Fasten ist natürlich
Die Natur fastet, Tiere fasten – und auch der Mensch hat die Möglichkeit, seinen Organismus auf Reserve einzustellen. Die Umstellung des Körpers von der äußeren auf die innere Ernährung geschieht automatisch, sowie die Nahrungszufuhr ausbleibt. Man muss im Fasten nichts tun, sondern es einfach nur zulassen. Die ganzheitliche Methode, die in diesem Buch beschrieben wird, ist die des Buchinger-Heilfastens.
Beim Heilfasten handelt es sich um ein modifiziertes Fasten mit Gemüsesuppen, frisch gepressten Obst- und Gemüsesäften, Kräutertee mit etwas Honig (ca. 250 Kilokalorien) sowie reichlich Wasser. Diese Zusätze sorgen dafür, dass der Fastenstoffwechsel »gezündet« wird, sie stimulieren die Verbrennung körpereigener Fettreserven und helfen, mit dem eigenen Körpereiweiß sparsam umzugehen. Außerdem werden auf diese Weise natürliche Vitamine und Mineralien zugeführt. Das Wichtigste ist aber das Konzept.
Das Konzept des Buchinger-Heilfastens
- Das Konzept des Buchinger-Heilfastens ist in der Medizin verankert und bezieht dennoch die beiden anderen traditionellen Dimensionen des Fastens mit ein: die spirituelle und die mitmenschliche. Wenn ein Mensch fastet, tut es seinem Körper gut; wenn eine Gemeinschaft fastet, wächst sie zusammen und in beiden Fällen vereinfacht sich der Zugang zu spirituellen Erfahrungen.
- Die Reise in das »Fastenland« vollzieht sich in vier Etappen: die Planung, die Vorbereitung, das Fasten selbst und die Aufbauphase.
- Die Heilkraft des Fastens für Seele, Körper und Geist kann sich entfalten, wenn sieben Säulen es tragen: Ruhe und Bewegung in einem ausgeglichenen Verhältnis, die Förderung der Ausscheidungsvorgänge, die Hilfsmethoden, eine fachkompetente und warmherzige Betreuung, individuelle Fastenzusätze und »die Nahrung für die Seele«.
Beim Fasten in einer Buchinger-Klinik wird man von einem therapeutischen Team aus unterschiedlichen Bereichen betreut: Medizin, Ernährung, Psychologie, Physiotherapie, Bewegung und Pflege, aber auch Gesundheitspädagogik, Kultur und Spiritualität.
Was wird Ihre Belohnung für den zeitweiligen Verzicht auf Gaumenfreuden sein? Reinigung, Entrümpelung, Entschlackung, Entlastung, aber auch Vitalisierung, Energieaufbau, Erneuerung der Kräfte und eine innere Harmonie. Sie gönnen Ihrem Stoffwechsel, Ihrer Leber und Ihren Verdauungsorganen einen Urlaub!
Regelmäßiges Fasten, also freiwilliger Verzicht auf Nahrung für eine begrenzte Zeit, kann ein wichtiges Instrument der Psychohygiene sein: Sich regelmäßig zurückzuziehen und sich bewusst zu werden, ob man seine Lebensvision lebt, ob man noch Lebensfreude hat, ob man das Beste in sich entwickelt oder gegebenenfalls, ob eine Kurskorrektur vorzunehmen wäre, kann seelischen Erkrankungen vorbeugen. Ideal ist es, wenn alles harmonisch stattfindet. Oft werden wir im Leben aber durch Krisen oder Krankheiten zu einer Kurskorrektur gezwungen. Bewusstes Fasten erspart uns womöglich diesen Umweg.
Fasten oder »befastet werden« – wenn wir innerlich mitgehen, tiefere Zusammenhänge erfassen, wissen, wie das Fasten zu gestalten ist (…), werden wir weniger ängstlich und mit mehr Schwung fasten.«
Niklaus Brantschen SJ
Fasten ist ein ebenso natürlicher Vorgang wie schlafen, gebären, stillen und sterben. Ein hektischer Lebensstil und zu viel Kopflastigkeit können solche natürlichen Funktionen erschweren oder stören. Die Vermittlung von Wissen, z. B. über die Geburtsvorgänge, hat bei vielen Frauen geholfen, Ängste abzubauen und diese Ereignisse harmonisch geschehen zu lassen.
Ich möchte Ihnen vermitteln, was im Körper vorgeht, wenn Sie für eine begrenzte Zeit freiwillig auf die Nahrungsaufnahme verzichten. So werden Sie wissend und können es vertrauensvoll zulassen, dass sich das »Fasten-Programm« oder »Ernährungsprogramm II« einschaltet und so den Verlauf aktiv mitsteuern. Vertrauensvoll deshalb, weil das, was beim Essenden die Nahrung bewirkt, beim Fastenden von den gespeicherten Vorräten übernommen wird.
Die Natur fastet
Die Fähigkeit zu fasten ist eine Anpassungsleistung an die klimatischen Gegebenheiten unserer Erde. In unserer gemäßigten Klimazone haben wir das Privileg, die Folge der Jahreszeiten zu erleben. Versuchen wir uns vorzustellen, wie die Situation vor der Erfindung der Kühlschränke und Konservierungsmittel war: Der sonnige Sommer bietet den Menschen Früchte, frisches Gartengemüse und viele andere Nahrungsmittel, der Herbst mit seiner Farbenpracht ist die Zeit der Obst- und Getreideernte, Tiere und Menschen essen über die Bedarfsgrenze hinaus und legen Fettpolster an. Dann sinken die Temperaturen kontinuierlich bis zum Winter: Da ruht die Erde, die Blätter fallen und die Vegetation legt eine Ruhepause ein. Menschen und Tieren steht lediglich eine beschränkte Menge an haltbaren Nahrungsmitteln zur Verfügung, die im Laufe der Wintermonate immer knapper werden. Das kalorische Defizit wird aus den Körperreserven ausgeglichen, hauptsächlich den Fettzellen.
Genauso, wie die Natur aus dem Winterschlaf erwacht und sich im Frühling Blätter und Blüten entfalten, kann auch der Mensch sein Fasten beenden, um sich schrittweise wieder zu ernähren, was man als Phase des »Aufbaus« bezeichnet (siehe ? S. 110): Dadurch kommt es im menschlichen Körper ebenso wie in der Natur zu einem kraftvollen Wiederaufbau junger Proteinstrukturen, wie er sonst nur beim Kind während der Wachstumsphase bekannt ist.
Die Fähigkeit zu fasten, wenn die Nahrung knapp wird, sowie die Fähigkeit, »zu viel« zu essen, wenn es viel Nahrung gibt, war die einzige Überlebenschance für Menschen und Tiere auf einem Planeten mit Klimawechsel. Bei Tieren stellt sich je nach Saison und Verfügbarkeit der Nahrungsmittel der Stoffwechsel automatisch von äußerer Ernährung auf Nahrung aus den Fettdepots um. Instinktive Nahrungsablehnung ist kein Hungern, daher haben wir uns entschlossen, auch bei Tieren von Fasten zu sprechen – auch wenn die Freiwilligkeit nicht wörtlich genommen werden kann.
Fastenprofi Pinguin
An dieser Stelle möchte ich Ihnen den Kaiserpinguin (Aptenodytes patagonicus) vorstellen, den unser guter Freund, der Forscher Dr. Yvon Le Maho, mit seinem Forschungsteam seit den siebziger Jahren in der antarktischen Kälte mit Spitzentechnologie untersucht. Der Kaiserpinguin ernährt sich lediglich von Fisch und Krustentieren. Um sich fortzupflanzen, muss er sich landeinwärts begeben, bis zu 180 km vom Meer entfernt. Rund und gut genährte Weibchen und Männchen wandern zu ihrem Brutplatz. Sie werden nun in den nächsten Wochen von ihren Reserven leben: Fett, Mikronährstoffe und auch etwas Eiweiß, die sie – wie die Menschen – sparsam verbrauchen. Kaiserpinguine suchen ihr »Herzblatt« fastend und paaren sich. Das Weibchen legt während des Fastens nach 5 – 6 Wochen ein Ei.
Die Fähigkeit, während des Fastens aus der eigenen Körpersubstanz ein 400 g schweres Ei zu produzieren, zeigt die Verwandlungsfähigkeit der Körperstrukturen eines fastenden Organismus. Fastende Kaiserpinguine sind auch während der Mauser fähig, ihre Sommerfedern aufzubauen, wobei sie ca. 1 kg ihres körpereigenen Eiweißes verbrauchen!
MEINE ERFAHRUNGEN
Was ich an Pinguinen bewundere
Die unglaubliche Länge des Fastens finde ich faszinierend: 6 Monate pro Jahr während etwa 35 Jahren. Und das Sozialverhalten der fastenden Pinguine: Um die einzelnen Individuen gegen die eiskalten Stürme zu schützen, dreht sich die gesamte Pinguinkolonie kontinuierlich und spiralförmig um sich selbst, sodass die in den äußeren Schichten stehenden Tiere schrittweise zum Zentrum gelangen, wo die eng aneinander gepressten Körper Wärme ausstrahlen – eine Art »instinktive Nächstenliebe«! Kaiserpinguine schützen einander gegen die Kälte: Von –48 °C (äußere Temperatur) kann die Temperatur in der Mitte der Gruppe bis +35 °C steigen! Von dieser Solidarität könnten sich die Menschen etwas abschauen. Das ganze Wesen und Aussehen der Pinguine rührt mich an, vielleicht, weil sie uns so ähnlich sind. Ihr watschelnder Gang, wie fürsorglich sie das Ei behüten und wie dramatisch es auch sein kann, wenn die Eiübergabe vom Weibchen zum Männchen nicht schnell genug funktioniert – in der Eiskälte ist das Ei sofort erfroren, das ist wie eine Fehlgeburt.
Nach dieser Leistung macht sich das Pinguinweibchen auf den Weg zum Meer, um seine Körperreserven wieder aufzubauen und gibt dazu das Ei an den glücklichen Vater ab, der es in einer Bauchfalte aufnimmt. Der fette Bauch dient dem werdenden Vater über 65 Tage lang als Speicherkammer und dem Ei als Schutz gegen die Kälte (bis minus 40 – 50 °C). Kurz bevor die väterlichen Fettreserven aufgebraucht sind, schlüpft das Küken. Nun wird der Kaiserpinguin unruhig und erwartet sehnsüchtig sein Weibchen, weil ihn nach nun 115 Fastentagen ein unwiderstehliches Signal drängt, zum Fischfang ins Meer zurückzugehen.
Kommt das Weibchen rechtzeitig zurück, um das Küken zu übernehmen, füttert sie es mit Fisch, den sie tagelang in ihrem Magen konservieren kann. Wenn das Weibchen nicht rechtzeitig zurückkommt (z. B. wenn es umgekommen ist), verlässt das Männchen sein Küken, das nicht allein überleben kann – so stark ist das Signal des Stoffwechsels, seine Körperreserven wieder aufzubauen!
Während des ganzen Fastens – mit Ausnahme der ersten Tage – ist der Ruheenergieumsatz reduziert. Wenn die Fettreserven so weit verbraucht sind, dass das Tier nur noch so viel Energiereserven hat, um damit bis zum Meer laufen...