Hauptkennzeichen bipolarer Störungen sind abnorm veränderte Stimmungen mit auffällig verändertem Antrieb. Die manisch-depressive Erkrankung wird in der Psychiatrie zur Gruppe der sogenannten affektiven Störungen gezählt.
Was aber ist eigentliche eine normale Stimmung? Was sind extreme Emotionen? Wie erkennt man Stimmungsstörungen?
Stimmungsvokabular
• Stimmung – Gefühlszustand, den eine Person selbst erlebt
• Affekt – Stimmungszustand einer Person, der beobachtet werden kann
• unipolar – ausschließlich ein extremer Stimmungszustand (Depression)
• bipolar – zwei extreme Stimmungszustände (Depression und Manie abwechselnd)
• Depression – von lat. deprimere = niederdrücken, „Melancholie“
• Manie – von gr. mainesthai = rasen, „Ekstase“, „Verrücktheit“
• Hypomanie – abgeschwächte Form von Manie
• bipolare Störungen – manisch-depressive Erkrankung
Stimmung kann im übertragenen Sinn als „Temperatur“ der Emotionen beschrieben werden – ein Bündel von Gefühlen hoher oder niedriger Temperatur, das unser Wohlbehagen oder Unbehagen zum Ausdruck bringt. Es ist ganz normal, dass unsere Stimmung nicht immer gleich und in begrenztem Umfang Schwankungen unterworfen ist: Glücksgefühl und Trauer, Wut und Gleichgültigkeit, Zufriedenheit und Unzufriedenheit oder Optimismus und Pessimismus wechseln sich je nach Lebenssituation ab. Auch körperliche Empfindungen wie Müdigkeit oder tatkräftige Energie werden von der Stimmung beeinflusst.
Sind wir guter Stimmung, fühlen wir uns zufrieden und optimistisch. Wir sind entspannt und aufgeschlossen, geduldig, voller Neugier und ausgeglichen. Mit einem Wort: Wir sind glücklich. Wir sind voller Energie und fühlen uns wohl in unserer Haut. Wir schlafen tief und erholsam und essen mit gesundem Appetit. Ein gut gestimmter Mensch wirkt attraktiv auf andere Menschen. Die Zukunftsperspektiven sind hervorragend, und die Zeit ist reif, mit außergewöhnlichen Projekten zu beginnen. Wer gut gestimmt ist, für den ist die Welt der bestmögliche Ort. Es ist wunderbar, hier zu leben.
Sind wir gedrückter Stimmung, neigen wir dazu, uns in uns selbst zurückzuziehen. Gedanken kreisen in unserem Kopf und beunruhigen uns. Wir sind traurig oder fühlen uns leer und verloren. Die Zukunft erscheint düster. Pessimismus drängt sich auf, macht uns Angst. Wir verlieren schneller die Fassung und empfinden Schuldgefühle, wenn wir uns haben hinreißen lassen. Offenheit oder Herzlichkeit gegenüber anderen bereiten große Mühe. Wir ziehen es vor, die Gesellschaft der Menschen zu meiden und lieber allein zu bleiben – und unsere Niedergeschlagenheit zu verbergen. Wir fühlen uns schwach und müde, zweifeln mehr und mehr an uns selbst. Mit einem Wort: Wir sind unglücklich. Die Welt ist ein grauenhafter Ort. Besser, man flieht ihn.
Wenn der Thermostat einer Heizungsanlage versagt oder defekt ist, wird die Raumtemperatur unkontrollierbar. Sie haben so etwas vielleicht schon erlebt. Sie können am Thermostat drehen, wie Sie wollen: Entweder die Heizung läuft ständig auf vollen Touren und Sie fühlen sich wie in der Sauna, oder es tut sich gar nichts und Sie frieren wie in der Tiefkühltruhe – oder die Anlage heizt stur lauwarm vor sich hin. Dann ist es Zeit, einen Heizungstechniker anzurufen.
Vermutlich verfügt auch das Gehirn des Menschen über ein Regulierungssystem der Stimmungstemperatur. Allerdings ist dieses System sehr viel komplizierter aufgebaut als eine Heizungsanlage. Erbfaktoren (Gene), Chromosomen, Biorhythmen (Schlaf-Wach-Rhythmus), Kommunikationsfunktionen des Nervensystems (Neurotransmitter), die Balance körpereigener Biostoffe, Hormone und die Psyche sind Faktoren, die das Gleichgewicht der Stimmung beeinflussen. Störungen in diesem Regelwerk erhöhen die individuelle psychische Verletzlichkeit, die sogenannte Vulnerabilität. Bei abnorm veränderten Stimmungslagen gibt es offensichtlich Probleme mit der Einstellung und Stabilität der emotionalen Temperatur.
Die Stimmung der betroffenen Person ist dann abgekoppelt von Lebenssituationen oder Reizen, die normale Stimmungsreaktionen hervorrufen: etwa Trauer nach dem Verlust einer geliebten Person oder überschäumende Freude nach einer erfolgreich bestandenen Prüfung. Glücksempfinden und Trauer führen nun ein unkontrollierbares Eigenleben. Hochgefühle oder Depressionen können ohne besonderen Anlass immer wieder auftreten. Die Stimmung schwankt in unterschiedlichem Grad, leicht bis extrem. Gelegentlich ist der Stimmungszustand so stark verändert, dass die Realität verzerrt wahrgenommen wird: Wahnideen oder bizarre beunruhigende Sinnestäuschungen tauchen auf.
Menschen, die solchen unbeeinflussbaren Stimmungsschwankungen ausgesetzt sind, sind weder „geisteskrank“ noch „selbst schuld“. Sie sind keine „schwachen“ oder „instabilen“ Persönlichkeiten. Auch die Fehlinterpretationen „Pubertät“ oder „Teenagerverhalten“ bei Jugendlichen verzögert nur die Diagnose und die wirksame Hilfe. Die Betroffenen haben in erster Linie ein „technisches“ Problem mit der Regulierung ihrer emotionalen Temperatur. Ein Problem, das behandelt werden sollte und erfolgreich behandelt werden kann.
Das Grundproblem der manisch-depressiven Erkrankung ist eine Regulierungsstörung der Stimmung, die äußerst unterschiedliche Symptome zu unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlicher Dauer verursacht. Darüber hinaus sind meist auch das Verhalten, das Denkvermögen und der Antrieb für die alltägliche Lebensaktivität abnorm verändert. Bei der klassischen Form der Erkrankung zeigen sich ausgeprägte Schwankungen: Phasen gedrückter Stimmung, schwere Depressionen und Euphorie oder Hochstimmung (Manie).
Solche Phasen extremer Stimmungsschwankungen sind seit Langem bekannt, beobachtet und beschrieben worden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden diese krankhaften Zustände als „manisch-depressives Irresein“ (so nannte es der deutsche Psychiater Emil Kraepelin 1899) oder „manisch-depressive Erkrankung“ bezeichnet. Heute spricht man von „bipolaren Störungen“, Begriffe, die auf unkontrollierbare Stimmungszustände zwischen den extremen Polen Depression und Manie Bezug nehmen. Die Betroffenen erleben aber auch Schwankungen zwischen den Polen „akut krank“ und „gesund“, also ohne Beschwerden. Darüber hinaus werden bestimmte leichtere Stimmungsschwankungen und bipolare Mischzustände unter diesen Bezeichnungen zusammengefasst.
Bipolare Störungen verlaufen phasenhaft, mit in der Regel wiederkehrenden Episoden dreier Stimmungslagen:
• eine Phase gehobener Stimmung, die Manie genannt wird
• eine Phase gedrückter Stimmung, die Depression genannt wird
• eine Phase normaler Stimmung, in der weder manische noch depressive Beschwerden vorliegen, das beschwerdefreie Intervall
Klinische Beobachtungen haben gezeigt, dass bipolare Erkrankungen kein einheitlich definiertes Krankheitsbild sind, sondern dass vor allem zwei Haupttypen innerhalb eines sogenannten „Spektrums bipolarer Störungen“ vorkommen:
Eine Bipolar-I-Erkrankung liegt dann vor, wenn der Betroffene mindestens 14 Tage lang eine gehobene Stimmungslage erlebt hat, die die Kriterien einer Manie erfüllt. Darüber hinaus muss er bereits mindestens eine Depression erlebt haben.
Eine Bipolar-II-Erkrankung liegt dann vor, wenn der Betroffene mindestens einmal eine Depression erlebt hat und wenn mindestens einmal eine sogenannte „Hypomanie“-Episode nachweisbar ist, eine abgeschwächte Form der Manie.
Weitere Stimmungsstörungen des bipolaren Spektrums sind Zustände mit raschem Wechsel von Depression und Manie („Rapid Cycling“), depressive Stimmungslagen ohne manische Episoden sowie anhaltende leichtere Stimmungsschwankungen (Zyklothymie).
• Rapid Cycling kennzeichnet einen Verlauf von bipolaren Störungen mit rasch wechselnden manischen/hypomanischen und depressiven Episoden mindestens vier solche Episoden treten innerhalb eines Jahres auf.
• Die Zyklothymie wird als abgeschwächte Form bipolarer Störungen betrachtet. Zwar kommt es zu keiner ausgeprägten Manie oder schweren Depression, allerdings schwankt die Stimmung doch fortwährend zwischen leicht gehoben und leicht gedrückt. Es ist schwer zu entscheiden, ob diese chronischen Stimmungsschwankungen durch äußere Faktoren beeinflusst oder verursacht werden oder quasi von selbst entstehen.
Wenn auch vieles, was die medizinische Klassifizierung dieser abnormen Stimmungsstörungen betrifft, noch unklar ist – eines ist klar: Menschen mit bipolaren...