1 Alleskönner – überall
Training fördert die Gesundheit. Das hat sich herumgesprochen. Viel Zeit verbringen wir damit, die Muskeln aufzubauen. Schauen Sie auch auf die großen Zusammenhänge Ihres Körpers.
Sie trainieren wahrscheinlich vor allem, weil Sie Ihre Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit oder Koordination verbessern möchten. Oder um kräftiger zu werden, um die Gelenke zu stabilisieren, damit sie besser vor Fehlbelastungen geschützt sind. Sie möchten vielleicht auch ausdauernder werden, um bei bestimmten Aktivitäten nicht mehr so schnell zu ermüden. Sie trainieren womöglich, um eine bessere Körperhaltung zu haben oder einfach deshalb, weil es Ihnen gut tut.
Dabei verändert jedes körperliche Training das Verhältnis von Kraft, Ausdauer oder Beweglichkeit, denn der Körper wird sich an die Belastung anpassen. Das heißt: Wer viel Krafttraining betreibt, wird mit der Zeit vielleicht etwas unbeweglicher. Wer viel Ausdauer trainiert, büßt auf längere Sicht etwas Schnelligkeit ein. Jedes Training hat also – unter Umständen auch unerwünschte – Auswirkungen auf den Organismus.
Muskeln und Gelenke kennen Sie gut. Es gibt aber eine weitere anatomische Struktur, die einen großen Einfluss auf das Bewegungssystem hat: Die Faszien! Sie sind, je nach Anforderung im Körper, mal straffe, mal elastische, mal lockere Strukturen, die alle Bauteile unseres Körpers verbinden. Sie tragen zu Beweglichkeit, zu optimaler Kraftausschöpfung und zu einer angepassten Schmerzempfindung bei – und sie sind trainierbar wie Muskeln und Gelenke.
1.1 Faszien: das Seilzugsystem
Faszien liegen wie Hüllen z. B. um Muskeln und unterstützen Gelenkbewegungen und Muskelaktivitäten. Das funktioniert nach dem bekannten Seilzugprinzip: Die Gelenke sind dabei unter anderem die Umlenkrollen und die Faszien stellen die Seilzüge dar. Mit diesem System lassen sich die für Bewegung oder Sport benötigten Kräfte steigern und, vorausgesetzt alle Bauteile arbeiten reibungslos, die dabei zwangsläufig entstehenden Belastungen auf die Gelenke minimieren.
Wie über ein Seilzugsystem verteilen sich Kräfte durch den gesamten Körper.
Wann immer Sie in einer Körperregion ein steifes, unbewegliches und schmerzhaftes Empfinden haben, sind Faszien zumindest daran beteiligt. Denn bei Störungen oder Verletzungen verändern sich neben den Muskeln, Gelenken und Nerven auch die Faszien. Dann bedürfen sie einer besonderen Pflege und eines besonderen Trainings, um wieder zu genesen. Nur wenn die Faszien ihre ursprüngliche Belastbarkeit und Funktionsfähigkeit wiedererlangen, lassen sich Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer effektiv trainieren.
Aber nicht erst eine ernsthafte Verletzung sollte uns daran erinnern, unseren Faszien wieder auf die Sprünge zu helfen und ihnen durch Übungen etwas Gutes zu tun. Vielmehr sind Faszien generell eine sehr dankbare Struktur für Trainings- und Bewegungsreize. Weiterer Vorteil: Die Übungen, die das Gewebe auch belastbarer werden lassen, sind recht einfach anzuwenden, machen Spaß und tun einfach gut!
Das Training der Faszien ist mit und ohne Gerät möglich. So oder so ist der Effekt, dass mit der Zeit ein positiver Einfluss auf die Elastizität der Muskeln, auf die Beweglichkeit unserer Gelenke und auf die Kraftübertragung bei Gelenkbewegungen ausgeübt wird.
Weiterhin können die Übungen auch die Schmerzempfindlichkeit in unserem Körper normalisieren. Welche Bedürfnisse Ihre Faszien an Sie stellen und welche Strategie Sie in Ihrer persönlichen Faszienpflege und in Ihrer Trainingsplanung verfolgen sollten, können Sie mit dem Test leicht herausfinden.
1.2 Faszien – was sie sind und können
Die „Big 6“ – die großen Sechs – des Körpers sind Muskeln, Knochen, Gelenke, Nerven, Blutgefäße und Bindegewebe. Faszien gehören zu Letzterem, sind aber mehr als Füllmaterial. Zwar sind die Faszien als Struktur schon lange bekannt. Aber erst neuerdings sind die vielfältigen Funktionen unseres Fasziensystems wissenschaftlich besser erforscht. Faszien leisten einen großen Beitrag dazu, dass unser Körper optimal funktioniert: Sie machen alle Gewebe beweglicher und elastischer, trainierte Faszien senken die Verletzungsanfälligkeit und lassen uns belastungsfähiger werden. Nicht zu vergessen auch: eine mögliche sportliche Steigerung der Leistung z. B. durch verbesserte Kraftübertragung und Beweglichkeit. Faszien sind keine trägen Massen zwischen den Muskeln, sie spielen eine besondere Rolle bei der Wundheilung und beeinflussen die Regenerationsfähigkeit unseres Körpers. Welches Gewebe macht was und ist wie verbunden?
Knochen sind der passive Stützapparat unseres Körpers. Sie geben dem Menschen die stabile, „knöcherne“ Form und ermöglichen typische Haltungen und Bewegungen. Zudem wirken Knochen als Hebel, die Muskelkräfte auf die Gelenke übertragen. Knochen sind untereinander durch Muskeln, Bänder und Sehnen (bindegewebige Strukturen = Faszien) verbunden.
Muskeln sind der Antrieb des Körpers. Durch Anspannen (Kontraktion) setzen sie Kräfte für z. B. Bewegungen frei. Baut ein Muskel eine solche Kraft auf, überträgt die sich auf die Knochen. So entsteht Bewegung. Muskeln sind über bindegewebige Gebilde mit den Knochen verbunden: den Sehnen. Sie sind ebenfalls ein Teil des Fasziensystems.
Gelenke sind gewissermaßen „unterbrochene“ Knochenverbindungen, die uns beweglich machen. Ohne sie bewegten wir uns so steif wie Roboter. Gelenke sind geschützt und stabilisiert über spezielle Verbindungsstellen, die Gelenkkapseln. Sie wiederum bestehen aus Sehnen und Bändern, also aus bindegewebigen Gebilden (Faszien). So schließt sich das Fasziensystem wunderbar an alle anderen an.
Blutgefäße. Arterien führen sauerstoffreiches Blut und versorgen den Organismus mit Nähr- und Baustoffen. Sie enthalten auch einen großen Teil unseres Immunsystems. In den Venen fließt das Blut zurück zu Herz und Lunge, wo es mit Sauerstoff wieder angereichert und in den Körper gepumpt wird. Unser Bindegewebe (Fasziensystem) schützt und stabilisiert die Blutgefäße auf ihrem Weg durch den Körper z.B. vor Verletzungen.
Nerven. Das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) umfasst unsere Sinne (Sehen, Riechen, Hören, Schmecken und Fühlen) und ist oberste Steuerungszentrale für Bewegungen. Mit dem Nervensystem können wir unsere Umwelt wahrnehmen und darauf reagieren. Das periphere Nervensystem (Nerven außerhalb des Rückenmarks) verbindet den gesamten Körper und transportiert Informationen, z. B. Bewegungsbefehle, an die zuständigen Muskeln und Gelenke. Nerven sind in ihrem Verlauf durch den Körper ebenfalls in einer bindegewebigen Hülle eingebettet und darüber mit dem Fasziensystem verbunden. Dies schützt die Nerven auch vor mechanischer Überbelastung und damit vor Verletzungen.
1.2.1 Bindegewebe – was ist das?
Die Bezeichnung „Bindegewebe“ umfasst also viele Bauteile unseres Körpers. Wenn wir genau hinschauen, erkennen wir sogar, dass alle Gewebe unseres Körpers aus Bindegewebszellen hervorgegangen sind. Die Zellen haben sich nur in der Entwicklung spezialisiert. Diese Spezialisierung brachte im Laufe der Entwicklung des Menschen Muskeln, Sehnen oder Bänder hervor. Da jede Beanspruchung auch spezielle Voraussetzungen und Bedingungen an das Gewebe stellt, ist diese Entwicklung auch unumgänglich.
Eine bestimmte Form des Bindegewebes findet sich in den „Lücken“: z. B. zwischen Muskeln, Sehnen oder Nerven, und es ist eine Art „Füllmaterial". Diese bindegewebige Struktur verbindet alle anderen Gewebestrukturen und vervollständigt die Funktionskette unseres Körpers. Dieses Bindegewebe ist auch reich an Nervenendungen (Rezeptoren), kann Kräfte übertragen oder sogar verstärken und dient auch dem Schutz vor Überlastung.
Im allgemeinen Sprachgebrauch sind die Begriffe Faszie und Bindegewebe gleichbedeutend. Wer es gerne genau hat, dem sei gesagt, dass Faszien aus Bindegewebe bestehen. Und je nach Bedarf verschieden ausgeprägt sind (siehe ? Tab. 1.1).
Verschiedene Arten von Bindegewebe/Faszien.
| straffes Bindegewebe | elastisches Bindegewebe | lockeres Bindegewebe |