1 Gehirnleistung kann man steigern
„Bildung besteht aus einer Modifikation im zentralen Nervensystem. Die einzelnen Zellelemente sind dafür besonders geeignet. Sie sind formbar, insoweit ihre Verbindungen nicht starr fixiert sind, und sie können sich erinnern (...) Und weil die Zellen diese Fähigkeit besitzen, können sie sich an jeweils neue Gegebenheiten anpassen.“1
Dieser Text wurde im Jahre 1895 geschrieben und stammt von Henry Donaldson, Professor für Neurologie an der Universität von Chicago. Was er damals angenommen hat, lässt sich heute immer wieder mithilfe von hoch entwickelten diagnostischen Instrumenten nachweisen:
Man kann tatsächlich seine Gehirnleistung steigern.
Steven E. Peterson, Neurologe an der medizinischen Fakultät der Washington-Universität in St. Louis, und Randy L. Buckner, ein Doktorand, untersuchen das menschliche Gehirn mit einem Positronenemissionstomographen. Dieser PET-Scan ist eine der ersten Methoden, die es den Wissenschaftlern möglich macht, das Gehirn eines lebenden Menschen zu verschiedenen Zeiten und unter unterschiedlichen Bedingungen zu untersuchen. Im Gegensatz zur Computertomographie (CT), mit deren Hilfe man die Form und die Anatomie des Gehirns erkennen kann, zeigt der PET-Scan die biochemischen Vorgänge, die ablaufen, während das Gehirn sich mit der umgebenden Welt auseinander setzt.
Die Wissenschaftler der Washington-Universität erklären dazu: „So wie unsere Muskeln mehr Blut brauchen, wenn sie arbeiten, geht es auch unserem Gehirn. Wenn wir wissen wollen, welche Muskeln beim Heben eines Gewichts gebraucht werden, müssen wir nur jemanden dabei beobachten. Wenn wir wissen wollen, welche Hirnregionen für die Sprache zuständig sind, lassen wir unsere Versuchspersonen einen Sprachtest machen und können beobachten, welche Hirnregionen dabei stärker durchblutet werden.“2
Der PET-Scanner an der Washington-Universität kann aktive Hirnregionen von einer Größe von drei Millimetern erkennen, das entspricht der Größe des Punkts auf einem Würfel. Der Scanner kann sogar Unterschiede zwischen dem Denken der Frauen und dem der Männer erkennen.3
PET-Scan
Positronenemissionstomographie (PET)
Die bildliche Darstellung liefert quantitative Informationen über biochemische und physiologische Prozesse wie Denken, Sehen, Hören, Erinnern, Musik und Sprache.
Marcus E. Raichle, Professor für Neurologie und Radiologie, und seine Mitarbeiter, ebenfalls an der Washington-Universität, haben mithilfe von PET-Scans herausgefunden, auf welche Weise zum Beispiel ein Klavierstück oder ein bestimmter Schlag beim Tennis „automatisiert“ werden. Sie stellten fest, dass ein Mensch, der etwas Neues lernt, dafür einen „neuen“ Schaltkreis benützt, der speziell für neue Aufgaben bestimmt ist. Nach einer gewissen Übungszeit wird das Ganze jedoch auf einen zweiten Schaltkreis geschoben, der sich an einer anderen Stelle befindet und für bereits gelernte Aufgaben zuständig ist. Wenn eine Aufgabe wiederholt wird, wird der Vorgang automatisiert, das heißt, er erfordert nicht mehr so viel Aufmerksamkeit und weniger Aktivität in der Hirnregion, die vorher damit beschäftigt war. In der automatischen Phase werden andere Hirnregionen aktiviert. Bei den untersuchten Personen fand dieser Schaltvorgang bereits nach fünfzehn Minuten statt.
Nach Ansicht der Wissenschaftler zeigt ihre Untersuchung, auf welche Weise sich das Gehirn von Routineaufgaben befreit – so wie man beim Autofahren automatisch im richtigen Augenblick umschaltet. Dadurch werden die Energien für andere Aufgaben frei. Möglicherweise sorgt das Gehirn auf diese Weise dafür, dass der Mensch aufmerksam bleibt – das ist eine kostbare Ressource.
Das Alter spielt keine Rolle
Kann man im PET-Scan einen Unterschied zwischen der Denkweise eines jungen und der eines alten Gehirns feststellen?
Ranjan Duara hat mit seinen ehemaligen Kollegen am National Institute of Health mithilfe eines PET-Scans die unterschiedlichen Stoffwechselvorgänge jüngerer und älterer Gehirne untersucht. Es geht dabei darum, wie viel Energie, in der Regel in Form von Zucker, das Gehirn bei der Arbeit verbraucht. Bei den Untersuchungen wurden den freiwilligen Versuchspersonen zwischen zwanzig und achtzig Jahren zwei radioaktive Substanzen injiziert. Man gab ihnen Ohrstöpsel und verband ihnen die Augen. Sie sollten jedoch nicht einschlafen, sondern sich nur entspannen. Nach fünfundvierzig Minuten mussten sie ihre Köpfe in bestimmte Halterungen legen, die in einen Metallzylinder passten.
Die Versuchspersonen sollten dann eine Reihe von geometrischen Mustern kopieren, und zwar ohne Zeitdruck und ohne in irgendeiner Weise miteinander in Wettbewerb zu stehen. Ihre Aktionen wurden von dem PET aufgezeichnet und die Ärzte konnten beobachten, an welcher Stelle des Gehirns die mit der radioaktiven Substanz markierte Glukose verbraucht wurde. Auf diese Weise ließ sich genau feststellen, welche Hirnregion beim Denken an solche Aufgaben und bei ihrer Erledigung benutzt wurden.4
„Im Ruhezustand ließen sich zwischen den gesunden älteren und den gesunden jüngeren Gehirnen im Hinblick auf den Stoffwechsel keine signifikanten Unterschiede feststellen“, erklärte Duara. „Ein paar Abweichungen wurden eher bei älteren Versuchspersonen beobachtet, aber das war nicht durchgehend der Fall. Einige Männer in den achtziger Jahren hatten genau denselben Stoffwechsel wie die jüngeren, während manche jungen Männer dieselben Veränderungen zeigten, die man in der Regel bei älteren Gehirnen beobachtet.“5
Die Ansichten der Wissenschaftler über das Gehirn haben sich revolutionär verändert. Eine große Anzahl von Experten, darunter Neurophysiologen, die in der Lage waren, eine einzelne Gehirnzelle „sprechen“ zu hören, haben neue Informationen zusammengetragen. Sie haben festgestellt, dass zwischen den Gehirnen gesunder junger und gesunder älterer Menschen im Hinblick auf die funktionale Kapazität nur geringe Unterschiede bestehen.
Das Alter eines Gehirns sagt nichts über seine Intelligenz aus.
Genau wie die Haut im Alter faltig wird, treten natürlich auch im Gehirn typische Veränderungen auf. Der MRI Scan (Kernspin) zeigt, dass es zu einer gewissen Rückbildung kommt. Das Gehirn von Leuten, die über siebzig sind, ist leichter als das eines durchschnittlichen Zwanzigjährigen. Aber auch die Gelenke und Muskeln eines Fünfundvierzigjährigen sind in der Regel nicht mehr so elastisch wie die eines Fünfundzwanzigjährigen. Doch genauso wie der Portugiese Carlos Lopez im Alter von siebenunddreißig Jahren Männer Anfang zwanzig beim Marathon schlagen konnte, können auch ältere Leute, die über die gleiche Grundintelligenz verfügen wie Zwanzigjährige, diese im Wettbewerb übertreffen. Schließlich haben die Senioren ihr Gehirn das ganze Leben lang trainiert und mehr Erfahrungen sammeln können.
Genauso wie wir Falten bekommen und sich andere körperliche Veränderungen zeigen, die mit dem Altern einhergehen, wird jeder von uns von solchen Alterserscheinungen des Gehirns heimgesucht. Der Zeitpunkt und das Ausmaß variieren jedoch von einem zum anderen.
Dieses Phänomen wurde im Jahre 1979 geklärt, als der amerikanische Kongress das Gesundheitsministerium und den Verkehrsminister bat, die Altersregel für Berufspiloten zu überprüfen, nach der sie spätestens mit sechzig in den Ruhestand gehen mussten. Nach zehn Monaten kam dieses Komitee zu dem Schluss, dass „die Variabilität [der Alterungseffekte] innerhalb ein und derselben Altersgruppe häufig genauso groß ist wie die Variabilität zwischen den Altersgruppen und dass man in der Regel in keinem bestimmten Alter einen krassen Rückgang beobachten kann ... Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse liefern Hinweise darauf, dass zumindest einige der zum höchsten Sicherheitsniveau notwendigen Fähigkeiten mit dem Alter abnehmen. Es besteht jedoch innerhalb einer jeden Altersgruppe eine große Varianz zwischen den Einzelpersonen.“6
Die lange gültige Auffassung, dass wir alle mit zunehmendem Alter eine große Zahl unserer Gehirnzellen einbüßen, basierte auf fehlerhaften Untersuchungsergebnissen. Marian Diamond, Professorin für Anatomie an der Universität von Kalifornien erklärte, warum: „Man hat das Gehirn eines gesunden achtjährigen Kindes mit dem Gehirn eines kranken Achtzigjährigen verglichen und dabei eine Verkleinerung der Oberfläche festgestellt. Daraus leitete man dann ab, dass jeder Mensch ab dreißig etwa hunderttausend Hirnzellen verliert. Und die Leute haben das akzeptiert. Aber die untersuchten Gehirne waren inaktiv und degeneriert gewesen, natürlich lässt sich dabei ein Verlust von Zellen beobachten. Wenn man gesunde [ältere] Gehirne untersucht, findet man keinen solchen Abbau.“7
Funktionen des Gehirns
Allein im Hinblick auf sein Gewicht...