen Schichten und Geschlechtern proklamierten (BMFSFJ, 2008, S. 76).
Im statistischen Sinn umfasst Familie heute im Mikrozensus (Anhang, S.) alle Eltern-KindGemeinschaften, also alle Ehepaare, nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sowie allein erziehende Mütter und Väter mit ledigen Kindern im Haushalt. Neben den leiblichen Kindern, sind auch Stief-, Pflege und Adoptivkinder ohne Altersbegrenzung einbezogen. Kinder, die noch gemeinsam mit ihren Eltern in einem Haushalt leben, dort aber bereits eigene Kinder versorgen, sowie Kinder, die nicht mehr ledig sind und mit einem Partner zusammenleben, zählen statistisch gesehen als eigene Familie bzw. Lebensform.
Im Jahr 2007 lebten in Deutschland knapp 8,6 Millionen Familien, davon 7,1 Millionen in den alten und 1,5 Millionen in den neuen Bundesländern. 5,5 Millionen bzw. 856.000 dieser Familien sind Ehen. Trotz der wachsenden Bedeutung alternativer Familienformen überwiegen also nach wie vor die Ehepaare mit Kindern deutlich. 2007 waren etwa drei Viertel (74 %) der in Deutschland lebenden Familien Ehepaare. Gegenüber 1996 ist dies jedoch ein Rückgang von 7 Prozent, bei einer gleichzeitigen Abnahme der Familien insgesamt. Im früheren Bundesgebiet ging die Zahl der Familien seit 1996 um 2 Prozent, in den neuen Ländern sogar um 32 Prozent zurück (Statistisches Bundesamt, 2008a, S.6/7). In den letzten Jahren nehmen Einelternfamilien statistisch gesehen einen immer größeren Raum ein. Im Jahr 2007 waren in Deutschland 18 Prozent und damit etwa ein Fünftel aller Familien Einelternfamilien (1996: 14 Prozent). Das sind 1,57 Millionen allein erziehende Mütter und Väter, die 2,2 Millionen minderjährige Kinder betreuen. Werden auch Kinder im Alter von über 18 Jahren berücksichtigt, erhöht sich die Zahl auf 2,6 Millionen. Fast 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen (Statistisches Bundesamt, 2008, Tabelle 6). Wiederum 90 Prozent haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Entsprechend der gesamtdeutschen Entwicklung ist aber auch in Familien mit Migrationshintergrund eine wachsende Scheidungsrate festzustellen. Das liegt zum einen an der wachsenden...