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Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Ernährung

Fakten und Zusammenhänge

AutorKristina Bergmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl187 Seiten
ISBN9783640451326
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Gesundheit - Ernährungswissenschaft, Note: 1,3, Justus-Liebig-Universität Gießen (Institut für Ernährungswissenschaft), Veranstaltung: Methoden in der Ernährungsforschung, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gehört zu den am häufigsten diagnostizierten Störungen im Kindesalter. Betroffene sind unaufmerksam und zeigen hyperaktives Verhalten. Seit über 30 Jahren werden die Zusammenhänge zwischen ADHS und Ernährung kontrovers diskutiert. Anhand einer Literaturanalyse wird in dieser Arbeit erörtert, welche Zusammenhänge zwischen ADHS und der Ernährung bestehen, ob diätetische Interventionen die Symptome verbessern können, ob diese eine mögliche Alternative zur medikamentösen Behandlung darstellen sowie welche Empfehlungen sich aus den Ergebnissen ableiten lassen. Bei ADHS handelt es sich um ein komplexes, multifaktorielles Geschehen, bei dem sowohl genetische Ursachen als auch Umwelteinflüsse eine Rolle spielen. Unter den Umweltfaktoren sind neben exogenen Risikofaktoren und psychosozialen Einflussfaktoren die ernährungsbedingten Einflussfaktoren von Bedeutung, die wiederum Wechselwirkungen mit den anderen Faktoren bedingen. Die medikamentöse Behandlung mit Stimulanzien hat sich in einer Langzeitstudie im Vergleich mit anderen Therapien als weniger erfolgreich erwiesen. Häufige Nebenwirkungen sind Appetitminderung, Gewichtsverluste und Wachstumsdefizite; diese können möglicherweise zu Nährstoffdefiziten führen. Andererseits ist die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas unter von ADHS betroffenen erhöht, was auf eine allgemeine Reizüberflutung zurückgeführt wird. Ergebnisse von Langzeitstudien, die ADHS mit einer erhöhten Manganexposition über Säuglingsnahrung auf Sojaba-sis in Zusammenhang bringen, stehen derzeit noch aus. Nährstoffe können Funktion und Leistung des Gehirns, und damit auch das Verhalten, spezifisch beeinflussen. So wird von den zwei Grundüberlegungen ausgegangen, dass bei ADHS entweder eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder ein Mangel an einem oder mehreren Nährstoffen vorliegt. Daraus ergeben sich zwei Grundprin-zipien einer entsprechenden Ernährungstherapie: die Elimination bestimmter Lebensmittel und Lebensmittelinhaltsstoffe oder eine Supplementierung von Nährstoffen. Ein wichtiges Ziel für künftige Studien besteht darin, gezielt und individuell nutritive Risikofaktoren zu identifizieren und Effekte einer darauf aufbauenden gemischten Supplementierung von Nährstoffen zu messen. Auch die Differenzierung zwischen Subtypen der ADHS und nach Geschlecht, wie sie bereits in vielen Studien vorgenommen wurde, kann bedeutsam sein, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu identifizieren.

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Leseprobe

3   Geschichte der Ernährungsinterventionen bei ADHS


 

Seit über 30 Jahren wird die Frage, ob und inwiefern diätetische Maßnahmen eine geeignete Behandlungsmöglichkeit der ADHS darstellen, kontrovers diskutiert. Ausgehend von verschiedensten Hypothesen wurden Diäten konzipiert und die Supplementierung verschiedener Nährstoffe auf ihre Wirksamkeit überprüft. Dabei wird von den beiden Grundüberlegungen ausgegangen, dass entweder eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder ein Mangel an einem oder mehreren Nährstoffen vorliegt – aber auch eine Kombination dieser beiden Faktoren ist denkbar, z. B. in Form eines Mangels an bestimmten Fettsäuren, der eine Überempfindlichkeit des Immunsystems bedingen kann (s. Abschnitte 3.1.1 und 3.3.1). Daraus ergeben sich zwei – sich gegenseitig nicht ausschließende - Grundprinzipien einer entsprechenden Ernährungstherapie: die Elimination bestimmter Lebensmittel und Lebensmittelinhaltsstoffe oder eine Supplementierung von Nährstoffen.

 

Bei einer Eliminationsdiät wird auf Lebensmittel und Lebensmittelinhaltsstoffe, die nicht vertragen werden, verzichtet. Der Begriff Diät bezeichnet unterschiedliche ernährungstherapeutische Maßnahmen; laut Duden wird darunter eine auf die besonderen Bedürfnisse eines Kranken abgestimmte Ernährungsweise verstanden. Diese kann wiederum frei gewählt oder ärztlich verordnet sein. Insbesondere bei der Verordnung einer Diät für Kinder muss im Vorfeld eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse erfolgen. Risiken bestehen vor allem in einer möglichen Unterversorgung mit einem oder mehreren Nährstoffen oder einer starken Imbalanz der Nährstoffzufuhr. Somit spielen die Qualität des Diätplans und die Kompetenz des Beratenden eine entscheidende Rolle für das Nutzen-Risiko-Verhältnis. Risiken können durch ein regelmäßiges Monitoring der Nährstoffversorgung minimiert werden (Daniel 1991).

 

Die Compliance der Patienten – bei Kindern auch besonders die der Eltern – und der Durchführungszeitraum spielen sowohl im Hinblick auf mögliche Diäterfolge als auch auf die erwähnten Risiken eine wichtige Rolle. Bei einer gezielten Lebensmittelauswahl und Zubereitung ändern sich nicht nur Nährstoffrelation und Inhaltsstoffe, sondern auch die sensorische Qualität der Kost, die wiederum die Regulation der Nahrungsaufnahme und damit möglicherweise die körperliche und psychische Verfassung beeinflusst. Ein durch diätetische Maßnahmen bedingtes verändertes Zuwendungsverhalten der Eltern oder Betreuungspersonen gegenüber dem Kind und eine veränderte Bedeutung der Nahrungsaufnahme können sich ebenfalls auf das Verhalten auswirken, so dass Effekte nicht isoliert vom Umfeld betrachtet werden können (Daniel 1991).

 

Nicht zuletzt stellt eine Diätverordnung für ein Kind einen Eingriff in die ganze Familie dar, der abhängig von der Ausgangssituation, der alltäglichen Ernährungsweise der Familie, dem Schweregrad der Restriktionen und der Compliance mehr oder weniger schwer umsetzbar ist. Auch eine Supplementierung von Nährstoffen stellt eine diätetische Maßnahme dar und sollte wegen möglicher Risiken niemals leichtfertig erfolgen, sondern in Art, Dosierung und Dauer der Anwendung auf individuell zugeschnittenen und fachlich fundierten Empfehlungen basieren.

 

Im Folgenden werden diätetische Maßnahmen bei ADHS im Einzelnen ausführlich erörtert. Dabei werden zunächst die jeweils zugrunde liegenden Hypothesen vorgestellt und daran anschließend die Durchführung der diätetischen Maßnahmen im Rahmen kontrollierter klinischer Studien beschrieben, Ergebnisse dargelegt und bewertet. Abschließend wird jeweils die mögliche Bedeutung der Maßnahme für die therapeutische Praxis und ihre Umsetzbarkeit diskutiert.

 

3.1   Diäten bei vermuteten Nahrungsmittelunverträglichkeiten bei ADHS


 

3.1.1   Die Kaiser-Permanente-Diät nach Feingold


 

Hypothese

 

Im Jahr 1975 stellte der amerikanische Kinderarzt und Allergologe Benjamin F. Feingold eine Hypothese zur diätetischen Behandlung der ADHS auf. Er ging von einer Unverträglichkeit gegenüber in der Nahrung enthaltenen synthetischen Farb- und Konservierungsstoffen sowie Salicylaten aus.

 

In seinen Grundüberlegungen ging er von folgenden Voraussetzungen aus: In der Immunologie werden niedermolekulare organische Substanzen, die nach Bindung an ein Carrierprotein als Antigene wirken können und so eine Antikörperbildung auslösen, als Haptene bezeichnet (Feingold 1975: 5, Reuter 2004: 872). Er vermutete einen akkumulativen Effekt, der eine verspätete Hypersensitivität auslöst. Viele Lebensmittelzusatzstoffe sind niedermolekulare Substanzen, die potenziell allergieähnliche Reaktionen hervorrufen können. Das Gleiche gilt für die in einigen Lebensmitteln natürlicherweise vorkommenden Salicylate (Feingold 1975: 5f). Er war der Meinung, dass es sich bei Hyperaktivität nicht um eine klassische allergische Reaktion handeln könne, da diese ein genau gegenteiliges Verhaltensmuster mit Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Antriebslosigkeit hervorrufe (Feingold 1975:70).

 

Feingold hing der Auffassung an, dass jede Person ihre individuelle biologische Identität innehat, die wiederum eine pharmazeutische Individualität bedingt. Die ererbte, individuelle genetische Struktur mit ihrer Körperzusammensetzung und dem Stoffwechsel reagiere individuell auf jeden äußeren und inneren Einfluss. Kinder mit einer bestimmten genetischen Prädisposition müssten somit auf bestimmte Substanzen advers reagieren (Feingold 1975:140f).

 

Er kritisierte die damals angewandte Zulassungspraxis für Zusatzstoffe der FDA (Food and Drug Admistration, Zulassungsbehörde in den USA), da er die Überprüfung von Stoffen, die als GRAS (generally regarded as safe, allgemein als sicher angesehen) eingestuft waren, für unzureichend hielt (Feingold 1975:133f).

 

Durchführung

 

Auf dieser Basis konzipierte er die K-P-Diät, eine Eliminationsdiät, die alle Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente ausschloss, die künstliche Farb- und/oder Aromastoffe enthalten oder einen natürlich hohen Gehalt am Pflanzenhormon Salicylat aufweisen. Die Bezeichnung K-P steht dabei für Kaiser-Permanente, den Namen des Institutes, in dem Feingold arbeitete, aber auch für „Küchen-Polizei“, wie er in seinem Buch augenzwinkernd preisgibt (Feingold 1975:37).

 

Auf zwei Gruppen von Lebensmitteln soll bei der K-P-Diät (zunächst) verzichtet werden:

 

 Gruppe 1: Früchte und Gemüse, die Salicylate enthalten

 

 Gruppe 2: alle Lebensmittel, die zugesetzte Farb- und Aromastoffe enthalten

 

(Feingold 1975:169f).

 

Bei einer positiven Reaktion kann die Diät nach 4 - 6 Wochen um Lebensmittel aus Gruppe 1 einzeln, im Abstand von 3 - 4 Tagen, versuchsweise ergänzt werden. Es wird empfohlen, ein Ernährungstagebuch zu führen, in dem jeder Verzehr, jedes Medikament etc. protokolliert wird, um ggf. adverse Reaktionen auf bestimmte Ereignisse zurückführen zu können (Feingold 1975:175).

 

Nach Feingolds eigener Einschätzung reagierten bis zu 50% der diätetisch behandelten Kinder positiv und 75% immerhin so gut, dass ihre Medikation mit Stimulanzien abgesetzt werden konnte. Feingold beschrieb ein Reaktionsmuster hyperaktiven Verhaltens auf Diätfehler, das jeweils 24 - 72 Stunden anhielte (Feingold 1975:34). Hinter Misserfolgen vermutete er teilweise mangelnde Compliance oder unbewusste Diätfehler; doch räumte er auch ein, dass es offensichtlich Non-Responder gab (Feingold 1975:71ff). Seine Schlussfolgerungen stützen sich allein auf Erfahrungen aus seiner eigenen Praxis, nicht aber auf experimentelle Beweise.

 

Anhand der Beschreibungen in Feingolds Buch wird deutlich, dass es in den USA der 70-er Jahre nicht einfach war, die Diätvorschrift einzuhalten, da die Lebensmittelkennzeichnung unzureichend war und viele Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel zu meidende Zusatzstoffe enthielten (Feingold 1975:85ff).

 

Ergebnisse

 

Nachdem zwei doppelblinde Crossover-Studien, in denen die K-P-Diät an hyperaktiven Kindern getestet wurde, unklare Ergebnisse geliefert hatten, wurden in der Folge Provokationsstudien (DBPCFC) mit Lebensmittelfarbstoffen durchgeführt, die zeigten, dass einige wenige Kinder advers auf diese Substanzen reagieren. Nachdem kritisiert wurde, dass die verabreichten Mengen zu gering gewesen seien, folgte eine Studie, bei der die Aufnahme von Lebensmittelfarbstoffen eher an die zu dieser Zeit in den USA übliche Verzehrsmenge angeglichen wurde. Alle 20 hyperaktiven Kinder reagierten nach Provokation mit einer Farbstoffmischung advers im Vergleich zum Placebo (Schnoll et al. 2003).

 

Studien, die die Wirkung von Lebensmittelfarbstoffen getestet haben, werden in der Literatur häufig mit Überprüfungen der K-P-Diät gleichgesetzt. Dies ist nicht angebracht, da in der K-P-Diät außer Farbstoffen noch weitere Substanzen eliminiert werden sollen. Da bei der K-P-Diät stark verarbeitete Lebensmittel automatisch gemieden werden, könnten weitere diätetische Variablen, beispielsweise ein verminderter Konsum raffinierter Zuckerarten, bei Effekten eine Rolle...

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