Der Schöpfer des barocken Rom
Die zwei Gesichter des Gianlorenzo Bernini
Für die einen war er «jener Drache, der unermüdlich über die Gärten der Hesperiden wachte und sicher stellte, dass kein anderer nach den Äpfeln päpstlicher Gunst greifen konnte»,[1] ein ebenso ehrgeiziger wie egozentrischer Karrierist, der neben sich keine Kollegen oder gar Konkurrenten duldete. Von anderer Seite hingegen wurde ihm bescheinigt, er sei «ein seltener Mensch, von sublimer Begabung, durch göttliches Wirken geboren, um zum Ruhme Roms Licht in dieses Jahrhundert zu tragen».[2] Keine Frage, an Gianlorenzo Bernini schieden sich die Geister. Eines jedoch steht außer Zweifel: er war das, was man gemeinhin als «Großer Mann» bezeichnet. Kein anderer Künstler hat das Stadtbild Roms in vergleichbarer Weise geprägt. Seine Produktivität lässt sich in Qualität und Vielfalt allenfalls mit derjenigen Michelangelos vergleichen, dem zeitlebens von Bernini bewunderten Vorbild. Der «Michelangelo seines Jahrhunderts» wollte er werden – und wurde von den Zeitgenossen auch tatsächlich so gesehen und genannt.[3]
Nun ist es mit «großen Männern» so eine Sache. Ihre Größe geht oftmals einher mit wenig anziehenden Charakterzügen, und wenn man fragt, ob der persönliche Umgang mit ihnen stets erfreulich sei, so sind in aller Regel einige Vorbehalte anzuführen, um es vorsichtig zu formulieren. Gianlorenzo Bernini jedenfalls, den man ohne Übertreibung als den Schöpfer des barocken Rom bezeichnen kann, vereinte in sich irritierend widersprüchliche Eigenschaften. Seit jeher gilt er als die geradezu vollkommene Verkörperung des «Hofkünstlers», der es mit Virtuosität verstand, sich auf dem glatten Parkett der höfischen Gesellschaft zu bewegen. Und soviel ist daran richtig, dass er seinen Erfolg nicht zuletzt der Fähigkeit verdankte, im Umgang mit den päpstlichen und adligen Auftraggebern stets den rechten Ton zu treffen, gemischt aus Bescheidenheit und Selbstbewusstsein. Sein Charme und seine Produktivität, sein schlagfertiger Esprit, seine unermüdliche geistige Präsenz, kurz: die Intensität seiner Persönlichkeitswirkung müssen die Zeitgenossen immer wieder aufs Neue fasziniert haben – in den Quellen finden sich zahllose Hinweise darauf.
Daneben aber stand die andere Seite, nicht unvermittelt, sondern eher als Komplementärstück, dunkel, drohend, destruktiv. Der geistreiche Witz konnte unversehens in blanke Boshaftigkeit umschlagen, oft brillant, doch bitter für das Opfer, das, willentlich oder unabsichtlich, Berninis Reizbarkeit herausgefordert hatte. Seine Produktivität war staunenerregend, nicht weniger jedoch die Egozentrik, mit der er danach strebte, die Aufmerksamkeit der Umwelt auf sich allein zu lenken. Obwohl er es als Leiter einer beständig wachsenden, glänzend organisierten Werkstatt mit Dutzenden von Mitarbeitern zu tun hatte, lag ihm nichts ferner als Teamarbeit, die auf die sensible Berücksichtigung der Interessen von Untergebenen und Angestellten achtet. Im Umgang mit den Kollegen legte er im besten Fall die kalte Toleranz der Gleichgültigkeit an den Tag; oft genug jedoch verhielt er sich rüde oder gar beleidigend. Überhaupt: die Tatsache, dass es Kollegen gab, scheint ihm entschieden unangenehm gewesen zu sein – jedenfalls, soweit sie nicht tot und damit als Konkurrenten ungefährlich waren. Der wohlstilisierten Formvollendung, mit der er sich am päpstlichen Hof zu bewegen wusste, standen Wutausbrüche von eruptiver Gewalt gegenüber, die ihn zumindest in einem Fall um ein Haar zum Mörder hätten werden lassen; es war reiner Zufall, dass es, wie man heute sagen würde, bei «versuchtem Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und Hausfriedensbruch» blieb. Und während der einzigen großen Reise, die er in seinem Leben unternahm, verstand er zwar auf der einen Seite Ludwig XIV., den Sonnenkönig, durch seine gewitzten Schmeicheleien glänzend zu unterhalten. Seine übrigen Gesprächspartner jedoch bekamen anderes zu hören: endlose Mäkeleien über die französische Kunst, die Lernbedürftigkeit der französischen Architekten, die Minderwertigkeit der französischen Handwerker. Verständlich, dass sich in Paris die Begeisterung über den berühmten Italiener in engen Grenzen hielt.
Wer also war Gianlorenzo Bernini? Es ist an dieser Stelle auf die grundlegende Problematik jeder «psychologisierenden Annäherung» an geschichtliche Größen hinzuweisen, die immer in der Gefahr schwebt, ihr Studienobjekt zur beliebigen Projektionsfläche zu machen. In den unzähligen Trivialbiographien mehr oder minder bedeutender Gestalten der Vergangenheit kann man das einfache Strickmuster, dem sie ihre Existenz verdanken, ohne große Mühe durchschauen: mit Hilfe von ein paar bunt kostümierten Puppen, denen man die Ideen, Wertvorstellungen und Ideale der Gegenwart in den Mund legt, wird Karl der Große unversehens zum Bannerträger der Völkerverständigung, Lorenzo de’Medici zum Vorkämpfer der Demokratie und Christina von Schweden zur Begründerin der Frauenbewegung. Kitsch, so hat Jorge Luis Borges einmal konstatiert, sei eine spanische Wand vor dem Tod. Und eine solche Art von Geschichtswahrnehmung wäre nach dieser Definition hochgradig kitschig, indem sie nämlich über die Vergänglichkeit der Menschen, die Zeitgebundenheit ihrer Wertvorstellungen und Weltwahrnehmung hinwegzutäuschen sucht.
Doch gilt es festzuhalten, dass selbst bei sorgfältig-skrupulöser wissenschaftlicher Arbeit ein gewisses Maß an Subjektivität, an unwillkürlich interpretierender Wahrnehmung der Vergangenheit unvermeidlich ist und unweigerlich zu Verzerrungen führt. Geschichte «ist» nun einmal nicht, sie wird erst durch das auswählende Auge des Historikers gemacht,[4] der selbst beim sorgsamsten Blick auf die Nachrichten aus der Vergangenheit nicht aus seiner Haut kann, und das heißt konkret: die Darstellung durch die Auswahl dessen, was ihn interessiert, prädisponiert. So bleibt alle historische Forschung zeitgebunden, vergänglich wie die Menschen, von denen sie handelt. In besonderem Maße gilt das für die Beschäftigung mit etwas so schwer zu Begreifendem wie einem individuellen Menschenschicksal. Das Fremde und Fremdgewordene verstehen zu suchen, ohne aber das grundsätzliche Anders-Sein zu übertünchen, ist vermutlich seit jeher eine Kernaufgabe historischer Forschung gewesen und zugleich die Garantie dafür, dass bei aller Freude an der Erkenntnis die Beschäftigung mit der Vergangenheit immer nur zu Ergebnissen von heiterskeptisch zu beurteilender Vorläufigkeit führt.
Allein, was bleibt uns übrig? Wenn wir nicht als Opfer der Tageseindrücke an der Oberfläche unserer eigenen Zeit umhergeworfen werden wollen, dann hilft letztlich nur der Blick in den Brunnen der Vergangenheit, im vollen Bewusstsein, dass er, ein Dichterwort zu zitieren, nicht nur tief, sondern unergründlich genannt werden sollte. Aber auch wenn alle historische Erkenntnis unvollkommen und ihrem Wesen nach zeitgebunden bleibt, so sind doch wenigstens Annäherungen an die historische Wahrheit möglich, an Rankes berühmte Forderung, zu zeigen, «wie es eigentlich gewesen». Im Falle Gianlorenzo Berninis weitgehende Annäherungen, weitergehende jedenfalls, als gegenüber den allermeisten seiner Zeitgenossen. Über kaum einen Menschen des 17. Jahrhunderts wissen wir mehr als gerade über ihn. Um zu verstehen, warum, ist ein Blick auf die Quellen nötig.
Biographen und Archivare
Die wichtigsten Zeugnisse über das Leben des Gianlorenzo Bernini stellen zwei Lebensbeschreibungen dar, die schon sehr bald nach seinem Tod im November 1680 verfasst wurden. Die erste entstammt der Feder seines jüngsten Sohnes, Domenico Bernini, der im Jahre 1657 geboren wurde. Ursprünglich hätte er in den Jesuitenorden eintreten sollen, heiratete jedoch schon in jungen Jahren und lebte dank des reichen väterlichen Erbes als Privatgelehrter seinen historischen Studien, die in einem umfangreichen und durchaus anspruchsvollen Werk über die «Geschichte der Häresien» kulminierten.[5] Enthusiastischer Bewunderer von Werk und Person des Vaters, machte er sich unmittelbar nach dessen Tod an die Arbeit, Material zu sammeln, um eine Lebensgeschichte zu verfassen, die sich nicht nur auf mündliche Nachrichten aus erster Hand, sondern auch auf eine beträchtliche Anzahl von Briefen und anderen schriftlichen Quellen stützt.
Domenico Berninis Vita erschien erst im Jahre 1713 im Druck, was dazu führte, dass lange Zeit die «Vita del Cavaliere Gianlorenzo Bernini» von Filippo Baldinucci für die früheste Lebensbeschreibung des Künstlers gehalten wurde.[6] Bei Baldinucci handelte es sich um einen mäßigen Maler und kompetenten Kunstkenner aus Florenz, dessen anerkannte Fähigkeiten als Connaisseur ihm einen ehrenvollen Platz in der kulturellen Entourage des Großherzogs Ferdinand II. der Toskana eintrugen. Im April 1681 begab sich Baldinucci nach Rom und erhielt dort von der künstlerisch überaus interessierten...