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Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution

Vollständige Ausgabe

AutorJohann Gottlieb Fichte
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl253 Seiten
ISBN9783849612559
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Deutlich wie wenige Denker und Politiker des damaligen Deutschland begrüßt Fichte die Französische Revolution. Er sieht in ihr nicht nur moralische Gründe, sondern auch einen rechtmäßigen Fortschritt zu mehr Gleichheit und Freiheit. Seine beiden Revolutionsschriften von 1793 ('Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten' und 'Beiträge zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution') griffen in die öffentlichen Debatten ein. (aus wikipedia.de)

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Leseprobe

IV.

 

In dieser den Vorerinnerungen gewidmeten Einleitung vergönne man noch nachfolgender ihr Plätzchen, die zwar nicht eigentlich die Grundsätze der Beurtheilung, aber das Recht der öffentlichen Beurtheilung selbst betrifft.

 

Man erhebt nemlich jetzt wieder bei freien politischen Untersuchungen ein Getratsch, wie man es schon ehemals bei religiösen trieb, über exoterische und esoterische Wahrheiten, d. h. – denn du sollst es nicht verstehen, unstudirtes Publicum, darum werden sie sich wohl hüten, es deutsch zu sagen – d. h. also: von Wahrheiten, die ein jeder wissen mag, weil eben nicht viel Tröstliches daraus folgt, und von anderen Wahrheiten, die, leider! eben so wahr sind, von denen aber niemand wissen soll, dass sie wahr sind. – Siehe, liebes Publicum, so spielen deine Lieblinge dir mit, und du freuest dich in kindlicher Unbefangenheit über die Brosamen, die sie dir von ihrer reich besetzten Tafel zufliessen lassen. Traue ihnen nicht; das, worüber du eine so herzliche Freude hast, ist nur das Exoterische; das Esoterische solltest du erst sehen; aber – das ist nicht für dich. »Die Thronen der Fürsten werden und müssen ewig stehen,« sagen sie; nemlich, denken sie, Fürst heisst jeder Verwalter der Gesetze; »nur das beherrschte Volk kann frei seyn,« sagen sie; nemlich, denken sie, durch selbstgegebene Gesetze beherrscht.

 

Das ist auch eine von euren alten Untugenden, feige Seelen, dass ihr uns mit einer geheimnissvollen Miene ins Ohr flüstert, was ihr aufgespürt habt: aber, aber – setzt ihr hinzu und macht ein kluges Gesicht, dass es ja nicht weiter auskommt, Frau Gevatterin! Das ist nicht männlich; was der Mann redet, mag jeder wissen.

 

»Aber es würde doch grosses Unheil davon entstehen, wenn es jeder wüsste.« Wenn du nicht bestallet bist, für das Wohl der Welten zu sorgen, so lass das deine letzte Sorge seyn. Die Wahrheit ist nicht ausschliessendes Erbtheil der Schule; sie ist ein gemeinsames Gut der Menschheit, von ihrem gemeinschaftlichen Vater ihr zur köstlichsten Ausstattung, zum innigsten Vereinigungsmittel der Geister mit Geistern gegeben; jeder hat das gleiche Recht, sie aufzusuchen, und sie nach seiner ganzen Empfänglichkeit dafür zu gemessen und zu benutzen. Du darfst ihn daran nicht hindern; denn das ist unrecht: du darfst ihn nicht täuschen, ihm nichts aufbinden; sey es auch in der wohlthätigsten Absicht. Was für ihn wohlthätig ist, weisst du nicht; aber dass du schlechterdings nie lügen, schlechterdings nie gegen deine Ueberzeugung reden sollst, weisst du. Freilich können wir dich auch nicht nöthigen, ihm die Wahrheit zu sagen; du kannst deine Ueberzeugung gänzlich für dich behalten; wir haben weder ein Mittel, noch ein Recht, sie aus deiner Seele herauszupressen. – Aber, ich will sie ihm sagen. Siehst du darüber scheel, dass ich so gütig bin? Habe ich nicht Recht zu thun mit dem Meinen, was ich will? Kannst du es ohne Ungerechtigkeit verhindern – ohne Ungerechtigkeit gegen mich, indem du mir den freien Gebrauch meines Eigenthums, also ein Menschenrecht streitig machen – ohne Ungerechtigkeit gegen den anderen, indem du ihn eines frei dargebotenen Mittels zur Erreichung einer höheren Geistescultur berauben würdest? Was aus meiner Mittheilung erfolgen möge, ist nicht deine Sorge; deine Sorge ist nur die, nicht ungerecht zu seyn.

 

Aber sollte denn auch wirklich soviel Schreckliches daraus erfolgen, oder ist es nur deine erhitzte Phantasie, welche Windmühlen für Riesen ansieht? – Die allgemeine Verbreitung der Wahrheit, die unseren Geist erhebt und veredelt, die uns über unsere Rechte und Pflichten unterrichtet, die uns die besten Wege auffinden lehrt, wie wir die ersteren behaupten, und die Erfüllung der zweiten recht fruchtbar für das menschliche Geschlecht machen können, sollte schädliche Folgen haben? Vielleicht für diejenigen, welche uns auf immer in der Thierheit erhalten möchten, damit sie uns auf immer ihr Joch auflegen, und zu ihrer Zeit uns schlachten können? Und welche denn auch für sie, als etwa die, dass sie dann ein anderes Handwerk ergreifen müssten? Fürchtet ihr dies als ein Unglück? Nun freilich, darin sind wir mit euch nicht einig; wir fürchten dieses Unglück nicht. O, möchte doch über alle Menschen die klarste, belebendste Erkenntniss der Wahrheit sich verbreiten; möchten doch alle Irrthümer und Vorurtheile vom Erdballe vertilgt seyn! Dann wäre der Himmel schon auf der Erde.

 

Ein halbes Wissen, losgerissene Sätze ohne Uebersicht des Ganzen, die nur auf der Oberfläche des Gedächtnisses herumschwimmen, und die der Mund herplaudert, ohne dass der Verstand die geringste Notiz davon nimmt, könnten vielleicht Schaden stiften, aber sie sind auch nicht Kenntniss. Welchen Satz wir nicht aus seinen Grundsätzen entwickelt, und die Folgen desselben überschaut haben, dessen Sinn verstehen wir sogar nicht. – Aber nein, auch sie stiften keinen Schaden; sie sind in der Seele wie ein todtes Capital, ohne allen Einfluss: die Leidenschaften sind es, die sie zum beschönigenden Vorwande ergreifen – die Leidenschaften, welche, wenn sie diesen Vorwand nicht hätten, einen anderen fänden, oder, wenn sie gar keinen fänden, ohne allen Vorwand dieselben bleiben würden.

 

Wir haben euch also wohl gar unrecht gethan? Wüsstet ihr etwas Gründliches, so würdet ihr auch die Folgen desselben übersehen haben, und wissen, dass sie, wie jeder Wahrheit Folgen, nicht anders als heilsam seyn können. Ihr mögt höchstens im Fluge hier und da einen Lappen abgerissen haben, über dessen fremde Gestalt ihr so erschrakt, dass ihr ihn sogleich, als eine heilige Reliquie, vor profanen Augen verschlosset. Wir werden also hinführo weniger lüstern nach euren esoterischen Wahrheiten seyn. Ihr gebt uns, vermuthe ich, mit aller Treue, was ihr habt, und die verschlossenen Kasten sind nur darum verschlossen, damit wir nicht sehen, dass sie leer sind.

 

Siehe, Wohlthäterin der Menschheit, belebende Wahrheit, so gehen diejenigen mit dir um, die sich deine Priester nennen. Weil sie dich noch nie erblickten, verläumden sie dich ungescheut. Du bist ihnen ein menschenfeindlicher Dämon. Sie haben sich ein hölzernes Bild geschnitzt, das sie statt deiner anbeten. Nur von dem Theile aus, von welchem Moses seine Gottheit erblickte, zeigen sie dies an hohen Festen dem Volke, und geben vor, wer ihre Bundeslade berühre, müsse sterben. O, mache doch ihrer Gaukelei ein Ende. Erscheine du selbst mitten unter uns in deinem milden Glanze, dass alle Völker dir huldigen.

 

 

Erstes Buch. Zur Beurtheilung der Rechtmässigkeit einer Revolution.


 


Erstes Capitel. Hat überhaupt ein Volk das Recht, seine Staatsverfassung abzuändern?

 

Es sey seit Rousseau gesagt und wieder gesagt worden, dass alle bürgerlichen Gesellschaften sich der Zeit nach auf einen Vertrag gründeten, meint ein neuerer Naturrechtslehrer: aber ich wünschte zu wissen: gegen welchen Riesen diese Lanze eingelegt sey. Wenigstens sagt Rousseau das nicht; und hat seit ihm es Jemand gesagt, so hat dieser Jemand etwas gesagt, gegen das es gar nicht der Mühe lohnt, sich zu ereifern. Man sieht es ja freilich unseren Staatsverfassungen, und allen Staatsverfassungen, die die bisherige Geschichte kennt, an, dass ihre Bildung nicht das Werk einer verständigen kalten Berathschlagung, sondern ein Wurf des Ohngefähr, oder der gewaltsamen Unterdrückung war. Sie gründen sich alle auf das Recht des Stärkeren ; wenn es erlaubt ist, eine Blasphemie nachzusagen, um sie verhasst zu machen.

 

Dass aber rechtmässigerweise eine bürgerliche Gesellschaft sich auf nichts anderes gründen kann, als auf einen Vertrag zwischen ihren Mitgliedern, und dass jeder Staat völlig ungerecht verfahre und gegen das erste Recht der Menschheit, das Recht der Menschheit an sich , sündige, wenn er nicht wenigstens hinterher die Einwilligung jedes einzelnen Mitgliedes zu jedem, was in ihm gesetzlich seyn soll, sucht, ist ohne Mühe auch dem schwächsten Kopfe einleuchtend darzuthun.

 

Steht nemlich der Mensch, als vernünftiges Wesen, schlechthin und einzig unter dem Sittengesetze, so darf er unter keinem anderen stehen, und kein Wesen darf es wagen, ihm ein anderes aufzulegen. Wo ihn sein Gesetz befreit, da ist er ganz frei: wo es ihm Erlaubniss giebt, verweiset es ihn an seine Willkür, und verbietet ihm in diesem Falle ein anderes Gesetz anzuerkennen, als diese Willkür. Aber eben darum, weil er an seine Willkür, als einzigen Entscheidungsgrund seines Verhaltens beim Erlaubten, gewiesen ist, darf er das Erlaubte auch unterlassen. Liegt einem anderen Wesen daran, dass er es unterlasse, so darf dies ihn darum bitten, und er hat das völlige Recht, auf diese Bitte frei von seinem strengen Rechte herunter zu lassen – aber zwingen lassen darf er sich nicht. – Er darf dem anderen die Ausübung seines Rechts frei schenken .

 

Er darf auch einen Tausch über Rechte mit ihm treffen; er darf sein Recht gleichsam verkaufen . – Du verlangst, dass ich einige meiner Rechte nicht ausübe, weil ihre Ausübung dir nachtheilig ist; nun wohl, du hast auch Rechte, deren Ausübung mir nachtheilig ist: thue Verzicht auf die deinigen, und ich thue Verzicht auf die meinigen.

 

Wer legt mir nun in diesem Vertrage das Gesetz auf? Offenbar ich selbst. Kein Mensch kann verbunden werden, ohne durch sich selbst: keinem Menschen kann ein Gesetz gegeben werden, ohne von ihm selbst. Lässt er durch einen fremden Willen sich ein Gesetz auflegen, so thut er auf...

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