Der siebenjährige Krieg
Deutschland war ich circa dreihundert Kleinstaaten sehr unterschiedliche Größe aufgespalten. König Friedrich II., auch bekannt als »der Große«, führte von 1756 bis 1763 unter anderem um schlesische Gebiete Krieg gegen Österreich. Da Freiwillige schon lange nicht mehr zu haben waren, schickte er die berüchtigten Werber in benachbarte Länder, um mit List und Gewalt junge Männer in die preußische Armee zu pressen.
In Mecklenburg waren die absolutistischen Bestrebungen des Herzogs Carl Leopold gescheitert. 1755 wurde mit die Verfassung, »Landesgrundgesetzlicher Erbvergleich« genannt, durch den Herzog Christian Ludwig mit der Ritterschaft, den Gutsbesitzern, abgeschlossen und sicherte den adligen Gutsbesitzern fast unbeschränktes Recht zu. An einer Konfrontation mit Preußen war also gar nicht zu denken. Durch das Bündnis mit Schweden, die sich in Mecklenburg festgesetzt hatten, gab es statt Hilfe nur mehr Abgabenlast. Damit hatten die preußischen Werber fast freie Hand.
Hatten die Bauern durch den siebenjährigen Krieg Verluste an Männern, Geld und Vieh zu beklagen und konnten die Abgabenlast nicht mehr tragen, so wurden die Höfe gepfändet und die darauf lebenden Bauern wurden Leibeigene. Das nannte man damals: »Die Bauern wurden gelegt«. Von diesem Zeitpunkt an war selbst die Eheschließung genehmigungsbedürftig.
Die ersten genauen Überlieferungen stammen erst aus der Zeit des siebenjährigen Krieges. Friedrich der Große schickte bekanntlich Werber durch Mecklenburg, die durch List und Gewalt junge Männer zum Kriegsdienst zu pressen versuchten.
Der damalige Bauer auf unserer Stelle zu Ober-Steffenshagen war kränklich, so daß er zum Kriegsdienst untauglich war. Er hatte viele Kinder, sein Bruder, welcher bei ihm als Knecht diente, war ein kräftiger Mann, den die Preußen schon längst gern gepresst hätten, aber immer war es ihm gelungen, sich ihren Nachstellungen zu entziehen. Einmal hatten sie wieder vergeblich die Hofstelle nach ihm durchsucht, da nahmen sie als Ersatz, trotz alles Schreien und Klagens der Frau und der Kinder, den Bruder des Bauern mit, ließen aber die Botschaft zurück ihn freizulassen, wenn sein Bruder sich für ihn stellen würde. Als die Preußen abgezogen waren, umfing ihn das Schreien und Jammern der Frau und der Kinder. Diesen Jammer konnte er nicht ansehen und anhören. Er nahm Abschied von seinen Verwandten und stellte sich freiwillig den preußischen Werbern. Sein Bruder kehrte darauf zurück. Von ihm aber ist keine Kunde wieder nach Steffenshagen gekommen.
Den verheirateten Küster zu Steffenshagen hätten die Preußen auch gern gepreßt. Dieser hatte aber auf dem Kirchturm ein Versteck zurechtgemacht, wo ihm schwer beizukommen war. Hier hatte er beständig Vorrat an Lebensmitteln und Wasser in Bereitschaft. Wenn dann der Alarm erscholl: »Die Preußen kommen« kletterte er schnell auf sein Versteck und zog die Strickleiter hoch, so daß die Preußen ihm nicht ankommen konnten. Sie versuchten es zwar mit List, ihn vom Turm herabzuholen und zu bekommen. Seine Frau hatte eine helle, weinerliche Stimme. Sie ahmten nun die Stimme der Küsterin nach und riefen mit verstellter Stimme: »Varre nu kam man warre runne, die verdammten Preußen sind nu warre weg«. Er fiel aber auf diese List nicht rein, denn er hatte mit seiner Frau ein Stichwort verabredet, woran er erkennen konnte, ob die Preußen auch wirklich abgezogen sein.
Noch verschiedene Geschichten wurden aus dieser für Mecklenburg so bösen Zeit erzählt, so von einem Bauern, der in der ganzen Gegend wegen seiner Stärke bekannt war. Dieser fuhr einmal eine Fuhre Dung aufs Feld, als er von preußischen Werbern überfallen wurde. Er hatte nichts zur Verteidigung bei sich. Schnell entschlossen riss er eine Wagenrunge aus dem Dungwagen und drosch damit so gewaltig auf die Werber los, so daß er sich ihrer erwehren konnte. Schlechter erging es dem Schäfer eines Gutes in dortiger Gegend, der wegen seiner Stärke auch allgemein bekannt war. Dieser war einmal allein bei seinen Schafen auf dem Felde. Da kam ein Bauer des Weges daher und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. lm Verlauf desselben fragte er den Schäfer, er habe gehört, daß er so stark sei. Er möchte gern eine Probe seiner Stärke sehen. Er wollte ihm seinen Handstock durch die Ärmel seiner Jacke stecken, ob er den dann zerbrechen könnte. Der Schäfer, der das Kraftstück schon früher vollbracht hatte, erklärte sich hierzu bereit. Kaum war das aber geschehen, so zog der verkleidete Werber eine Flöte aus seiner Tasche und gab damit seinen im Walde verborgenen Genossen das Signal schnell herbeizukommen. Der Schäfer versuchte nun zwar, schnell den Stock zu zerbrechen, aber vergeblich, denn in dem Stock war verborgen eine Eisenstange angebracht gewesen. Schnell ergriff ihn an jedem Arm ein Werber, der dritte schob nach und bald verschwanden sie mit ihm im Walde. Außer diesen Menschenräubereien wurde den Bauern aufgezwungen Lebensmittel an die Preußen zu liefern. So ist es erklärlich, daß unter den Bauern ein starker Haß vorhanden war, gegen alles, was preußisch hieß. Erst in der nachfolgenden Franzosenzeit, in der die Mecklenburger und Preußen die gleichen Drangsale zu erdulden hatten, wie in den Freiheitskriegen wo beide Schulter an Schulter für die Befreiung kämpften, war dieser Haß erschlafft, ganz verschwunden war aber noch nicht. Wenigstens habe ich noch als Junge alte Leute reden hören, als von einem Preußen gesprochen wurde, »dem ist nicht zu trauen, denn er ist ein Preuß.«
Was nun die Rechtslage der Bauern betrifft, so hatte sich dieselbe im Laufe der Jahrhunderte immer mehr verschlechtert. Infolge der Reformation war im Jahre 1552 das Kloster Doberan aufgehoben und in herzoglichen Besitz übergegangen und aus dem früheren Klostergebiet war das herzogliche Amt gleichen Namens gebildet worden. Damit waren aus Klosterbauern fürstliche Bauern geworden. Da unter dem Krummstabe nie allgemein gut wohnen gewesen war, so kam nun auch für sie wie für alle Bauern Mecklenburgs als verschlimmernd hinzu, die politische Entwicklung unseres Heimatlandes. Der langdauernde Kampf zwischen Fürsten und Rittern war nach der Besiegung und Flucht Carl Leopolds nun, wie es schien, endgültig zu Gunsten der Ritter entschieden. In landesgesetzlichen Erbvergleichen 1755 kam dieser Sieg der Ritter über die Fürstenmacht auch äußerlich zum Ausdruck. Die Ritter waren auf Ihren Gütern gewissermaßen souverän. Die dort wohnenden Leute waren ihre Untertanen. Sie betrachteten den Großherzog nur als »primus inter pares«, als den ersten unter gleichen (Eheleuten).
Diese Machtstellung der Ritter hat alle Bauern Mecklenburgs, am härtesten aber die im Gebiet der Ritterschaft betroffen. Die zwar zinspflichtigen, aber sonst freien Bauern, welche Mecklenburg bevölkert hatten, wurden mehr und mehr zu völlig von der Herrschaft abhängigen Hintersassen, immer mehr mit Dienstleistungen bedrückt, bis sie völlig leibeigen wurden, welche Leibeigenschaft sogar gesetzlich festgelegt wurde. Die Bauern waren jetzt Eigentum ihrer Herren. Ähnlich wie jetzt der Besitzer einer Stelle dieselbe mit Inventar verkaufen kann, so stand es damals im Belieben der jeweiligen Herren, die ihnen gehörigen Bauernstellen mit den darauf befindlichen Bauernfamilien zu verkaufen.
So gehörte die eine Bauernstelle im Dorfe Gallin der Pfarre zu Granzin im Amte Boizenburg. Sie verkaufte dieselbe nun an das herzogliche Amt Boizenburg. In dem darüber aufgestellten Kaufkontrakt heißt es: Die Pfarre zu Granzin verkauft die ihr gehörige Bauernstelle zu Gallin mit samt denn Inventar, dem Kerl, dem Weib und den Kindern an das herzogliche Amt Boizenburg. Auch gingen wohl freie Leute, die eine Ehe mit einer Leibeigenen eingehen wollten, bei, sich ihre Frau freizukaufen, damit diese von der Leibeigenschaft befreit wurde und die etwa aus dieser Ehe geborenen Kinder nicht der Leibeigenschaft anheimfielen. Denn es galt als Grundsatz, die aus der Ehe zwischen Freien und Unfreien geborenen Kinder folgen der schlechteren Hand, d. h. sie werden wieder Leibeigene.
Während der Wirren zu Karl Leopolds Zeiten hatte Hannover Truppen nach Mecklenburg gesandt. Um wieder auf die dadurch entstandenen Kosten zu kommen, hatte es mehrere Ämter, unter dieser auch Zarrentin-Wittenburg, in Pfandbesitz genommen. Unter den während dieser Zeit dort stationierten Truppen war auch ein Husar gewesen. Dieser hatte nach seiner Entlassung im Dorf Schadeland eine Schulstelle angenommen. Er hatte sich mit einer Bauerntochter aus Lüttow verlobt. Damit seine etwaigen Kinder nicht wieder der Leibeigenschaft anheimfielen, sondern freie Menschen blieben, ging er erst bei, und kaufte sich seine Braut für 16 Taler vom Amt Wittenburg. Diese Freikäufe von Leibeigenen waren also für ihre früheren Herren zugleich auch eine Geldquelle.
Nun hatten die Ritter überall freies Feld. Immer mehr Bauern wurden gelegt und ihre Büdnereien zum Gutsacker geschlagen. Aus leibeigenen Bauern wurden leibeigene Tagelöhner. So kam es, daß von den ca. 13.000 ritterschaftlichen Bauernstellen nur etwa der zehnte Teil vom Bestand blieb und dieser Rest meist auch nur in verkleinertem Maßstabe, trotzdem aber entweder der ganze oder doch der größte Teil der Kirchenlasten der geschleiften Stellen mitzutragen hatten. Daß das Gedeihen eines Volkes und Landes auf dem Bestehen und Gedeihen eines gesunden und kraftvollem Bauernstandes besteht, daran dachten diese mecklenburgischen Herren und Gesetzgeber nicht.
Sie waren nur bestrebt ihre Vorteile zu beachten. Aber nicht nur auf das ritterschaftliche Gebiet beschränkte sich dies Legen der Bauernstellen. Es griff auch über auf das...