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E-Book

Augenblicke Teil III

Das Auge in der Moderne

AutorIngeborg Bauer
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783743121065
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Augenblicke - das Wort enthält den Begriff der Augen, im Blick steckt das Sehen. Augen sind von außerordentlicher Bedeutung, seit der Mensch versucht, den Menschen darzustellen. Wir alle sehen Augen, auch da, wo sie nicht gemeint sind. Wir haben am Beginn unseres Lebens gelernt, in die Augen der Mutter, des Vaters, der Bezugsperson zu blicken. Dieser Blick in die Augen eines anderen Menschen wurde für uns prägend. Es genügen zwei Punkte, um den Eindruck eines Gesichts zu erwecken: Punkt, Punkt, Komma, Strich ... In diesem III. Teil geht es um die Entwicklung der Darstellung des menschlichen Gesichts in der Moderne, die häufig archaische Muster aufnimmt. Wie Denken durch Bilder zutage tritt, wie Bilder zu gemalten Gedanken werden können, wie die Welt durch die Darstellung des menschlichen Antlitzes gedacht wird, das möchten meine Ausführungen beleuchten. Reisen, schauen, lesen und über das Erfahrene reflektieren - so ergeben sich persönliche Schwerpunkte. Ein Ordnen der Eindrücke wird unerlässlich.

Studium der Germanistik und Anglistik. Nach dem Staatsexamen als Studienrätin tätig. Volkshochschuldozentin in Esslingen (Konversationskurse mit Schwerpunkt "Englischsprachige Literatur der Gegenwart"). Freiberufliche Mitarbeit in einer Galerie für zeitgenössische Kunst, Vernissagen, Texte für Kataloge.

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Leseprobe

Augen-Blicke – Das Auge in der Kunst der Moderne


Das Auge als solches


Gerhard Stadelmaier über Ulrich Matthes und die Augen-Blicke von Schauspielern:

„Was von ihm haften bleibt, sind seine Augen. Niemand, den sie angeschaut, keine Figur, kein Text, kein Zuschauer, sind danach noch dieselben. Andere große Schauspieler, wie Minetti zum Beispiel, mögen alles durchdringende, oder wie Gert Voss alles durchschauende, oder wie Rolf Boysen alles durchschauernde Augen haben oder gehabt haben. Ulrich Matthes hat alles durchglühende Augen.“1

Das Auge ist das Organ, das Medium, durch das der Mensch die Welt wahrnimmt. Das gilt in besonderem Maße für den Künstler.

Augen finden sich unter den frühesten Darstellungen, die der Mensch als Höhlenzeichnungen und als frühe Plastik gestaltet hat. Es wird zum apotropäischen Zeichen. Als Auge Gottes steht es symbolisch für den christlichen Gott, von dem der Mensch sich kein Bildnis machen soll.2

Soziales Handeln hängt vollständig von unserem Gesicht ab, von seiner Unversehrtheit und mimischen Funktionsfähigkeit. Das Gesicht als mehrdimensionale Zeichenfiguration verweist sowohl auf die Lebensgeschichte eines Menschen, als auch auf seine Augenblicksbefindlichkeit und enthält immer eine affektive Tönung, eine emotionale Ausdruckskraft. Auch was der andere in meinem Gesicht gelesen hat, teilt sich mir mit, beeinflusst meine Befindlichkeit. Sartre spricht von einer “reinen Verweisung auf mich selbst“ und negativ formuliert: „Die Hölle, das sind die anderen.“ Das Gesicht ist ein Spiegel der Identität. Und es sind die Augen, in denen die Identität sich verdichtet, kristallisiert. Die Augen sind ein psychologisches Zentrum intimster Regulierungen. Bei der Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) sind die mit der Pupille auszuführenden Kleinstbewegungen im Spätstadium die einzigen Ausdruckskomponenten. Das Auge hat eine Semantik, die intuitiv verstanden wird. Wie in dem vorangestellten Zitat von Gerhard Stadelmaier können Augen die unterschiedlichsten Gefühle ausdrücken: strahlend können sie sein, aber ein Blick kann auch stechend, durchdringend, verhangen, traurig, fröhlich, müde, frustriert, resigniert sein. Bei Scham wird der Blick entzogen, Furcht lässt den Blick sich abwenden. Augen werden auch Spiegel der Seele genannt, die den Charakter enthüllen. Ein einziger Augen-Blick kann entscheidend sein, ob ein Mensch mir sympathisch ist oder nicht.

Das Bild im Spiegel ist Kommunikation mit der eigenen Person. Es unterliegt allerdings auch einer vielfältigen willentlichen Manipulation. Es findet eine Annäherung an ein inneres Sollbild statt, an dem meine Vorstellung von meinem Selbst hängt. Das Auge besteht aus Wimpern und Brauen, Augenweiß und dunkler Pupille. (Schimpansen haben meist einen dunklen Augapfel.) Es ist der hell-dunkle Kontrast, der die kommunikative Signalwirkung prägnanter erscheinen lässt. Sympathie erweitert die Pupillen, während negative Gefühle sie verengen. Das Auge kann die ganze Bandbreite von Gefühlen zum Ausdruck bringen. Wird der Blick entzogen, so kann das viele Gründe haben, u.a. Misstrauen, Scham, Schüchternheit, Abwehr.

Jemand verliert sein Gesicht, das kann im übertragenen Sinn den Verlust von Respekt, von Achtung bedeuten. Verliert aber ein Mensch sein Gesicht, weil es durch Krankheit oder Unfall entstellt wird, so ist dieser Verlust einschränkender als verlorene Glieder es sein könnten. Eine Gesichtsverletzung stört den mitmenschlichen Kontakt. Der Andere schreckt zurück, der Betroffene wird gemieden. Nach dem Ersten Weltkrieg sah man keine Gesichtsverletzungen in den Straßen, auch ein Otto Dix oder George Grosz malte sie nicht. Auch daraus kann man folgern, dass dem menschlichen Gesicht eine Ausnahmestellung zukommt, wobei auch heute noch eine sakral-transzendente Komponente mitspielen dürfte: Der Mensch, der nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde.

Das Gesicht besteht aus einer Konfiguration von Zeichen, die, wie man aus der Beschreibung des Täters durch das Opfer oder einen Zeugen der Tat weiß, nicht leicht zu entziffern ist. Der Phantombildzeichner Rainer Wortmann konstatiert jedoch, dass ein Betroffener, der vom Täter bedrängt worden ist, sich meist am besten an die Augen erinnert.3

Doch bleiben Rückschlüsse auf den Charakter fragwürdig. So wurde die Frenologie eines Lavater, der den Kopf schlichtweg vermessen hat und aus diesen Maßen seine Schlüsse zog, schon früh kritisiert, zum Beispiel von Lichtenberg. Auch Goethe, der zunächst Interesse zeigte, wandte sich später ab. Physiognomische Vorurteile sind in der Regel nicht haltbar. Allerdings lässt sich nicht bestreiten, dass ein Gesicht eine Lebensgeschichte enthalten mag. Auch scheint die Mimik nur begrenzt kontrollierbar zu sein. Einzig die Augen sind dem Willen des Einzelnen weitgehend entzogen. Augen lügen nicht.

Das Auge als Organ, das Bilder aufnimmt, die das Gehirn abbildet, interpretiert, das Auge als wichtigstes Sinnesorgan wirkt reziprok. Es sieht, und der andere Mensch oder das Tier blickt ihm ‚ins Auge’. Im Englischen entsprechen sich die Aussprache von Eye (Auge) mit I (Ich), das könnte man dahingehend interpretieren, dass sich im Auge als solchem die Identität eines Menschen niederschlägt beziehungsweise ausdrückt. Es ist auffallend, dass die Augen einer Verschleierten, indem sie vom übrigen Gesicht isoliert erscheinen, eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, während ein mit einem Balken versehenen Porträt an Aussagekraft verliert.4

Andererseits hebt eine Verschleierung, ähnlich wie eine Maske, die Reziprozität des Sehens auf. Niqab und Burka bewirken eine De-Individualisierung, verursachen eine Asymmetrie unter Gesprächspartnern, unter den Geschlechtern, stören einen ausgewogenen Dialog.

Die Iris eines Menschen setzt sich aus 255 Daten zusammen.

Der Fingerabdruck beruht dagegen auf nur 70 Messwerten.

Der Naturwissenschaftler John Daugman von der Universität Cambridge / Massachusetts hat ein Verfahren entwickelt, das die Iris des menschlichen Auges digitalisiert und so die Grundlage geschaffen, die Iris eines Menschen aus 255 Daten zu analysieren. Jeder einzelne Mensch verfügt offensichtlich über eine einzigartige Iris, die damit den Fingerabdruck ersetzen könnte, der auf nur 70 Daten beruht. Die Idee der Erkennung durch die Iris hatte schon 1936 ein amerikanischer Augenarzt. Inzwischen hat Elizabeth II. ihn für seine Entdeckung zum Ritter geschlagen.5

Inzwischen wurde in Russland ein Programm erstellt, das unter der Zuhilfenahme von 80 Punkten eine Person unter anderem nach Alter und Geschlecht zu differenzieren vermag. Das Programm versucht dann eine Personenerkennung, um zum Gesicht den Namen und damit die Identität festzustellen. Das ist eher beunruhigend.

Der Ursprung der Menschheit liegt in Afrika. Alle Menschen hatten dunkle beziehungsweise braune Augen. Erst vor etwa 6 000 bis 10 000 Jahren fand eine Mutation statt. Der Genforscher Hans Eiberg von der Universität Kopenhagen vermutet sogar, dass alle Blauäugigen von einem Menschen abstammen. Diese Veränderung ist evolutionsbiologisch bestimmt und fand in Nordeuropa statt. Weniger Pigment bildet eine geringere Barriere für Sonnenstrahlen, die im Norden nur begrenzt vorhanden sind und die der Körper zur Produktion von Vitamin D braucht. In den Tropen bieten braune Augen Schutz vor der schädlichen Wirkung von ultraviolettem Licht. Die Augenfarbe hängt vom Grad der Pigmentierung ab. Die Stroma der Iris ist weitestgehend unpigmentiert und die Färbung kommt durch die dünne Pigmentschicht (Epithelium pigmentosum) auf der Hinterseite der Iris zustande. Babys mit heller Hautfarbe haben noch wenig von dem Farbstoff Melanin, der für die Färbung der Pigmente verantwortlich ist. Dies kann sich im Laufe der Entwicklung ändern, und so können sich die blauen Augen eines Neugeborenen nach einem Jahr oder auch noch später in braune Augen verwandeln. Allgemein besteht eine Korrelation mit der Haut- und Haarfarbe.

In diesem Zusammenhang muss man auch in Betracht ziehen, dass blaue Augen in südlichen Ländern Schrecken hervorrufen können, ein Umstand, der schon von Tacitus kommentiert wurde. Blaue Augen werden oft mit dem bösen Blick gleichgesetzt. Im Nahen Osten, in Ägypten und im Maghreb, aber auch auf Malta, fallen dem Besucher Fischerboote auf, an deren Bug blaue Augen aufgemalt sind. Sie sollen apotropäisch wirken wie die blau getönten Augen, die an Hals und Finger getragen werden und heute an Touristen verkauft werden, selbst wenn diese blaue Augen haben. Sind die heutigen Ägypter noch Nachfahren derer, die Udjat-Augen (Augen des Horus) als Amulett benutzten? Die Horusaugen auf altägyptischen Särgen sollten dem Verstorbenen überdies den Blick nach außen ermöglichen, ins Diesseits, waren also auch als Kommunikationskanal gemeint. Auch der Spiegel, der den Blick ins Haus verwehrt, indem er das Bild des Eintretenden zurückwirft und seine möglichen bösen Intentionen abwehrt, gehört in diesen Zusammenhang. In dem türkischen Sprichwort, das...

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