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KAPITEL 2
WUT UND ZORN
In diesem Kapitel wird die Gefühlswelt nach einer Trennung unter die Lupe genommen. Ein wichtiger Punkt ist es, Empfindungen wie Wut und Zorn nicht auszublenden, sondern wahrzunehmen.
In der ersten Zeit war ich überhaupt nicht sauer auf ihn. Die Wut kam erst, als mir nach einigen Monaten klar wurde, in welchem Umfang er mich belogen und betrogen hat. Da lebte er schon mit einer anderen zusammen. Da bekam ich richtige Rachefantasien. Ich habe ihnen gewünscht, dass sie kein Kind miteinander bekommen. Denn ich weiß von jemand anderem, dass sie sich eins gewünscht hat. Und da war mein Triumph irgendwie, dass es auch nicht geklappt hat. Ich habe mal gehört, dass sie eine Fehlgeburt hatte. Als ich davon hörte, hatte ich ein unheimlich schlechtes Gewissen. Natürlich ist mir klar, dass ich die Fehlgeburt nicht verursacht habe, aber ich hatte mir ja Kinderlosigkeit für sie gewünscht … Da merkte ich, dass meine Rachegedanken nicht in Ordnung waren.
Sandra
Dann war ich auch wütend. Wütend auf die Dummheit der Leute. Auf meinen Mann, der sich schon immer geweigert hat, Dinge zu klären. Wut auch auf nahe Menschen, der Trost und Solidarität ich dringend brauchen würde, die stattdessen aber mit meinem Mann solidarisch sind. Meine Eltern haben nach der Trennung mehrfach mit meinem Mann gesprochen. Er hat seine eigene Schuld total verleugnet und stattdessen das Scheitern unserer Beziehung allein mir angelastet. Meine Eltern waren nur zu bereitwillig, ihm das auch zu glauben. Auch da bin ich wirklich wütend. Er ist echt verlogen.
Ulrike
Manchmal bin ich richtig sauer. Ich will mich nicht enttäuschen lassen, bin es aber doch immer wieder. Durch meine Berufstätigkeit macht er ordentlich Gewinn. Aber das reicht ihm nicht. Wenn ich mit ihm rede, habe ich Angst. Ich habe immer das Gefühl, er will mich über den Tisch ziehen. Ich misstraue ihm.
Julia
Ich hatte häufig mit Rachegedanken zu tun. Zum Beispiel: Wo ist die nächste Bombe und wem tue ich sie ins Auto? Welches Auto von den beiden zerkratze ich am besten?
Martin
PERSÖNLICHE ZUGÄNGE
Mit einer Trennung gehen viele Gefühle einher. So etwas lässt niemanden kalt. Im Gegenteil: Wer verlassen wird, ist meist überrascht, wie viele Gefühle plötzlich lebendig werden. Manche empfinden es so, als würde der innere Herd auf die höchste Stufe gestellt. Das Verhalten des anderen und die verheerenden Folgen für das eigene Leben bringen Gedanken und Gefühle zum Kochen. Irgendwann schäumt die Seele über. Dann sprudeln Worte, Anklagen und manchmal auch Schimpfwörter einfach so heraus.
Ähnlich ergeht es aber auch denen, die den Anstoß zur Trennung gegeben haben, weil aus ihrer Perspektive die Ehe nicht so weitergehen konnte. Die schlechten Entscheidungen des Ehepartners, seine beziehungzerstörenden Verhaltensmuster oder die mangelnde Bereitschaft, für die Partnerschaft zu kämpfen, haben zum Aus der Ehe entscheidend beigetragen. Auch das macht wütend und ärgerlich. Selbst wenn Betroffene sich immer wieder bemühen, die Fassung zu bewahren und ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen, gelingt das oft nicht. Wer in Trennung lebt, bleibt selten ruhig. Es gibt Geschiedene, die von sich sagen, dass sie durch die Trennung erst richtig verstanden haben, was es heißt zu hassen. Man erkennt sich oft nicht wieder und erschrickt über die dunklen Regungen im Innern.
Bin ich es noch?
Ihre Wut ist nur allzu verständlich. Die Zeit, als noch alles in Ordnung zu sein schien oder es zumindest noch Hoffnung gab, ist doch gerade erst gewesen. Und jetzt sind Sie wütend, weil es dem anderen vielleicht besser geht, jeder Kontakt nur neue Missverständnisse und Kränkungen mit sich bringt oder der andere einfach nicht verstehen kann bzw. will, wie es Ihnen geht. Die Situation ist verfahren. Manch einer betrachtet sich im Spiegel und fragt sich verdutzt, ob er immer noch derselbe ist. Eigentlich schätzte man sich als einen ruhigen und besonnenen Typ ein. Auch unter Freunden und in der Familie galt man als freundlich und umgänglich. Doch die Trennung stellt alles auf den Kopf. Man merkt, wie sich langsam ein großer Ärger breit macht. »Das kann doch nicht wahr sein«, »Das hätte ich ihm nicht zugetraut«, »Dass sie das tut, hätte ich nicht für möglich gehalten« – so oder so ähnlich sind die Gedanken.
Wunsch nach Vergeltung
Am Ende steht der Eindruck, nicht wirklich geliebt und verstanden worden zu sein. In manchen kommen tiefe Rachegefühle auf. Der andere soll für das büßen, was er getan hat. Ja, sie soll bezahlen für alles, was sie angerichtet hat. Man empfindet Scham über das Erlebte, fühlt sich erniedrigt. Das Vertrauen wurde enttäuscht und verletzt. Die eigene Würde wurde mit Füßen getreten. Manchmal gut versteckt hinter dem Zorn über den anderen, gibt es da auch noch die Wut über uns selbst. »Hätte ich früher reagiert, …!«, »Hätte ich hier oder dort nicht versagt, …!«, »Hätte ich meine Liebe besser gezeigt, …!« Dass allein die eigene Begrenztheit zum Scheitern der Ehe geführt hat, ist eher unwahrscheinlich. Aber dennoch wird es so sein: Selbst der, der sich bemüht und um den Erhalt der Partnerschaft gekämpft hat, hat auch Anteil am Versagen. Das tut weh und macht unter Umständen richtig wütend.
WARUM-FRAGEN
Christen müssen zudem das Scheitern der Ehe auch noch mit ihrem Glauben in Verbindung bringen. Neben den theologischen Fragen, ob oder unter welchen Voraussetzungen eine Scheidung überhaupt erlaubt ist, berührt die schlimme Krise auch die Beziehung zu Gott. Viele schöpfen glücklicherweise viel Kraft aus der Gewissheit, dass Gott da ist, tröstet und neue Wege zeigen wird. Für einige ist es aber unverständlich, warum Gott die Bemühungen nicht gesegnet und die vielen Gebete nicht erhört hat. Es ist vielleicht schwer, sich das einzugestehen, aber letztlich verbirgt sich hinter den verzweifelten »Warum-Fragen« nichts anderes als Zorn Gott gegenüber.
BIBLISCHE PERSPEKTIVEN
Viele Menschen tun sich schwer, wütend zu sein. Sie stehen unter dem Eindruck, dass sich so etwas nicht gehört. Manche fürchten sogar, an dieser Stelle eine Sünde zu begehen. Fordert uns die Bibel nicht auf, den Nächsten zu lieben? Wie kann ich dann so bittere Gefühle äußern? An dieser Stelle hat sich das Buch der Psalmen immer wieder bewährt. Hier finden sich Gebete, bei denen der Beter kein Blatt vor den Mund nimmt. Klar und deutlich werden Wut und Zorn beim Namen genannt. Ein Beispiel ist etwa der Psalm 54. Bitte sprechen Sie sich die Verse einmal laut vor. Für manche Scheidungsopfer ist ein solches Gebet wie eine Leiter, die emporhilft. Wenn die eigenen Worte fehlen, kann dieses Gebet Wunder tun:
Gott, rette mich durch deinen Namen
und verschaffe mir Recht durch deine Stärke!
Gott, erhöre mein Gebet
und vernimm meine Bitte.
Fremde Menschen greifen mich an
und gewalttätige Menschen wollen mich töten.
Sie kümmern sich nicht um Gott.
Aber Gott ist mein Helfer.
Der Herr ist es, der mein Leben erhält!
Gott wird sie durch ihre eigene Bosheit zu Fall bringen.
Mach ihnen ein Ende, so wie du es versprochen hast.
Ich will dir gerne freiwillig ein Opfer darbringen
und deinen Namen loben, Herr, denn er ist gut.
Denn du wirst mich aus meiner Not retten
und mir helfen, über meine Feinde zu siegen. (Verse 3-9)
Das sind heftige Worte für einen Menschen in heftiger Zeit. Sie sind wie gemacht für Frauen und Männer, die unter einer Trennung leiden und denen Schlimmes angetan wird!
Gott – mein Anwalt
Viele Christen kennen Gott als Tröster, Helfer oder Heiler. Die helfende Seite von Gott wird in Kirchen und Gemeinden zu Recht sehr betont. In der Bibel findet sich aber noch eine weitere Eigenschaft Gottes, nämlich die des Anwalts. Lesen Sie selbst:
Vergeltet anderen Menschen nicht Böses mit Bösem, sondern bemüht euch allen gegenüber um das Gute. Tragt euren Teil dazu bei, mit anderen in Frieden zu leben, soweit es möglich ist! Liebe Freunde, rächt euch niemals selbst, sondern überlaßt die Rache dem Zorn Gottes. Denn es steht geschrieben: Ich allein will Rache nehmen; ich will das Unrecht vergelten (Römer 12,17-20).
Das ist ein starker Gedanke, der innehalten lässt. Ja, man soll auf Vergeltung verzichten. Man soll Frieden suchen und nicht den Scheidungskrieg forcieren. Dieser Entschluss geschieht aber nicht aus einer Schwäche heraus. Er gründet vielmehr in dem Vertrauen, dass Gott die Sache selbst in die Hand nehmen wird. Wer der Rache absagt, ist also nicht passiv oder leidend. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Der Betroffene wird hochaktiv. Er übergibt seine Angelegenheit einem Topanwalt. Mit anderen Worten: Von nun an haben Sie einen persönlichen Fachanwalt an Ihrer Seite. Er wird Sie zukünftig in allen Überlegungen, Gesprächen und Entscheidungen begleiten und tatkräftig unterstützen. Und – das ist die andere Seite – er wird auch die Menschen zur Rechenschaft ziehen, die anderen etwas Böses angetan haben. Wie das dann geschieht, sollten wir ganz ihm überlassen.
SEELSORGERLICHE IMPULSE
Menschen, die gerade eine Trennung erleben und durchleiden, sind beinahe den ganzen Tag gedanklich wie emotional mit dieser persönlichen Katastrophe beschäftigt. Die Gedanken kreisen. Immer und immer wieder werden Erlebnisse oder Gespräche mit dem ehemaligen Partner innerlich durchgegangen. Manche führen innere Dialoge oder Selbstgespräche. Wie in einer Endlosschleife kehren dieselben...