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Atemtechniken in aller
Munde: warum noch eine
Atemtechnik?
Angesichts der Fülle von Atemtechniken, die heutzutage angeboten werden (ich gehe auf einige ab Seite 103 näher ein), erscheint die Frage berechtigt, warum es eine weitere Atemmethode geben muss. Die These, die der Befreiten Atmung zugrunde liegt, besagt, dass es neben den vielen bekannten Formen bewusster Atmung eine fundamentale Atemthematik gibt, deren Kenntnis im Laufe der Zeit weitgehend verloren ging. Die klassische medizinische Betrachtungsweise geht davon aus, dass die Atmung durch den Partialdruck in den Lungen, also durch das Druckgefälle zwischen Sauerstoff und Kohlendioxid stimuliert wird. Ganzheitliche Betrachtungsweisen, die feinstoffliche Lebensenergien berücksichtigen, fügen diesen physiologischen Fakten noch einen wichtigen Punkt hinzu: Körperliche Vorgänge werden von einer übergeordneten Intelligenz koordiniert und animiert, zum Beispiel mithilfe von Biophotonen und anderen Formen elektromagnetischer Energie. Biophotonen sind ein wissenschaftlich greifbarer Teil der Lebensenergie, die in fernöstlichen Traditionen als Qi oder Prana bezeichnet wird.
Die Befreite Atmung beruht auf der Erkenntnis einer speziellen Atemproblematik – oder eines ungenutzten Potenzials, um es positiv auszudrücken. Bei der Stimulierung der Atmung kommen feinstoffliche und neurologische Impulse zusammen. Dabei ergibt sich für die überwiegende Mehrheit der Menschen folgende Situation:
1. Die Energie, die sowohl feinstofflich wie auch neurologisch für die Atmung aufgewendet wird, übersteigt das für eine gesunde Atmung notwendige Ausmaß und somit wird permanent Lebensenergie verschwendet.
2. Als Folge davon atmen die meisten Menschen zu viel Luft ein (Hyperventilation).
Wer nun meint, ich hätte mich bei diesem zweiten Punkt verschrieben, der soll bitte dranbleiben, es wird sich alles aufklären. Bislang herrscht fast überall, wo es um Atmung und Körperbewusstsein geht, die Meinung vor, dass Menschen nicht tief genug und eher zu wenig atmen. Tiefes Atmen, die Lungen kräftig zu füllen, mehr Sauerstoff ins System zu bekommen, diese Ideen werden fast immer unwidersprochen als sinnvoll angesehen.
Ich stimme zu, dass es eine Art der flachen Brustkorbatmung gibt, die emotionale und energetische Blockaden im Menschen anzeigt. Auch stimme ich damit überein, dass in diesem Fall eine gezielte Tiefatmung und nach individueller Maßgabe sowie mit kompetenter Anleitung auch eine schnelle Atemfrequenz manchmal heilsame Prozesse auslösen kann. Auch in anderen Situationen kann Tiefatmung zuweilen sinnvoll sein, und tief Luft zu holen kann ein spontanes Körperbedürfnis sein, dem man dann auch nachgeben sollte. Aber ich vertrete – mit Respekt für alle anderslautenden Ansichten – ganz klar den Standpunkt, dass die unbewusst gesteuerte Atmung bei fast allen Menschen zu einem zu großen Gesamtvolumen eingeatmeter Luft führt und dadurch der Gesundheit und der inneren Ausgeglichenheit abträglich ist.
Diese Idee ist nicht neu. Die Taoisten empfehlen eine Atmung, die so sanft ist, dass man kaum noch merkt, dass man atmet. Yogalehren enthalten eine Vielzahl von Ansichten über Atmung, die teilweise erhebliche Widersprüche aufweisen, aber man findet definitiv auch dort Hinweise auf die Vorteile einer langsamen Atmung mit geringem Volumen. Die Langlebigkeit langsam atmender Tiere wie Schildkröten, die nur viermal pro Minute atmen, wird auch in taoistischen und yogischen Lehren angeführt. Unter den modernen Atemforschern ist vor allem Konstantin Bouteyko als Pionier einer völlig neuen Atemlehre erwähnenswert.
Konstantin Bouteyko – Pionier einer neuen Atemforschung
Konstantin Pawlowitsch Bouteyko (1923–2003) studierte in Moskau Medizin und verbrachte ab 1949 viel Zeit in den Krankenzimmern von Patienten, die nur noch wenig Zeit zu leben hatten. Er konnte erkennen, dass die Atmung dieser Menschen sowohl chaotischer als auch tiefer wurde, je näher sie dem Tod kamen. Bouteyko selbst erkrankte kurze Zeit später an bösartiger Hypertonie, einer seltenen und tödlichen Krankheit, bei der es immer wieder zu einem rapiden Anstieg des Blutdrucks kommt. Um 1950 herum betrug die Lebenserwartung eines Menschen mit dieser Diagnose nur ein Jahr. Aufgrund seiner Beobachtung mit sterbenden Patienten führte Bouteyko einen Selbstversuch durch, der zu einem Durchbruch für seine persönliche Gesundheit und für die Atemforschung insgesamt führte. Er fand heraus, dass er mit nur fünfminütiger Tiefatmung einen Anfall hervorrufen konnte. Atmete er dagegen fünf Minuten langsam mit bewusst verringerter Atemtiefe in den Bauch, beruhigte sich sein Blutdruck sofort.
Bouteyko wurde 80 Jahre alt, obwohl er als 29-Jähriger an einer Krankheit litt, welche die Schulmedizin erst viele Jahre später durch Früherkennung und bessere Medikamente effektiv behandeln konnte.
BEGRIFFE, DIE HIER VON BEDEUTUNG SIND:
Kohlendioxid – CO2 – ist ein natürliches Stoffwechselprodukt der Atmungskette des Menschen. Ohne CO2 im Blut bleibt der Sauerstoff an roten Blutkörperchen kleben und kann nicht genutzt werden kann.
Hyperkapnie ist die Erhöhung des CO2-Gehalts in der Lunge und im Blut.
Hypokapnie ist ein Mangel an CO2 in der Lunge und im Blut.
Hypoxie ist die Reduktion des Sauerstoffgehalts in der Lunge.
Hyperkapnie und Hypoxie, wenn korrekt herbeigeführt, erhöhen die Sauerstoffzufuhr aus dem Blut in die Körperzellen. ■
Als gewissenhafter Mediziner begann Bouteyko, mit einer neuen Form der Atemschulung zu arbeiten. Mit der Bouteyko-Methode lernt man, die Atemfrequenz auf sechs nicht zu tiefe Atemzüge in den Bauch zu verringern. Im Laufe seiner Forschungstätigkeit konnte Bouteyko dokumentieren, dass bei 117 verschiedenen Krankheitsbildern durch die konsequente Anwendung seiner Methode eine Heilung oder Besserung eintrat. Die Bouteyko-Methode hat sich besonders bei der Behandlung von Asthma hervorgetan. Asthma betrachtete Bouteyko als einen Versuch des Körpers, der übermäßigen Atmung entgegenzuwirken. Die Erfolge in der Praxis bestätigen ihn: Durch ein Erlernen und konsequentes Praktizieren der Bouteyko-Methode ist es vielen Asthmatikern möglich, dauerhaft ohne Kortisonspray auszukommen, da Anfälle ausbleiben. Die Methode wirkt nicht bei allen Asthmatikern, weil ihre Atemmuster unterschiedlich ausfallen, aber Bouteykos Ansatz ist definitiv ein wertvoller Beitrag zur Behandlung von Asthma und anderen Atemproblemen.
Normale Atmung ist Hyperventilation
Nicht gern gehört, aber durchaus gängig ist inzwischen der Begriff der »Pathologie der Normalität«. Er drückt aus, dass in fast allen Lebensbereichen die Norm der modernen Gesellschaft alles andere als einen gesunden, natürlichen Zustand darstellt. Sich »normal« zu ernähren bedeutet heutzutage, extrem denaturierte Nahrung zu sich zu nehmen, oftmals zu vorgegebenen Zeiten ohne echtes Hungergefühl. Normale Freizeitgestaltung ist zumeist der Konsum von Unmengen unterschiedlichster Formen der Unterhaltung, deren schädliche Auswirkung auf Gehirn und Emotionen des Menschen inzwischen unbestritten ist. Die normale Atmung des modernen Menschen ist eine Hyperventilation, ein übermäßiges Atmen mit zu hoher Frequenz und zu großem Gesamtvolumen an Luft.
Diese Form der alltäglichen Hyperventilation führt zu zellulärem Sauerstoffmangel.
Viel Luft zu atmen, bedeutet eben nicht, viel Sauerstoff in die Körperzellen zu bekommen. Die Sauerstoffsättigung des Bluts ist eine wichtige Größe, wird jedoch meist einseitig als Indikator für gute Sauerstoffversorgung betrachtet. Aber im Blut benötigen wir den Sauerstoff nicht, sondern in den Mitochondrien unserer Zellen. Der Transfer des Sauerstoffs vom Blut in die Zellen ist ein komplexer Prozess, der Kohlendioxid erfordert. Im herkömmlichen Denken oft zum reinen physiologischen Abfallprodukt degradiert, ist Kohlendioxid in Wirklichkeit von großer Bedeutung für eine gute Sauerstoffnutzung.
Durch chronische Hyperventilation verringert sich der Kohlendioxid-Gehalt des Bluts, sodass Sauerstoff nicht effektiv in die Zellen transportiert werden kann. Ein Anstieg des Kohlendioxid-Spiegels in der Lunge, die sogenannte »Hyperkapnie«, ist aus gesundheitlicher Sicht sehr erstrebenswert. Hyperkapnie ist ein natürlicher Zustand für Menschen, die im Hochgebirge leben. Leben in Höhenlagen und Langlebigkeit sind miteinander verknüpft. Wenn die Idee »Viel Sauerstoff zu atmen ist gut« zutreffen würde, müssten Menschen in Höhenlagen Symptome des Sauerstoffmangels aufweisen, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Fähigkeit des Körpers, Sauerstoff zu nutzen, erhöht sich in der Hyperkapnie, weshalb ja auch viele Ausdauersportler gern in der Höhe trainieren.
DAS GEHEIMNIS DER HÖHENLUFT
Benjamin Honigman vom Altitude Research Center in Denver untersuchte über viele Jahre die Gesundheit und...