Die Wildlederhandschuhe
Den Pferden, mit denen ich arbeite, versuche ich einen Ort der Sicherheit und ein Gefühl des Friedens zu vermitteln. Manchmal ist das nur ein ruhiger Augenblick, während dessen sie in meiner Nähe stehen. Das Gefühl hält vielleicht nicht lange an, denn Vertrauen passiert nicht einfach so, aber ich weiß, dass die Pferde die Friedlichkeit spüren. Ich spürte sie in der Nacht, als ich mit Duke, meinem Hund, in dem Fass zusammensteckte. Für kurze Zeit war ich, seit meine Mom tot war, wieder an einem sicheren Ort – ein bisschen kalt, aber sicher.
An die Stunden mit Duke muss ich immer denken, wenn es Zeit wird, unsere Fohlen abzusetzen. Bei uns werden sie mit sechs Monaten abgesetzt, aber so viele Jahre ich nun auch schon mit Pferden arbeite, ich bin immer noch voller Mitgefühl mit den Jungpferden. Ich weiß um den Schrecken, der in ihnen aufsteigt, wenn sie von ihren Müttern getrennt werden, und ich versuche, ihnen die Prozedur so leicht wie möglich zu machen.
Bei uns bedeutet das Absetzen einen klaren Schnitt. Ich bringe die Fohlen außer Hörweite der Stuten, damit sie sie nicht rufen hören und durchdrehen. Mütter lieben ihre Babys, und für sie ist es genauso schwer.
Die ersten Lebensmonate sind für Stute und Fohlen eine kostbare Zeit. Die Instinkte der Mutterstute haben sich über Tausende Jahre entwickelt, und sie weiß mehr über die Bedürfnisse und das Wohlgefühl ihres Babys als ich. Das Absetzen endet damit, dass sich die Fohlen in meiner Gegenwart und im Umgang mit mir wohlfühlen.
Die ersten Tage getrennt von den Müttern sind für die Fohlen eine problematische Zeit. Deshalb halte ich es für notwendig, dass sie die Möglichkeit haben, von allein damit klarzukommen. Sehr oft geben sich die Fohlen gegenseitig Halt, denn wir lassen sie als Herde zusammen. Eine weitere Hilfe ist, dass ich ihnen immer einen „Babysitter“ mitgebe, meist einen älteren, ausgedienten Wallach, dessen stabile Gemütslage beruhigend auf die Kleinen wirkt. Diese Idee ist nicht auf meinem Mist gewachsen – es wird schon viele Jahre so gemacht, aber weil ich selbst als Kind Ähnliches durchgemacht habe, verstehe ich die Beruhigung und den Trost, die von solch einem stabilisierenden Faktor ausgehen.
Die Fohlen kommen mit dem Wallach gut zurecht. Anfangs wirkt er beruhigend, später sorgt er für Disziplin innerhalb der Gruppe und unterbindet ungehöriges Benehmen.
Zuerst lassen wir die Jungpferde allein. Sie müssen sich ungestört mit den anderen Absetzern und ihrem „Babysitter“ zusammenfinden können. Solange sie unsicher und ängstlich sind, kann man ihnen sowieso nicht viel beibringen. Aber wenn sie Zeit haben, sich zu beruhigen, bevor sie erstmals aufgehalftert werden, besteht eine reelle Chance, dass sie weder zu Klebern noch zu Sozialkrüppeln werden. Von Ihnen erhalten sie, wofür Sie verantwortlich sind: Anleitung, Ausbildung und einen Ort der Sicherheit.
Wir fangen an, mit den Fohlen zu arbeiten, wenn sie friedlich sind und sich damit abzufinden beginnen, dass sie nicht mehr gesäugt werden. Unser Geschenk an sie ist Zeit. Das ist etwas, was jedes Baby verdient – Pferde- wie Menschenkind. Es ist der Zeitpunkt, an dem eine lebenslange Beziehung mit den Kleinen ihren Anfang nimmt. Wir ersetzen ihnen die Mütter, und sie legen ihr Leben in unsere Hände. Ich sehe dies als Ehre und Privileg sowie als Verantwortung an.
Der erste Punkt der Geschäftsordnung besteht darin, die schreckliche Leere auszufüllen, die durch die Trennung von der Mutter entstanden ist. Sie ist nicht mehr da als Freundin und, noch wichtiger, als Leitfigur. Was sie zu bieten hatte, war Führung. Es ist zu hoffen, dass das junge Pferd diese von einem fähigen Menschen erhält, aber leider fehlt es genau daran bei vielen.
Nach ein oder zwei Tagen, wenn die Fohlen nicht mehr dauernd nach ihren Müttern rufen, werden sie aufgehalftert. Wir arbeiten sie im Round Pen, am Ende eines Halfterstricks, immer rund herum. Wir helfen ihnen, sich ohne Angst zu bewegen, sich von einem Menschen ebenso führen oder leiten zu lassen, wie es ihre Mutter getan hätte. Anfangs sind Menschen für die Fohlen nicht genauso wie ihre Mütter, aber wenn die Menschen Halt und nicht nur Zuneigung geben, kann es durchaus so weit kommen.
Haben Sie jemals darüber nachgedacht, wie die Mutterstute ihr Fohlen, ob hungrig oder nicht, dazu bringt, ihr zu folgen? Sie verfügt über keinen Strick, kein Halfter, sie zieht es nicht hinter sich her oder zwingt es irgendwie, sich zu unterwerfen. Stattdessen nutzt sie den Herdeninstinkt, den eigenen und den des Fohlens. Sie stellt sich hinter das Fohlen und stupst es am Hinterteil – ein bisschen von links, ein bisschen von rechts, immer mit einem sanften Stoß ihrer Nase. Hat sie das Fohlen in Bewegung gebracht, setzt sie sich davor, um seine Energie „mit sich zu ziehen“.
Diese Technik erweist sich in vielen Situationen als nützlich. Sie müssen nicht ziehen oder dominant sein. Sie können Druck ausüben ohne körperliche Dominanz. Sobald Sie die Energie aufgerufen haben, können Sie sie in jede beliebige Richtung ziehen. Subtile Handlungen können eine große Wirkung haben, und ob Sie es glauben oder nicht: Etwas von diesem Herdeninstinkt ist auch bei uns Menschen noch lebendig.
Kleine Kinder haben wenig Einfluss auf das, was mit ihnen geschieht. Als Erwachsene haben sie jedoch die Gelegenheit, eins und eins zusammenzuzählen und Selbstsicherheit zu entwickeln. Wahrscheinlich haben viele von Ihnen einen dunklen Fleck in der Vergangenheit. Vielleicht hat man Sie misshandelt oder verlassen, aber wenn Ihnen später diese Erfahrung als Ausrede für irgendwelche Unzulänglichkeiten dient, dann haben Sie einen Fehler gemacht und ein paar Gelegenheiten versäumt.
Erwachsene haben die freie Wahl. Wenn Sie erwachsen sind, können Sie Ihre Unzulänglichkeiten nicht Ihrem Vater zur Last legen, weil er gemein zu Ihnen war oder Sie verprügelt hat, oder Ihrer Mutter, weil sie gemein zu Ihnen war, oder die Verantwortung einer Tante, einem Onkel oder den Großeltern zuschieben. Sie müssen die Verantwortung dafür übernehmen, was Sie sind und wohin Ihr Weg Sie führt.
Pferde sind nicht wie Menschen. Wir müssen Verantwortung für sie übernehmen, einfach weil sie immer in unserer Obhut sind. Ohne uns kommen sie nicht durch. Sie sind gezwungen, in unserer Welt zu leben. Deshalb haben die Regeln sich geändert: Auch ein ausgewachsenes Pferd ist in unserer Welt immer noch unsere Verantwortung. Das verdoppelt für uns die Last. Ein Mensch ist verantwortlich für sich selbst und für sein Pferd. Und wenn Sie damit in beiden Bereichen erfolgreich klarkommen, haben Sie ein angenehmes Leben – Sie und alle, die mit Ihnen zu tun haben.
In den vielen Jahren, in denen ich nun schon Kurse gebe, habe ich immer wieder Leute darüber reden hören, wie schlecht es ihren Pferden doch früher ergangen sei. Erst erzählen sie mir des Langen und Breiten, was ihr Pferd alles für sie tut oder nicht tut, und dann erzählen sie, wie sie es gerettet haben. Manchmal hören sie sich an, als ob sie sich für die unvermeidlichen Fehler entschuldigen wollten, die sie bereits für sich allein ausgemacht haben. Es ist fast, als hätten sie das Gefühl, nachdem sie ein misshandeltes Tier gerettet haben, sei es in Ordnung, es mit der Arbeit nicht so genau zu nehmen, weil sie doch, in ihren Augen, zumindest barmherzige Samariter gewesen sind.
Viele dieser Pferde sind aber absolut nicht misshandelt worden. Vernachlässigt, das vielleicht schon, vielleicht haben sie auch nicht sehr viel Klasse oder sind nicht gut genug erzogen, aber misshandelt wurden sie nicht.
Bei einem Pferd, das wirklich misshandelt wurde, müssen Sie sich einiges klarmachen. Sie können das, was bei ihm schiefgegangen ist, nicht einfach dadurch richten, dass Sie Mitgefühl haben. Sie helfen ihm nicht, indem Sie es einfach in Ruhe lassen und nichts tun.
Das trifft auf alle misshandelten Kreaturen zu, wie ich bei mir selbst festgestellt habe.
Manche Leute glauben, dass ein Pflegekind immer zu bedauern ist. Ich darf Ihnen versichern: Das stimmt nicht. Nicht wenige gute Menschen da draußen haben das Leben für eine Menge Kinder wieder in Ordnung gebracht, mit vielen Happy Ends.
Nachdem Mom gestorben war, wurde das Leben mit Dad jeden Tag schlimmer. Ich bin sicher, wären wir noch sechs Monate länger bei ihm gewesen, wäre einer von uns oder wären wir beide tot gewesen, denn Smokie war an dem Punkt angelangt, wo er es einfach nicht mehr aushalten konnte. Von der Schule nach Hause gingen wir immer in einem trockenen Bachbett, das sich ein, zwei Kilometer durch die Weiden bis zu unserem Haus in Whitehall hinzog, und jeden Tag fragten wir uns, ob wir morgen auch noch hier gehen oder von der Hand unseres Vaters sterben würden. Was Johnny France für uns tat, sollte sich als Wendepunkt unseres Lebens herausstellen.
Forrest und Betsy Shirley lebten auf einer Ranch außerhalb von Norris, ganz in der Nähe von Bozeman. Sie hatten nicht nur vier eigene Kinder groß gezogen, sondern auch siebzehn Pflegesöhnen ein Heim gegeben. Manche blieben nur kurz, andere länger. Johnny France war der Erste gewesen, wir waren die Letzten. Nachdem wir weg waren, nahmen sie keine Kinder mehr auf. Entweder dachten sie, sie hätten ihren Job gut gemacht, es könne nichts Besseres mehr nachkommen, oder wir hatten ihnen das Ganze gründlich vermiest.
Als Emery Smith, der Sozialarbeiter, Smokie und mich bei den Shirleys abgab, war uns ziemlich mulmig zumute. Wir hatten genug davon, Fäusten, Gürteln, Reitgerten und Kegeltrophäen ausweichen zu müssen, und waren uns nicht sicher, was...