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E-Book

Bellmer et la Belle Mére

Psychoanalytische Betrachtungen zu Bellmers Werk

AutorHans-Jürgen Döpp
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl72 Seiten
ISBN9783744824477
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
BELLMER et la BELLE MÉRE - Eine psychoanalytische Betrachtung zu Bellmers Werk - Bellmers Zeichnungen sind Wunsch- und Angststätten zugleich. Sein Werk besitzt eine Geheimnisstruktur, die als latenter Bildinhalt zu entschlüsseln ist. Sie sind Engramme einer unbewussten Sinnlichkeit, die der Autor zu entziffern versucht. Dies geschieht im Hinblick auf Inhalt, Stil, den Zeichenprozess selbst und auf die Funktion des fertigen Werkes selbst. Heterogene thematische und formalästhetische Einzelaussagen finden über die Analyse in Bellmers Werk zu einer inneren Konsistenz. Eine schematische Gesamtdarstellung der aufgezeigten Zusammenhänge beschließt diese Arbeit.

Hans-Jürgen Döpp, geb. 1940. Studium der Soziologie und der Pädagogik. Langjährige Tätigkeit als Lehrbeauftragter für psychosexuelle Sozialisation an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Unterrichtete an einer Frankfurter Realschule. Sammelt seit 45 Jahren auf dem Gebiet der erotischen Kunst. Arrangierte viele Ausstellungen im In- und Ausland. Maßgeblich verantwortlich für den Aufbau des Erotik-Museums in Berlin, das er bis 2000 kuratierte. Autor einer Vielzahl von Büchern zur erotischen Kunst. 2004 Ehrenprofessor am Lehrstuhl für erotische Kunst am Institut für Sexualwissenschaften, St. Petersburg. Betrieb bis 2015 unter der Adresse www.venusberg.com ein virtuelles Museum erotischer Kunst. Kuratierte 2008 eine Ausstellung erotischer Kunst am Museo des Bellas Artes in Havanna/Cuba. Errichtete zusammen mit seinem Sammlerfreund Dieter Engel in Köln ein Museum Erotischer Kunst (www.venusberg.koeln).

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Leseprobe

2. Analytische Betrachtungen zu den Bildinhalten


2.1 Die phallischen Mädchen

Das vom Mann entworfene Bild der Frau - ein Fetisch der Selbstliebe? Bellmers Beobachtung lässt sich auf der Ebene der Alltagsästhetik durch jeden Blick in den Werbeteil einer Illustrierten bestätigen: "Wahrscheinlich überlegte man bisher nie ernsthaft genug, wie weit das Bild der begehrten Frau vom Bilde des Mannes her bedingt ist, der sie begehrt; daß es letzten Endes eine Reihe von Phallus-Projektionen ist, die progressiv von einem Detail der Frau zu ihrem Gesamtbild gehen, derart, daß der Finger, der Arm, das Bein der Frau, das Geschlecht des Mannes wären -...daß es endlich die ganze Frau sei, sitzend, mit hohlem Kreuz, mit oder ohne Hut, oder aufrecht stehend"(Bellmer,1962,S.145 f.). Das Motiv der phallischen Frau kommt in Bellmers Werk in seinen beiden Hauptformen vor: Entweder ist die Frau Trägerin eines äußeren Phallus bzw. eines phallischen Attributs, oder sie wird mit dem in sich aufbewahrten männlichen Phallus vorgestellt. Sie hat einen Phallus, oder, in der zweiten Version, sie wird mit dem Phallus identifiziert.

Wie kommt ein solches Bild zustande?

Für das präödipale Kind ist das Organ der aktiven Mutter die Brust; dass diese in Bellmers Werk gleichfalls eine fetischistische Bedeutung hat, ist nicht zu übersehen. Das Bild der phallischen Frau entsteht erst in einer späteren Phase. Nach R.M.Brunswick kommt eine solche Imago zustande, "um sicher zu sein, daß die Mutter einen Penis besitzt, vor allem in dem Augenblick, in dem das Kind unsicher wird, ob die Mutter ihn wirklich besitzt. Bis dahin scheint es viel wahrscheinlicher, daß das Ausführungsorgan der aktiven Mutter die Brust ist. Die Idee des Penis wird wieder auf die aktive Mutter projiziert, nachdem die Bedeutung des Phallus erkannt worden war"(nach Laplanche/Pontalis,1972,S.382).

Auf der klinischen Ebene zeigte Freud, wie der Fetischist in seinem Fetisch einen Ersatz für den mütterlichen Phallusfindet, dessen Fehlen er verleugnet. Damit hat er zwar "die Realität verleugnet, aber seinen eigenen Penis gerettet"(Freud, 1938,S.61 ).

Dabei kann die phallische Bedeutung auch von einem anderen Organ übernommen werden: Der Phallus wird zum Ersatz hin verschoben, so dass z.B. das Knie, der Fuß, der Arm oder gar die ganze Gestalt zum Träger der phallischen Bedeutung transformiert werden. Das Sichtbare erhält durch diese fetischistische Transaktion einen Doppelsinn, woraus Bellmer eine "radikale Kritik unserer ldentitätsbegriffe" ableitet. So geht aus seiner "Anatomie des Bildes" hervor, "daß ein Objekt etwa der Fuß einer Frau, nur dann wirklich ist, wenn das Verlangen ihn nicht unbedingt für einen Fuß hält"(Bellmer, 1962,S.169). Damit wird "Wirklichkeit" von Bellmer als innere Realität bestimmt - was einer Leugnung der äußeren, als kastrierend erfahrenen Realität gleichkommt. Der für den Fetischismus bedeutsame Riss zwischen der illusionären Interpretation der Realität und der Erfahrungsrealität tritt in Bellmers Darlegungen offen zutage. "Das bedeutet im Grunde: daß eine subjektive Erregung oder ihr Gedächtnis-Bild der Wahrnehmung entgegengeschickt wird und sie im Voraus bedingt!“ (ibid.,S.171).

Das Vexierbildhafte in Bellmers Werk basiert auf jenen fetischistischen Transaktionen, über die ein Organ mit der Bedeutung eines anderen aufgeladen wird. Dem "Begehren" des Mannes, das zu jenem schillernden Bilde der Frau führt, liegt eine tiefe Angst zugrunde. Für den Perversen stellt, Freud zufolge, das Fetischobjekt den Phallus des Weibes bzw. der Mutter dar, an den das Kind einst glaubte und auf den er angesichts der Kastrationsangst nicht verzichten konnte. Der Fetisch als Ersatz "bleibt das Zeichen des Triumphes über die Kastrationsandrohung und der Schutz gegen sie"(Freud,1927,S.313).

Xaviere Gauthier, die in den surrealistischen Texten und Bildern eine Revolution im Namen der Perversion erblickt, hebt den fetischistischen und zugleich sadistischen Charakter von Bellmers Werk hervor: "Das Oeuvre Bellmers konfrontiert uns mit besonderer Schärfe mit dieser rasenden Angst. Jede seiner Puppenkonstruktionen, jede seiner Zeichnungen erneuert seine beängstigende und drängende Frage: zeig mir, wo er ist zeig mir, wo er nicht ist. Und er zerstückelt die Frau, dreht sie in alle Richtungen, öffnet sie, verrenkt sie, foltert sie, um zu finden, was endlos zu suchen er verurteilt ist" (198o,S.264).

H.Bellmer

aus: Petit Traité de Morale

In der Verleugnung des weiblichen Geschlechts liegt zugleich der Glaube an die Realität des Fehlens des mütterlichen Penis und der Glaube an die Realität eines Phantasmas: seiner Anwesenheit.

Freud sieht den Ursprung dieser Phantasie in der Entdeckung des Geschlechtsunterschieds, d.h.in der phallischen Phase. Der Fetischismus scheint wesentlich ein Problem der Genitalität zu sein.

Doch neuere theoretische Positionen, auch wenn für sie die Kastrationsangst weiterhin der Schlussstein des Fetischismus bleibt, zielen darauf, den Elementen der frühen Entwicklungsphasen stärker Rechnung zu tragen. So stellt Phyllis Greenacre den Fetischismus zur Entwicklung des Körperbildes in Beziehung und schenkt bestimmten Störungen besondere Beachtung, die im Laufe der prägenitalen Phasen auftreten und "das Kind strukturell hinfällig und untauglich machen, den

ödipalen Problemen zu begegnen, insbesondere die dieser Periode eigentümlichen normalen Kastrationsdrohungen auf sich zu nehmen" (zit.n. Dorey, 1972,S.47).Diese frühen Traumata seien ungewöhnlich hart und "besonders kastrierend". Sie rufen im allgemeinen ein Gefühl drohender Auflösung hervor, eine Störung der Empfindung des eigenen Körpers sowie der Wahrnehmung des Körpers der Mutter. Zu geschwächt, um den ödipalen Drohungen die Stirn zu bieten, erscheint dem Kind dann der Fetisch als eine Abwehr gegen die Auflösungsangst und als Versuch, die Integrität des Körpers der Mutter und mithin die des Subjektes selbst wiederherzustellen.

Die Kastrationsangst wird hier in einem neuen Bezugsrahmen gesehen. Dass sie bei Fetischisten in der phallischen Phase so tief eingegraben ist, lässt sich nunmehr dadurch erklären, dass der ödipale Konflikt auf einen darunterliegenden prä-ödipalen Kernkonflikt aufgepfropft ist. Ernsthafte Störungen der Körperrealität sind dabei mit Störungen der Realitätsprüfung im allgemeinen verbunden.

Greenacre meint, dass die während der Entwicklung des Körperbildes aufgetretenen Störungen eine strukturelle Schwächung des Ich und dessen zur Folge haben, was sie das body-self nennt. "Daraus ergeben sich gravierende Störungen der Selbstidentität, insbesondere der sexuellen Identität mit Herausbildung einer bisexuellen Identifizierung...Diese führt zu einer Art von permanenter Oszillation des body-self mit kurzen Identifizierungen mit anderen, vor allem mittels des Sehens, besonders in sexuellen Situationen"(ibid., S.53).

In Wahrheit bestehe eine doppelte Vorstellung der Mutter als eines Identifikationsbildes: sie wird wahrgenommen als Besitzerin und zugleich als Nicht-Besitzerin eines Phallus. Der Knabe identifiziert sich bald mit der phallischen, bald mit der nicht-phallischen Mutter, bald mit beiden gleichzeitig.

Die Identifizierung mit der Mutter ohne Penis gibt dem Kind den Wunsch ein, auf seinen eigenen Penis zu verzichten, einen Wunsch, der in scharfen Konflikt gerät mit der narzisstischen Besetzung dieses Organs und dem mindestens ebenso starken Wunsch, es zu behalten. Dorey stellt fest, dass "der fetischistische Kompromiß das Subjekt vor den beiden Gefahren schützt, denen es ausgesetzt ist: Trennung von der Mutter und Kastration. Das ausgeprägte Beharren des Fetischisten auf einem mütterlichen Penis erscheint wie ein Schutz vor dem unbewußten Wunsch, den eigenen Penis aufzugeben, um die Identität mit der Mutter aufrechtzuerhalten"(Dorey,1972,S.54).

Hier wird deutlich, dass Bellmers Motiv der kleinen, verwirrenden Mädchen als Komplement zum Bild der phallischen Frau zu begreifen ist: der Wunsch, eins zu werden mit der penislosen Mutter, zielt auf die Wiederherstellung der symbiotischen Einheit, in der der Knabe gleichsam sich im Bild der Mutter sieht. Innerhalb dieser symbiotischen Ungeschiedenheit "ist er das kleine penislose Mädchen". Die spätere Entdeckung der Penislosigkeit der Mutter bedroht ihn aber in seiner Geschlechtsidentität: die Identifikation mit der phallischen Mutter dient somit der Rettung des Phallus. In der Oszillation zwischen den beiden Bildern: dem des kleinen Mädchens und dem der phallischen Frau, gelangt eine primäre bisexuelle Identifikation mit der Mutter zum Ausdruck.

Die Penislosigkeit der Frau ist eine Realität, die das Ich nicht anerkennen kann. Dem inneren Konflikt folgend, wird ein Teil der Realität durch die Wiederbesetzung der Phantasie von der phallischen Mutter in Ungewissheit verwandelt. "Überhaupt scheint der Fetischist im Zustand der Unentschiedenheit verblieben zu sein"(Bak, 1972,S. 121). Diese Ungewissheit verhindert eine deutliche Differenzierung der Geschlechter, die auf eine Gewissheit hinsichtlich der sexuellen Identität...

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