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Bilder des Klaus Störtebeker

Zur Austauschbarkeit von Heldendarstellungen

AutorKurt Dröge
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl164 Seiten
ISBN9783752889680
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Wie ein Seeräuber und Gleichteiler Klaus Störtebeker, so es ihn gegeben hat, ausgesehen haben könnte, ist vollkommen unbekannt. Wenn über Jahrhunderte hinweg von ihm erzählt worden ist, haben sich die Menschen Vorstellungsbilder von ihm gemacht. In Form von konkreten Abbildungen wurden solche Vorstellungen verfestigt, vor allem in einem Kupferstich-Porträt, das bis heute allgemein bekannt ist. Störtebeker ist aber im 19./20. Jahrhundert auf vielfältigste Weise auch anders abgebildet worden: als nahezu austauschbarer Held, dessen Figur stets von anderen Heldengestalten beeinflusst wurde. Die Darstellung zeigt auf der Basis von 125 Abbildungen, welche Rollenbilder oder Figurentypen des Nord- und Ostseepiraten entwickelt worden sind und wie sie in den verschiedenen Phasen des 20. Jahrhunderts von Grafikern und Illustratoren den Zeitumständen angepasst wurden.

Sammler und Autor, der vornehmlich an historischer Alltagskultur interessiert ist.

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Leseprobe

Kurze Hinweise
zum Forschungsstand und
zur literarischen Entwicklung


Zum „historischen“ Störtebeker in einer Zeit, als das Handelskapital als neue Macht und das städtische Patriziat als neue Oberschicht entstanden, ist in den letzten Jahrzehnten eine intensive Diskussion in Gang gekommen, die als noch längst nicht abgeschlossen gelten darf. Denn es dürfte in Zukunft auch noch weitere „neue“ oder neu interpretierbare Quellen historischer oder auch archäologischer Art geben, die zu Mutmaßungen über den „Seeheld“, „Admiral“, „Piratenhäuptling“, „Vitalier“, „Edelmann“ oder „gefallenen Kaufmann“ führen können.5 Sie spielen im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle.

Anders ist dies bezüglich der Rezeptionsgeschichte der erzählten Figur des Störtebeker. Dieses Objekt der Verherrlichung taucht seit dem 19. Jahrhundert als Bestandteil „wissenschaftlich“-dokumentarischer Erörterung auf im Rahmen des – vergeblichen – Versuches, ihren historischen Realitätsgehalt aufzuhellen (mit einem Zentrum in Hamburg). Zugrunde liegt dieser Beschäftigung seit eh und je die sagenhafte Überlieferung einer hauptsächlich in norddeutschen Küstengebieten angesiedelten Heldenfigur, nicht ohne Vorläufer und Überschneidungen mit anderen Heldengeschichten.

Als Gattungen dieser Überlieferung dienen bis heute die Erzählung und das Bild, in einer kleinen Nische seit längerem das Schauspiel, in Richtung Gegenwart ergänzt durch den Film.

Der Freibeuter ist in nahezu allen überlieferten Geschichten umgeben von seinen Alter Egos Gödecke Michel, typisiert zum deutschen Kraftmenschen, und Magister Wigbold, dem Freigeist und Intellektuellen. Störtebeker repräsentiert die Ausbruchs-Sehnsucht des neuzeitlichen Bürgertums in Verbindung mit einem sozial eingestellten Gutmenschentum, welches nur außerhalb der neuzeitlich-bürgerlichen Regelwerke mit ihren Klassenstrukturen denkbar ist. Eine besondere, weitere Schiene stellt seine Vereinnahmung für frühe sozialistische Ideen und Visionen dar, bis hin zur kommunistischen Vitalier-Gesellschaft und ihrer Fortsetzung in der DDR-Propaganda, unter anderem repräsentiert durch die Störtebeker-Festspiele auf Rügen.

Klaus Störtebeker kann in bürgerlichen Gruppierungen und Überlieferungszusammenhängen nur Held sein jenseits der Grenze zur Legalität. In einigermaßen pluralistischen oder gar demokratischen Gesellschaftsformationen bildet das nicht wirklich ein Problem, weil die Exotik und Fiktionalität seiner Starkheits- und Gerechtigkeitsträume allenfalls als tragisch geformtes Ventil und damit letztlich immer systemerhaltend fungiert und funktioniert. Dieses Funktionsgefüge macht in totalitären Zusammenhängen mit klaren ideologischen Vorgaben größere Schwierigkeiten und fordert entweder so etwas wie eine größere Klarheit oder eine bewusste Unklarheit des literarischen oder Bildenden Künstlers.

Systematisch und nahezu erschöpfend aufgearbeitet worden ist seitens der Germanistik die literarische Überlieferung Störtebekers im Anschluss an die in groben Zügen bekannte mündliche Tradierung des auf diese Figur bezogenen Sagenstoffes. Dieter Möhn hat sich „die Faszination“ des erzählerischen Stoffes Störtebeker mitsamt seinen Modifikationen „in der deutschen Literaturgeschichte“ zu eigen gemacht6 und die bekannten literarischen Bearbeitungen der letzten etwa 200 Jahre in Gestalt einer kommentierten Bibliografie zusammengestellt.7 Seine Auflistung hat als ein Ausgangspunkt für die hier vorgestellte Sammlung gedient und die von ihm hergestellten Bezüge liegen den Abschnitten im vorliegenden Büchlein an zahlreichen Stellen zugrunde, indem sie, zum Teil vergleichend, auf die Bildüberlieferung ausgeweitet wurden.

Unabhängig von der literarhistorischen Bearbeitung hat zuvor, bereits 1979, eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem „Phänomen Störtebeker“ stattgefunden. Die breit angelegte Analyse von Gerrit Confurius8 stellte die Figur vor dem Hintergrund marxistischer Geschichtsauffassung in sowohl historische als auch überlieferungsgeschichtliche und psychologisch ausdeutende Beziehungszusammenhänge:

„Ob Störtebeker nun frondierender Kleinadliger, aufständischer Bauer oder revoltierender Kleinbürger war, oder ob er sich vom kriegerischen Söldner zum Sozialrebellen gewandelt hat, muss wohl ungeklärt bleiben. In der Legende ging es weniger um seine tatsächliche Herkunft und Biographie als vielmehr um den Effekt seines Handelns. Wichtig war, dass er die Großbürger schädigte. Dass sich die Legende um eine Randfigur des Geschehens ranken konnte – der führende Kopf der Organisation war wahrscheinlich Gödeke Michael – , kann als Hinweis darauf gelten, dass gerade die relative Unschärfe seiner Konturen und das Geheimnisvolle seiner Herkunft die Mystifikation seiner Person durch seine Zeitgenossen begünstigt hat. Wenn er auch zum eindeutigen Rächer der Mühseligen und Beladenen stilisiert wurde, so ist doch nicht ausgeschlossen, dass er ganz und gar keine sozialrevolutionären Motive gehabt hat. Viel wahrscheinlicher ist, dass dieser Mann, der zu einem an die heidnischen Gottheiten erinnernden Mythos erhoben wurde, in einer uns kaum vorstellbaren Brutalität mit seinen Opfern umgegangen ist, die von den Urhebern seiner Legende ignoriert worden ist. […] Später wird seine Faszination trivialisiert und dient nur noch der Auffrischung des Lokalkolorits.“9

Im Anschluss an die Ausführungen von Dieter Möhn und als Basis der nachfolgenden Beschäftigung mag die Überlieferungsgeschichte des literarischen Stoffes „Störtebeker“ wie folgt zusammengefasst werden.

Als eine Art mächtiger, überschreitender Erzählstoff mit großer Überlebensdauer ist Störtebeker anderen wichtigen Außenseiter-Stoffen zuerst mündlicher Überlieferung wie Reinke de Vos oder Eulenspiegel an die Seite zu stellen (nicht ohne Bezüge zur Figur des Narren). Seine abenteuergespickte Attraktivität des mutigen, raubeinigen Seemannes hat in verklärender und mythisierender Manier früh zu Kontinuität und einer Aufhebung seiner konkreten zeitlichen Existenz geführt sowie im Lauf der Zeit auch zum Eingang in eine Vielzahl von Gattungen, Formen und Medien.

Früh wurde dem Stoff der „Likedeeler“ (Gleichteiler) der Aspekt der sozialen Gerechtigkeit zugeschrieben und Störtebeker zum Sozialrebellen oder auch Sozialbanditen in einer „Gegengesellschaft“10 hochstilisiert, was ein Wissen auch um die ritterlichen Rebellen des Mittelalters umfasste und durchaus als Vorgriff auf den neuzeitlichen Sozialismus gesehen werden kann. Parallelen zu den Legenden oder Sagen vom Schinderhannes oder auch Eulenspiegel sind gegeben. „Wahrscheinlich war Störtebeker eine nicht so seltene soziale Erscheinung des ausgehenden 14. Jahrhunderts. Anführer einer sozial bedrängten Gruppe von Leuten, die sich durch das Aufbringen von Schiffen das Überleben sicherten.“11

Seit wann Störtebeker als „Robin Hood der Meere“ bezeichnet worden ist, bedarf noch der Aufhellung. Die Parole „Gottes Freund und aller Welt Feind“ war etwa 1928 titelgebend für ein literarisches Rebellen-Porträt von Störtebeker aus der Feder von Erich Müller.12 Sie hat die gesamte Rezeptionsgeschichte maßgeblich mit bestimmt und soll seit dem 14. Jahrhundert (als Motto französischer Söldner) bezeugt sein, nicht als Zitat, sondern als eine Art zeitgenössisches, zuschreibendes Gruppenabzeichen.

Im Störtebeker-Stoff der Neuzeit sind zahlreiche wichtige Aspekte enthalten, die mit seiner zeitgleichen und späteren Verbildlichung in zum Teil ursächlicher Beziehung stehen. Zu diesen gehört die Zusprache des Machtmenschen und Beherrschers der Weltmeere. Die Sagen-Motive des Stoffes wurden im späteren 19. Jahrhundert um den Freiheits-Begriff erweitert, der mit dem Status des Gesetzlosen eng verbunden scheint. (Dieses anarchische Element ist nicht zuletzt in der gegenwärtigen gesellschaftlich-politischen Diskussion und Musik-Szene wiederaufgegriffen worden.) Durchgängig taucht in den Romanbearbeitungen seit dem späten 19. Jahrhundert das Stereotyp des „edlen Räubers“ auf, des früh schuldhaft Gewordenen und Geächteten, der zum Scheitern verurteilt ist, dem jedoch „Größe“ im Sinne von Heldentum zuerkannt wird, durchaus parallel zu Karl Moor aus Schillers Räubern, dem edlen Verbrecher mit charismatischem Vergeltungsdrang.13

Der Störtebeker-Stoff steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der jahrhundertelangen Überlieferungs- und Ausdeutungsgeschichte der Hanse. Bei seiner Interpretation (auch bei seiner Bild-Interpretation) ist stets zu fragen, wie (und von wem) die Figur des Piraten-Admirals (oder: Outlaws) jeweils in die Geschichtsschreibung hansischer...

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