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E-Book

Bettina von Arnim

Ihr Leben, ihre Begegnungen, ihre Zeit

AutorFritz Böttger
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783105609156
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die Biographie einer der interessantesten Frauen des 19. Jahrhunderts: die Lebensgeschichte der Bettina von Arnim, geborene Brentano (1785-1859). Erstmals berühmt wurde die meist als Galionsfigur der Romantik festgelegte Frau mit ihrem Buch «Goethes Briefwechsel mit einem Kinde». Doch hinter der geistreichen Schriftstellerin, der Frau des Dichters Achim von Arnim und der Schwester des Romantikers Clemens Brentano, steckte noch eine andere, außerordentlich starke Persönlichkeit. Diese Bettina war u. a. die Verkörperung der Revolutionen von 1789 und 1848, eine Frau, die um soziale Reformen kämpfte und das Recht des einzelnen auf Freiheit. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Fritz Böttger, Literaturhistoriker und Biograph, wurde bekannt durch seine Werke über Theodor Storm, Christian Dietrich Grabbe und Hermann Hesse. Er gab außerdem eine vierbändige Ausgabe romantischer Erzählkunst heraus, darunter «Die blaue Blume». Zu den von ihm edierten vielbeachteten Briefbänden zählt u. a. «Frauen im Aufbruch».

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Leseprobe

Erster Teil Die kleine Brentano


1. Herr und Frau Brentano


Bettinas Mutter Maximiliane war die älteste Tochter eines hohen Regierungsbeamten des geistlichen Kurfürstentums Trier namens La Roche und seiner Ehefrau Sophie, einer vielgelesenen Romanschriftstellerin. Als der dreiundzwanzigjährige Goethe im September 1772 von Wetzlar aufbrach und das Lahntal durchwanderte, besuchte er, angekündigt durch seinen Freund Merck, die Familie in Thal-Ehrenbreitstein. Er hat diesen Aufenthalt in seiner Autobiographie «Dichtung und Wahrheit» ausführlich beschrieben, auch die damals sechzehnjährige Tochter, die er «eher klein als groß von Gestalt, niedlich gebaut» charakterisiert und der er «eine freie, anmutige Bildung, die schwärzesten Augen und eine Gesichtsfarbe, die nicht reiner und blühender gedacht werden konnte», zuerkennt. Er stellte fest, daß sie zu den Gesinnungen des Vaters neigte, der durch Erziehung und Bildung ein Voltairianer war und die in Sentimentalitäten schwelgenden Debatten seiner Frau heiter belächelte. Das Mädchen neigte zu Munterkeit und Spott. Goethe, der sich soeben von Charlotte Buff und ihrem Bräutigam Kestner in Wetzlar Hals über Kopf getrennt hatte, wurde hier von einem ganz anderen Mädchentyp bezaubert. Noch der alte Dichter leugnet das nicht, wenn er bemerkt: «Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leidenschaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte noch ganz verklungen ist.»

Mochte der junge Goethe eine hervorragende Erscheinung im Salon der Sophie La Roche sein, als Schwiegersohn kam er nicht in Betracht. Die «literarische Großhofmeisterin», die «gute Mutter von Deutschlands Töchtern», wie man sie übertrieben pries, schien der Meinung, daß vor allem Wohlstand das Fundament einer guten Ehe sei, und verheiratete ihre Tochter an einen Frankfurter Kaufmann, den zwanzig Jahre älteren Peter Anton Brentano, einen Witwer mit fünf Kindern. «Alle Negoziantenweiber sind glücklich, sagten wir, und gaben unsere Max dem Brentano.» Die La Roches kannten den Schwiegersohn überhaupt nicht; aber sie setzten überstürzt den Termin für die Hochzeit an, obgleich der Vater nicht einmal Zeit hatte, der Trauung beizuwohnen.

Mitte Januar 1774 zog Maximiliane in das Haus Peter Antons ein, einen Kaufmannspalast in der Großen Sandgasse mit dem Hauszeichen eines goldenen Kopfes. An fünf Kindern hatte sie dort Mutterstelle zu vertreten, am elfjährigen, etwas einfältigen Anton, dem schönen, aufgeweckten neunjährigen Franz, dem sechsjährigen buckligen Peter, dem fünfjährigen robusten Dominikus und der vierjährigen zierlichen Paula. Indes, der Flirt mit Goethe ging weiter. Der Jugendfreund wurde zum täglichen Gast. Am 29. Januar 1774 schrieb Mephistopheles Merck, der Kriegszahlmeister von Darmstadt, an seine Frau: «Goethe ist schon der Freund des Hauses, er spielt mit den Kindern und begleitet das Cembalo von Madame mit dem Violoncell; Herr Brentano, obgleich reichlich eifersüchtig für einen Italiener, liebt ihn und will durchaus, daß er das Haus besucht.» Dann wurde die Karnevalszeit durchtobt. Im Februar äußert Goethe in einem Brief an Betty Jacobi: «Diese dritthalb Wochen her ist geschwärmt worden, und nun sind wir zufrieden und glücklich als man sein kann.» In diese Zeit fällt auch die Episode auf dem Eis, wo der Göttersohn im karmesinroten Pelz der Mutter durch die Brückenbogen gleitet, eine Szene, von der Bettina in ihrem Goethebuch berichtet und die damit endet, daß Frau Aja zu ihr sagt: «Damals war deine Mutter mit auf dem Eis, der wollte er gefallen.»

Diese Art Allotria und Freundschaftskult fand in den Augen des nüchternen, solchen jugendlichen «Tändeleien» fernstehenden Kaufmanns Brentano zunehmend weniger Beifall. Ende Februar oder Anfang März kam es vermutlich zu einer Auseinandersetzung mit seiner Frau, nach der Goethe das Haus nicht mehr besuchte. An die Mutter Sophie schrieb er: «Wenn Sie wüßten, was in mir vorgegangen ist, ehe ich das Haus mied, Sie würden mich nicht zurückzulocken denken, liebe Mama, ich habe in denen schröcklichen Augenblicken für alle Zukunft gelitten, ich bin ruhig, und die Ruhe laßt mir …» Daraufhin folgten nur noch zufällige Begegnungen, sei es auf der Straße, in der Komödie oder bei der Feier einer goldenen Hochzeit. Mitte Juni heißt es in einem Brief: «Die liebe Max sehe ich selten, doch wenn sie mir begegnet, ist immer eine Erscheinung vom Himmel.»

Die Geburt des ersten Kindes, des Sohnes Georg, im März des folgenden Jahres gab dann wohl den Anlaß zu einer Aussöhnung. Am 21. März 1775 meldet Goethe nach Ehrenbreitstein: «Brentano hat mir Ihre täglichen Briefe an ihn gezeigt … Ich wünsche, daß die Freundschaft und das Zutrauen, das mir bisher der Mann bezeugt, ungeheuchelt sein möge, ich glaub’s wenigstens, und so hoff ich, daß ich der Kleinen künftig keinen Verdruß mehr und vielleicht eine angenehme Stunde hie und da machen werde.» Im Sommer wurden sogar die musikalischen Unterhaltungen wieder aufgenommen. In einem Brief vom 1. August heißt es: «Gestern abend, liebe Mama, haben wir gefiedelt und gedudelt bei der guten Max.» Doch diese Stunden waren gezählt. Goethe verließ Frankfurt und wandte sich nach Weimar. Seine Beziehungen zu Maximiliane schliefen allmählich ein. Im Jahre 1793 nach der Mainzer Belagerung soll er sie noch ein letztes Mal in Frankfurt besucht haben.

Den Bruch mit ihrer Vergangenheit im elterlichen Haus hatte Maximiliane nun verwunden. Sie wuchs gewissermaßen mit Resignation oder gar Widerwillen, keinesfalls jedoch mit Begeisterung in ihre neue Rolle als Hausfrau und Mutter hinein. Wenn ihr Sohn Clemens in einem Brief an seine Schwester Kunigunde den Wunsch formuliert: «Du mögest einen reinlichen starken Mann bekommen, mit dem jedes Weib gern zu Bette gehen möchte, und dieser möge Dir recht viel Vergnügen und alle Jahre ein Kind verschaffen», so dürfte er die Brentanosche Familienvorstellung von Frauenglück aussprechen. Seiner zarten Mutter war nichts anderes übriggeblieben, als in zwanzig Ehejahren zwölf Kindern das Leben zu geben und sich in diesen häufigen Schwangerschaften frühzeitig zu verbrauchen. Bettina erinnerte sich an ihre Mutter kaum, erwähnt nur ihre Schönheit, von der sie gehört haben mochte, und umschreibt ihre Vorstellung mit den Worten: «… sie war so fein und doch so erhaben und glich nicht den gewöhnlichen Gesichtern.»

Peter Anton Brentano, der Vater, war im Jahre 1762 Bürger der Freien Reichsstadt Frankfurt geworden. Schon sein Vater hatte an diesem für Kaufleute so attraktiven Ort eine Handelsgesellschaft mit Filialen in Mainz und Amsterdam etabliert, war dann aber im Alter, wie damals bei den italienischen Fernhändlern üblich, auf seine Güter am Comer See zurückgekehrt. Im Gegensatz zu seinen Vorfahren entschied der siebenundzwanzigjährige Pietro Antoni, sich für dauernd in Deutschland niederzulassen und in Frankfurt eine seinem Vermögen und seinem Ehrgeiz entsprechende Familie zu begründen. Das war kein einfaches Unterfangen. Es setzte nicht nur kaufmännische Tüchtigkeit voraus, sondern auch Anpassungsfähigkeit, um so mehr, da er bei einem großen Teil seiner Mitbürger kaum auf Sympathie rechnen konnte. Für das alteingesessene Frankfurter Patriziat war er ein «Reingeschmeckter», dem man mit Mißtrauen begegnete, dazu ein Italiener, von denen es im allgemeinen hieß, daß sie nur das Geld aus der Stadt wegschleppten. Außerdem bestanden Schwierigkeiten für ihn als Katholik in einem erzprotestantischen Gemeinwesen, in dem nur Lutheraner in die leitenden Stellen gelangen konnten, ja wo selbst ein katholischer Maurergeselle nicht zur Meisterschaft zugelassen wurde. Die kritischen, oft lästernden Nachreden der Frau Rat Goethe zum Gehaben des Herrn Peter sind wohl vor allem aus dieser Einstellung der tonangebenden Schicht zu begreifen.

Der Kaufmann Brentano war zunächst nichts als wohlhabend. Im Jahre 1763 hatte er eine reiche Kusine, die Walpurga Brentano-Gnosso, geheiratet, die ihm in siebenjähriger Ehe sechs Kinder gebar und dann im Alter von siebenundzwanzig Jahren starb. Die zweite Ehe mit Maximiliane, der Tochter des kurtrierschen Kanzlers La Roche, vermittelte der Dechant von St. Leonhard, Dumeiz, der sich dadurch eine Stärkung der katholischen Minorität in der Stadt erhoffen mochte. Für Brentano erwies sich diese Heirat als vorteilhaft, weil sie seine Integration in die deutsche Bevölkerung wesentlich erleichterte und seine gesellschaftliche Respektabilität bedeutend erhöhte. Bald darauf verschaffte ihm sein neuer Schwiegervater den Titel eines Geheimen Rats und Residenten des Kurfürstentums Trier. Goethes Mutter schrieb dazu am 17. März 1777 an Bernhard Crespel: «Peter ist immer noch Peter, seine Standeserhöhung ist, auf der einen Seite betrachtet, von Mama La Roche ein guter Einfall gewesen, den da er sich erstaunlich viel drauf einbildet und es doch niemandt als seinen Schwiegereltern zu verdanken hat; so hat das einen großen Einfluß auf seine Frau. Auf der andern Ecke aber hat das Ding wieder seine verteuffelten Mucken. Sein Haus will er – weil die la Roche ihm in Kopf gehenckt hat, der Churfürst würde bey ihm einkehren – unterst zu oberst wenden, als Resident muß er einen Bedienten hinter sich her gehen haben. Das viele zu Fuße gehen, sagt er, schicke sich auch vor die Max nicht mehr. Nun denkt Euch bey dieser angenommenen Größe den Peter, der jetzt fürchterliche Ausgaben macht und sich zu einem vornehmen Mann wie der Esel zum Lautenschlagen...

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