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E-Book

Bevor der Stress uns scheidet

Resilienz in der Partnerschaft

AutorGuy Bodenmann
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783456756134
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Rund die Hälfte aller Partnerschaften geht heute wieder auseinander. Endstation Scheidung - meist schon nach einigen Jahren, im statistischen Durchschnitt jedoch nach 14 Ehejahren. Das eheliche Gelübde „bis das der Tod euch scheidet" mutet vor diesem Hintergrund nostalgisch an. Der häufigste Grund für das Ende einer Ehe ist heute in westlichen Industriestaaten nicht mehr der Tod, sondern die Scheidung. Obgleich viele Faktoren in einem komplexen Zusammenspiel für eine Scheidung verantwortlich sind, zeigen viele Studien, dass Stress eine herausragende Rolle spielt. Stress kann als einer der häufigsten Auslöser für Scheidungen gesehen werden. Er kann dabei sowohl für den schleichenden Zerfall verantwortlich sein als auch als punktueller Auslöser für eine Trennung fungieren. In jedem Fall stellt er heutzutage eine der zentralen Herausforderungen für Partnerschaften dar. Der Paartherapeut und Psychologe Guy Bodenmann zeigt die Ursachen auf, aber bietet vor allem konkrete Hilfestellungen für Paare, die dieser Bedrohung frühzeitig oder auch in einer akuten Krisensituation begegnen möchten. Wissenschaftlich fundiert und anhand von vielen Beispielen anschaulich dargestellt bietet dieser Ratgeber echte Hilfe für ein glückliches und erfülltes Leben in Partnerschaft, Ehe und Familie.

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Leseprobe

Liebe will gepflegt werden


Die Liebe verändert sich mit der Zeit. Während zu Beginn Leidenschaft und Faszination im Vordergrund stehen, mündet die Liebe längerfristig in ruhigere Gewässer und zeichnet sich mehr durch gegenseitiges Verständnis, emotionale Intimität und Verbundenheit aus. Doch langfristige Liebe ist möglich. Allerdings nur bei regelmäßiger, sorgfältiger Pflege.

Lassen Sie mich dies am Beispiel einer Pflanze als Metapher für die Liebe verdeutlichen. Damit die Pflanze gedeihen und ihre Schönheit entfalten kann, braucht sie Pflege. Man muss sie gemäß ihren Bedürfnissen gießen, düngen, ans Licht oder in den Schatten stellen, ab und zu die Erde und den Topf wechseln, sie gegen Ungeziefer behandeln oder vor Durchzug oder Haustieren schützen. Die Pflege einer Pflanze erfordert also zum einen Zeit, Engagement, aber auch Kompetenzen und das Gespür und/oder das Wissen, was die Pflanze braucht, um gesund zu bleiben und zu wachsen.

Genauso verhält es sich mit der Liebe. Die Liebe muss gepflegt werden, man muss in sie investieren, sie täglich umsorgen. Ansonsten verkümmert sie, langsam und schleichend, oder sie geht abrupt zugrunde.

Damit die Liebe die Zeit überdauert, muss sie genährt und gepflegt werden, und zwar nicht in Form einer oder zweier großer Aktionen im Jahr, sondern durch tägliche Aufmerksamkeiten und ein konstantes Bemühen um das Wohlergehe der Liebe.

Den meisten Paaren leuchtet es durchaus ein, dass man die Liebe wie eine Pflanze pflegen sollte. Doch warum tut man es nicht? Dafür gibt es hauptsächlich drei Gründe:

  • Viele glauben, die Liebe sei einfach da, man müsse nichts tun, und deshalb tun sie dann auch nichts.
  • Einigen fehlen die Kompetenzen (der «grüne Daumen» für die Liebe). Sie lassen die Liebe verkümmern, weil sie nicht wissen, was sie tun sollten, und dann gar nichts tun oder das Falsche.
  • Die meisten vernachlässigen die Pflege der Liebe wegen Alltagsstress. Sie haben keine Zeit für die Liebe, sind zu wenig offen für ihr Flüstern oder ihre Rufe, die leise oder laut verhallen. Sie haben keine Zeit hinzuspüren, was die Liebe brauchen würde, keine Zeit, sich um die Liebe zu kümmern, keine Zeit zu realisieren, wie die Liebe zugrunde geht.

Treffen alle drei Gründe aufeinander, geht es umso schneller und mit größerer Sicherheit bergab.

Stress spielt beim Vernachlässigen der Pflege der Liebe eine große Rolle. Unter Stress hat man kein Sensorium für die Pflege, die Zeit raubt und einen beansprucht. Man möchte seine Energie und Kräfte anders nutzen, besonders dann, wenn man gar nicht realisiert, wie fragil die Liebe ist und wie viel Zeit und Fürsorge sie benötigt.

Was viele glauben: Man muss nichts Besonderes für die Liebe tun


Viele betrachten die Liebe als etwas Gegebenes, als etwas, das man hat und das einem bleibt. Nur wenige machen sich Gedanken darüber, wie diese Liebe zum Partner entstand, warum man diesen Menschen nicht einfach mag, wie viele andere, sondern liebt, dieses ganz spezielle Gefühl für ihn aufbringt, das sich von allen anderen Gefühlen unterscheidet. Die meisten genießen dieses Gefühl, schwelgen darin, doch nur selten stellen sie sich die Frage, was man denn tun muss, um dieses Gefühl zu erhalten.

Pauline und Johannes haben dies am eigenen Leib erfahren. Sie hatten sich bereits im Gymnasium kennengelernt. Ihre romantische Liebesbeziehung mündete gegen den Willen ihrer Eltern, die fanden, dass sie noch zu jung seien, bald in eine Ehe. Bereits mit 20 und 22 waren sie verheiratet. Beide machten nach dem Abitur Karriere, sie als Biologin, später mit eigener Umweltberatungsfirma, er als Jurist mit einem erfolgreichen Anwaltsbüro. Das Leben bot ihnen Erfolg, Bewunderung, Status – ein Leben in Eleganz und Reichtum. Beide sahen zudem gut aus, kamen beim anderen Geschlecht gut an und wurden von vielen um ihre harmonische Beziehung beneidet. Sie waren ein Traumpaar. Für Verblüffung sorgte immer wieder, dass sie bereits so lange zusammen waren. Alles schien so ohne Anstrengung zu funktionieren. Auch Pauline und Johannes machten, gemäß ihren Aussagen, nichts Besonderes für ihre Liebe. «Ich tue mehr für meine körperliche Hygiene und Schönheit als für die Liebe zu Johannes. Die ist einfach da, die gehört zu uns», pflegte Pauline lachend zu sagen, wenn sie zum Geheimnis ihrer Liebe befragt wurde.

Kurz vor dem vierzigsten Geburtstag von Pauline kam dann der Paukenschlag. Eine Freundin machte sie darauf aufmerksam, dass sie Johannes abends in unmissverständlicher Pose mit einer anderen Frau gesehen habe. Pauline war schockiert. Sie fing an, heimlich Johannes’ Mobiltelefon zu überprüfen, seine Textnachrichten zu lesen, nach weiblichen Namen zu suchen. Ihr fiel auf, dass Johannes weniger sexuelles Verlangen zeigte – er sei nach der Arbeit zu müde und wünsche einfach seine Ruhe und Erholung. Er schien ihr gegenüber weniger aufmerksam, häufig in aufgeräumter Stimmung und doch irgendwie fahriger und zerstreuter zu sein. Oft klagte er über den unmenschlichen Stress am Arbeitsplatz, die große Verantwortung, die ihn erdrücke, und die Belastung aufgrund des geplanten Ausbaus der Anwaltskanzlei. Pauline, die ihm diesen Stress immer abgenommen hatte, wurde misstrauisch, stellte ihm nach der Arbeitszeit nach und fing an, ihn zu kontrollieren.

Das Beispiel zeigt, dass auch eine schon lange anhaltende schöne und starke Liebe nicht vor Scheitern gefeit ist. Pauline und Johannes vernachlässigten die Beziehungspflege. Der Glanz des Erfolgs stand im Vordergrund, die stille Arbeit an der Liebe war zu wenig im Bewusstsein. Und eines Tages rächt sich das.

Der Zerfall der Liebe erfolgt in aller Regel nicht abrupt. Anzeichen dafür wären sichtbar, man könnte sie erkennen, wenn man wollte. Doch viele nehmen sie nicht wahr. Die fehlende Lust von Johannes, seine abendliche Müdigkeit, sein Rückzug, seine abnehmende Aufmerksamkeit hätten Pauline nicht entgehen dürfen. Hätte sie rechtzeitig darauf reagiert, hätte die Geschichte vielleicht anders geschrieben werden können. Beide hätten sich mehr für ihre Liebe einsetzen müssen.

Häufig fällt die Liebe der Gleichgültigkeit zum Opfer. Man glaubt, ewig auf der Liebeswelle reiten zu können, nichts Besonderes tun zu müssen, um sie zu erhalten, und ist erstaunt, wenn diese Welle einen in die Tiefe reißt. Stress macht oft blind für die Bedürfnisse der Liebe und gleichgültig.

Was einigen fehlt: Kompetenzen zur Pflege der Liebe


Kompetenzen zur Führung einer Partnerschaft sind notwendig. Es braucht Wissen, wie man miteinander umgehen sollte, wie man Konflikte anspricht, heikle Themen diskutiert, eigene Bedürfnisse einbringt, auf Bedürfnisse des Partners eingeht und wie man Alltagsprobleme löst.

Dieter und Daphne waren nach einem Sportevent zusammengekommen. Sie hatten sich über gemeinsame Bekannte kennengelernt, als sie zu einem Fußballspiel in die Stadt gefahren waren. Nach dem Spiel wurde der Sieg der eigenen Mannschaft ausgiebig gefeiert, Alkohol floss in großen Mengen. Als Dieter Daphne schließlich nach Hause brachte, war sie so betrunken, dass sie sich bis heute nicht daran erinnern kann, was anschließend geschah. Auf jeden Fall erwachte sie am nächsten Morgen im Bett mit Dieter neben sich, es war offensichtlich zum Geschlechtsverkehr gekommen. Daphne reagierte anfangs schockiert, machte sich Sorgen wegen einer möglichen Schwangerschaft und beschimpfte Dieter, sie missbraucht, ihre Betrunkenheit schamlos ausgenutzt zu haben. Dennoch ging sie schließlich eine Beziehung mit Dieter ein, der durchaus seine Qualitäten hatte und aktiv um sie zu werben begann. Die gemeinsamen Treffen waren stets sexuell motiviert, der Sex war gut, doch außer Fußball hatten die beiden kaum gemeinsame Interessen. Sie verliebten sich zwar ineinander und empfanden eine starke und sehr leidenschaftliche gegenseitige Zuneigung. Die Kommunikation war jedoch oberflächlich und entgleiste rasch. Insbesondere wenn Alkohol im Spiel war, arteten Streitereien regelmäßig aus. Daphne kannte das von zu Hause, auch ihr Vater war häufig grob bis gewalttätig, wenn er angetrunken war. Ihre Mutter hatte zu allem geschwiegen, sich zurückgezogen und alles hingenommen. Auch Daphne wagte nichts zu sagen, ertrug Dieters Launen und Grobheiten, doch heimlich zahlte sie ihm alles zurück. Sie zerstörte vermeintlich unabsichtlich Sachen von ihm, von denen sie wusste, dass sie ihm lieb und teuer waren, oder warf sie weg, machte ihn vor Kollegen lächerlich oder versäumte Termine, um ihn förmlich im Regen stehen zu lassen.

Das Beispiel zeigt, dass es für eine überdauernde Liebe mehr braucht als nur körperliche Anziehung. Es bedarf zum einen einer gewissen Grundsubstanz, doch vor allem auch der Kompetenzen, um die Liebe zu pflegen. Dieter und Daphne waren vor allem sexuell verbunden, ihre Liebe gründete auf körperlichen Begegnungen – dem Rausch der Hormone. Da­rüber hinaus gab es zu wenige Berührungspunkte, doch vor allem keinen emotionalen Tiefgang. Dem Paar fehlte die Kompetenz, seine Liebe zu vertiefen und zu erhalten. Die eskalierenden Streitigkeiten erstickten sie und raubten Dieter und Daphne die Grundlage, über die Sexualität hinaus weitere Berührungspunkte zu finden. Mit einer angemesseneren Kommunikation wären die beiden vielleicht trotz des überstürzten Starts in der Lage gewesen, eine andere Paarbiografie zu schreiben.

Es braucht Kompetenzen, um die Liebe zu pflegen. Da­bei spielt die Kommunikation eine Schlüsselrolle. Unter Stress erfolgt sie allerdings oft in reduzierter Form und oberflächlicher.

Was die...


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