Einleitung
Bonn, 8. Juli. Neben den vielen, bisher unter den hiesigen Studenten bestehenden Corps und Burschen- hat sich jüngst ein neuer Verein von katholischen Studenten gebildet, der zwar nach Art jener anderen Verbindungen mit farbigen Mützen und Bändern auftritt, aber doch (...) eine ganz andere Richtung als jene zu verfolgen scheint (...), einen Zweck (...), der der Religion und Sittlichkeit nicht entgegengesetzt ist. 1
Mit diesen Zeilen berichtete die Rhein- und Moselzeitung im Sommer 1847 auf ihrer Titel- von einem Ereignis, das der Öffentlichkeit eine völlig neue Erscheinung in der akademischen Welt präsentierte: die erste öffentlich auftretende Vereinigung katholischer Studenten an einer deutschen Universität, die Bonner Union. 2 Einen solchen Zusammenschluss katholischer Studenten 3 hatte es bis dato nicht gegeben, erst recht nicht im genuin deutschen Stil einer Studentenverbindung. Mit einem Band über der Brust - in den rot-weiß-roten Farben der Erzdiözese Köln - setzten die Unionsmitglieder deutliche Zeichen und meldeten in aller Öffentlichkeit einen dergestalteten Anspruch auf eine respektable Stellung innerhalb der Studentenschaft an, wie es bisher vor allem die Corps getan hatten. Die Vereinigung der Bonner Studenten war ein klares Signal für das erstarkte Selbstbewusstsein des Katholizismus 4 an der Universität. Gerade dieser neue konfessionelle Aspekt in der Geschichte deutscher Studenten wird von der studentenhistorischen Forschung weitgehend ausgeblendet. Abgesehen davon, dass Studentengeschichte ohnehin nur eine weitgehend stiefmütterlich behandelte und von einer kleinen Gruppe Interessierter betriebene Teildisziplin der Bildungs-, Sozial- oder Kulturgeschichte ist, fällt auf, dass sie fast ausschließlich um denselben Kernbereich kreist: die dezidiert politisch intendierten Studentenbewegungen wie die Urburschenschaft, 5 Studenten in NS-Zeit und im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund 6 oder die 68er-Bewegung. Für das 19. Jahrhundert liegt der Forschungsschwerpunkt in der Einheitsbewegung der frü-
hen Burschenschaft und ihrer späteren Variante des so genannten „Progress“, sowie in der prägenden Rolle der feudalen Corps des Kaiserreiches. 7 Die religiös motivierten Studentenvereinigungen finden sich sowohl in den jüngeren Standardwerken zur Geschichte des 19. Jahrhundert als auch in der Studentengeschichtsschreibung alter und junger Generation nur als Randbemerkungen. 8 Diese Nicht-Beachtung der katholischen Korporationen 9 wird der Realität an den deutschen Hochschulen spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht gerecht, denn seither überholten die Mitgliederzahlen der katholischen Studentenverbände sowohl die der Corps als auch die der Burschenschaften. 10 Die fehlende konfessionelle Fokussierung in der Studentenhistoriographie lässt sich mit Einschränkung auf die Geschichtsschreibung überhaupt übertragen. So hat es zumindest Olaf Blaschke jüngst bewusst überpointiert postuliert und eine Diskrepanz zwischen der historiographischen Geringschätzung der Religion und ihrer prägenden Rolle in Politik, Gesellschaft und Kultur ausgemacht. Die Historikerschaft habe den Konfessionalismus „lange einmütig ignoriert, beinahe tabuisiert“, meint er und sieht in der Zeit von 1800 bis 1970 „ein zweites konfessionelles Zeitalter“. 11 Auch wenn er etwas überspitzt erscheint, soll Blaschkes Ansatz, der religiös-konfessionellen Dimension „stärkere Beachtung“ zukommen zu lassen, mit Bezug auf den Mikrokosmos der studentischen Welt Mitte des 19. Jahrhunderts in dieser Arbeit verfolgt werden. Der konfessionelle Aspekt ist nicht das einzige Problem bei einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Studentengeschichte. Es mangelt - vereinfacht gesagt - generell an objektiver, wissenschaftlich fundierter und aktueller Korporationsgeschichtsschreibung. Ein Großteil der Literatur zu diesem Thema ist umstritten. Sie liegt, wie Thomas Mayer formuliert, in einem „Spannungsfeld von Apologetik und Polemik“ 12 . Auf der einen Seite steht eine breite Festschriftenliteratur der studentischen Verbindungen und Verbände. Diese, nicht selten von Laien und Hobbyhistorikern verfassten Festschriften, bleiben „fast durchweg entweder in kulturgeschichtlichen Schilderungen älteren Stils oder in reinen, an Traditionsstiftung und Traditionspflege interessierten Korporationsgeschichten stecken“. 13 Wenngleich
diese Einschätzung Wolfgang Hardtwigs differenzierter bewertet werden sollte, 14 verweist sie auf die entscheidende Achillesverse dieser Art studentenhistorischer Literatur. Seit ihren Anfängen Ende des 19. Jahrhunderts war die Studentengeschichte eine „Laienwissenschaft“. Zwar institutionalisierte sie sich als „Hochschulkunde“ zunehmend in verschiedenen Einrichtungen, 15 doch deren Mitglieder - eine Mischung aus Laienforschern 16 und professionellen Historikern - gehörten vielfach als „Alte Herren“ einer Studentenverbindung an. 17 Eine Ausnahme bildete der bekennende Freistudent Paul Ssymank. Sein gemeinsam mit Friedrich Schulze verfasster Zweibänder „Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zu Gegenwart“ gilt besonders dank seines Quellenreichtums und der kulturgeschichtlichen Betrachtungen als das lesenswerteste Werk dieser Zeit. 18 Da ohne das nachvollziehbare Interesse der Verbindungsmitglieder an ihrer eigenen Geschichte eine Lücke in der Forschung entstanden wäre, und es an Alternativen und Quellensammlungen mangelt, war die Rezeption der frühen studentenhistorischen Darstellungen und der Festschriftenliteratur für diese Magisterarbeit aber unumgänglich. Ihre besondere Charakteristik wird jedoch stets berücksichtigt. Ebenso problematisch ist ein anderes Spektrum von Werken, das sich mit studentischen Korporationen auseinandersetzt: Die Publikationen der Marburger Geschichtswerkstatt und ähnlich motivierte Nachfolger. Zwar erheben diese mehr Anspruch auf geschichtswissenschaftliches Vorgehen als die Festschriftenliteratur, sind aber nicht weniger subjektiv und fragwürdig motiviert. Studentenverbindungen generell als „Wegbereiter des Faschismus“ 19 zu bezeichnen, ist wenig differenziert. Diese aus einer neo-marxistischen Faschismusdefini-
tion entsprungene Pauschalisierung greift nicht nur im Bezug auf die Waffenstudenten (also die Mitglieder „schlagender“, Mensur fechtender Verbindungen) zu kurz. Sie blendet vor allem die besondere Stellung katholischer Verbindungsstudenten im korporativen Spektrum der deutschen Hochschulgeschichte aus. Thomas Mayer protestiert vehement gegen diese Form von Geschichtsschreibung und sieht in ihr nur den „platten Stil einer Anklageschrift gegen das Verbindungswesen“ 20 . Dies ist zwar auch wieder verallgemeinernd, allerdings drängt sich bei der Lektüre der tendenziösen Werke von Finke, Elm, Kühnl oder Stefan 21 der Eindruck auf, die oft lediglich auf Quellen nach 1933 basierende oder auch nur apodiktisch behauptete These, die Korporierten hätten dem Hitler-Faschismus den Weg bereitet, dient zum Beleg für eine pauschal erhobene Anklage: Das heutige Verbindungswesen spiele eine entscheidende (...) Rolle bei der Entwicklung eines neuen Rechtsradikalismus, eine unbelegbare Unterstellung. 22 Im Ton ebenfalls latent klassenkämpferisch und einem marxistischen Geschichtsverständnis folgend, zeigen sich die DDR-Historiographen. Ähnlich wie ihre oben genannten Parallelen in der Bundesrepublik bezeichnen sie „die Verbindungen (...) als ideologische Wegbereiter des Antidemokratismus, Revanchismus und Antikommunismus sowie als Machtstützen des imperialistischen Systems in der Studentenschaft“. 23 Trotzdem zeigt sich die DDR-Forschung zur Studentengeschichte in ihren Ergebnissen ertragreich. Die Werke von Griewank, Steiger, Flaschendräger oder Juckenburg 24 haben insbesondere im Bezug zur Rolle der Burschenschaft und des Progress im Vormärz erheblich zum aktuellen Kenntnisstand beigetragen. 25 Wissenschaftlichen Ansprüchen genügen dahingegen weder die frühe Monographie von Fick 26 noch die jüngeren, für ein Allgemeinpublikum verfassten und reich bebilderten Werke von Krause, Gladen oder Prahl. 27 Einen gut lesbaren Einstieg in die Thematik vermittelt aber besonders Krause allemal. Wesentlich ambitionierter als diese Kulturgeschichtsschreiber stellt sich eine Reihe von Forschern da, die seit den frühen 1980er Jahren der Hochschul- und Studentengeschichte ganz neue Perspektiven eröffnet haben. Durch die „Verzahnung von traditioneller Universitätsgeschichte mit einer sozialgeschichtlich gefassten Wissenschafts- und Bildungsgeschich-
te“ 28 haben Konrad...