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E-Book

Babyblues

Was Ihnen selbst Ihre beste Freundin nie übers Muttersein verraten würde

AutorKate Figes
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl350 Seiten
ISBN9783105612569
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Eine ehrliche und einfühlsame Auseinandersetzung mit allen Fragen zum Thema Mutterschaft Kate Figes, selber Mutter von zwei Kindern, bricht mit Tabus und entlarvt Klischeevorstellungen. Einfühlsam geht sie auf Veränderungen ein, die Frauen zu erwarten haben, wenn sie Mütter werden. Sie untersucht die physischen, psychologischen, emotionalen, sozialen und sexuellen Konsequenzen der Geburt und erklärt die Hintergründe der extremen Gefühlsschwankungen, der Erschöpfungszustände und Highlights, die junge Mütter durchleben. Mit diesem informativen und ermutigenden Ratgeber erhalten werdende und gerade gewordene Mütter seelischen Beistand und praktische Tips. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Kate Figes, Jahrgang 1957, studierte Arabistik und Slawistik. Autorin von Sachbüchern und Romanen.

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Leseprobe

2 Gesundheit nach der Geburt


Als im nachhinein Klügere verblüfft mich die Naivität, mit der ich die zeitliche Dauer der Erholung von Schwangerschaft und Entbindung eingeschätzt habe. Ich nahm an, daß mein Körper nach der Geburt rasch wieder so sein würde, wie er zuvor gewesen war. Mir war nicht klar, daß Schwangerschaft und Entbindung nicht nur für den Bauch und den Genitalbereich eine immense Belastung bedeuten. Die gesamte Physis und der gesamte Stoffwechsel der Frau werden durch den Fortpflanzungsprozeß radikal verändert. Nun hatte ich zwar mein niedliches Baby, aber ich ahnte nicht einmal, wie schwer es mir in den Tagen nach der Geburt fallen würde, auch nur ein paar Schritte zu gehen. Noch Monate nach der Geburt hatte ich so gut wie keine Kraft. Offenkundig lag das an mir: Andere junge Mütter schienen – mit pfannkuchenflachen Bäuchen – schon wieder munter herumspringen zu können. Doch heute, nachdem ich zahlreiche Frauen befragt und medizinische Fachliteratur gelesen habe, weiß ich, daß es gute Gründe für meine Ahnungslosigkeit gab und daß mein Zustand typisch und nicht anomal war.

Wir hoffen, ja erwarten, daß wir uns gleich nach der Geburt großartig fühlen und uns sofort wieder in unsere Jeans zwängen können, doch tatsächlich kommen wir uns vor, als seien wir eben von einem Bus überfahren worden. Und der Bauch ist immer noch da. »Oh, mein Bauch – er fühlt sich an wie ein Wasserbett, das man mit Flanell zugedeckt hat«, schreibt Anne Lamott in ihrem Tagebuch über das erste Jahr ihrer Mutterschaft Operating Instructions. »Wenn ich im Bett auf der Seite liege, liegt mein Bauch wie ein braves Hündchen neben mir.«[1]

 

Caitlin S. ist 29 Jahre alt und arbeitete als Lehrerin, bevor sie vor drei Jahren ihr erstes Kind bekam. Das zweite gebar sie schon achtzehn Monate später; sie fühlte sich während beider Schwangerschaften körperlich wohl und fand auch den Wehenschmerz nicht so schlimm, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. »Obwohl sich das jetzt, da alles vorbei ist, leicht sagen läßt, glaubte ich damals, daß sich meine Innereien rasch wieder normalisieren würden, aber so war es eben nicht. Ich konnte nicht rennen, und ich bin körperlich immer noch nicht wieder so fit wie vor meiner Schwangerschaft. Ich fühle mich irgendwie deutlich älter.« Die 37jährige Jill P. hat einen fünf Monate alten Sohn und gerade ihre Arbeit als Krankenschwester in Manchester wiederaufgenommen. »Ich habe meine Figur noch nicht wieder, und ich fühle mich körperlich noch immer nicht erholt. Als ich zwei Wochen nach seiner Geburt zur Bushaltestelle ging, hatte ich das Gefühl, der Weg nehme kein Ende. Ich war total kaputt. Ich versuchte zu rennen, noch bevor ich wieder richtig laufen konnte, weil ich nicht wußte, wie sehr ich aus dem Tritt geraten war. Ich bin immer noch nicht wieder so kräftig wie früher.«

Fast alle Frauen erwarten, nach der Entbindung rasch wieder in Schwung zu kommen, weil man heute Schwangerschaft und Geburt vor allem als natürliche und gesunde Vorgänge betrachtet und dabei den körperlichen Tribut außer acht läßt. Die Schwangerschaft bedeutet für jede Körperzelle, für jedes Organ eine große Belastung. Lunge und Herz vergrößern sich, um die zusätzliche Blutmenge und die erhöhte Sauerstoffzufuhr zu bewältigen. Große Hormonmengen durchfluten den Körper und nehmen Nährstoffe auf, die der Fötus für sein Wachstum braucht. Eisenvorräte werden abgebaut, und täglich müssen 100 bis 115 Milligramm Kalzium pro Kilogramm Körpergewicht des Fötus von der Mutter auf das Kind übertragen werden.[2] Das belastet den Kalziumvorrat der Mutter erheblich, und wenn der daraus resultierende Mangel nicht durch die Ernährung ausgeglichen werden kann, wird der Bedarf aus den mütterlichen Knochen gedeckt. Es gibt bislang freilich keinen medizinischen Beweis für die alte Spruchweisheit, daß Frauen »pro Kind einen Zahn verlieren«; werdende Mütter müssen jedoch damit rechnen, daß sie in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft möglicherweise Zahnfüllungen brauchen, und es kann mehrere Monate dauern, bis die Knochen und Bänder einer Frau wieder so belastbar sind wie vor der Schwangerschaft.

Schwangerschaft ist etwas Natürliches, und schwangere Frauen sind selbstverständlich nicht eigentlich krank, aber die Schwangerschaft kann bestehende latente Gesundheitsstörungen wie Herpes oder Nahrungsmittelallergien verschlimmern beziehungsweise auslösen. Es ist bekannt, daß die Schwangerschaft bei vorher gesunden Frauen auch schwerere Erkrankungen wie myalgische Enzephalomyelitis oder multiple Sklerose ausbrechen läßt. Viele junge Mütter stellen in den Monaten nach der Entbindung fest, daß sie unter anhaltenden Symptomen leiden, die ihre Gesundheit beeinträchtigen, und daß sie weniger Widerstandskraft gegen Infektionen haben. Susan Bewley, Leiterin der Geburtshilfe im St. Thomas’s Hospital in London, vergleicht das Kinderkriegen mit der Teilnahme an einem Marathonlauf oder mit dem Ersteigen eines Berges. »Solche Unternehmungen können für weniger Gesunde mit einem Herzanfall oder völliger Erschöpfung enden, auch wenn sie von ihrer Leistung beglückt sind. Es ist ganz natürlich, daß man an einem Wettkampf teilnimmt, aber die Sache kann durchaus auch schiefgehen.«

Große Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft und Praxis, aber auch der Umstand, daß in entwickelten Ländern Frauen keine Angst mehr haben müssen, bei der Entbindung zu sterben, haben dazu beigetragen, die Gesundheitsschäden durch Schwangerschaft und Geburt zu verringern. In der Vergangenheit bezahlten Frauen die Niederkunft oft mit dem Leben, oder sie trugen bleibende Gesundheitsschäden davon, die viel schlimmer waren als die Entbindungsfolgen, unter denen wir heute in den westlichen Industrieländern leiden. Im allgemeinen waren die Frauen aufgrund mangelhafter Ernährung, schwächender Infektionen sowie durch schwere körperliche Arbeit und die Belastung durch häufige Schwangerschaften weit weniger gesund. Rachitis deformierte Wirbelsäule und Becken vieler Frauen und machte die natürliche Geburt eines gesunden Kindes unmöglich. Eine Frau konnte bei einem zu langen Geburtsverlauf sterben; wenn es zu Komplikationen kam, mußte das Kind im Mutterleib getötet und zerstückelt werden; dauerhafte Schäden für die Mutter waren die Folge. Wenn eine Frau ein ungewolltes Kind abzutreiben versuchte – etwa mit Stricknadeln oder im Hinterzimmer eines Kurpfuschers –, riskierte sie ihr Leben oder mußte mit bleibenden Gesundheitsschäden rechnen. Überlebten Frauen eine mehrtägige komplizierte und brutale Entbindung, bestand kaum Aussicht auf die Wiederherstellung ihrer Gesundheit. »Fachleute haben errechnet, daß 75 Prozent aller Krankheiten, an denen Frauen leiden, durch Schwängerung verursacht werden«, schrieb C. Berkeley 1929 in seinem Bericht über Müttersterblichkeit.[3] 1931 schätzte W. Blair Bell, der erste Präsident der Britischen Akademie für Geburtshilfe und Gynäkologie, daß etwa 10 Prozent aller Frauen in England und Wales »infolge der Niederkunft mehr oder weniger geschwächt« waren, und Untersuchungen der dreißiger Jahre ergaben, daß bis zu 70 Prozent aller jungen Mütter Läsionen durch die Entbindung aufwiesen, die 35 bis 40 Prozent dieser Frauen arbeitsunfähig machten.[4]

Wenn Frauen das Glück hatten, das Kindbettfieber zu überleben, das durch die offenen Geburtswunden übertragen wurde, hinterließ die Infektion doch lebenslange Gesundheitsprobleme. »Es ist eine seltene Ausnahme, wenn man bei der Untersuchung des Beckens einer Mehrfachgebärenden keine Spuren einer Zellgewebs- oder Bauchfellentzündung findet«, heißt es in einem gynäkologischen Lehrbuch aus den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts.[5] Diese Spuren rührten vermutlich von Abszessen, Adhäsionen oder hartnäckigen Eileiterentzündungen her, die durchaus auch andere Organe geschädigt und schwere Vereiterungen verursacht haben können. Für Frauen der Arbeiterschicht, die durch Armut unterernährt waren und in feuchten, überbelegten Slum-Behausungen wohnten, wo sich Krankheiten wie Tuberkulose, Scharlach, Diphtherie und Lungenentzündung rasch ausbreiteten, war das Leben ein täglicher Kampf um die Gesundheit und Ernährung der Familie, um Sauberkeit und Wärme. Um 1900 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung einer zwanzigjährigen Frau der Arbeiterschicht 46 Jahre, und sie mußte damit rechnen, daß sie etwa ein Drittel dieser Zeit schwanger sein oder Kinder stillen würde.[6]

Welch unerhörten Tribut diese Fruchtbarkeit forderte, zeigen die in Maternity gesammelten Briefe von Frauen der Arbeiterschicht um 1900.

Ich habe neun Kinder geboren. Zwischen den ersten drei Babys lagen jeweils zwei Jahre. Unter denen habe ich weniger gelitten … nach meinen beiden letzten Entbindungen konnte ich drei oder vier Monate lang nicht die Treppe runterkommen – keine Kraft zum Laufen, kein Appetit, und wegen dem schlimmen Dammriß mußte ich lange auf den Hüften die Treppe runterrutschen. Als ich wieder herumgehen durfte, war ich in meinem Zustand kaum imstande, mich auf den Beinen zu halten.

 

Meine kleine Tochter wurde geboren, kräftig und gesund, obwohl ich neun Monate lang nicht laufen oder meine Haushaltsarbeit tun...

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