1 EINLEITUNG
Das Abitur als Schulabschluss und danach ein Studium, dieser Bildungsverlauf wird mittlerweile als eine „normale Bildungskarriere“ (vgl. Dräger 2013, S. 45) bezeichnet. Derzeit übersteigt erstmals die Zahl der Studienanfänger/-innen die Zahl der neuen Ausbildungsverträge in der dualen Berufsausbildung (vgl. BMBF 2014a, BMBF 2015). Doch auch Personen ohne Abitur haben es durch die Neuregelung des Hochschulzugangs für beruflich qualifizierte Personen seit 1999 einfacher an deutschen Fachhochschulen und Universitäten zu studieren und rücken vermehrt als neue Zielgruppe in den Fokus der Hochschulen und damit auch der Hochschulforschung: die sogenannte Gruppe der beruflich qualifizierten oder auch nicht-traditionellen Studierenden. Im Jahr 2013 beendeten in Deutschland bereits 4.400 Studierende ohne Abitur ihr Studium erfolgreich, so viele wie nie zuvor (vgl. CHE 2015, o.S.). Die Öffnung der Hochschulen und der breite Zugang zur wissenschaftlichen Weiterbildung (besonders in Rheinland-Pfalz) ermöglichen es den Hochschulen einen genaueren Blick auf die Intentionen und Studienmotive der beruflich Qualifizierten zu richten und angepasste, d.h. in diesem Fall berufs- und familienbegleitende Studienkonzepte zu entwickeln und zu implementieren. Zum Ausbau der Studienangebote für beruflich qualifizierte Studierende und zur Erweiterung der Studierquote dieser Gruppe fehlt es den Akteurinnen und Akteuren an Hochschulen, welche Studiengänge gestalten, aktuell noch an „entsprechendem Beschreibungs- und Erklärungswissen“ (Jürgens/Zinn 2012, S. 35) über die neue Studierendengruppe, ihr soziodemographisches Profil, ihre Lernbegründungen und Studienmotivationen, ihre beruflichen Erfahrungshintergründe sowie ihre Studienhemmnisse und Problematiken. Diese neuen Studierendengruppen verkörpern mit Blick auf ihre heterogenen Lern- und Berufsbiografien, ihre beruflichen und lebensweltlichen Erfahrungen, ihre Weiterbildungserfahrung und ihre Weiterbildungswege „lebenslanges Lernen in Reinkultur“ (Wolter 2005, S. 257) und doch besteht im Hinblick auf die forschende Auseinandersetzung mit dieser Studierendengruppe ein nicht unerhebliches Forschungsdesiderat.
Im Vergleich zu einem grundständigen Studium gilt das Weiterbildungsstudium als eine Form der Aufstiegsqualifizierung, die mit dem nächsten Karriereschritt verbunden ist (vgl. Koroknay/Iberer 2014, S. 52). Dabei besteht auch hier ein deutliches Forschungsdesiderat für den Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung und besonders auch der berufsbegleitenden Master-Studiengänge. Dieser dürftige Forschungsstand bezieht sich sowohl auf die nachweisbaren Effekte weiterbildender Studiengänge (vgl. ebd.), als auch auf Teilnahmemotivation, Studienverläufe und Problemlagen im Studium. Insbesondere bezieht sich das Fehlen empirischer Daten auf die Bildungs- und Berufsbiografien der Teilnehmer/-innen und Nicht-Teilnehmer/-innen und spezifisch der nicht-traditionellen Studierenden im Ganzen bzgl. der beruflichen und sozialen Erfahrungskontexte, der Zusammensetzung der Teilnehmendengruppen und der bereits vollbrachten Vorleistungen (vgl. Zinn 2012, S. 278; Wolter 2010, S. 213). Es ist anzunehmen, dass „die berufstätigen und berufserfahrenen Teilnehmenden an (hochschulischen) Weiterbildungen spezielle Motive für die Beteiligung haben, die sich durchaus von den Motiven der sogenannten Normalstudierenden unterscheiden“ (Banscherus/Spexard 2014, S. 73).
In der wissenschaftlichen Weiterbildung stehen berufserfahrene Lernende im Vordergrund, welche häufig berufsbegleitend ihre Weiterbildung an der Hochschule organisieren. Erwachsene treten somit mit unterschiedlichem (Vor-) Wissen und verschiedenen Erfahrungskontexten in (wissenschaftliche) Weiterbildungsmaßnahmen ein, welche lernförderlich oder auch lernhemmend sein können (vgl. Arnold/Schüßler 1996). Besonders die Erwachsenenbildung orientiert sich aktuell an „der Entwicklungslogik des Subjekts und der Transdisziplinarität der lebensweltlichen Anforderungen“ (Arnold 2012a, S. 4). Im Sinne einer Teilnehmerorientierung (Stichwort „reflexive Wende“) wissenschaftlicher Weiterbildung wird der/die Lernende in dieser Arbeit in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Die didaktische Einsicht, dass „Menschen nur zu ihren eigenen Bedingungen lernen“ (ebd.) wandelt die Didaktik und kann damit auch zu einem Wandel der Hochschuldidaktik, zu einer Subjektorientierung führen.
In der vorliegenden Arbeit geht es um die Frage nach der Initiierung des Lernens durch das Lernsubjekt (vgl. Müller 2006) und dem, was Müller (2006) als Gretchenfrage allen Lernens bezeichnet: „(W)ie kommt das (erwachsene) Subjekt auf die Idee, sich (wieder) als Lernenden zu definieren und sich bewusst und gewollt einem Ausschnitt der sachlichsozialen Welt lernend zuzuwenden?“ (ebd., S. 344). Genau diese Frage greift die vorliegende Arbeit auf, indem sie nach den Lernbegründungen beruflich qualifizierter Personen zum wissenschaftlichen Weiterbildungsstudium fragt, um damit ein Beschreibungs- und Erklärungswissen für die Hochschulforschung, aber auch einen subjektwissenchaftlichen Ausgangspunkt zu liefern, der bei der Entwicklung von Übergangsszenarien, individualisierten Studienangeboten und akademischen Weiterbildungsangeboten insgesamt in den Blick genommen werden kann.
Interessenmotive für die Aufnahme eines Studiums gelten im Zusammenhang mit der „grundständigen“ Studienwahl als gut erforscht (vgl. Müller 1996, S. 54f.). Dagegen fokussiert sich die vorliegende Arbeit auf den weiterbildenden Studienbereich und orientiert sich an Lernbegründungen und nicht an Lerninteressen, welche in der Interessentheorie, teilweise in Verknüpfung zur Selbstbestimmungstheorie fokussiert werden (vgl. ebd., S. 53). Die Orientierung an Lernbegründungen legt ein Verständnis von biografischem Lernen als „Basisstruktur von Bildungsprozessen“ nah und rückt die „Biografieforschung und die Rekonstruktion subjektiver Lernprozesse in das Zentrum“ (Alheit 2010, S. 220) dieser Arbeit. Es wird im Verlauf der Arbeit eine Fundierung der Lernbegründung aus subjektwissenschaftlicher und biografieorientierter Basis vorgenommen. Die Erforschung sowohl von Lernbedingungen, als auch von Lernanlässen wird in dieser Arbeit als grundlegend für die Theorie und Praxis der wissenschaftlichen Weiterbildung angesehen, ebenso wie Arnold et al. (2006) die Bedingungen, Anlässe, Strukturen und Prozesse „des Lernens in unterschiedlichen lebensweltlichen und institutionellen Kontexten“ als „grundlegend und konstitutiv für Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung“ (Arnold et al. 2006, S. 6) ansehen.
Der hier gewählte Ansatz ermöglicht die Rekonstruktion der Eigenlogiken der lernenden Subjekte. Der gesamtgesellschaftliche Hintergrund als Prädikator für die Teilnahme an Hochschulaus- und Weiterbildung steht dabei weniger im Vordergrund, als die biografischen Lernaufschichtungen und die Lernbegründungen, welche im erwachsenen Lebensalter zur Hochschule führen und Anlass für die Aufnahme eines wissenschaftlichen Weiterbildungsstudiums sind.
Abb. 1: Eignungsprüflinge im weiterbildenden MA-Fernstudium (eigene Darstellung)
Insgesamt richtet sich die Arbeit auf eine besonders neue Zielgruppe der wissenschaftlichen Weiterbildung, auf die sogenannten Eignungsprüflinge im weiterbildenden Fernstudium mit Masterabschluss (vgl. Abb. 1). Die Eignungsprüflinge können (teilweise) ohne Abitur und ohne einen ersten Hochschulabschluss über ihre beruflichen Aus- und Weiterbildungsabschlüsse und ihre (teilweise) einschlägige Berufserfahrung einen Zugang zur Eignungsprüfung für das von ihnen gewählte Studienfach und nach Bestehen der Eignungsprüfung auch einen Zugang zum weiterbildenden Masterstudienbereich erlangen. Dabei bezieht sich die vorliegende Arbeit exemplarisch auf das Bundesland Rheinland-Pfalz und für die Gruppe der Eignungsprüflinge exemplarisch auf die Prüflinge im Studiengang Erwachsenenbildung. Zudem bezieht sich diese Arbeit auf den „besonderen“ Studienmodus des berufsbegleitenden Fernstudiums.
Zu Beginn der Arbeit wird das Feld der Weiterbildungs-, Erwachsenenbildungs- und Hochschulforschung aufgespannt und die vorliegende Darstellung wird forschungslogisch verortet (vgl. Kap. 2). Darauf folgend wird der Übergang in die wissenschaftliche Weiterbildung als offener und berufsbegleitender Übergang grundlegend beschrieben, da dieser eine wichtige Rolle im Rahmen der Öffnungsdiskussion dieses speziellen Studiengebiets spielt (vgl. Kap. 3). Insgesamt wird von multiplen Ausgangslagen ausgegangen, deren Verständnis grundlegend für den weiteren Fortgang der Arbeit ist (vgl. Kap. 4). Die Diskussion der Akademisierung der Berufsbildung und der Verberuflichung der Hochschulen wird ebenso beschrieben, wie der Studienbereich der wissenschaftlichen Weiterbildung dargestellt und analysiert wird. Es wird Bezug genommen auf die aktuelle Diskussion der Hochschulöffnung und die neuen Zugangswege werden exemplarisch am Beispiel der Neuregelungen im Bundesland Rheinland-Pfalz dargestellt. Zusätzlich wird die spezifische Form des Fernstudiums erläutert und es werden Merkmalsräume eines Fernstudiums aufgezeigt.
Die Gruppe der...