Cremige Faltenglätter
Glauben wir der Werbung, so können Autos fliegen und Kosmetika Orangenhaut wegzaubern. Vielleicht in 50 Jahren. Bis dahin sind medizinische Zuckerrohrsäurecremes für mich ein wahres Wunder, eine ideale Jungbrunnentherapie, die auch zu Hause durchführbar ist.
Die ältesten bekannten Rezepte zur Herstellung von Kosmetikprodukten finden sich in einer alten medizinischen Schrift namens Papyrus Ebers, die man bei archäologischen Ausgrabungen in der Königsstadt Luxor fand. Die alten Ägypter glaubten, dass die Benutzung von Schminke und Gesichtscremes die Gunst der Götter erwecken würde. Deshalb waren es die Hohepriester, die die ersten Cremes aus Ölen herstellten. Sie verwendeten nicht nur tierische Fette, Bienenhonig, Bienenwachs, Moschus oder Myrrhe. Viele ihrer Zutaten waren, wie man heute weiß, hochgiftig. Sie füllten ihre Cremes, die durch die Beigabe von Blüten, Baumrinden und Harzen unterschiedlich rochen, in die hohlen Stängel von Pflanzen, die dann wie eine Tube ausgedrückt wurden. Alexander der Große war es, der dieses Wissen nach Griechenland brachte. Dort nannte man das bald sehr beliebte Produkt »Kosmetik«, abgeleitet vom griechischen Verb »kosméo«, was so viel wie »schmücken« bedeutet. Wie wir alle wissen, entwickelte sich die Kosmetik bis zur heutigen Zeit zu einem der wichtigsten Industriezweige.
Im Jahre 1972 machten zwei Amerikaner, Van Scott und Yu, eine sensationelle Entdeckung: Massiert man die Säure des Zuckerrohres (Glycolsäure) in die Haut ein, wird nicht nur die oberste Hautschicht geschält, sondern auch in den tieferen Schichten neues Kollagen gebildet. Dieser Effekt wird durch die extrem kleinen Moleküle der Zuckerrohrsäure erzielt, die so winzig sind, dass sie bis in die tief liegende Kollagenschicht vordringen und dort neues Stützgewebe bilden. Van Scott und Yu mussten noch weitere zehn Jahre an ihrer Entdeckung arbeiten, bis sie mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit gehen konnten und eine neue Schönheitsära einleiteten. Endlich konnte man faltige, alternde Haut im Gesicht und am Körper, Pigmentflecken und viele andere unerwünschte Rauigkeiten alleine mit der Creme im Badezimmer behandeln.
Na ja, ganz neu war diese Art von Therapie nicht, denn die Dermatologen verwendeten schon lange vorher die bekannte Vitamin A-Säure, um die Hauterneuerung massiv anzuregen. Sie hat einen ähnlichen Effekt, allerdings mit erheblich mehr Nebenwirkungen. In meiner Ausbildungszeit lernte ich eine sehr fesche ältere Kollegin kennen, die sehr jung aussah, weil sie eine blendende Figur und eine bewundernswerte glatte Haut besaß. Ihr einziger Makel war ihre Gesichtsröte, die der Farbe eines Radieschens sehr nahe kam. Später erfuhr ich, dass sie nicht an Bluthochdruck litt, sondern täglich eine starke Retin-A-Säurecreme gegen ihre Falten auftrug. Mit der Einführung von Glycolsäure verschwand auch ihre rote Gesichtsfarbe. Denn im Gegensatz zur Vitamin A-Säure zeigt die Zuckerrohrsäure schon in geringer Menge und ohne massive Rötungen gute Erfolge und kann sogar in der Sonne aufgetragen werden.
Vorerst entstand aber ein riesiges Chaos. Denn zur gleichen Zeit, als die Ärzte in den USA ihre ersten medizinischen Fruchtsäurecremes (FS) vorstellten, folgte auch die Kosmetikindustrie dem neuen Trend und brachte eine Unzahl an kosmetischen FS-Produkten auf den Markt. Dies führte zu unangenehmen Verwechslungen und enttäuschenden Ergebnissen, denn eine kosmetische Creme konnte und durfte nicht die Wirkung einer vom Arzt zusammengestellten starken Therapiecreme besitzen.
Die USA hatten noch ein zusätzliches Problem. Haben Sie jemals gehört, dass eine Amerikanerin den Strudelteig mit der Hand selbst auszieht? Nein, sie kauft den fertigen Apfelstrudel aus der Tiefkühltruhe. Ähnlich halten es die amerikanischen Ärzte mit selbst gemischten Rezepten und empfehlen vor allem Fertigprodukte. Die Drugstores (amerikanische Apotheken, Drogerien) wiederum haben selten die Möglichkeit zum Mischen und Anfertigen von Cremes. So entstanden in den USA für Arzt und Apotheke speziell angefertigte FS-Produkte (z. B. Neostrata), die bald auch den europäischen Markt erreichten. Sie waren stärker als die kosmetischen, aber schwächer als die vom europäischen Arzt verordneten. Im Gegensatz zu den amerikanischen Kollegen können die europäischen Ärzte sehr gut rezeptieren und sehr stark wirksame Jungbrunnen-Cremes in der Apotheke herstellen lassen. So sind wir Ärzte hier in Österreich, Deutschland oder der Schweiz unabhängig von Fruchtsäurefertigprodukten. Falls sich ein Arzt jedoch nicht für Rezepturen interessiert und keine eigene FS-Mischung herstellen kann, ist es ihm zumindest möglich, auf die schwächeren Fertigprodukte der amerikanischen Kollegen zurückzugreifen, die noch immer viel stärker als die kosmetischen FS-Cremes aus der Parfümerie sind.
So kam es, wie es kommen musste: All jene Menschen, die den von der Werbung versprochenen Fruchtsäureeffekt ausnützen, sich aber den Weg zum Arzt sparen wollten, pilgerten zu den Parfümerien und waren von der minimalen Wirkung der FS-Kosmetika enttäuscht. Und jene, die sich medizinisch starke Glycolsäureprodukte unkontrolliert und ohne ärztliche Beratung auf ihr Gesicht cremten, waren über die sichtbaren Nebenwirkungen entsetzt.
Doch nicht genug der Verwirrungen. Auch die unterschiedlichsten Prozentangaben der Glycolsäureprodukte stifteten große Unruhe. Die Kosmetikfirmen rühmten sich mit 20 bis 30 Prozent Säureanteil, die Ärzte empfahlen ihren Patienten zum Start nur drei- bis fünfprozentige Cremes. Wie denn das? Ganz einfach. Die Kosmetik verwendet nicht nur die Säure des Zuckerrohres, sondern auch Fruchtsäuren (AHA = Alpha Hydroxy Acid) von Äpfeln, Heidelbeeren oder Zitronen, die viel größere Moleküle besitzen und dadurch nicht so tief in die Haut eindringen können. So kommt eine zwanzig- bis dreißigprozentige Zitronensäure nie an die Wirkung einer »nur« dreiprozentigen Zuckerrohrsäure heran. Und steht einmal »dreißigprozentige Glycolsäure« auf einer Packung, sagt das leider auch nichts aus. Sie könnte chemisch »gepuffert« sein (d. h. in ihrer Wirkung eingeschränkt) und daher kaum einen Effekt haben.
Zuletzt war es die Glycolsäure selber, die den rezeptierenden Ärzten und den Apothekern Kopfzerbrechen bereitete. Denn Zuckerrohrsäurekristalle sind mit Diamanten vergleichbar. Gott sei Dank nicht im Preis oder der Härte. Es gibt aber lupenreine, teure Kristalle und weniger wertvolle, ja sogar billige Flüssigmischungen, die entsprechend wenig Erfolg zeigen. Wie teuer und wertvoll eine gute Glycolsäure ist, und wie gefährlich eine billige Glycolsäure sein kann, soll folgende Geschichte erzählen:
Als wir in meiner Ordination die ersten Fernsehaufnahmen über Behandlungen mit Glycolsäure machten, bat ich den Apotheker um eine Handvoll Glycolsäurekristalle, um sie in der Sendung zu zeigen. Sie wurden nicht einfach in einer Papiertüte in die Ordination geschickt. Nein, sie wurden mit einem eigenen Träger in einer blauen Glasschüssel geschickt, mit der Bitte, nicht einen der wertvollen Kristalle zu verlieren.
Durch intensive, konsequente Pflege hat es die Patientin mit starken medizinischen Bleichcremes geschafft, die dunklen Pigmentflecken in ihrem Gesicht erheblich aufzuhellen. (Foto: Ordination Dr. Doris Grablowitz)
Im Gegensatz zu dieser Geschichte kam eines Tages ein Patient zu mir, der bereits ein paar Wochen eine starke Glycolsäurecreme verwendete. Die Haut sah unrein, hochrot und sehr fleckig aus. Erst nachdem er uns vom Preis seiner Creme erzählte, klärte sich der Irrtum auf. Er hatte vom Apotheker statt der teuren Zuckerrohrsäure die billige Zuckerrübensäure vom Lebensmittelmarkt in die Creme gemischt bekommen.
Die Situation hat sich aber langsam beruhigt, und die Patienten, die seit Beginn der Jungbrunnenära ihre Cremes regelmäßig verwenden, können ein Loblied darauf singen. Denn wenn alle Faktoren stimmen, der aufgeklärte Patient seine Creme richtig und regelmäßig aufträgt, und die Säurekonzentration vom Arzt stetig leicht gesteigert wird, dankt es die Haut mit einem glatten und frischen Aussehen.
Eine besonders attraktive Patientin, die jahrelang in Hawaii lebte, nach Österreich zurückkam und unter ihren vielen Sonnenflecken auf dem Gesicht litt, hatte bereits eine Odyssee hinter sich. Sie war frustriert, denn die Unmengen an kosmetischen Bleichcremes brachten keine Besserung und die Ärzte sagten ihr, dass sie mit ihren Flecken leben müsste. Das musste sie nicht, denn nach einem halben Jahr Cremen mit Glycolsäureprodukten war sie fast fleckenfrei.
Heute kann ich Patienten, die seit Jahren Glycolsäurepräparate täglich verwenden, schon an der Türe erkennen, wenn sie in die Sprechstunde kommen. Sie schauen frisch aus, die Haut strahlt und besitzt keinen einzigen Pigmentfleck. Im Gegensatz dazu weiß ich genau, dass Patienten schwindeln, wenn sie mit trockener, dumpfer Faltenhaut vor mir sitzen und behaupten, sie würden ihre Glycolsäureprodukte regelmäßig verwenden.
Gerücht
»Man kann medizinische Glycolsäurecremes nur kurzfristig verwenden, da die Haut sich schält und immer dünner wird.«
Falsch: Es schält sich nur die alte Haut, die neue Kollagenschicht macht die Haut fester und praller.
TIPP
Zu Beginn einer starken Cremetherapie kann es manchmal zu Rötungen, vermehrtem Schuppen oder zartem Brennen kommen. Setzen Sie Ihre Creme kurzfristig ab und verwenden Sie so lange ein beruhigendes...