Abbildung 1: Maximilian, 14 Jahre, 1,78 Meter, 147 Kilo
(Lache, 2004)
Maximilian, 14 Jahre, 1,78 Meter, 147 Kilo:
„Das Schlimmste waren die Fressattacken. Solche Anfälle hatte ich fünf- oder sechsmal im Monat. Meist nachmittags. Da kam alles zusammen: Frust, Langeweile, Stress, Streit in der Schule oder zu Hause. Dann hab ich schon mal ein Packl Toastbrot mit Butter, Käse oder Wurst und zwei Pizzen in mich reingestopft. Und hinterher genehmigte ich mir noch drei Magnum-Eis und einen halben Käsekuchen. Das hat meine Mutter natürlich gemerkt. Mein Stiefvater hat daraufhin ein Zahlenschloss am Kühlschrank angebracht, aber nur mit einem dreistelligen Code. Den hatte ich schnell geknackt. Mit zwölf war ich sechs Wochen zur Kur in einer Klinik für übergewichtige Kinder. 13 Kilo wog ich am Ende weniger. Aber die hatte ich zu Hause schnell wieder drauf und sogar noch 32 Kilo zusätzlich. Als ich hier nach Berchtesgaden kam, wog ich 153 Kilo. Ich esse jetzt anders. Viel mehr Salat. Und ich habe die Menge reduziert. Zu einer Schwarzwälder Kirschtorte würde ich zwar auch heute nicht nein sagen. Aber ich würde eben nur noch zwei Stückchen essen und nicht mehr gleich die halbe Torte“ (Lache, 2004)
Übergewichtigkeit und Adipositas (Fettsucht) im Kindes- und Erwachsenenalter nehmen weltweit alarmierende Ausmaße an, die WHO bezeichnete 1998 die Übergewichtigkeit als neue globale Epedemie, die EUFIC sprach 1995 von „Adipositas als Krankheit des Milleniums“. Mehr als eine halbe Milliarde Menschen auf der Welt sind übergewichtig (Barnstorf & Jäger, 2005, S. 16). Niederländische Forscher fanden heraus, dass die Lebenserwartung eines Übergewichtigen ebenso reduziert ist wie die eines Rauchers. Auf Zigarettenschachteln findet der Raucher jedoch deutliche Warnhinweise wie „Rauchen schadet Ihrer Gesundheit“, im Gegensatz dazu warnt niemand vor Schokoriegeln. In den USA sterben jährlich 280000 Menschen an Adipositas und ihren Folgekrankheiten, sie ist damit die zweithäufigste Todesursache in den Staaten nach dem Rauchen (AGA, 2004, S. 10).
Gerade in den Industrienationen sind die Auftretungshäufigkeiten in den letzten Jahren deutlich gestiegen. So beträgt zum Beispiel in den USA die Prävalenz (Vorkommen) von Adipositas in einigen Subgruppen der Bevölkerung wie zum Beispiel den „Schwarzen“ oder den „Hispanics“ bereits 50%. In Deutschland werden nach Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums im Jahre 1994 ca. 20% der Bevölkerung als adipös (fettsüchtig), weitere ca. 50% als übergewichtig eingestuft. Somit gehört Deutschland im internationalen Vergleich zu den Ländern mit einer sehr hohen Adipositasprävalenz (Barnstorf & Jäger, 2005, S. 16). Doch nicht nur die Prävalenz ist ansteigend, sondern auch die Ausmaße der Adipositas verstärken sich (Müller, Mast, Bosy-Westphal & Danielzik, 2003, S. 35)
Abbildung 2 verdeutlicht, dass es im Laufe der Jahrzehnte immer mehr extrem adipöse Menschen gab und geben wird.
Abbildung 2: Veränderung des BMI-Median von 1960 bis 2040 (RKI, 2006)
Adipositas hat sich also auch in der BRD zu einer zahlenmäßig bedeutsamen Gesundheitsstörung entwickelt. Der Berufsverband für Kinderheilkunde und Jugendmedizin teilte mit, dass rund 20% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland an Fettsucht leiden. Diese Zahl habe sich seit Mitte der 70er Jahre vervielfacht. Schlagzeilen wie „Generation XXL“ oder „Jedes sechste Kind zu dick“ sind in der Presse gegenwärtig und weisen auf die Brisanz der Thematik hin. Eine Untersuchung der Universität Jena und dem Gesundheitsamt Halle zur Entwicklung der Fettleibigkeit ergab, dass bei deutschen Kindern sich seit 1985 der Anteil fettleibiger Jungen in Deutschland verdoppelt, bei den Mädchen sogar verdreifacht hat (Gottwald, 2002).
Abbildung 3: Adipöses Kind (Echo-online, 2006)
Die Bogalusa Heart Study an Kindern und Jugendlichen im Alter von 2 bis 17 Jahren belegte, dass bei einer Nachuntersuchung 17 Jahre später 77% der fettleibigen Kinder als Erwachsene immer noch fettleibig waren. Auch die Kiel Obesity Prevention Study (KOPS) hat erwiesen, dass 87,5% übergewichtiger Kinder im Alter von 5 bis 7 Jahren in der Pubertät ebenfalls fettleibig geblieben sind. Es kommt also zu einem bedeutsamen Transfer des Übergewichts vom Kindes- und Jugendalter ins Erwachsenenalter (Spitzer, 2005). Besorgniserregend ist dieser Trend zur Adipositas gerade bei Kindern und Jugendlichen, da mit dem Übergewicht im jungen Alter das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko (Risiko für einen erhöhten Krankheitsstand und einer höheren Sterblichkeit) im Erwachsenenalter steigt (AGA, 2004, S. 10).
„Wer es also als Kind nicht schafft abzunehmen, hat ein deutliches Risiko, spätestens als Erwachsener Dauergast beim Arzt zu sein oder früh zu sterben“ (Lache, 2004).
Mit der Morbidität steigt zudem auch die Krankheitslast (Komorbidität) (AGA, 2004, S. 11). Die Übergewichtigen werden also krankheitsanfälliger und leiden dabei öfter an mehreren und/oder schwereren Krankheiten (siehe 2.5), was eine enorme Belastung des Gesundheitssystems mit sich bringt (siehe 2.3). Es wird immer deutlicher, dass sich Adipositas mittlerweile zu einer chronischen Krankheit entwickelt hat. Der chronische Krankheitswert der Adipositas resultiert im Kindes- und Jugendalter wie auch im Erwachsenenalter sowohl aus den Folgekrankheiten, den funktionellen und individuellen Einschränkungen sowie den psychosozialen Beeinträchtigungen (ebd., 2004, S. 10), denn nicht nur der schwer beladene Körper nimmt Schaden, auch die Seele leidet mit (Lache, 2004). Letzteres ist die Ursache eines vom gesellschaftlichen Schönheitsideal abweichenden Erscheinungsbildes des übergewichtigen Menschen. Die Gesellschaft empfindet einen jungen, schlanken, sportlichen Menschentypus als schön, erfolgreich und gesellschaftlich anerkannt, hingegen entsprechen Übergewichtige nicht dieser Norm (Salzmann, 2001, S. 25).
„Wer erst einmal als zu dick gilt, wird in der Öffentlichkeit wie ein armer Sünder gegeißelt und zur Buße verpflichtet“ (Oertl, 2006, S.14)
So würden in einigen Bundesstaaten der USA die Werte des BMI (Body Mass Index, siehe 2.4.1) von Schulkindern sogar im Internet veröffentlicht und die Eltern bekämen regelmäßig „Fettbriefe“, berichtet Oertl (2006, S. 14). Übergewichtige Kinder werden oft ausgegrenzt, belächelt und beleidigt. Sie müssen sich jahrelang Lästereien von Gleichaltrigen anhören, werden als Fettkloß, Walross oder Sumo-Ringer beschimpft. Viele dieser Kinder begehen dann einen fatalen Fehler: Die seelischen Verletzungen, die sie durch die Gesellschaft erfahren, versuchen sie durch „Frustfuttern“ zu lindern und geraten somit in einen Teufelskreis. Johannes Hebebrand, ein Marburger Kinderpsychiater, fand heraus, dass 40 Prozent der adipösen Jugendlichen an Angststörungen und 43 Prozent an Depressionen leiden. Ihr Selbstmordrisiko sei deutlich erhöht (Lache, 2004).
Bruns-Philipps & Dreesman (2004, S. 9) unterteilen in ihrem Bericht über die wirtschaftlichen Folgen von Übergewicht und Adipositas die entstehenden Kosten in direkte Kosten (Kosten für Prävention, Diagnostik, Therapie, Rehabilitation, spezielle Ernährungsformen …), indirekte Kosten (Kosten durch Ressourcenverlust infolge von Arbeitsunfähigkeit, vorzeitigem Eintritt in den Rentenstand, vorzeitigem Tod …) und sogenannte intangible Kosten (Kosten auf der psychosozialen Ebene, zum Beispiel durch eine verminderte Lebensqualität oder die soziale Abhängigkeit, …)
In den bisher durchgeführten internationalen Studien zu den Krankheitskosten von Übergewichtigkeit wurden die direkten und indirekten Kosten unvollständig und die intangiblen Kosten gar nicht berücksichtigt. Deshalb ist bei den Angaben der übergewichtsabhängigen Krankheitskosten von einer Unterschätzung auszugehen. Unter Einbeziehung lediglich der direkten Kosten, ohne Berücksichtigung der vielfältigen Folgekrankheiten, entstanden im Jahr 1990 nach einer Analyse im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit in der BRD Kosten in Höhe von 660 Mio. DM (ca. 330 Mio. Euro). Werden hierzu die Kostenanteile für die Folgeerkrankungen addiert, liegen die Ausgaben im selben Jahr zwischen 11,1 Mrd. DM (ca. 5,5 Mrd. Euro) und 19,3 Mrd. DM (ca. 9,1 Mrd. Euro). Lache (2004) berichtet von Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen von rund 30 Mrd. Euro jährlich zur Behandlung übergewichtiger und fehlernährter Patienten. In Staaten wie USA, Kanada, Australien und Neuseeland liegt Studien zufolge der Anteil von Übergewicht und seinen Folgen an den gesamten Gesundheitsausgaben bei 1,3% bis 6,8%, ein Kostenrahmen, der auch in der Bundesrepublik realistisch ist. Basierend auf Schätzungen beläuft sich dieser Anteil hierzulande auf 3,1% - 5,5% in den alten Bundesländern und 5,9% - 10,4% in den neuen Bundesländern (ebd.,...