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Nur der Adler sprach zu mir

Die Geschichte von einem, der auszog, das Leben neu zu lernen

AutorFriedrich Abel
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783105606940
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wenn ein Mann alles zurückläßt, um in der Gesellschaft von Indianern und Klapperschlangen zu leben und in der Einsamkeit eines Wüstencañons das Gefühl dafür wiederzufinden, was es heißt, lebendig zu sein, wenn er schließlich zwar nicht findet, was er sich vorgestellt hat, aber mehr, als er sich hätte träumen lassen ... dann hat er eine Geschichte zu erzählen! (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

In Friedrich Abels Leben fehlte nichts von dem, was ein Mann meist glaubt, »haben« zu müssen: Er hatte einen akademischen Grad, eine interessante Position, gesellschaftliches Ansehen ...Das Gefühl jedoch, echt und intensiv zu leben, kannte er nicht mehr. Er brach aus dem Alltagstrott aus, um einen alten Traum zu verwirklichen: das Geheimnis des indianischen Lebensgefühls zu ergründen, zu einem Leben mit der und nicht gegen die Natur zurückzufinden - und damit zu sich selbst.

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Leseprobe

2


Sie leben wie die Tiere, diese Indianer. Sie sind zu faul, etwas aus sich und dem Land zu machen. Sie vergeuden mein Steuergeld. Ich sage Ihnen, sie leben verdammt gut davon.« Der weiße Amerikaner, der in einem Café am Rande des Navajolandes auf mich einredete, deutete mit der Hand auf die braunen Hügelketten, die durch das Fenster in der Ferne zu sehen waren. »Warum wollen Sie zu denen hinaus? Es gibt dort nichts zu finden. Die wissen nichts und können nichts. Die Regierung stellt ihnen kostenlos schöne Häuser hin, und dann reißen sie den Fußboden heraus, weil sie zu faul sind, sich Feuerholz zu holen. Die neuen Pritschenwagen, mit denen sie herumfahren, alles mein Geld. Ich werde jedesmal wütend, wenn ich daran denke, daß ich mir nur einen alten Chevrolet leisten kann. Ich lebe schon zwanzig Jahre in der Gegend. Ich weiß, was das für Leute sind. Sie mögen uns nicht. Sie hassen uns. Sie werden selbst sehen. Sie werden noch an mich denken. Ich kenne diese Indianer.«

»Aber man muß doch bedenken, daß dieses Land einmal ihnen gehört hat …«, versuchte ich ihn zu unterbrechen.

»Unsinn. Erzählen Sie mir nichts. Die Geschichte ist voll von Invasionen. Das ist menschliche Natur. Die Indianer haben nichts gemacht aus dem Land. Sie leben wie die Tiere. Tiere, sage ich Ihnen. Wir haben vergessen, in die Verfassung hineinzuschreiben, daß die Indianer keine Menschen sind. Dann hätten wir diese Probleme nicht.«

Der Mann starrte zu den anderen Tischen hinüber, als suchte er Unterstützung. Aus den Augenwinkeln warf er mir mißbilligende Blicke zu. »Was Sie bloß an den Indianern finden. Sie können sie alle zusammenpacken und mit nach Deutschland nehmen. Viel Glück … Ich traue keinem Indianer, habe nie einen guten getroffen. Sie lügen, stehlen, betrügen. Stecken ihre Nase in alles. Die Verträge mit der Regierung haben sie gefälscht, damit sie noch mehr Geld aus uns herausholen können … Warum spreche ich überhaupt über sie? Ich will nichts mehr hören davon. Ich will nichts mehr hören.«

SEHEN SIE ECHTE INDIANER BEIM TEPPICHWEBEN, stand auf einem Schild vor einem Andenkenladen, an dem ich später vorbeifuhr. Riesige Tafeln mit Dörfern aus Rundzelten darauf und federgeschmückten Indianern ließen die Häuser der Stadt klein erscheinen und grau und nebensächlich. Man hätte glauben können, an einen Ort gekommen zu sein, wo den Weißen nichts so sehr am Herzen lag, wie die Ureinwohner des Landes zu feiern. In der Bank lächelten sie aus Ölgemälden auf mich herunter, im Supermarkt jagten sie auf billigen Drucken Büffelherden. Vor den lebendigen Indianern, die in den Straßen gingen, wandten sich die Blicke der Weißen ab. Ein Polizist verscheuchte eine Gruppe angetrunkener Navajos aus einem Park, als wären sie lästige Fliegen.

Ich fuhr durch eine Stadt, in der lebendige Indianer längst als tot empfunden wurden.

Schnurgerade nach Norden lief die Straße in Richtung Reservat. Rechts und links lag ausgemergeltes Wüstenland: Badland, Painted Desert; schlechtes Land für Viehzüchter, farbenschillernder Hintergrund für die Gruppenfotos der Touristen. »Sie betreten jetzt Navajoland«, stand auf einem rosa Schild. Wie beim Hinuntersteigen in den Canyon war es mir jedesmal, wenn ich in das Reservat fuhr. Ich durchbrach eine unsichtbare Mauer. Ich ließ eine große Trennlinie hinter mir.

Ich schaltete das Radio ein. »Tschiddi ahnidigi nihjilnigo tah khwohdoh Jim Babbitt Ford …« sagte eine Frauenstimme in Navajo. »Kaufen Sie ein neues Auto bei Jim Babbitt Ford …« Wie auf einen Regierungsbefehl hatten die Navajos vor vielen Jahren auf die ersten Werbesendungen in ihrer Sprache reagiert. In ihrer Kultur hatte es kein aggressives Anpreisen von Waren gegeben; verbalen Zwang auszuüben auf einen Menschen, war ihnen unbekannt gewesen. Nur Götter konnten durch Worte dazu gebracht werden, etwas Bestimmtes zu tun. Als nun die erste Reklame in die Hütten gedrungen war, hatten sie das wie ein Gebot empfunden und im Handelsposten nur noch die gerade angepriesene Kondensmilch verlangt.

Nach zwei Stunden Fahrt kam ich auf eine Hochfläche, die von Salbei und Wacholdersträuchern bedeckt war. Tumbleweed rollte über die Straße, »Purzelbaumkraut«, das der Wind viele Meilen über das Land trieb, bis es irgendwo an einem Zaun hängenblieb oder in einen Canyon schwebte. In einer Windhose kreisten einige wie in einem Mahlstrom. Sie wurden hochgeschleudert, schienen für einen Augenblick den Fängen des Wirbels zu entkommen und tanzten dann unter wildem Drehen weiter. Es war eine Lust, sich zu bewegen in dieser Bewegung, ziellos dahinzufahren auf den geraden Straßen des Reservats. Wenige Hütten waren zu sehen. Hin und wieder ein Korral, in der Ferne eine Herde Schafe, am Straßenrand entlangreitend ein Navajo mit einem Haarknoten, der über den Hemdkragen herabfiel. Wolken warfen Schattentupfen auf den silbrigen Salbei. Die Straße tauchte in eine rotbraune Ebene und führte mich zu einer Kreuzung mitten im Nirgendwo. Ein Habicht flog nach Norden. Ich folgte ihm.

Nach meiner Ankunft in Arizona waren mir auf einer dieser endlosen Straßen Tränen zugeschossen. Ich hatte mir den Wagen gekauft und war gleich aufgebrochen nach Süden, um den Winter in der warmen Wüste zu verbringen. Spät in der Nacht war ich von den Bergen heruntergekommen und hatte im Mondlicht die Sandweiten vor mir auftauchen sehen. Einen Fuß hatte ich durch das Seitenfenster gesteckt und mich von der warmen Luft umstreichen lassen. Ohne Scheinwerferlicht war ich dahingeschwebt über das schwarze Asphaltband zwischen dem hellen Sand. Der Jubel in mir war betörend frei gewesen von Gedanken. Den Namen Arizona hatte ich hinausgerufen in die Nacht, als wäre er ein Zauberwort.

Am Nachmittag kam ich in ein Dorf am Rande eines Canyons. Grünes Laub von Baumwollpappeln blitzte von unten herauf. Ich stellte den Wagen ab und sah zwei Navajokindern zu, die im Bachbett der Schlucht mit Hunden spielten. Aus einer Hütte stieg eine dünne Strähne blauen Rauches auf. Hin und wieder trieb mir der Wind das Bähen von Schafen zu.

In einem Waschsalon wartete ich später, daß meine Hemden in einer Trommel trocken wurden. Ich las. Neben gut zwei Dutzend Navajofrauen, die wie ich Waschtag hatten, war ich der einzige Weiße. Die Frauen trugen schweren Türkisschmuck. Ihre blauen Faltenröcke streiften den Boden. Sie wechselten kaum ein Wort miteinander.

Auf einmal krähten zwei Jungen, die zwischen den Reihen der Waschmaschine Fangen spielten, zu mir herüber, sie könnten auch schon lesen. Die Kinder schrieben ihre Namen in mein Buch und bald war eine muntere kleine Gesellschaft um mich versammelt, von den Müttern mit mißtrauischen Mienen beobachtet.

Nach einer Weile rief ein Navajo eines der Kinder zu sich, und ich sah, wie er einige Wäschestücke in einen Koffer packte. Er hatte einen braunen Biberfilzhut auf, wie ihn Rodeoreiter tragen. Keck ragten drei Zahnstocher aus seinem Hutband. Seine Bewegungen hatten etwas Pfiffig-Ungeniertes.

Auf dem Weg zum Ausgang blieb er bei mir stehen und fragte, woher ich käme. Er habe noch nie einen Deutschen gesehen, sagte er. Viele Navajos seien im Zweiten Weltkrieg in Deutschland gefallen. »Die Leute hier nennen die Deutschen Beschbitschai, das heißt Stahlhelmvolk. Mein Vater war in Gefangenschaft in Deutschland. Er sagte immer, das sei ein schönes Land. Alles wird zum Pflanzen benutzt, nichts verschwendet.«

Er schüttelte mir die Hand, stellte sich als Lee Tsosie vor und lud mich zu sich nach Hause ein, nach Big Rock, das liege so an die dreißig Meilen im Norden. Er sei arbeitslos, da könne ich ihm Gesellschaft leisten. Meinen Wagen dürfe ich neben seinem Haus parken, solange ich wolle.

Wie Ameisenhügel standen lehmbedeckte Hütten auf einem sanft geneigten Abhang, der von den Sandsteinklippen eines Tafelberges herablief. Wie ein Kind spielen würde, war alles hingestreut, ohne viel Veränderung des Gegebenen: Treibholz und Zedernpfähle für zwei Schafhürden; eine Höhle mit einer Felsengruppe war mit einigen Holzpflöcken zum Stall gemacht worden. Zwei Vorratsschuppen und mehrere Lauben waren aus bunt zusammengewürfelten Brettern und Pflöcken erbaut. Eine Frau mit rotem Rock und hellblauer Samtweste trieb weiße und schwarze Schafe in die Höhle. Bunte Stoffstreifen waren in das Fell geknotet als Kennzeichen, welcher Familie sie gehörten. Streunende Tiere, die nach letzten Bissen aus waren, liefen über Flächen nackter Erde von einem Grasbüschel zum anderen.

Aus dem harmonischen Durcheinander stach ein mit grauem Mörtel verputztes Häuschen heraus. Lee, der neben mir im Wagen saß, deutete darauf und sagte: »Fahr einmal hin. Ich kenne diese Leute. Vielleicht ist jemand zu Hause.« Als er ausstieg und das Vorhängeschloß an der Tür aufsperrte, merkte ich, daß er einen Spaß mit mir getrieben hatte. Ich mußte mich an diesen aufgedrehten Indianer erst gewöhnen, der jetzt grinsend in der Tür stand. Den ganzen Weg hatte er Witze gerissen und mich kaum zu Wort kommen lassen. Die Navajos, die ich bisher kennengelernt hatte, waren anders gewesen, schweigsamer und langsamer und fließender in ihren Bewegungen. Mit Lees übersprühender Energie konnte ich kaum Schritt halten.

Das achteckige Häuschen war so etwas wie eine moderne Form der traditionellen Navajohogans aus Holz und Lehm; Lee hatte statt dessen Ziegel und Mörtel verwendet, Dachbalken und Bretter. Es war ein Kuppelbau, der aus einem einzigen Raum bestand. Als ich eintrat, war ich überrascht, wie luftig und groß alles war. Die Decke lief in acht Trapezen schräg auf ein verglastes Oberlicht 2zu. »Jetzt kannst du einmal sehen, wie die primitiven Indianer leben«,...

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