Meine Mission
Warum altern manche Menschen schneller als andere? Was bremst den Alterungsprozess, was beschleunigt ihn? Wie ernähren sich besonders langlebige Völker? Was sind die entscheidenden Bestandteile einer Ernährungsweise, mit der sich typische Altersleiden und Zivilisationserkrankungen, wie Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Rheuma bis hin zu Krebs, vermeiden lassen?
»Warum bekomme ausgerechnet ich einen Infarkt? Ich war immer gesund!« So ein 40-jähriger Hamburger Kaufmann, der mit Bluthochdruck, Arthrose, erhöhten Blutfetten, Diabetes und diversen anderen, ausschließlich ernährungsbedingten Beschwerden zu mir kam und so krank war, dass er die nächsten 15 Jahre nicht überleben würde. Wenn das Schicksal zugeschlagen hat, stellen Menschen genau diese Frage – immer wieder. Und immer öfter entpuppt sich die individuelle Lebensweise als Verursacherin dieser Erkrankungen. Heute sind schätzungsweise 80 Prozent unserer Erkrankungen und 40 Prozent der Krebsfälle darauf zurückzuführen. Dabei stellt die Ernährung die weitaus häufigste Ursache dar – noch vor Alkohol- und Tabakkonsum. Sogar Krankheiten, die man zunächst gar nicht mit Essen in Zusammenhang bringt und die als unheilbar gelten, sind oft ernährungsbedingt – wie etwa Unfruchtbarkeit (siehe >).
Therapie ohne Nebenwirkungen
Viele Erkrankungen sind mit bestimmten Lebensmitteln positiv oder negativ beeinflussbar. Chronische, nicht übertragbare Krankheiten wie Diabetes oder Übergewicht lassen sich außerdem durch eine artgerechte Ernährung mit Zuckerreduktion, körperlicher Bewegung, maßvollem Alkoholkonsum und dem Verzicht auf Tabak vorbeugen, lindern oder sogar heilen. Mehr noch: Ich erlebe immer wieder, dass allein durch die Umstellung auf eine artgerechte Ernährung unklare Beschwerden oder Krankheiten verschwinden. Anders als Medikamente hat diese »Behandlung« nur Vorteile und nie Nebenwirkungen.
Grund genug also, sich auf die Suche nach der einzig richtigen – also der artgerechten – Ernährung zu begeben. Das ist dringend nötig, da in der Vergangenheit zahlreiche widersprüchliche Empfehlungen verbreitet wurden, aus denen sich quasi religionsartige und immer dogmatische Ernährungsrichtungen entwickelt haben, die nun den Kampf um die Deutungshoheit antreten. Wer hat recht? Low Carb, Low Fat, vegan, paleo – was ist denn nun gut für mich? So wird die Verwirrung nur noch größer. Unsere Psychotherapeuten im medicum Hamburg sprechen dann von Consumer Confusion, das heißt Konsumentenverwirrung.
Ich will, dass Sie gar nicht erst krank werden
Höchste Zeit also der Frage nach der artgerechten Ernährung für den Menschen nachzugehen und klare, in der ernährungsmedizinischen Praxis tausendfach erfolgreich erprobte Empfehlungen zu geben. Warum? Weil davon Menschenleben und viel – unnötiges – Leid abhängen. Ich habe in den vergangenen 30 Jahren unzählige Schicksale erlebt, die vermeidbar gewesen wären. Meine Aufgabe als Arzt darf sich aber nicht nur auf das Kurieren von Krankheiten beschränken. So verstehe ich meinen Beruf nicht. Ich möchte, dass die Menschen gesund bleiben, und zwar so lange wie möglich! Fatalerweise gibt es aber Erkrankungen, die nicht zu kurieren sind, sodass die Vorbeugung enorm wichtig ist, wie etwa bei Erblindung oder Autoimmunerkrankungen wie Rheuma.
Das Tückische an falscher Ernährung ist, dass sie schleichend und über Jahrzehnte krank macht, sodass der ursächliche Zusammenhang vielen Menschen nicht klar werden kann. Manchmal beginnt das Unheil schon im Mutterleib, durch frühe Prägung. Die Krankheit kommt Jahrzehnte später. Selten ist der Zusammenhang so klar wie bei einem Colitis-Patienten, der nach einem Fast-Food-Menü blutigen Durchfall bekommt. Bevor diese gefährliche Darmentzündung allerdings entsteht, aktiviert eine falsche Ernährungsweise die fatalen Entzündungskaskaden, die dann nur noch gelindert werden können. Auf der Suche nach der Wahrheit über die artgerechte Ernährung für unsere Spezies Mensch möchte ich Sie auf zwei Reisen einladen: eine Zeitreise und eine Weltreise – natürlich unter der Berücksichtigung neuster wissenschaftlicher Studien.
Zurück zu unseren Vorfahren
Der Blick in unsere menschliche Vergangenheit liefert wertvolle Hinweise auf die richtige artgerechte Ernährung. Gehen wir zurück in eine Zeit, in der sich der Mensch noch intuitiv und seiner natürlichen Umgebung gemäß ernährt hat. Kommen wir nach Kenia, der Wiege der Menschheit. Der Frühmensch Paranthropus boisei lebte noch als reiner Pflanzenfresser im Regenwald – ähnlich wie heute die Gorillas. Durch die zunehmende Trockenheit wurde die Vegetation knapper. Außerdem stellte es sich angesichts der Versteppung für das Überleben als sinnvoll heraus, den aufrechten Gang zu entwickeln. So konnten unsere Vorfahren in der Savanne Feinde früher erkennen. Der aufrecht gehende Homo erectus nahm schließlich als erster Mensch tierische Lebensmittel zu sich, um zu überleben: Insekten, Würmer, Kleintiere – wohlgemerkt als Beikost. Rotes Fleisch war für ihn unerreichbar – außer in Form von Aas. Wildtiere waren entweder zu groß, zu schnell oder zu gefährlich. Heute wissen wir, dass zu viel rotes Fleisch Krebs, Übergewicht und Diabetes fördert. Deshalb empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO nicht mehr als 500 Gramm rotes Fleisch pro Woche. Einer Paleo-Diät mit ihrem hohen Anteil an tierischen Lebensmitteln sind unsere Vorfahren also nicht gefolgt – eher einer Mischung aus Fisch, Ei oder Pflanzen, aber ohne industriell gefertigte Produkte aus Weizen, Reis, Mais und Co. Die gab es erst rund zwei Millionen Jahre später.
Eine im März 2018 publizierte schwedische Studie von der Universität Lund belegt, dass je nach Region Fisch eine wichtigere Rolle in der Ernährung gespielt hat als bislang erwartet. Immer wieder gab es evolutionäre Sprünge: Die Besiedelung des UV-armen Nordens wurde übrigens nur möglich durch ausreichenden Fisch-, Ei- und Milchkonsum. Das hat den milchzuckerspaltenden Mutanten, die jetzt Nordeuropa bewohnen, einen enormen Überlebensvorteil gebracht.
Waren unsere Vorfahren Vegetarier?
Als Waldbewohner im heutigen Kenia waren unsere Vorfahren Vegetarier wie die Orang-Utans heute noch. Erst später kam die tierische Beikost hinzu. Sie hat durch mehr Eisen, Jod, Vitamin B12 und Eiweiß die Hirnentwicklung zum intelligenten, modernen Menschen gefördert. Der Australopithecus boisei aß alles, was er kriegen konnte, und das waren neben Pflanzen auch Insekten, Würmer und Aas.
Vilcabamba in Ecuador wird auch »Tal der Hundertjährigen« genannt.
Reisen in die blauen Zonen und zum Volk der Tsimane
Auf dem Weg zur Wahrheit über die artgerechte Ernährung begeben wir uns auf eine Weltreise zu den Regionen der Erde, in denen die Menschen besonders gesund sind und alt werden, den blue zones. Diese Zonen gibt es überall auf der Welt in Ecuador, Japan, Sardinien oder Nicaragua. Die Gemeinsamkeiten oder Elemente dieser Ernährung sind in letzter Zeit genauer erforscht worden und liefern uns wertvolle Hinweise zur artgerechten Ernährung.
Dank ihres aktiven Lebensstils haben die Tsimane gesunde Arterien.
Im Jahr 2002 reiste Michael Gurven und sein Team von der University of California in Santa Barbara in die Regenwälder Boliviens. Er untersuchte hier den Gesundheitszustand einer Volksgruppe mit etwa 8000 Angehörigen, der Tsimane. Die Amazonas-Ureinwohner sind sehr aktiv, gehen tagtäglich auf die Jagd und zum Fischen und legen dabei zu Fuß viele Kilometer zurück. Außerdem bauen sie in kleinerem Maßstab Nutzpflanzen für den Eigenbedarf an. Nur zehn Prozent ihres Tagesablaufs verbringen sie in Ruhe – also sitzend oder liegend. Kein Wunder, dass Übergewicht nur bei weniger als zwei Prozent der Tsimane auftritt. Auch Bluthochdruck ist äußerst selten. Typ-2-Diabetes, die Geißel der westlichen Zivilisationen, trat in der Beobachtungsphase gar nicht auf. Atherosklerose, Herzinfarkte oder Schlaganfälle sind extrem selten – anders als in der westlichen Gesellschaft.
Länger leben
In einigen Regionen der Welt leben besonders viele Hundertjährige: in Sardinien, Okinawa, Loma Linda, Nicoya-Peninsula und Ikaria. Vier Faktoren tragen zur Langlebigkeit bei: natürliche Bewegung (wie langes, gemäßigtes Arbeiten oder wandern), richtige Perspektive (seine Lebensaufgabe kennen, sich Zeit lassen), artgerechte Ernährung und soziales Eingebundensein. Von den blue zones können wir viel über die artgerechte Ernährung lernen.
In der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet wurde 2016 eine weitere Studie unter der Leitung von Hillard Kaplan von der University of New Mexico veröffentlicht. Sie zeigt, dass die Arterien der Tsimane gesünder sind als bei allen anderen untersuchten Menschen. Im Durchschnitt sind die Blutgefäße eines 80-jährigen Tsimanen so geschmeidig wie die eines 55-jährigen Amerikaners. Verantwortlich dafür seien laut Kaplan die Ernährung – wenig gesättigte Fettsäuren, viele Ballaststoffe –, extrem viel Bewegung und dass sie so gut wie nicht rauchen.
Was den Tsimane allerdings zu schaffen macht, hängt mit der fehlenden medizinischen Grundversorgung zusammen: Infektionskrankheiten und Parasiten. Darauf ist die Hälfte der beobachteten Todesfälle zurückzuführen. Aufgrund der hohen Rate an Infekten sind auch chronische Entzündungen häufig. So weist das Blut der Tsimane extrem hohe Konzentrationen des C-reaktiven Proteins (CRP) auf. Dieses Eiweißmolekül produziert der Körper bei...