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„Starker Mann“ oder „Grüß-Gott-August“ – Wie viel Macht hat ein Bürgermeister?
Bürgermeister haben als politische Amtsträger Macht, die ihnen von der Wahlbevölkerung auf Zeit übertragen wird. Wenn man aber genauer wissen will, wie viel Macht ein Bürgermeister in seiner Kommune hat, wird man schnell feststellen, dass konkrete Machtpositionen eine beträchtliche Bandbreite haben können, die von verschiedenen Rahmenbedingungen abhängig sind.
Der Bürgermeister ist zwar meistens der „Starke Mann“, ohne den nichts läuft. Aber in wenigen Städten muss er die Führungsrolle mit anderen Akteuren teilen und ist im schlimmsten Fall nur noch der für die Repräsentation zuständige „Grüß-Gott-August“. Um sich also einer Antwort auf die Frage nach der Macht anzunähern, werden im folgenden Kapitel die Rahmenbedingungen für die Beschreibung der Machtposition von Bürgermeistern erläutert. Sie reichen von der Stellung der Kommunen im Staatsaufbau, über die institutionelle Kompetenzverteilung in der Kommunalverfassung, den Aufgaben der Kommunalverwaltung bis hin zur Finanzsituation. Abschließend werden Anhaltspunkte zur Ermittlung des Machtpotentials „echter“ Bürgermeister vorgestellt.
2.1 Macht – was ist das?
Definition
Folgt man einer politikwissenschaftlichen Definition, dann bezeichnet der Begriff Macht „die Möglichkeit der Machthabenden, ohne Zustimmung, gegen den Willen oder trotz Widerstandes anderer die eigenen Ziele durchzusetzen und zu verwirklichen.“ (Schubert/Klein 2003, 183). Jemand, der Macht hat, kann also seine Vorstellungen und Ziele in der Politik durchsetzen und ein politisches Ergebnis entscheidend prägen, auch wenn andere politische Akteure dagegen sind. Nur selten funktioniert dies in der realen Politik so einfach, wie es die Definition vermuten lässt. Denn in den Kommunen, wie in allen anderen demokratischen politischen Systemen, wird Macht durch verschiedene Mechanismen verliehen, geteilt und kontrolliert:
– Machtverleihung: Macht wird auch in Städten und Gemeinden durch Wahlen auf Zeit verliehen. Bürgermeister werden unmittelbar durch die Bürgerschaft gewählt.
– Machtteilung: Der Bürgermeister teilt sich die Macht in erster Linie mit dem Rat, der in vielen Kommunalverfassungen sogar das Hauptorgan der Gemeindeverwaltung ist.
– Machtkontrolle durch den Rat: Der Rat kontrolliert die Machtausübung des Bürgermeisters in seinem Bereich zusammen mit der lokalen Öffentlichkeit und den Medien, wie auch der Bürgermeister wiederum die Machtausübung des Rates kontrolliert.
– Machtkontrolle durch die Bürgerschaft: Die Bürgerschaft hat die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen kommunale Sachentscheidungen selbst zu treffen (Bürgerentscheid) und damit Entscheidungen des Rates zu ersetzen oder zu korrigieren. Außerdem gibt es in den meisten Ländern grundsätzlich die Möglichkeit, Bürgermeister wieder abzuwählen, auch wenn dieses Verfahren in der Regel vom Rat ausgehen muss (→ Kapitel 3).
Machtpotentiale
Daher ist es sinnvoller, von Machtpotentialen bestimmter Akteure auszugehen und zu untersuchen, welche Handlungsspielräume und Entscheidungskompetenzen ein Bürgermeister hat. Diese werden stark, aber nicht ausschließlich durch Regelungen der Kommunalverfassung geprägt, auf die weiter unten näher eingegangen werden soll.
Gestaltungs-Macht
Macht ist kein Selbstzweck, zumindest nicht für die Bürgermeister in Deutschland. Wie eine repräsentative Befragung von Bürgermeistern im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, des Deutschen Städtetages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes aus dem Jahr 2008 ergab, ist nur für 12 Prozent der befragten Bürgermeister die Machtausübung ein wichtiger oder sehr wichtiger Grund gewesen, Bürgermeister zu werden.
Es fällt jedoch auf, dass neben der Machtausübung auch alle anderen Motive, die in erster Linie dem eigenen Nutzen des Befragten dienen, wie z. B. die „finanzielle Vergütung“ (19%) oder die Förderung der Karriere (15%), auf den hinteren Plätzen landen. Deutlich wichtiger sind dagegen Ziele wie die Gestaltung des Stadtbildes (97%), der Umgang mit Menschen (95%), die Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl (91%) oder – auch schon mit deutlicherem Abstand – die allgemeine politische Gestaltung (57%). Kaum ein Bürgermeister würde öffentlich zugeben, dass er gerne Macht hat und nur an der eigenen Karriere und am Geld interessiert ist, selbst wenn es so wäre. Das würde bei seinen Wählerinnen und Wählern wahrscheinlich nicht gut ankommen. Aber auch um die anderen wichtigen Motive zu verwirklichen, sind Handlungsspielräume und Entscheidungskompetenzen notwendig. Macht eröffnet Bürgermeistern dann erst die Möglichkeit zur Gestaltung. Der Einsatz von Macht kann dazu führen, politische Ziele zu erreichen. Und das erwarten auch die Wählerinnen und Wähler.
Abbildung 3: Gründe, Bürgermeister zu werden. Quelle: Bertelsmann Stiftung 2008, 31. (Rundungsbedingte Summenabweichung)
2.2 Die Kommunale Selbstverwaltung
Kommunale Ebene
Städte und Gemeinden sind in Deutschland fest in das föderale politische System eingebunden. Die kommunale Ebene (Städte, Gemeinden und Kreise) bildet die unterste Ebene des dreistufigen Verwaltungsaufbaus in Deutschland, darüber kommen noch die Landes- und die Bundesebene (vgl. Nassmacher/Nassmacher 2007, 19 ff.). Das Grundgesetz gibt den Kommunen in Artikel 28 Absatz 2 eine Selbstverwaltungsgarantie:
„Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“
Ähnliche Formulierungen finden sich auch in den meisten Landesverfassungen. Daraus lassen sich verschiedene so genannte Hoheitsrechte der Kommune ableiten (Andersen 2009,198), z. B. das Recht, eigenes Personal zu beschäftigen (Personalhoheit) oder die Möglichkeit zum Erlass kommunaler Satzungen (Rechtsetzungshoheit). Der tatsächlich vorhandene Gestaltungsspielraum der Kommunen – und damit der Einfluss eines Bürgermeisters – bei der Regelung ihrer „Angelegenheiten“ ist aber geringer als die großzügige Formulierung vermuten lässt. Das liegt ganz wesentlich an der Einschränkung „im Rahmen der Gesetze“, die Land und Bund vielfältige Einflussmöglichkeiten auf die Kommunalverwaltung eröffnen und auch die Hoheitsrechte der Kommunen einschränken können. Deshalb wird die kommunale Ebene von Staatsrechtlern auch nicht als eigenständige Ebene des Staates gesehen, sie ist vielmehr formal ein Teil der Landesverwaltung. D. h. der jeweilige Landtag beschließt in Form von Landesgesetzen die wesentlichen Rechtsvorschriften für die Kommunen. Bürgermeister und Ratsmitglieder haben also nur indirekten Einfluss auf die Gestaltung dieser Gesetze, z. B. über die Landtagsabgeordneten ihrer Partei oder die kommunalen Interessenverbände (z. B. der Städte- und Gemeindebund), die vor der Veränderung solcher Gesetze vom zuständigen Landtagsausschuss nach ihrer Meinung gefragt werden.
Kommunalverfassungen – die Spielregeln
Wer wissen will, wie viel Macht ein Bürgermeister in Deutschland hat, wird mit einer beeindruckenden föderalen Vielfalt konfrontiert. Wenn man die Stadtstaaten Berlin, Bremen/Bremerhafen und Hamburg aufgrund ihrer besonderen Struktur beiseite lässt, haben die 13 Flächenländer in Deutschland immerhin 13 verschiedene Kommunalverfassungen. Auch wenn diese Kommunalverfassungen sich durch umfangreiche Reformen in den letzten Jahren ähnlicher geworden sind, gibt es immer noch viele Unterschiede, die mit den kommunalen Traditionen der Länder zusammenhängen (→ Kapitel 1). Die Kommunalverfassung eines Landes besteht aus verschiedenen Gesetzen, Verordnungen und Satzungen, die den rechtlichen Rahmen für die Kommunen bilden. Der wichtigste Bestandteil der Kommunalverfassung eines Landes ist die jeweilige Gemeindeordnung, in der die wichtigsten Spielregeln für die Kommunalpolitik festgehalten werden, z. B. Regelungen
– zur Aufgabenverteilung zwischen Bürgermeister und Rat,
– zu den Rechten und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger,
– über die Grundlagen und Aufgaben der Kommunalverwaltung.
Die Kommunen haben außerdem eine Hauptsatzung, in der Vorschriften der Kommunalverfassung ergänzt und z. B. die Abgrenzungen der Handlungsspielräume von Rat und Bürgermeister konkretisiert werden. Wichtig ist außerdem die Geschäftsordnung des Rates, in der Antrags- und Rederecht, Einladungsfristen zu Sitzungen u. Ä. für den Rat festgelegt werden.
Gemeinsamkeiten der Kommunalverfassungen
Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit Kommunalverfassungen liegt in diesem...