2. Akteure bei Bürgerbeteiligungsprozessen
2.1 Akteure und Rollen
Abbildung 4: Übersicht der Steuerungsakteure im trisektoralen Umfeld
Erfordernis eines Beteiligungsmanagements
Bürgerbeteiligung führt zu einer Veränderung der bestehenden Kräfteverhältnisse in Staat und Gesellschaft und damit zu Machtverschiebungen. Abbildung 4 zeigt, welche Akteure oder Akteursgruppen daran beteiligt sind und welchen Sektoren diese angehören.79
Zentrale Organisationseinheit in diesem Geflecht ist das Beteiligungsmanagement. Es steuert die Veränderungen, organisiert Beteiligungsprozesse und fördert die Zusammenführung beider Systeme. Je nach Größe der Verwaltung oder nach Umfang und Komplexität der Beteiligungslage umfasst das Beteiligungsmanagement eine oder mehrere Personen, die entweder eine eigene Organisationseinheit bilden oder aus persönlichem Referent des Bürgermeisters, Geschäftsstellenreferent des Gemeinderats, Pressereferent, Ehrenamts- und Qualitätsbeauftragten und Fachvertretern zu einem Projektteam zusammengeführt sein können. Als Beteiligungsmanagement wird hier eine Aufgabe beschrieben, die bestimmte Funktionsanforderungen erfüllen muss, die nicht zwingend auch eigene Stellen besetzen müssen.
Die Bediensteten sind Betroffene und Gestalter gleichermaßen
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung sind Betroffene und Mitgestalter der Veränderungen. Betroffene sind sie insoweit, als sie ihren Aufmerksamkeits- und Handlungsfokus erweitern müssen. Sie sind Mitgestalter, da sie durch die Art ihres Handelns in die Rolle des „Glaubwürdigkeitsmittlers“ schlüpfen und damit wesentlich die von ihrer Organisation ausgehende „Beteiligungshygiene“ bestimmen.80
Politische Verantwortung
Bürgermeister, Verwaltungsleiter und Dienstvorgesetzte tragen die dienstliche Verantwortung für ein professionelles Beteiligungsmanagement und für eine entsprechende strategische und operative Ausrichtung ihrer Verwaltung. Die Politik trägt die politische Verantwortung für die Herstellung ermöglichender Bedingungen sowie für ein nachhaltiges Gelingen und Erleben von Beteiligungsprozessen, wozu auch die Findung eines eigenen neuen politischen Selbstverständnisses gehört, das Konkurrenzfragen vorbeugt und Interessenlagen klärt.
Prozessbegleiter und andere Rollen
Moderatoren, Mediatoren und sonstige Prozessbegleiter unterstützen und beraten das Beteiligungsmanagement bei der Vorbereitung, Planung und Durchführung von Beteiligungsprozessen, sofern diese Aufgaben vom Beteiligungsmanagement nicht selbst ausgeführt werden können. Ob die Durchführung von Beteiligungsprozessen selbst durchgeführt oder fremdvergeben werden soll, sollte wesentlich von den vorhandenen Fähigkeiten und einer antizipierten Interessenkollision abhängig gemacht werden. Arbeiten Behörden und Vorhabenträger schon längere Zeit zusammen oder ist die Behörde möglicherweise auch Vorhabenträger, was aus einer bürgerschaftlichen Sicht betrachtet eine Interessenverflechtung nahelegen kann. Diese Zuschreibung kann den Beteiligungsprozess belasten. Man kann sie vermeiden, wenn ein Prozessbegleiter oder ein Moderator als neutraler Dritter eingebunden werden. Wirtschaft und Verbände sollten Beteiligungsprozesse unterstützen, indem sie Projekte und Vorhaben rechtzeitig anzeigen, ihre Absichten erläutern und im wohl verstandenen Eigeninteresse auch selbst Beteiligungsprozesse veranlassen (vgl. dazu auch Nr. 2.2.3).
Wirkungszusammenhänge und zentrale Problemstellungen
Im Interaktionsgeflecht der Akteure können drei Wirkungszusammenhänge unterschieden werden (Einkreisungen), denen zwei grundsätzlich unterschiedlich zu gestaltende Problemlagen zu Grunde liegen (Abbildung 5). Unterschieden werden können folgende Wirkungszusammenhänge:
– Die Interaktionen zwischen den staatlichen Institutionen Politik und Verwaltung (Staat) zum einen,
– die Interaktionen zwischen Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft zum anderen und
– die Interaktionen zwischen Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.81
Im Mittelpunkt der Trias von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft steht die Bewältigung des oben skizzierten Mentalitätswandels, da sich infolge von nachhaltiger Bürgerbeteiligung das klassische Verständnis von Regieren und Verwaltung verändert.
Anforderungen an zivilgesellschaftliche Akteure
Im Mittelpunkt der Trias von Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft stehen Maßnahmen zur Gestaltung einer zivilgesellschaftlichen Infrastruktur. Denn Zivilgesellschaft im Sinne einer Zivilisierung der Gesellschaft funktioniert insbesondere dann, wenn der Staat Spielräume für Mitgestaltung und Mitbestimmung einräumt, die Wirtschaft nicht nur Gewinnmaximierungsziele verfolgt, sondern sich auch für eine sozial stabile Gesellschaft als Voraussetzung für erfolgreiches Wirtschaften engagiert und die zivilgesellschaftlichen Organisationen (wie Vereine, Verbände) nicht nur auf Verberuflichung und Professionalisierung setzen, sondern immer auch Andockstelle für bürgerschaftliches Engagement bleiben.82
Abbildung 5: Trisektoraler Dialog
Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung funktionieren insbesondere dann, wenn jeder Einzelne bereit ist, seinen individuellen Handlungsradius zu erweitern und in der Lage ist, allgemeine Wahrnehmungen von persönlichen Befindlichkeiten zu abstrahieren. Denn der Bürgerbeteiligung liegt ein Bürgerbild zu Grunde, bei dem es dem Einzelnen um die Mitwirkung am Gemeinwesen geht. Demokratie in diesem normativen Sinne verstanden bedeutet, dass man sich für wichtige Fragen der Gesellschaft interessiert und einbringt, auch wenn davon „nicht nur der eigene Vorgarten“ betroffen ist. Ausgehend von diesem Anspruch und angesichts einer weit verbreiteten hedonistischen Werteorientierung ist Bürgerbeteiligung ein gesellschaftlicher Sozialisationsprozess, der wesentlich durch politische Bildung in den Schulen, gute Verwaltungserfahrungen sowie positive Selbstwirksamkeitserfahrungen in kommunalen Projekten und im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements gefördert werden sollte.83 Kennzeichen einer solchen idealisierten Zivilgesellschaft sind Gewaltfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Respekt, demokratische Prinzipien, Gerechtigkeit, Pluralität und Toleranz, die in dem hier skizzierten Rahmen vorbildgebend eingeübt werden sollten, damit Staat und Gesellschaft in die Lage versetzt werden, künftige Herausforderungen gemeinsam bewältigen zu können.84
2.2 Konfliktfelder und Lösungen
Bürgerbeteiligung ist nicht frei von Konflikten. Wird in das hier skizzierte Beziehungsgefüge eingegriffen, führt das regelmäßig dazu, dass die bestehenden Identitäten und Kräfteverhältnisse in Frage gestellt werden und daher neu austariert werden müssen. Ausgehend von den in Abbildung 6 wiedergegebenen Beziehungen werden nachfolgend folgende Konfliktlinien erörtert: zwischen Verwaltung und Bürgern, zwischen Gemeinderat und Bürgern und zwischen Verwaltung und Wirtschaft.85
Abbildung 6: Beziehungen der Beteiligungsakteure
2.2.1 Verwaltung versus Bürger
Wettbewerb um Expertisen
Ein potenzielles Konfliktfeld zwischen Verwaltung einerseits und Bürgerinnen und Bürgern andererseits betrifft die Akzeptanz zivilgesellschaftlicher Expertisen zu Gemeinwohlaussagen. Bei der Bestimmung oder Ausfüllung dessen, was unter Gemeinwohl zu verstehen ist, war die Verwaltung bislang weitgehend autonom.86 Es entspricht ihrem Selbstverständnis ausschließlicher Experte für Planung, Entwicklung und Verwaltung von öffentlichen Gemeingütern zu sein. Die Verwaltung sammelt eigenverantwortlich Daten und führt die Entscheidungsreife von Sachverhalten herbei. Nur sie ist dazu als „ausführende Gewalt“ legitimiert. Sie besitzt dafür die erforderliche Informationsverarbeitungskompetenz und hat daher – dem Selbstverständnis folgend – auch die alleinige Selektions- und Deutungsmacht über die einer Entscheidung zuzuführenden Inhalte. Hinzu kommt, dass sie über diverse Beschleunigungsgesetze angehalten wird, Verfahren zügig oder in knapp bemessenen Fristen umzusetzen. Mit einem erstarkten Bürgerwillen erhält sie eine Expertenkonkurrenz, zusätzliche Aufgaben und eine Entschleunigung durch vorgelagerte oder parallel verlaufende nicht förmliche Verfahren, was zu einem Zielkonflikt führt.87 Hinzu kommt, dass der Einwendungsausschluss infolge eingetretener Präklusion zu vorgezogenen Anfechtungen geführt und damit eine Anfechtungskultur gefördert hat, die nicht Schritt hält mit einer parallel sich entwickelnden Beteiligungskultur. Der sich beteiligende Bürger wird damit zunächst zum Störer. Er verursacht Aufwand, wenn zivilgesellschaftliche Akteure neue auf Kooperation setzende Handlungsformen...