Der Ehrwürdige Ananda
Die Luft vibrierte, so hart schlugen die Trommler mit den Fingern und Handballen das Fell. Umdrängt von Menschen ließ ich mich von einem Mönch hinabführen zum Brunnenhof. Dort mußte ich das Hemd ablegen, Wasser schöpfen und mir den Kopf waschen. Dann hieß mich der Mönch niederhocken auf einen Felsblock am Rande und schor mir mit einem Messer achtsam den Schädel. Danach rieb er die Kopfhaut mit zerhackter Safranwurzel ein, und noch einmal mußte ich meinen Kopf waschen. Dabei fragte ich mich, ob ich immer noch verzweifelt sei und voller Furcht und fand, daß Angst und Verzweiflung kindlicher Neugier gewichen waren. Ich spürte den Wunsch, mich zu sehen ohne Haupthaar und Bart. Aber es gab nichts, in dem ich mich hätte spiegeln können, und es erschien mir ungehörig, nach einem Spiegel zu fragen.
Die Freunde halfen mir nun beim Umkleiden: Fort mit den westlichen Resten, dafür jetzt der weiße Sarong, das weiße, wallende Hemd und das lang gefaltete, weiße Laken, das schräg über Brust, Schulter und Rücken gelegt wurde. Dann führten mich zwölf Mönche in das Haus der Zeremonie, im Gänsemarsch, ich am Ende der Schlange, die kleinsten Mönche um fast drei Haupteslängen überragend. Die Trommelschläge ließen meine Haut vibrieren.
Ich hatte alle Angst vergessen.
Auf handhohen, blauen Polstern rings an den Wänden sitzen die Mönche, die Beine untergeschlagen. Ich kniee vor dem Abt, die Hände mit gegeneinander gelegten Flächen so vor die Brust gehoben, daß die Fingerspitzen das Kinn berühren, den Kopf aufgerichtet. In Pali, Buddhas eigener Sprache, wiederhole ich nun, was der Abt, Induruwa Uttarananda Maha Thero, der mein Lehrer sein wird, vorspricht:
Lobpreis dem Glücklichen, Freien,
Vollkommen Erwachten!
Lobpreis dem Glücklichen, Freien,
Vollkommen Erwachten!
Lobpreis dem Glücklichen, Freien,
Vollkommen Erwachten!
Ich nehme Zuflucht zum Buddha.
Ich nehme Zuflucht zur Buddha-Lehre.
Ich nehme Zuflucht zum Buddha-Orden.
Wiederum nehme ich Zuflucht zum Buddha.
Wiederum nehme ich Zuflucht zur
Buddha-Lehre.
Wiederum nehme ich Zuflucht zum
Buddha-Orden.
Noch einmal nehme ich Zuflucht zum Buddha.
Noch einmal nehme ich Zuflucht zur
Buddha-Lehre.
Noch einmal nehme ich Zuflucht zum
Buddha-Orden.
Ich will kein lebendes Wesen töten
noch verletzen.
Ich will nicht nehmen,
was mir nicht gegeben wird.
Ich will kein Lebewesen
zur Stillung meiner Lust mißbrauchen.
Ich will nicht reden,
was unwahr ist.
Ich will keine Drogen zu mir nehmen,
die mich unachtsam machen.
Ich muß nun die Arme ausstrecken, aber als Zeichen der Ehrerbietung bleiben die Handflächen weiter gegeneinander gelegt. Einer der Freunde, die hinter mir knien, legt das gefaltete Bündel mit der Gelben Robe auf die Unterarme. Wieder wende ich mich an den Abt.
Mit Verlaub, Ehrwürdiger, mich verlangt
nach Aufnahme in den Orden.
Wiederum, Ehrwürdiger, mit Verlaub, mich
verlangt nach Aufnahme in den Orden.
Noch einmal, Ehrwürdiger, mit Verlaub,
mich verlangt nach Aufnahme in den Orden.
Nachdem ich diese Robe empfangen habe,
Ehrwürdiger, bitte ich Euch:
Nehmt mich auf in den Orden,
auf daß ich das Ende der Unbefriedigung,
Nirwana, berühre.
Jetzt muß ich das Robenbündel dem Abt übergeben und dreimal die leicht abgewandelte Bitte wiederholen:
Nachdem ich Euch die Robe übergeben habe,
Ehrwürdiger, bitte ich Euch:
Nehmt mich auf in den Orden,
auf daß ich das Ende der Unbefriedigung,
Nirwana, berühre.
Nun ist es der Abt, der sich leicht nach vorn beugt und das Bündel zurücklegt auf meine ihm entgegengestreckten Arme. Behutsam lösen seine Finger die Verschnürung, das ist die gelbe Schärpe, die später als Gürtel um die Unterrobe gewunden wird. Mit beiden Händen greift der Abt diesen Stoffstreifen und legt ihn mir um den Nacken, so daß ich jetzt mit dem Robenbündel verbunden bin wie ein Embryo durch die Nabelschnur mit dem Mutterleib. Die Robe ist zum Teil meines Körpers geworden, mein Körper zum Teil der Robe.
Dies ist der entscheidende Augenblick.
Ich bin nicht mehr da. An meiner Stelle kniet jetzt der Ehrwürdige Ananda Thero, und dieser rezitiert:
Gesammelt und achtsam empfange ich die Robe;
sie möge mir Schutz gewähren
vor Kälte und Hitze, vor Fliegen und Mücken,
vor Sonne und Wind, vor dem Schlangenzahn,
und um das Geschlecht zu bedecken.
Und in Betrachtung des eigenen Körpers wiederhole ich, wiederholt Ananda Thero, die Worte dessen, der ihn mit der Schärpe gebunden hat:
Haupthaare – Körperhaare – Nägel – Zähne – Haut – Haut – Zähne – Nägel – Körperhaare – Haupthaare.
Stellvertretend für sämtliche Körperteile werden diese genannt.
Mehr bist du nicht. Die Summe aller Teile wird Ananda genannt.
Nun führen vier Mönche ihren jungen Bruder hinaus, über den Klosterhof, in den Wohntrakt der Mönche, in eine Zelle. Dort lege ich das weiße Laken ab, das weiße Hemd, den weißen Sarong – nicht aber die gelbe Schärpe vom Nacken! Und die Brüder helfen mir, die Unterrobe anzulegen, was so einfach aussieht und so schwierig ist, bedeuten mir verlegen, ich müsse mich nun von meiner westlichen Unterhose trennen, dann zeigen sie mir, wie man die Gelbe Robe anlegt, was noch einfacher aussieht und noch schwieriger ist, besonders jetzt, da in einem festlichen Akt beide Schultern eines Mönches verhüllt werden sollen, nicht nur die linke. Während dies geübt und gelernt wird – ich werde es noch vielmals üben müssen – wiederhole ich, wiederholt der junge Bruder dreimal leise, was er vordem öffentlich gelobt hatte:
Gesammelt und achtsam empfange ich die Robe.
Gesammelt und achtsam empfange ich die Robe.
Gesammelt und achtsam empfange ich die Robe.
Nun in der Gelben Robe, nun nicht mehr unterschieden von den Mönchen, nun selber Mönch, nun dem weltlichen Leben entronnen, nun unter einem von jungen Dorfleuten gehaltenen weißen Baldachin, nun von den vier Brüdern geleitet, nun unter Trommeldröhnen und Flötengeschrill, nun umringt von der Menschenmenge im Klosterhof, nun von dieser gegrüßt mit der Geste der Verehrung: die aneinandergelegten Handflächen vor die Stirn erhoben. Nun schreitet der junge Mönch, der nach Lebensjahren viel älter ist als die Mehrzahl seiner neuen Brüder, zurück ins Haus der Zeremonie, wo die anderen Mönche seiner warten, läßt sich nieder dort auf die Knie, beugt den Oberkörper weit nach vorn, stützt sich auf die Handflächen, legt die Stirn auf den Boden: Ehre zu erweisen dem Buddha-Orden als spiritueller Größe und den lebendigen Menschen in der Gelben Robe, die ihn leibhaft vertreten. Dann wendet er sich gesondert an seinen Abt und Lehrer, der ihn gebunden hatte, und ich spreche, nein, Ananda Thero spricht:
Mit Verlaub, Ehrwürdiger, mich verlangt
nach der Dreifachen Zuflucht,
nach Aufnahme in den Buddha-Orden,
nach den Zehn Regeln,
nach der Buddha-Lehre.
Aus Barmherzigkeit, Ehrwürdiger,
gebt mir die Zehn Regeln!
Und wie ich zu Beginn die Fünf Regeln des Laien rezitiert hatte, der im weltlichen Leben dem Weg des Buddha zu folgen versuchen will, so obliegt es nun Ananda, die Zehn Grundregeln der Mönche zu rezitieren, auf denen die zweihundertsiebenundzwanzig Einzelregeln beruhen, die das Leben eines Mönches im Kloster bestimmen:
Ich will kein lebendes Wesen töten
noch verletzen.
Ich will nicht nehmen,
was mir nicht gegeben wird.
Ich will mich unwürdiger Lust
enthalten.
Ich will nicht reden,
was unwahr ist.
Ich will keine Drogen zu mir nehmen,
die mich unachtsam machen.
Ich will nicht zur Unzeit
Nahrung zu mir nehmen.
Ich will nicht an Darbietungen teilnehmen,
die dem Vergnügen dienen.
Ich will weder Schmuck noch Wohlgerüche
an mir dulden, noch irgend etwas,
das den Körper schönt.
Ich will nicht auf hohen,
üppigen Stühlen sitzen.
Ich will weder Gold
noch Silber annehmen.
Diese Zehn Ordensregeln will ich halten.
Diese Zehn Ordensregeln will ich halten.
Diese Zehn Ordensregeln will ich halten.
Darauf fragt der Abt den jungen Bruder:
Ist das dein fester Wille?
Und Ananda antwortet:
Ja, Ehrwürdiger,
das ist mein fester Wille.
Damit ist die Zeit der Häuslichkeit vollkommen beendet, die Zeit der Unhäuslichkeit hat begonnen. Mit ernster, achtsamer Miene mustern die Mönche den jungen Bruder. Dieser läßt den Blick wandern von Augenpaar zu Augenpaar, versucht, den prüfenden Blicken standzuhalten. Endlich senken sich die Köpfe, und die Mönche stimmen eine Gatha an, in der eine seltsame Geschichte erzählt wird:
Als aus dem Wanderasketen Gotama der Buddha geworden war, erbebten die Himmel vom Freudenschrei der Götter. Jetzt sollte Wahrheit verkündet werden, nach der selbst die Götter sich verzehrt hatten. Und so traten die Himmlischen vor den Buddha, der noch unter dem Bodhi-Baum...