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E-Book

Aufbruch ins Ungewisse

Abenteuer zwischen K2, Sinkiang und Amazonas

AutorKurt Diemberger
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783492972475
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Er ist der einzige lebende Bergsteiger, der zwei Achttausender als Erster und ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen hat. Seit 1956 ist Kurt Diemberger im Extremen unterwegs - ob auf den höchsten Gipfeln oder in den Urwäldern Südamerikas. Nicht allein die Schönheit und Wildheit der Natur, auch die Menschen dort zogen ihn magisch an. In seinem Buch löst Diemberger die Rätsel um den Tod des großen Hermann Buhl an der Chogolisa und berichtet, wie Julie Tullis und er am K2 ums Überleben kämpften. Ein langes Leben voller Abenteuer, Tragödien und Höhepunkte - wunderbar mitreißend erzählt.

Kurt Diemberger, geboren 1932 in Villach, arbeitete als Lehrer und ließ sich als Bergführer ausbilden, ehe er zu filmen begann. Er ist Erstbesteiger von zwei Achttausendern (Broad Peak, Dhaulagiri), gilt als »Kameramann der Achttausender« und lebt heute in Bologna und Salzburg. Seine Bücher, darunter »Aufbruch ins Ungewisse«, wurden vielfach ausgezeichnet, seine Filme preisgekrönt. Zuletzt hat er die Neuausgabe des Buches »Achttausend drüber und drunter« von Hermann Buhl betreut und »Seiltanz« veröffentlicht. Für sein außergewöhnliches alpinistisches Lebenswerk wurde Diemberger 2013 mit dem Piolet d'Or geehrt.

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Leseprobe

Im Atem der Zeit – 6000 Meter in 24 Stunden

Ein Kristall, der Mond und die Matterhornnordwand

»Sind wir verrückt geworden? Sind wir unter die Rekordler gegangen? Nein – es lockt und prickelt einfach, zu wissen, ob wir das aushalten können … das Obergabelhorn samt seiner kristallenen, schwer zugänglichen Nordwand aus dem Tal zu bewältigen, gewissermaßen im Urzustand, als ob es keine Hütten gäbe.« Generalprobe für die Matterhornnordwand? Ein Text von mir aus der Vergangenheit, der ebenso gut in die Gegenwart passen könnte.

In Form sind wir ja, der Wolfi Stefan aus Wien und ich: Wir haben gerade als Seilschaft die 1200 Meter hohe Nordwand der Dent d’Hérens in acht Stunden durchstiegen. Herrlich, der Eiskamin! Prunkstück und Schlüsselstelle der Welzenbachführe. (Wahrhaftig, nicht ohne Grund hat man Willo Welzenbach als »Eismeister« bezeichnet … wir bemerken es noch öfter: Sein Name bürgt für Qualität; seine Anstiege haben Format, sie gehören zu den »wilden« Wegen in den Alpen!) Im vierten und fünften Westalpensommer sind nun Wolfi und ich – ein Gespann, bei dem jeder sich auf den anderen hundertprozentig verlassen kann – in den Bereich der Eiswände vorgedrungen, haben uns an das neue, kristallene Element gewöhnt: Wolfi und ich führen abwechselnd, einmal ist er voraus, einmal ich. Das spart Zeit und Standplätze … dennoch sichern wir immer! Vielleicht sind wir deshalb heute, wo ich dies schreibe, noch beide am Leben. Ein »Sicherheitsfanatiker« – das war ich aber schon, ehe ich meinen Gefährten kannte, in einer Zeit, als ich noch in Begleitung anderer mit Großvaters Fahrrad in die Westalpen aufbrach: Nur um ein Haar entgingen drei Jahre früher meine Freunde und ich bei unserer »Expedition zum Matterhorn« dem tragischen Geschick der Erstbesteiger: »Alles ist gut gegangen, sogar der Zwischenfall auf dem steilen Gipfeldach, als Erich plötzlich mit einem Steigeisenzacken hängenblieb und gleich darauf nach einem Überschlag auf meinen Schultern saß. Starr vor Schreck blickten wir in den Abgrund der Nordwand. Ich hatte Gott sei Dank eine Selbstsicherung«, erzählt mein Tagebuch.

Glück gehabt! So könnte man heute ja auch sagen. Und: Rechtzeitig aufhören, ehe es zu spät ist! Aber: Mit dem Bergsteigen, dem »herrlichsten Unsinn der Welt«, wie es genannt wird, aufhören? Unmöglich. Ob Fels oder Eis oder beides kombiniert: Immer wieder lockt dich am Berg das Spiel mit der Ungewissheit, ihre Bewältigung, der Reiz, die richtige Entscheidung zu treffen, vielleicht auch etwas Neues zu probieren, die eigene Technik zu verbessern – nein, es ist nicht allein der Entdeckertrieb, der dich aufbrechen läßt. Schon auf dem Weg zur Riesenwand der Dent d’Hérens blickten Wolfi und ich mit unverhülltem Wunschdenken in eine der größten Alpenwände: in die Matterhornnordwand.

Die war keineswegs unbekannt – aber ob es uns gelingen würde, diese gewaltige, 1200 Meter hohe Fels- und Eiswand zu durchsteigen, das war höchst ungewiß! Denn daß so etwas nicht allein davon abhing, ihre beachtlichen Schwierigkeiten zu meistern, das sollten Wolfi und ich bald zu spüren bekommen …

Es gab jahrelange Versuche auch bester Eis- und Felsgeher, wie etwa des inzwischen grauhaarigen Alfred Horeschowsky, der für Wolfi und mich je eins seiner berühmten Eisbeile geschmiedet hatte. Aber auch er mußte mit seinem Gefährten Franz Piekielko 1923 hoch oben in einem wilden Couloir der Nordwand unterhalb der Schulter aufgeben. Erst im Juli 1931 gelang es schließlich den Brüdern Franz und Toni Schmid, in zwei Tagen mit einem Biwak erstmals die legendäre Wand zu durchsteigen. Für Wolfi und mich war es gewiss eine Herausforderung, ihren Schritten zu folgen, und – jugendlicher Übermut – vielleicht könnten wir sogar in einem einzigen Tag, ohne Biwak durchkommen? Das zu erzählen wäre jedoch nur die Hälfte meiner Geschichte. Für mich gab es nämlich noch eine andere Wand, versteckt, entlegen – die des Obergabelhorns! Sie war bei weitem nicht so hoch wie die des Matterhorns und doch … auf die wollte ich keinesfalls verzichten. Warum nur?

Manche sagen: Der Kurt hat eine Schwäche für Nordwände. Da haben sie recht. Doch was ist der Grund? Ganz genau weiß ich es selbst nicht, das offenbart sich mir nur so nach und nach, Wand um Wand – wie der Charakter eines Berges oder die Schönheit eines Kristalls in einer versteckten Kluft. Und ich habe ja als Kristallsucher mit dem Bergsteigen begonnen! Diese Wände können gleißend und strahlend sein – weil sich das Eis darin hält, weil die Sonne sie, wenn überhaupt, nur für kurze Zeit erreicht, für Augenblicke, in denen sie ihre ganze Schönheit zeigen, wie entrückte, in lichtlosen Winkeln ruhende Kristalle. Oder sie sind dunkel, drohend, steil, bedrückend wie die riesige Eigernordwand, einer unheimlichen Schüssel gleich, an den Himmel gelehnt, durch die der Steinschlag tobt und deren kompakter Fels dem Eis nur an wenigen Stellen Halt bietet. Und dennoch, wenn du darunterstehst und den Wolken nachblickst, die in ihr langsam emporziehen, gipfelwärts … da ist sie unwiderstehlich. Warum? Darauf gibt es keine Antwort. Sie sind ganz verschieden, diese Nordwände – so unterschiedlich wie Persönlichkeiten, die uns anziehen oder abweisen. Dabei ist jede Wand wieder nur ein veränderlicher Gesichtszug des Berges, jener unergründlichen Gestalten, denen wir uns immer wieder nähern. Ist es eigentlich ein Wunder, daß man ihnen verfällt?

Das Matterhorn, 4478 Meter hoch: Als »herrlichen Steinhaufen« hat Gaston Rebuffat es bezeichnet – denn sein Fels hat solch unbeschreiblichen Schwung, daß er der Schwerkraft spottend dem Berg seine einmalige Gestalt verleiht. Bis auf ein Drittel der Höhe zieht in der Nordwand ein steiles Eisfeld empor … und Wolfi und ich, wir wissen beide: Dort heißt es schnell sein, wegen Stein- und Eisschlag, sobald die Strahlen der Morgensonne schräg in die Wand fallen … Und weiter oben? In der Riesenverschneidung, im Bereich dachziegelartiger Felsen, vermischt mit Schnee, verkittet mit grauem Eis; dort werden wir wohl langsamer sein. Vielleicht geht dann im Fels der Wolfi voraus und ich im Eis? Wahrscheinlich, denn jeder von uns hat seinen Spitzenbereich, wo er schneller ist.

Noch habe ich nicht von Wolfi selbst gesprochen – er ist mein »Partner«, wie das in der Bergsteigersprache so heißt, aber wir sind Freunde seit Jahren. Wir verstehen uns, so unterschiedlich wir auch sein mögen – beide sind wir zielbewußt, doch Wolfi ist schon rein äußerlich eine leichtgewichtige Erscheinung, eher schmächtig, aber unglaublich zäh, ein »Draufgänger« voll Überlegung, oft mit kritischem, nachdenklichem Blick seiner blauen Augen unter dem dunklen Haarschopf. Er sieht die Dinge rational, anders als ich, der ich glaube, sowohl Träumer als auch Realist zu sein. Bedürfnislos, wie Wolfi ist, erscheint er mir manchmal als reiner Asket, und doch haben wir kaum je Probleme, denn wir nehmen Rücksicht aufeinander. Fast symbolisch dafür hier ein Beispiel unserer »Sportler-Diät«: So wie ich liebt Wolfi am Berg Haferflocken und Speck, aber ein Glas Milch dazu, das wäre ihm ein Greuel. Fast immer aber, wenn wir auf eine Alm kommen, gibt es die, werden wir hungrige Bergvagabunden bewirtet – ein Stück Brot und natürlich Milch! Wolfi blickt mich dann jedesmal bedeutungsvoll oder verzweifelt an, und während der edle Geber sich umdreht … ruck, zuck!, schon hab’ ich Wolfis Glas geleert und beide vertauscht – mit einer Unschuldsmiene, die eines Charlie Chaplin würdig gewesen wäre. Heute, wo ich in einer Weingegend lebe, kann ich meine kräftige Silhouette unmöglich dem einstigen Überfluß an Milch zuschreiben – es muß wohl Veranlagung sein. Wolfi hingegen hat seine asketische Figur behalten, und im Kopf sind wir einander immer noch so verbunden wie damals. Wie sehr wir uns in mannigfacher Weise ergänzten, wird der Verlauf dieses Kapitels zeigen.

… Wir sitzen in der Hörnlihütte und feilen unsere Steigeisen: ganz scharf, für die Nordwand. Der alte Kronigk zwinkert uns zu, er, der Hüttenwirt, kennt uns ja schon von früher her und hat erraten, was wir vorhaben. Doch dann wiegt er den Kopf: das Wetter! Draußen scheint die Sonne. Wir feilen weiter. Wolfi ist gerade von einem Alleingang über den Zmuttgrat zurück und hat aus nächster Nähe in die Wand hineingeschaut. Die Verhältnisse sind gut. Ich habe extra noch einen Tag zugewartet, um mich ganz auf diese Unternehmung zu konzentrieren. Diesmal muß es klappen!

Mitternacht: Es stürmt und schneit. Unglaubliche Mengen Schnee, alles ist weiß! Und der laue Sturm kommt von Südwesten. Derzeit ist hier nichts zu machen; wir steigen ab. Eine Zwangspause … Und jetzt? Was nun?

Die Vollmondidee

»Sind wir verrückt geworden? Sind wir unter die Rekordler gegangen? Nein – es lockt und prickelt einfach, zu wissen, ob wir das aushalten können … das Obergabelhorn samt seiner kristallenen, schwer zugänglichen Nordwand vom Tal aus zu bewältigen …«

Die Idee stammte von Wolfi, das »kristallene« Ziel von mir.

6000 Meter ohne Unterbrechung: vom Zeltplatz vor Steinauers Stadel in Winkelmatten bei Zermatt bis auf den Gipfel des 4063 Meter hohen Obergabelhorns und wieder zurück zum Zelt. Dazwischen diverse Auf- und Abstiege und natürlich die rund fünfhundert Meter hohe schimmernde Nordwand des Viertausenders.

Ein »Kristall im Dauerlauf«? So mag sich der heute an einander überbietende Rekorde gewohnte Leser fragen. Keineswegs … unsere Unternehmung hatte mit den inzwischen in Mode gekommenen Speedrennen auf bekannten, manchmal sogar vorher...

Blick ins Buch

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