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E-Book

Brain Bugs

Die Denkfehler unseres Gehirns

AutorDean Buonomano
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl317 Seiten
ISBN9783456751511
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Wie uns unser Gehirn täglich austrickst – und was wir dagegen tun können

Mit seinen Billionen von neuronalen Verknüpfungen ist das menschliche Gehirn das komplexeste und faszinierendste Organ in unserem Körper. Und obwohl wir noch weit davon entfernt sind, die Schaltpläne dieses Supercomputers in unserem Kopf komplett zu verstehen, lassen gerade seine Schwächen, die Bugs, interessante Einblicke in die Funktionsweise unseres Gehirns zu.
Warum trügt uns unser Gedächtnis oft? Warum haben wir Schwierigkeiten, große Beträge im Kopf zu addieren? Warum misstrauen wir Menschen, die uns nicht gleichen? Und warum treffen wir so oft Entscheidungen, die eigentlich komplett irrational sind?
Der Neurowissenschaftler Dean Buonomano zeigt anhand von eindrücklichen Experimenten und neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung, woher diese Bugs kommen und wie sie unser Leben immer wieder durcheinanderbringen können – vor allem in unserer modernen, informationsgesättigten Welt. Gleichzeitig macht Buonomano aber auch klar, wie erstaunlich stark unser Gehirn bei allen Schwächen trotzdem ist.

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Leseprobe

1. Das Gedächtnis-Netzwerk


Als ich eines Abends in Kanada vor Miles Davis aufgetreten bin … wollte sagen … vor Kilometer Davis.

Diesen Witz habe ich von dem Comedian Zach Galifianakis übernommen. Verständlich wird er, wenn man zwei Verbindungen herstellt: Kilometer/Meilen (miles) und Kanada/Kilometer. Dazu muss man sich bewusst oder unbewusst daran erinnern, dass in Kanada im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten das metrische System verwendet wird – daher der Austausch von «Kilometer» für «Miles». Zu den vielen schwer fassbaren Zutaten des Humors gehören Übergänge und Assoziationen, die sinnvoll sind, aber unerwartet kommen.1

Eine andere Faustregel aus der Welt der Comedy besagt: Kehre zu einem bereits erwähnten Thema zurück. Fernsehkomiker und Stand-up-Comedians machen häufig einen Witz über eine Person und kommen ein paar Minuten später in einem ganz anderen, unerwarteten Zusammenhang auf das gleiche Thema oder dieselbe Peron zurück, woraus sich ein humoristischer Effekt ergibt. Die gleiche Anspielung wäre aber überhaupt nicht lustig, wenn das Thema zuvor nicht bereits erwähnt worden wäre.

Aber was besagt Humor über die Funktionsweise des Gehirns? Man kann daraus zwei Grundprinzipien von Gedächtnis und Kognition ableiten; beide lassen sich aber auch auf ganz unhumoristische Weise deutlich machen: Sprechen Sie die Antworten auf die beiden ersten unten gestellten Fragen laut aus und nennen Sie das Erste, was Ihnen beim dritten Satz einfällt:

1.  In welchem Kontinent liegt Kenia?

2.  Welches sind die beiden gegnerischen Farben beim Schach?

3.  Nennen Sie ein Tier.

Ungefähr 20 Prozent der Versuchspersonen sagen als Antwort auf den Satz 3 «Zebra», und 50 Prozent nennen ein Tier aus Afrika.2 Fragt man dagegen aus heiterem Himmel nach einem Tier, wird das Zebra in weniger als einem Prozent der Fälle genannt. Mit anderen Worten: Indem man die Aufmerksamkeit auf Afrika sowie auf die Farben Schwarz und Weiß lenkt, kann man die Antwort manipulieren. Wie die Prinzipien der Comedy, so macht auch dieses Beispiel zwei entscheidende Erkenntnisse über das Gedächtnis und den Geist des Menschen deutlich, die in diesem Buch immer wieder das Thema bilden werden. Erstens werden Kenntnisse assoziativ gespeichert: Zusammenhängende Begriffe (Zebra/Afrika, Kilometer/Meilen) sind verknüpft. Und zweitens «verbreitet» sich ein Begriff, an den man denkt, auf irgendeine Weise auf verwandte Begriffe, sodass man sich mit größerer Wahrscheinlichkeit an sie erinnert. Beide Tatsachen gemeinsam sind die Erklärung dafür, warum durch den Gedanken an Afrika die Wahrscheinlichkeit wächst, dass uns «Zebra» einfällt, wenn wir als Nächstes nach einem Tier gefragt werden. Dieses unbewusste, automatische Phänomen wird als Priming bezeichnet. Ein Psychologe formulierte es so: «Das Priming hat Einfluss auf alles, was wir tun, vom Aufwachen bis zum Schlafengehen; und selbst danach dürfte es noch Auswirkungen auf unsere Träume haben.»3

Bevor wir nun der assoziativen Natur unseres Gedächtnisses die Schuld dafür geben, dass wir oftmals verwandte Begriffe durcheinanderbringen und Entscheidungen aufgrund launischer, irrationaler Einflüsse treffen, sollten wir erst einmal untersuchen, woraus Erinnerungen eigentlich bestehen.

Das semantische Gedächtnis

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ging man bei der Erforschung des Gedächtnisses häufig davon aus, dass es sich um ein einziges, einheitliches Phänomen handelt. Heute wissen wir, dass es zwei große Arten des Gedächtnisses gibt. Dass wir eine Adresse, eine Telefonnummer oder die Hauptstadt Indiens kennen, verdanken wir dem deklarativen oder expliziten Gedächtnis. Wie der Name schon sagt, sind deklarative Erinnerungen dem bewussten Abruf und einer Beschreibung mit Worten zugänglich: Wenn jemand die Hauptstadt Indiens nicht kennt, können wir ihm erklären, dass sie New Delhi heißt. Wenn wir dagegen jemandem mitteilen wollen, wie man Fahrrad fährt, ein Gesicht erkennt oder mit brennenden Fackeln jongliert, ähnelt dies ein wenig dem Versuch, einer Katze die Infinitesimalrechnung zu erklären. Fahrradfahren, Gesichtererkennung oder Jonglieren sind Beispiele für nicht deklarative, implizite oder prozedurale Erinnerungen.

Dass es in unserem Gehirn diese beiden unabhängigen Gedächtnissysteme gibt, kann man sich durch Introspektion klarmachen. So habe ich mir beispielsweise meine Telefonnummer gemerkt und kann sie ohne Weiteres einem anderen mitteilen, indem ich die Zahlen in der richtigen Reihenfolge nenne. Die Geheimzahl für mein Bankkonto ist ebenfalls eine Zahlenfolge, aber da ich diese Zahl in der Regel nicht weitergebe und meist auf einer Tastatur eintippe, habe ich die eigentliche Zahl bei den seltenen Gelegenheiten, in denen ich sie aufschreiben muss, tatsächlich «vergessen». Andererseits weiß ich sie noch, denn ich kann sie auf der Tastatur eintippen – ich kann sogar so tun, als würde ich sie eintippen, und auf diese Weise die Zahl wieder herausfinden. Die Telefonnummer ist explizit im deklarativen Gedächtnis gespeichert; die «vergessene» Geheimzahl befindet sich implizit als motorischer Ablauf im prozeduralen Gedächtnis.

Auch die Frage, welche Taste auf der Computertastatur links neben dem Buchstaben E liegt, kann manch einer vielleicht nicht ohne Weiteres beantworten. Aber angenommen, Sie können tippen: Dann weiß Ihr Gehirn sehr gut, welche Tasten nebeneinanderliegen, es ist aber unter Umständen nicht geneigt, es Ihnen mitzuteilen. Herausfinden können Sie es vermutlich, wenn Sie so tun, als würden Sie das Wort wackeln eintippen. Die Anordnung der Tasten ist im prozeduralen Gedächtnis gespeichert, aber nur wenn Sie sich die Anordnung auch explizit gemerkt haben, befindet sie sich außerdem im deklarativen Gedächtnis. Das deklarative und das prozedurale Gedächtnis gliedern sich in weitere Unterkategorien; ich möchte mich aber hier vor allem auf eine Form des deklarativen Gedächtnisses konzentrieren, die als semantisches Gedächtnis bezeichnet wird. Das semantische Gedächtnis dient dazu, den größten Teil unserer Kenntnisse über Bedeutungen und Tatsachen zu speichern, darunter die, dass Zebras in Afrika leben, Bacchus der Gott des Weines ist oder dass jemand Ihnen Stierhoden servieren wird, wenn er Rocky-Mountain-Austern anbietet.

Wie werden solche Informationen im Einzelnen im Gehirn gespeichert? Eine schwierigere Frage gibt es kaum. Wer schon einmal miterlebt hat, wie sich die gesamte Persönlichkeit eines Alzheimerpatienten langsam und unaufhaltsam auflöst, der weiß genau, dass das Wesen unserer Persönlichkeit untrennbar mit Erinnerungen verbunden ist. Aus diesem Grund ist die Frage, wie Erinnerungen im Gehirn gespeichert werden, eines der größten ungelösten Rätsel der Neurowissenschaft. Zu Vergleichszwecken möchte ich auch hier auf unsere Kenntnisse über Computer zurückgreifen.

Gedächtnis setzt einen Speichermechanismus voraus, eine bestimmte Veränderung physischer Medien – beispielsweise wenn man Löcher in altmodische Computerkarten stanzt, mikroskopisch kleine Punkte auf eine DVD brennt oder die Transistoren in einem Flash-Speicher lädt und entlädt. Außerdem muss es einen Code geben, eine Übereinkunft, die darüber bestimmt, wie die physikalischen Veränderungen des Mediums in etwas Sinnvolles zu übersetzen sind, sodass man sie später abrufen und nutzen kann. Eine auf einen gelben Klebezettel gekritzelte Telefonnummer ist eine Art Erinnerung; die vom Papier aufgenommene Tinte stellt den Speichermechanismus dar, und die Form der Ziffern ist der Code. Für jemanden, der die arabischen Ziffern (den Code) nicht kennt, ist die aufgeschriebene Erinnerung so sinnlos wie das Gekritzel eines Kindes. Auf der DVD wird die Information als lange Reihe von Nullen und Einsen gespeichert, die vorhandenen oder fehlenden gebrannten «Löchern» auf der reflektierenden Oberfläche der DVD entsprechen. Das Vorhandensein oder Fehlen dieser Löcher sagt aber noch nichts über den Code aus: Sind in der Kette nun Familienbilder, Musik oder das Passwort eines Schweizer Bankkontos verschlüsselt? Um das herauszufinden, müssen wir wissen, ob die Dateien in den Formaten jpeg, mp3 oder txt gespeichert sind. Hinter den verschlüsselten Dateien steht das logische Grundprinzip, dass die Reihe der Nullen und Einsen nach bestimmten Regeln verändert wird, und wenn man den Algorithmus nicht kennt, mit dem die Veränderung rückgängig gemacht werden kann, ist die physische Erinnerung als solche wertlos.

Wie wichtig es ist, sowohl über den Speichermechanismus als auch über den Code Bescheid zu wissen, zeigt sich sehr deutlich an einem anderen berühmten Informationsspeichersystem: den Genen. Als Watson und Crick 1953 die Struktur der DNA aufklärten, fanden sie heraus, wie die Information als Sequenz von vier Nucleotiden (die mit den Buchstaben A, C, G und T wiedergegeben werden) auf molekularer Ebene gespeichert ist. Den genetischen Code entschlüsselten sie aber nicht; die Struktur der DNA sagte noch nichts darüber aus, was die vielen Buchstaben bedeuten. Diese Frage wurde in den 1960er-Jahren geklärt, als man den genetischen Code entschlüsselte, durch den Nucleotidsequenzen in Proteine übersetzt werden.

Um das menschliche Gedächtnis zu verstehen, müssen wir herausfinden, welche Veränderungen in den Erinnerungsmedien des Gehirns stattfinden, wenn Gedächtnisinhalte gespeichert werden, und dann müssen wir den Code entschlüsseln, der zum Festhalten der Information verwendet wird. In beiden Fragen besitzen wir noch keine vollständigen Kenntnisse, wir wissen aber immerhin so viel,...

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