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Bibliolog

Impulse für Gottesdienst, Gemeinde und Schule. Band 3: Handlungsfeld Religionsunterricht

AutorUta Pohl-Patalong
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783170311374
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
In recent years, the ?Bibliolog= approach has become increasingly important in schools. Religious education teachers have reported that with Bibliolog, it is much easier to cope with one of the greatest challenges in the teaching of religion today & dramatizing an encounter with the Christian tradition in an interesting and true-to-life way and stimulating independent discussion. This method also offers considerable opportunities in religiously heterogeneous groups. The basic elements of the approach are presented comprehensively in the books Bibliolog 1 (Basic Forms) and Bibliolog 2 (Structure). The present volume addresses specific conditions in the school setting and provides specific educational aids for working with Bibliolog in religious education.

Prof. Uta Pohl-Patalong teaches religious education and practical theology at the University of Kiel.

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Leseprobe

Kapitel 2: Charakteristika des Bibliologs – zum Verständnis des Ansatzes


2.1  Die Lehrkraft als Bibliologin


Gegenüber manchen Aspekten der traditionellen Lehrer*innenrolle erfordert der Bibliolog eine Umorientierung. Manche Elemente, die sonst häufig die Unterrichtsvorbereitung und den Unterricht prägen, verändern sich mit dem Bibliolog, denn

• er orientiert sich nicht an überprüfbaren Bildungsstandards,

• er verfolgt keine operationalisierbaren Lernziele (obwohl er natürlich mit bestimmten Absichten eingesetzt wird und Ergebnisse erreicht!),

• er vermittelt keine vorher feststehenden Inhalte,

• er führt nicht zu einer Überprüfung des Gelernten,

• es wird keine Leistung bewertet.

Denn im Bibliolog legen die Schüler*innen die Bibel aus. Sie entscheiden, welche Aspekte des biblischen Textes in einem Bibliolog wichtig werden, wie diese gedeutet werden und was in einem Bibliolog herauskommt. Sie haben das Recht, Elemente des Textes oder auch Interpretationen, die in den Augen der Lehrkraft zentral sind, zu ignorieren und andere hervorzuheben, die die Lehrkraft vorher nicht gesehen hat (und möglicherweise im Nachhinein immer noch nicht zentral findet). Die Schüler*innen lernen nicht, was die Lehrkraft zuvor erarbeitet hat und ihnen methodisch geschickt vermittelt, sondern sie lernen in und aus der Begegnung mit dem biblischen Text selbst. Dabei darf jede Schülerin und jeder Schüler den Text anders verstehen und etwas anderes aus der Begegnung mit ihm mitnehmen. Was dies ist, wird nicht überprüft und muss auch nicht festgehalten werden. Ob und wie sich die Schüler*innen hörbar beteiligen, wird nicht bewertet, ebenso wenig wie ihre Äußerungen in ihrer Qualität eingeschätzt und nach dieser beurteilt werden. Bibliolog ist ein bewertungsfreier Raum im Klassenzimmer.

Dies betrifft allerdings nicht nur den Bibliolog. In ähnlicher Weise gilt dies auch für andere bibeldidaktische Ansätze, für Meditationen und performative Elemente, für das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen und teilweise auch für den freien Austausch – auch in diesen Zusammenhängen wird nicht vermittelt, bewertet und überprüft. Gerade im Fach Religion, das mit existenziellen Themen zu tun hat und in dem es stärker um die Person geht als in anderen Fächern, gibt es solche bewertungsfreien Räume – und Lehrkräfte entwickeln in der Regel mehr oder weniger bewusst eine Orientierung, was in die Bewertung einfließt und was nicht.

Im Bibliolog ist die Rolle der Lehrkraft, wenn sie den Bibliolog anleitet, jedoch besonders klar definiert. Auch wenn sie inhaltlich zurücktritt, ist sie die entscheidende Instanz, um den Schüler*innen eine ertragreiche Begegnung mit dem Bibeltext zu ermöglichen, in der sie wichtige Einsichten und Erkenntnisse gewinnen. Denn Erkenntnisprozesse von Subjekten benötigen Impulse von außen und Rahmenbedingungen, die Strukturen setzen und die Wahrnehmung produktiv lenken.

Von ihrer Vorbereitung einerseits und ihrer Durchführung des Bibliologs andererseits hängt viel ab, allerdings nicht im Sinne eines vorhersehbaren Ergebnisses: Ob die Begegnung zwischen Text und Teilnehmenden produktiv wird, bleibt immer unverfügbar. Auch ein noch so guter Bibliolog ist dafür keine Garantie. Ohne eine gute Vorbereitung und eine kompetente Durchführung wird es jedoch unwahrscheinlich, dass die Schüler*innen in einem Bibliolog dem Text so produktiv begegnen, dass sie viel davon mitnehmen. Ein guter Bibliolog ist sozusagen die »Bedingung der Möglichkeit« für das Gelingen einer Begegnung zwischen Schüler*innen und Text.

Viele Aspekte dieser komplexen Rolle finden sich im Bild einer Reiseleitung wieder. Eine Reiseleitung initiiert und plant die Reise, bietet sie an und führt sie durch – sie ist verantwortlich dafür, dass sie überhaupt stattfindet. Damit sie für die Mitreisenden ein gutes Erlebnis wird, hat sie sie sorgfältig vorbereitet. Die Reiseleitung kennt das Land gut und hat entschieden, was sich für die Gruppe besonders lohnt – wie die Route verläuft, wo angehalten wird und wie diese Orte und Landschaften dann den Teilnehmenden nahegebracht werden. Ihre Hinweise und Informationen bringen den Mitreisenden das Land und bestimmte Aspekte näher und helfen es zu verstehen und viel von der Reise mitzunehmen. Die Reiseleitung prägt aber auch die Atmosphäre in der Gruppe, hat das Wohlbefinden aller im Blick und achtet nicht nur auf das »Was«, sondern auch auf das »Wie« der Reise, des Umgangs miteinander und mit dem Land. Und – nicht zu unterschätzen – sie gibt auch Halt und Stabilität gegenüber den ungewohnten, manchmal überraschenden und vielleicht manchmal auch irritierenden Begegnungen. Ihr ist es wichtig, dass es für alle ein gutes Reiseerlebnis wird, das in dem Sinne nachhaltig ist, dass wirklich etwas für sich gewonnen und mitgenommen wird. Ihre Rolle stellt daher eine wichtige Gelingensbedingung der Reise dar.

Und gleichzeitig hat sie es nicht in der Hand, wie die Reise wirklich verläuft und vor allem, was die Teilnehmenden dabei erleben und mitnehmen. Bei aller sorgfältigen Vorbereitung kann es anders laufen als geplant. Wie die Mitreisenden mit ihren Impulsen und ihren Erläuterungen umgehen, wohin sie letztlich blicken, was sie dabei wahrnehmen oder ignorieren und wie sie dies deuten, liegt bei ihnen selbst – und ist auch jeweils individuell unterschiedlich. Es ist kein sinnvolles Ziel einer Reiseleitung, dass alle mit den gleichen, vorab bestimmten Eindrücken und Erkenntnissen von der Reise zurückkehren. Wohl aber möchte sie, dass alle eine wertvolle und inspirierende Begegnung mit dem Land, seiner Kultur und seinen Leuten hatten, die nach- und weiterwirkt – und dass sie idealerweise ein anderes Verhältnis zu diesem Land haben als zuvor.

2.2  Das Rollenprofil und die geforderten Kompetenzen


Was bedeutet dies für die Rolle der Lehrkraft im Bibliolog im Einzelnen?

In der Vorbereitung entscheidet die Lehrkraft, auf welche Aspekte des Textes die Wahrnehmung der Schüler*innen gelenkt wird. Sie bestimmt, welche sozialgeschichtlichen Informationen die Schüler*innen bekommen, damit sie den Text kompetent deuten können. Sie wählt die Szenen, die Rollen und die Fragen aus und eröffnet damit bestimmte Spielräume – und andere nicht. Sie ist dafür verantwortlich, diese Spielräume so weit anzulegen, dass sie wirklich mit eigenen und ganz unterschiedlichen Deutungen gefüllt werden können. Sie darf sie aber auch nicht so weit öffnen, dass sich die Äußerungen in der Weite verlieren und produktive Deutungen erschwert werden. Diese gute Balance sinnvoller Lenkung und Offenheit erreicht sie vor allem durch gut gewählte Formulierungen der Fragen.

Würde Josef gefragt: »Wie ist es, als Nomade zu leben?«, wäre der Spielraum zu weit. Produktive Deutungen des Textes wären dann kaum zu erwarten, zumal wenn man die Geschichte nicht kennt. Vermutlich kämen Antworten wie »langweilig« oder »ich mag kleine Ziegen gerne« oder »es ist immer so heiß«. Diese sind vom zufälligen Hintergrundwissen über das Nomadentum abhängig, vor allem aber führen sie nicht wirklich tiefer in die Geschichte hinein und bieten nur ansatzweise Deutungen des Textes.

Würde Josef hingegen gefragt: »Was meinst du, was dir Gott mit diesen Träumen sagen will?«, wäre der Spielraum zu eng. Damit würde schon vorausgesetzt, dass Josef den Traum als göttliche Botschaft erkannt hat und es werden nur Antworten auf theologischer Ebene ermöglicht. Den Schüler*innen wird damit zum einen die Chance genommen, den Bezug zu Gott selbst ins Spiel zu bringen, zum anderen haben sie nicht die Möglichkeit zu entscheiden, ob sie Josef an dieser Stelle der Geschichte stärker als Teil einer Familie, als (stolzes oder unsicheres) Individuum oder als von Gott besonders auserwählten Menschen verstehen. Dass der Text es offen lässt, ob der 17jährige Josef seine Träume mit Gott und der Rolle, die Gott für ihn vorgesehen hat, in Verbindung bringt, bildet das weiße Feuer, das der Bibliolog schüren, nicht aber ersticken soll.

Insofern prägt die Lehrkraft den Erkenntnisprozess der Teilnehmenden nicht unwesentlich – ohne dass sie ihn festlegt. Wichtig dabei ist, dass zum einen nur so viel Prägung vorgenommen wird wie wirklich nötig. Zum anderen sollte die Prägung bewusst und verantwortet vorgenommen werden. Leitend dafür sind weniger die persönlichen Vorlieben der Leitung, sondern zum einen die Gruppe und ihr Entdeckungsprozess und zum anderen der Text. An welchen Stellen die Handlung angehalten wird und welche Rolle in welcher Weise befragt wird, sollte danach entschieden werden, welche Aspekte – nach bestem Wissen und Gewissen – für das Verständnis dieses Textes in dieser Lerngruppe besonders relevant erscheinen. Dies ist jedoch nicht mit der Suche nach der einen »Botschaft« des Textes (oder dem einen »richtigen« Bibliolog für diesen Text) zu verwechseln. Jeder (prinzipiell geeignete) biblische Text lässt sich auf verschiedene gute legitime Weise bibliologisch gestalten und es muss jeweils neu entschieden werden, warum welche Variante für welche Gruppe gewählt wird. Für diese Entscheidung ist das zentrale Kriterium die Frage, was voraussichtlich der Begegnung dieser Lerngruppe mit diesem Text bestmöglich dient.

 

In der Durchführung setzt die Lehrkraft das Setting des Bibliologs und ist dafür verantwortlich, dass dieses durchgehalten wird – so, dass sich alle wohl und sicher fühlen können und Teilnehmende nicht durch Äußerungen anderer verletzt werden. Konkret führt sie dann in die biblische Geschichte hinein und eröffnet den Raum für die Identifikation. Sie agiert bereits im Prolog und in der...

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