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Beginne, wo du bist

Eine Anleitung zum mitfühlenden Leben

AutorPema Chödrön
VerlagKamphausen Media GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl212 Seiten
ISBN9783899018875
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Der Grund, warum wir unser Herz so oft verschließen, liegt darin, dass wir nicht wirklich offen für uns selbst sind. Große Teile von uns selbst sind uns so unwillkommen, dass wir jedes Mal davonlaufen, wenn sie auftauchen. Und so schaffen wir es nie, wirklich voll und ganz anwesend zu sein. Dich nur wenn wir bereit sind, voll und ganz zu uns selbst zu stehen und uns selbst niemals im Stich lassen, sind wir in der Lage, auch anderen Menschen beizustehen und ihnen unsere Hilfe mit einem offenen Herzen anzubieten.

Pema Chödrön war Schülerin von Chögyam Trungpa Rinpoche, der sie 1986 zur Leiterin von Gambo Abbey, einem tibetischen Kloster in Kanada, ernannte. Sie hält regelmäßig Vorträge in Europa und den USA, in denen sie den tibetischen Buddhismus für den Westen interpretiert.

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Leseprobe

1 Keine Ausflucht, kein Problem


Wir haben schon alles, was wir brauchen. Es ist nicht nötig, besser sein zu wollen. All die Zwangsvorstellungen, die wir uns auferlegen - die dauernde Angst, schlecht zu sein, die dauernde Hoffnung, gut zu sein, die Identitäten, an die wir uns so heftig klammern, die Wut, der Ärger, das Suchtverhalten - all das kann unseren ureigenen Reichtum nicht antasten. Diese Vorstellungen sind wie Wolken, die vorübergehend die Sonne verdunkeln. Doch die Sonne, die Wärme und der Glanz eines jeden von uns, ist die ganze Zeit über da. Sie ist, was wir sind. Wir sind nur ein Augenzwinkern vom vollständigen Erwachen entfernt.

Wenn wir uns selbst auf diese Weise betrachten, gehen wir völlig anders an die Sache heran, als wir es normalerweise tun. So gesehen, brauchen wir uns gar nicht zu ändern: Wir können uns so elend fühlen wie der letzte Hund und sind immer noch gute Anwärter auf die Erleuchtung. Wir können uns wie ein hilfloser Krüppel ohne Arme und Beine vorkommen - und doch ist genau dieses Gefühl der größte Reichtum, den wir haben, und nichts, das man loswerden oder verbessern muss. In diesem ganzen Schmodder, den wir hassen und loswerden wollen, liegt ein Schatz begraben. Die schönen Dinge - das, was wir an uns so mögen, die Eigenschaften, auf die wir stolz sind und die uns begeistern - auch die machen unseren Reichtum aus.

Mit den Anweisungen in diesem Buch können wir da anfangen, wo wir gerade sind. Wenn wir voller Wut stecken, von Fehlschlägen verfolgt werden oder uns niedergeschlagen fühlen, sind die hier beschriebenen Anweisungen gerade richtig, weil sie uns helfen, die unliebsamen Aspekte des eigenen Lebens als Hilfsmittel zur Erweckung von Mitgefühl für uns selbst und andere zu verwenden. Diese Anweisungen zeigen uns, wie man sich selbst akzeptiert, wie man sich unumwunden mit dem Leiden auseinandersetzt, wie man aufhört, vor den schmerzhaften Aspekten seines Lebens wegzulaufen. Sie lehren uns, wie man offenen Herzens mit dem Leben umgeht, dem Leben, so wie es ist.

Wenn wir das Wort »Mitgefühl« hören, so bedeutet das für uns zwangsläufig, sich um andere zu kümmern und Verantwortung für andere zu übernehmen. Der Grund, warum wir uns oft vor anderen verschließen - vor unserem Kind, unserer Mutter, jemandem, der uns beleidigt, oder jemandem, der uns Furcht einjagt -, liegt jedoch darin, dass wir uns selbst gegenüber nicht genügend offen sind. Große Teile unserer selbst sind uns so unwillkommen, dass wir jedes Mal Reißaus nehmen, wenn sie auftauchen.

Und weil wir immer Reißaus nehmen, schaffen wir es nie, voll und ganz da, wirklich anwesend zu sein. Ständig verpassen wir den Augenblick, den wir gerade erleben. Doch nur, indem man den Augenblick, den man gerade erlebt, wirklich wahrnimmt, entdeckt man seine Einzigartigkeit, seine Kostbarkeit und seine vollkommene Frische. Er wiederholt sich nie. Jeder Moment kann verehrt und gefeiert werden - es gibt nichts Heiligeres. Es gibt nichts Umfassenderes oder Absoluteres. In Wahrheit ist das alles, was es gibt!

Nur in dem Maß, in dem wir unseren persönlichen Schmerz erkennen, nur in dem Maß, in dem wir mit allen Aspekten des Schmerzes vertraut sind, können wir furchtlos genug, mutig genug und Krieger genug sein, um es mit dem Schmerz der anderen aufzunehmen. Das gelingt uns deshalb, weil wir erkannt haben, dass sich ihr Schmerz und unser eigener Schmerz nicht unterscheiden.

Um das vollbringen zu können, benötigen wir Hilfsmittel, und dieses Buch macht uns mit drei sehr wichtigen vertraut: der Sitzmeditation (Shamatba-Vipashyana-Meditation), der Praxis des Nehmens und Gebens (Tonglen) und der Arbeit mit den Losungen (bezeichnet als Die Sieben Punkte des Geisttrainings oder Lojong).

Diese Praktiken wecken unser Vertrauen darauf, dass wir die Weisheit und das Mitgefühl, die wir brauchen, bereits in uns tragen. Sie helfen uns, uns selbst kennenzulernen: unsere groben Seiten, unsere sanften Seiten, unsere Leidenschaft, Aggression, Unwissenheit und Weisheit. Der Grund, warum Menschen anderen Menschen Leid zufügen, der Grund, warum unser Planet verschmutzt wird und es Menschen und Tieren heutzutage nicht besonders gut geht, besteht darin, dass die einzelnen Individuen nicht genügend über sich selbst Bescheid wissen, dass sie nicht genügend Vertrauen in sich selbst haben und sich selbst nicht genügend lieben. Die Shamatha-Vipashyana-(»Ruhe-Einsicht«-)Technik der Sitzmeditation ist ein goldener Schlüssel, mit dessen Hilfe wir die Tür zu uns selbst öffnen können.

Shamatha-Vipashyana-Meditation


Bei der Shamatha-Vipashyana-Meditation sitzen wir aufrecht mit verschränkten Beinen und geöffneten Augen, die Hände ruhen auf den Oberschenkeln. Dann beginnen wir, einfach darauf zu achten, wie unser Atem ausströmt. Es gehört Präzision dazu, ganz bei seinem Atem zu sein. Andererseits ist es ein außerordentlich entspannter und sanfter Zustand. »Sei ganz bei deinem Atem, wie er ausströmt«, bedeutet das gleiche wie: »Sei vollständig gegenwärtig. Sei ganz anwesend bei allem, was gerade geschieht.« Die Aufmerksamkeit auf den ausströmenden Atem zu richten, bedeutet auch, aufmerksam für andere Geschehnisse zu sein -Straßengeräusche und Licht, das auf die Wände fällt. Diese Dinge können unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ohne uns abzulenken. Wir fahren fort, einfach dazusitzen und auf unseren ausströmenden Atem zu achten.

Das Beobachten des Atems ist jedoch nur ein Teil der Technik. Es geht auch um die Gedanken, die uns dauernd durch den Kopf schwirren. Wir sitzen hier und führen Selbstgespräche. Die Anweisung lautet, dass wir in dem Moment, in dem wir bemerken, dass wir gerade etwas gedacht haben, es mit der Bezeichnung »Denken« versehen. Wenn der Geist abschweift, sagen wir zu uns selbst »Denken«. Ob die Gedanken gewalttätig sind, leidenschaftlich oder voller Unwissenheit und Ablehnung, ob sie sorgenvoll oder furchtsam sind, ob sie spirituell oder erfreulich sind in Bezug auf das, was wir gerade tun, angenehme Gedanken, erbauliche Gedanken, was auch immer für Gedanken es sind, wir bezeichnen sie alle ohne Urteil oder Strenge einfach als »Denken« und tun das mit Ehrgefühl und Sanftmut.

Der Kontakt mit dem Atem ist leicht aufrechtzuerhalten. Nur etwa 25 Prozent der Aufmerksamkeit liegen auf dem Atem. Wir brauchen den Atem nicht festzuhalten oder uns daran festzubeißen. Wir öffnen uns, lassen den Atem sich mit der Weite des Raums vermischen, lassen ihn einfach in die Weite hinausströmen. Danach entsteht so etwas wie eine Pause, eine Lücke, bis der nächste Atemzug ausströmt. Während wir einatmen, geraten wir vielleicht in einen Zustand des Sich-Öffnens und Wartens. Es ist so, als hätten wir an einer Tür geklingelt. Nun warten, wir, ob jemand aufmacht. Dann drücken wir wieder auf die Klingel und warten, ob jemand aufmacht. Dann schweift der Geist vielleicht ab, und wir bemerken, dass wir wieder denken. An diesem Punkt sagen wir wieder »Denken«.

Es ist wichtig, gewissenhaft mit dieser Technik umzugehen. Wenn wir bemerken, dass das Bezeichnen einen strengen und negativen Ton annimmt, als würden wir »verdammt!« sagen, dass wir es uns also selbst schwermachen, sollten wir noch mal »Denken« sagen und die düstere Stimmung dabei einfach weglassen. Es geht nicht darum, die Gedanken abzuknallen wie Tontauben. Lieber sollten wir sanftmütig sein und das Bezeichnen als Chance betrachten, uns selbst gegenüber Empfindsamkeit und Mitgefühl zu entwickeln. Betrachten wir die Meditation als eine Arena. Alles, was darin auftaucht, ist in Ordnung. Es geht nur darum, es ehrlich zu betrachten und Freundschaft damit zu schließen.

Was auftaucht, mag peinlich und schmerzhaft sein, aber es ist dennoch sehr heilsam, weil es uns etwas über den Fehler lehrt, uns vor uns selbst zu verstecken. Es ist heilsam, die eigene Hinterlistigkeit zu erkennen, die eigenen Ausflüchte, und zu erfahren, wo wir überall dichtmachen, leugnen, abstreiten, anderen Leuten Vorwürfe machen - all die kleinen schmutzigen Tricks, die wir so drauf haben. Wir können uns all das mit einer gehörigen Portion Humor und Freundlichkeit bewusst machen. Wenn wir über uns selbst Bescheid wissen, werden wir auch herausfinden, was Menschlichkeit ist. Jeder hat mit so etwas zu kämpfen. Jeder steckt da drin. Wenn wir also feststellen, dass wir mit uns selbst reden, bezeichnen wir es als »Denken« und achten dabei auf den Klang unserer Stimme. Geben wir unserer Stimme einen mitfühlenden, freundlichen und humorvollen Klang. Dann werden wir alte festgefahrene Muster ändern, die der ganzen Menschheit eigen sind. Mitgefühl für andere beginnt mit Freundlichkeit sich selbst gegenüber."*

Lojong


Lojong (oder Geisttraining) besteht aus zwei Elementen: der Praxis, die Tonglen-Meditation heißt, und der Lehre, die über Losungen vermittelt wird. Ziel von Lojong ist es, Freundschaft zu schließen mit dem, was man an sich selbst und anderen ablehnt und für »schlecht« hält....

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