Eins
Kernkonzepte des Ayurveda
Sicher haben einige von Ihnen schon eine Blume an einem Seil emporwachsen sehen, eine Winde, die sich um ein Seil schlängelt. Oder Wein, der an einem Gitter emporklettert. Und Sie haben gesehen, dass ein Trieb hervorwächst und sich weiter, vor und zurück, um die Gitterstäbe windet. Woher weiß die Rebe, was sie machen muss? Es gibt eine Intelligenz, die in der Pflanze steckt, in der gesamten Vegetation.
JOHN HARVEY KELLOGG
Eine alte Wissenschaft
Ayurveda gilt als das älteste ganzheitliche medizinische System der Welt. Die Wurzeln reichen vermutlich weit zurück bis in die 50 000 Jahre alte spirituelle Heilmethode des Schamanismus. Als systematisches Werk über die Heilkunde entstand Ayurveda während der vedischen Sarasvati-Kultur in den westlichen Ebenen des Himalaya zwischen 7000 bis ca. 1900 vor unserer Zeitrechnung.
Häufig wird Ayurveda als »Mutter der Medizin« bezeichnet. Mit dem Buddhismus hat sich diese Heilkunst über fast ganz Asien ausgebreitet und sich mit der traditionellen chinesischen Medizin vermischt. In den Westen gelangte sie durch den Handel und sie beeinflusste auch Griechenlands hippokratische Medizin.
Im Ayurveda existiert das Grundprinzip einer subjektiven, fassbaren Realität, eines Bewusstseins oder einer reinen Bewusstheit, die aller Existenz zugrunde liegt.
Diese zugrunde liegende Bewusstheit ist eine Intelligenz, die alles Leben beseelt. Wir sind uns dessen in unserem eigenen menschlichen Dasein durch unsere Wahrnehmung bewusst, dadurch, dass wir sehen, fühlen, hören, riechen, schmecken und die Welt erfahren können.
Von den Ursprüngen des Ayurveda kommt die Vorstellung, dass Bewusstheit die Existenz entstehen lässt, sich im Leben verwurzelt und die Kraft besitzt, das Leben zu erschaffen und zu regenerieren. Die überwältigende Erkenntnis, dass Bewusstheit heilen kann, bedeutet, dass jeder lebende Organismus in einem Zustand des Gleichgewichts die Fähigkeit hat, sich natürlich und spontan selbst zu heilen.
Aus diesem Grund ist Gleichgewicht oder Homöostase – normalerweise bezeichnen wir dies als Balance – der Schlüssel zur ayurvedischen Heilung. Dies ist nicht dasselbe wie die einschränkende »Mäßigung in allen Dingen«. Stattdessen hilft Ayurveda uns, das symphonische Zusammenspiel der dynamischen Kräfte der Natur zu leiten, uns selbst wie Instrumente zu stimmen, die freudig das Lied des Lebens spielen.
Ayurveda für das Leben von heute
In einer Welt, in der Stress die Hauptursache für Krankheiten ist, ruft uns Ayurveda unsere Lebendigkeit, Menschlichkeit, innere Stärke, Intelligenz und den innewohnenden Frieden ins Gedächtnis. Er verbindet uns wieder mit einer Welt, in der Licht pulsiert, die mit verschwenderischer Schönheit singt und freudig nährt. Die altbewährte Weisheit war niemals wichtiger und wertvoller als in unseren modernen Zeiten.
Ayurveda, Wurzel der Medizin
Ayurveda befindet sich an der historischen Wurzel medizinischer Systeme. Im Ayurveda wird im Grunde versucht, die Ursache der Krankheit aufzulösen, um den natürlichen Zustand des Wohlbefindens wiederherzustellen.
In unserer modernen Welt konzentriert sich die Medizin dagegen tendenziell darauf, Symptome mit Medikamenten zu behandeln, statt sich um die zugrunde liegenden Beschwerden zu kümmern. Ayurveda befreit uns von den Gefahren, die die zahlreichen Nebenwirkungen pharmazeutischer Produkte bedeuten. Stattdessen wird durch positive Veränderungen im Lebensstil – Ernährung, Bewegung und emotionales Wohlbefinden – optimale Gesundheit und Wohlbefinden aufgebaut, sowohl bei Menschen, die sich von einer schweren Erkrankung erholen, als auch bei denjenigen, die einfach mehr Klarheit und Energie suchen.
Ayurveda gibt der Medizin die Menschlichkeit zurück
Ayurveda ist ein auf der Natur beruhender Heilansatz, in dem die Einzigartigkeit jedes Menschen und damit auch die Einzigartigkeit jeder Krankheit und jeder Unausgewogenheit erkannt wird. Im Ayurveda sind wir bestrebt, den gesamten Menschen zu behandeln, indem wir versuchen, Konstitution, Lebensumstände, Lebensstil, Geschmack, Gewohnheiten, Gedanken, Einstellung und Beziehungen eines jeden Menschen zu verstehen.
Ayurveda ist für jeden geeignet
Geht man davon aus, dass im Ayurveda jeder Mensch unterschiedlich behandelt wird, gibt es bei zehn Personen mit derselben Krankheit zehn verschiedene Therapien. Momentan leben über sieben Milliarden Menschen auf der Erde – folglich gibt es sieben Milliarden potenzielle Therapien.
Eigentlich ist Ayurveda ein komplexes System mit vielfältigsten Heilwerkzeugen. Doch er basiert auf den einfachen Prinzipien der fünf Elemente der Natur, die jeder Mensch kennen und sich leicht aneignen kann. Änderungen im Lebensstil gehören zu den ayurvedischen Methoden, ebenso Anpassungen der Essgewohnheiten und preisgünstige Kräuter und Kräuterrezepturen. Vieles ist kostenlos, zum Beispiel Meditation, Gebet, Sport und bessere Schlafgewohnheiten.
Ayurveda macht stark
Im Ayurveda wird mit den vielen gut durchführbaren Maßnahmen Ihre Selbstheilungskraft unterstützt. Mit jedem neuen Schritt – sei es Wissen über Ihr Dosha, über die Zubereitung von ausgleichenden Mahlzeiten oder über Entspannungstechniken – wächst Ihr Selbstwertgefühl und dadurch werden die Selbstheilungskräfte Ihres Körpers stärker. Es ist ein erhebendes Gefühl, diese Fähigkeit in sich zu finden, und dies wiederum lässt einen noch entschlossener fortfahren.
Ayurveda fühlt sich gut an
Die Liebe beschwingt. Glück verleiht Ihrem Schritt etwas Federndes. Innere Ruhe spendet Trost, Zutrauen und die Klarheit, sich richtig zu entscheiden.
Im Ayurveda wird davon ausgegangen, dass sich Ihre emotionale Befindlichkeit auf das körperliche Befinden und auf Ihre Entscheidungen auswirkt. Daher gibt es Maßnahmen gegen mentale und emotionale Unausgeglichenheit. Letztlich ist Ayurveda so viel mehr als eine Wissenschaft, die nur die Abwesenheit von Krankheit zum Ziel hat: Ayurveda möchte Ihr strahlendstes Wesen möglichst gut und vollständig hervorbringen.
Die Bedeutung der Achtsamkeit
Ayurveda fördert nicht nur die Gesundheit. Wir sind darüber hinaus aufgefordert, genau hinzusehen, was wir mit unserer Gesundheit, unserer Energie und unserem langen Leben tun. Dabei müssen wir gründlich sein, aufmerksam und uns Fragen stellen. Wenn wir gut auf unsere Umgebung und ihre Wirkung auf uns achten, treffen wir bessere Entscheidungen. Durch Fragen an uns selbst verstehen, ernähren und äußern wir uns authentischer, mitfühlender und kreativer.
Hier sind fünf Methoden, die feine Achtsamkeit zu entwickeln, die ein ayurvedisches Leben intuitiv und einfach macht:
1. Beobachten Sie Ihren Atem. Atmen Sie tief ein und spüren Sie, wie es sich anfühlt. Achten Sie darauf, wie es ist, wenn Sie diesen Atemzug anhalten. Wo spüren Sie beim darauffolgenden Ausatmen das Strömen?
2. Machen Sie sich Ihre Empfindungen bewusst. Richten Sie Ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Ihre Schädeldecke, scannen Sie langsam Ihren ganzen Körper ab und achten Sie auf alle Gefühle. Scannen Sie die rechte Seite, die linke Seite, Vorder- und Rückseite des Körpers bis ganz nach unten zu den Füßen und dann wieder bis zur Schädeldecke.
3. Schärfen Sie Ihre fünf Sinne. Richten Sie Ihren Blick sanft auf Ihre Umgebung und beobachten Sie Licht, Schatten, Farben und Formen. Lauschen Sie auf die Klänge um sich herum – draußen/drinnen, laut/leise, sanft/schrill. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf vorüberziehende Gerüche. Schließen Sie die Augen und finden Sie heraus, ob dies die Gerüche verstärkt, deutlicher macht. Fahren Sie fort mit dem Tastsinn und dann mit dem Geschmackssinn. Üben Sie sich darin, den ganzen Tag Ihre Sinne intensiv zu nutzen.
4. Achten Sie auf die Eigenschaften in sich und um Sie herum. Erspüren Sie, wie Sie sich jetzt gerade fühlen. Schwer oder leicht? Ist Ihnen warm oder kalt? Können Sie sich vorstellen, das Gegenteil zu fühlen? Führt das zu Balance? Von welchen Witterungseigenschaften sind Sie gerade umgeben? Klar oder neblig? Nass? Trocken? Auf Seite 219 finden Sie mehr zu den Eigenschaften der Natur.
5. Halten Sie inne und hören Sie zu. Fragen Sie sich: Was fühle ich jetzt gerade? Hören Sie auf die Antwort. Halten Sie so lange inne, bis aus der Ruhe in Ihnen die Antwort aufsteigt. Manchmal hilft es, mehrmals zu fragen. Was fühle ich jetzt gerade? Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Es gibt nur Information, hoffnungsvolle Weisheit und letztendlich mehr Selbstfürsorge.
Wenn Sie diese Übungen versuchen, beobachten Sie einfach, was passiert, und verzichten Sie darauf, krampfhaft nach einer Antwort zu suchen oder etwas »korrekt« tun zu wollen. Beobachten Sie sich so, als würden Sie einem Baby...