3. Die Autismustherapie:
Wie bei den Verursachungstheorien zeigt sich auch in den therapeutischen Ansätzen eine Vielfalt unterschiedlicher Modelle, die im folgenden skizziert werden. Dzikowski (1993) zählt etwa 50 Behandlungsansätze auf. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die Therapie von Kindern und Jugendlichen.
Der Bundesverband Hilfe für das autistische Kind hat in seiner Denkschrift (1996, S. 21) „allgemeine Grundsätze für die therapeutische Arbeit“ veröffentlicht, die hier zusammengefaßt dargestellt werden.
(1) Die Therapie sollte Selbständigkeit und soziale Integration als wichtigste Ziele anstreben. (2) Eine „tragfähige, emotional akzeptierende Beziehung“ sollte die therapeutische Basis darstellen. (3) Der therapeutische Ansatz sollte mehrdimensional sein und dadurch den vielen Faktoren, die die autistische Störung ausmachen, gerecht werden. (4) „Das Kind als Ganzes“ sollte eine an seinen Entwicklungsstand angepaßte Förderung erhalten. Vor allem das selbst initiierte, spontane Verhalten des Kindes sollte dabei im Vordergrund stehen. (5) Therapeut(inn)en, Eltern und Betreuer(innen) sollten eng zusammenarbeiten, um eine in sich konsistente Herangehensweise an das Kind zu gewährleisten. Auch die Eltern sind im gewissen Sinne „betroffen“ und sollten im therapeutischen Prozeß von den Professionellen unterstützt werden. (6) Der entstehende zeitliche und finanzielle Aufwand und die emotionale Belastung sollten für alle Beteiligten im Rahmen des Zumutbaren liegen. Auch die Wichtigkeit gezielter und angemessener Frühförderung wird betont. So können sekundäre Beeinträchtigungen frühzeitig in Grenzen gehalten und das Entwicklungsniveau von Anfang an verbessert werden (Denkschrift 1996).
Im weiteren werde ich die gängigsten Behandlungsansätze näher beschreiben. Janetzke (1993) unterteilt in körperwahrnehmungsorientierte Ansätze kommunikationsorientierte Ansätze
Verhaltenstherapie psychoanalytische Autismustherapie beziehungsorientierte Therapie biochemische Ansätze.
In diesem Kontext ist auch die „Facilitated Communication“ erwähnenswert. Sie stellt zwar an sich keine eigene Therapieform dar, schafft aber schriftliches Mitteilungsvermögen und hat daher großen Einfluß auf die Lebensqualität nonverbaler autistischer Menschen. Körperwahrnehmungsorientierte Ansätze:
Die sensorische Integrationstherapie von A. J. Ayres versucht, durch gezielte Stimulation oder Schonung bestimmter Sinneskanäle das gestörte Gleichgewicht in der Wahrnehmungsverar-beitung wiederherzustellen.
Delacato (1975) versuchte Ähnliches durch das Nachholen von Entwicklungsstufen. Auch die Affolter-Therapie sieht die sensomotorische Entwicklung als Grundlage für weitere komplexe Fähigkeiten. Durch die Methode der Hand- und Körperführung sollen Gefühle von Stabilität und Sicherheit zur besseren Wahrnehmung der taktilen Reize erzeugt werden (RV München 1996). Kommunikationsorientierte Ansätze:
Es gibt zwei verschiedene Arten von kommunikationsorientierter Therapie. Die Logopädie fördert die Entwicklung von sprachlichem Ausdruck. Tanztherapien, Musiktherapien oder Tiertherapien zielen eher auf nonverbale Kommunikation und Beziehungsaufbau ab (Janetzke 1993).
Das Therapeutische Reiten kann zudem Auswirkungen auf Körperbeherrschung und Konzentrationsfähigkeit haben. Verhaltenstherapeutische Ansätze:
Speziell auf den Autismus abgestimmte verhaltenstherapeutische Ansätze wurden erstmals von Lovaas (1987) entwickelt. Er zeigt eine restriktive Einstellung zur Bestrafung der Kinder. Das von Schopler (1988) entwickelte TEACCH-Programm (Treatment and Education of Autistic and Communication handicapped Children) stellt eines der neuesten verhaltensorientierten Modelle dar. Enge Zusammenarbeit mit den Eltern, ein hoher Grad an
Strukturiertheit in den Lernsituationen und die Zusammenfassung der Therapieziele in Behandlungsplänen stehen hier im Mittelpunkt. 9
Probleme der ausschließlichen Anwendung dieser Ansätze sind die mäßige Förderung spontaner Kommunikation und die häufig ungenügende Generalisierung von Gelerntem auf andere Situationen. Psychoanalytische Ansätze:
Psychoanalytische Verfahren gehen davon aus, daß der Autismus ein von unbewußten Energien gesteuerter Rückzug von der Außenwelt darstellt (Schmauch 1981). Die Beziehungsfähigkeit soll also durch Aufarbeitung frühkindlicher Konflikte und Ängste im Schutz des Therapeuten oder der Therapeutin wiederhergestellt werden (Bettelheim 1967). 10 Das „Forced Holding“ („Gewaltsames Halten“), begründet von M. Welch und dem Ehepaar Tinbergen und in Deutschland von Prekop eingeführt, ist ein Beispiel für einen der umstrittenen therapeutischen Ansätze. Der Distanz-Nähe-Konflikt des Kindes soll dadurch gelöst werden, daß die Mutter ihr Kind täglich über Stunden im Arm hält, und zwar so lange, bis alle Widerstände des Kindes abebben und es sich endlich auf eine Beziehung mit der Mutter einlassen kann. Die Anwendung von Gewalt zum Erzielen therapeutischer Erfolge erscheint problematisch (vgl. Janetzke 1993). Beziehungsorientierte Ansätze:
Die „Differentielle Beziehungstherapie“ wurde von Janetzke (1993) entwickelt. Individuelle Besonderheiten sollen besonders berücksichtigt werden, mit dem vorrangigen Ziel, die Freude an sozialen Beziehungen zu fördern. Die Erfahrung, daß soziale Kontakte positiv empfunden werden können, soll dadurch ermöglicht werden, daß die Therapeut(inn)en sich zunächst „gegenstandstypische Eindeutigkeitseigenschaften aneignen (...) [und] sie sich als gut funktionierendes Objekt anbieten.“ (Janetzke 1993, S. 66). Dadurch wird der Therapeut oder die Therapeutin für das Kind kontrollierbar, und das für Beziehungen so wichtige Gefühl von Vertrauen und Sicherheit kann sich entwickeln.
Durch eine schrittweise Erweiterung der gemeinsamen Aktivitäten wird auch die Förderung in anderen (kognitiven, sprachlichen etc.) Gebieten möglich. Auch Rohmann et al. (1990) betonen den Beziehungsaspekt. Sie gehen davon aus, daß der Aufbau von Beziehungen zu Gegenständen eine Art Ersatzhandlung darstellt, da Objekte
kontrollierbarer und weniger reizintensiv als Menschen seien. Außerdem sei die Wahrnehmung nicht immer gleichbleibend gestört - es gebe also gute und schlechte Phasen. Das Ausnutzen dieser guten Phasen, die Minimierung der störenden Reize durch ruhiges Verhalten und wenige, gezielte Informationen und die Annahme der individuellen Eigenarten des autistischen Menschen seien die Voraussetzungen für weitere Förderungsmaßnahmen (vgl. Dzikowski 1993).
Die Hilfsmittel der Beschäftigungs- und Ergotherapie eignen sich ebenfalls gut als Mediatoren zum Herstellen von persönlichem Kontakt und Vertrauen (Denkschrift 1996). Hierzu werden als Ergänzung einige Zitate von Betroffenen über das Thema „Therapie“ angefügt:
Jemand, der behauptet, daß die normale Welt eine gesunde Welt ist, hat für mich etwas, was normalerweise den Autisten zugeordnet wird.Eine Wahrnehmungsstörung. Die normale Welt ist nicht gesund. Eine behinderte Welt ist nicht ausschließlich krank. Beide Elemente sind jeweils in beiden Welten. Heilung entsteht nur dann, wenn beiden Seiten transparent gemacht wird, warum etwas seltsam ist und nicht funktioniert. Erst wenn das in Beziehung gesetzt werden kann, ist Heilung auf allen Seiten möglich. In mir hat sich immer nur dann etwas verbessert, wenn beide Seiten in Bewegung kamen. (A. Empt in Verein 1996, S. 5)
nur gesteigerte schaetzung meines wesens innen bringt heilung meiner dringlichkeiten (...) kreative methoden korrigieren meine behinderung greifbar. (J. Berghammer in RV München 1996, S. 60-61)
Biochemische Ansätze:
Abschließend sind die biochemischen Ansätze zu nennen. Rimland (1964) schlug eine Vitamin- und Mineralstofftherapie vor, bei der hohe Dosen von Vitamin B 6 und Magnesium verabreicht werden, um Hyperaktivität und Aggressionen zu mindern (vgl. Kehrer 1995). Die Pharmakotherapie sollte bei vorsichtiger Dosierung nur als Ergänzung zu anderen therapeutischen Maßnahmen eingesetzt werden (vgl. Denkschrift 1996). Die Medikamente, wie zum Beispiel das Neuroleptikum Haloperidol oder das Amphetamin Ritalin, können den Serotonin- beziehungsweise Dopamin-Stoffwechsel regeln und dadurch hyperaktivem und (auto-)aggressivem Verhalten entgegenwirken und die Konzentrationsfähigkeit steigern (vgl. Kehrer 1995).
10 Vgl. hierzu die „nondirektive Spieltherapie“ nach Axline (1982).
Facilitated Communication:
Die Facilitated Communication ist eine Hilfestellung zum Ermöglichen von schriftlicher Kommunikation für Menschen mit schweren Sprachstörungen. Der Helfer oder die Helferin stützen oder berühren den Schreiber oder die Schreiberin an Hand, Arm, oder Schulter, während diese(r) den Text auf Buchstabentafeln oder Tastaturen tippt. Die Stütze dient zur Förderung von Konzentration und kontrolliertem Bewegungsablauf beim Schreiben. Sie kann auch als Anreiz zur Initiierung der...