Da im Rahmen der vorliegenden Arbeit ein Social TV Konzept für die LGBT-Fangemeinde des Eurovision Song Contests erstellt wird, soll diese Bevölkerungsgruppe aus der Sicht der Kulturwissenschaften betrachtet werden. Nach einer Einführung in die Cultural Studies wird daher näher auf die Begrifflichkeit der kulturellen Geschlechterrollen eingegangen und wie die Vorliebe zum gleichen Geschlecht in der Wissenschaft mit der Queer Theory beschrieben wird. Im Anschluss wird auf die Präsenz der LGBT-Community im Fernsehen als Teilaspekt der Populärkultur eingegangen, um dadurch die Verbindung zum Eurovision Song Contest als TV-Event herzustellen.
Ihren Ursprung finden die Cultural Studies im Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) an der Universität Birmingham in England aus dem Jahre 1964. Sinn und Zweck dieser Einrichtung war und ist es auch heute noch wissenschaftliche Untersuchungen in den unterschiedlichen Bereichen der Populärkultur wie Musikcharts, Fernsehprogramme und Werbung durchzuführen (University of Birmingham, 2015).
Der Begriff Cultural Studies lässt sich nur schwer definieren und kann nicht mit einer einheitlich gefassten Theorie erläutert werden. Ausgedrückt in einfachen Worten verfolgen die Cultural Studies das Ziel kulturelle Angebote und ihre damit einhergehende Wirkung zu untersuchen (Mediamanual.at, 2015). Nach Hall werden die Cultural Studies als eine „diskursive Formation“ angesehen (Hall, 1992, S. 278). Ähnlich sieht es auch Grossberg und beschreibt die Cultural Studies als „diskursiven Raum“ und unterstreicht damit die Offenheit, die bei der Definition der Cultural Studies einhergeht (Grossberg, 1999, S. 54f.).
Nicht zu vernachlässigen ist hierbei auch der räumliche Aspekt, den die Cultural Studies innehaben. Außerhalb Englands finden sich die verschiedensten Studien in anderen Ländern wie Australien, USA und den Niederlanden wieder, die bei der Behandlung des gleichen Kontexts zu unterschiedlichen Ergebnissen und Schlussfolgerungen kommen (Goldbeck, 2004, S. 26). Auch die zu behandelnden Schwerpunkte sind aus geographischer Sicht sehr unterschiedlich. Großbritannien stellt dabei die Verbindungen zwischen Politik und Theorie, Codierung und Decodierung und Medien und Rassismus in den Fokus, während die amerikanischen Untersuchungen vermehrt die Analyse von Zeichensystemen der Populärkultur in den Vordergrund stellt. Deutschsprachige Studien analysieren dabei verstärkt die Medienangebote und deren Wirkung auf die Gesellschaft (Mediamanual.at, 2015).
Für Hepp lassen sich die Cultural Studies mit den Schlagwörtern Kontextualität, Theorieverständnis, Interdisziplinarität und Selbstreflexion in Verbindung bringen und dienen für ihn als Grundpositionen der Cultural Studies (Hepp, 1999, S. 16). Vor allem die Kontextualität ist hier entscheidend, welche „je nach Einbettung unterschiedliche Ausprägungen erfahren“ kann und auch die „Kontexteinbettung der zu analysierenden Gegenstände“ (Goldbeck, 2004, S. 26) berücksichtigt. Das Theorieverständnis impliziert in Verbindung mit den Cultural Studies die Existenz vorhandener Theorien, welche einer Anpassung an die entsprechende Frage oder den Gegenstand bedürfen. Goldbeck beschreibt den Sinn der Theorien dabei als eine Möglichkeit, die aufzeigen soll, „wie die Alltagswirklichkeit zu verändern sei“ und dass diese „mit ihrer Analyse die alltäglichen lebensweltlichen Kontexte der Menschen besser verstehbar machen“. Als Beispiel sei hier der Gegenstand der Medien genannt und die Frage ihrer Platzierung im Alltag und welchen Stellenwert diese im Hinblick auf die „Konstruktion der alltäglichen Bedeutungen spielen“ (ebd., S. 27). Die Positionen Interdisziplinarität und Selbstreflexion beschreiben dabei die regelmäßige Anpassung der Cultural Studies an neue Begebenheiten und die Beachtung der permanenten Reflexion hinsichtlich der Kontexteinbettung (ebd., S. 27).
Basierend auf den Grundpositionen von Hepp gelingt es Goldbeck die Cultural Studies wie folgt zu beschreiben:
„Bei den Cultural Studies handelt es sich um ein intellektuelles Projekt, das sich alltäglichen Praktiken widmet und sie in ihrer kontextuellen Einbettung mit besonderem Blick auf die kontextspezifischen Machtverhältnisse analysiert. Cultural Studies arbeiten interdisziplinär und wollen politisch Möglichkeiten bereitstellen, die eigenen gesellschaftlichen Kontexte zu verändern.“ (ebd., S. 28)
Zentraler Bestandteil der Cultural Studies ist der Begriff der Kultur. Dies offenbart auch gleich die Schwierigkeit und das Ausmaß der Cultural Studies aufgrund der großen kulturellen Vielfalt und der hohen Komplexität, die Kultur mit sich bringt. Immerhin finden hier zahlreiche individuelle Lebensstile statt, welche sich zusätzlich durch eine Vielfalt von verschiedensten Identitäten auszeichnen (Mediamanual.at, 2015).
Relevant für diese Arbeit ist die Berücksichtigung der zwei Kategorien Gender und Queer, die in den Kultur- und Sozialwissenschaften eine wichtige Rolle spielen und im Folgekapitel näher betrachtet werden.
Begriffe wie Mann und Frau bzw. Mädchen und Junge finden sich im deutschen Sprachgebrauch unter dem Oberbegriff Geschlecht wieder. Dass es für die deutsche Sprache problematisch ist über nur ein einziges Wort zur Geschlechtsbestimmung zu verfügen, wird bei der Betrachtung der englischen Sprache mehr als deutlich. Hier existieren die Begriffe sex und gender, welche beide differenzierte Bedeutungen innehaben. So steht gender für das soziokulturelle Geschlecht, während sex auf das biologische Geschlecht zurückzuführen ist (Hoff, 2003, S. 209). Hoff beschreibt gender dabei als „die kulturell, gesellschaftlich und historisch unterschiedlich bedingten Identitätskonzepte, die dem ‚Weiblichen‘ und dem ‚Männlichen‘ zugeschrieben werden“ (ebd.). Dabei spielen insbesondere Leitbilder von Männern und Frauen, die in der Gesellschaft vorhandenen Verhaltensnormen für männlich und weiblich und deren Sitten und Gebräuche eine zentrale Rolle (Frank, 1997).
Somit wird deutlich, dass sex als biologisches Geschlecht fix anzusehen ist, während gender als das variable Geschlecht verstanden werden muss, welches sich laufenden Veränderungen unterzieht und dessen Blickwinkel auf das Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit einem stetigen Wandlungsprozess unterliegt. Bereits 1949 stellte Simone de Beauvoir fest: „One is not born a woman, but, rather, becomes one.“ (Beauvoir, 1984, S. 12). Und Frank beschreibt die Geschlechtszuschreibung (englisch: doing gender) als einen Prozess, der lebenslang und stets wiederkehrend stattfindet. Dabei wird die Geschlechtszuschreibung nicht an den primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen festgemacht. Vielmehr sind dabei Informationen zum Körpergang, zur Stimme, zum Gesichtsausdruck, zur Körperhaltung und zur eigenen Ausstrahlung relevant (Frank, 1997). Gender wird somit als eigene Konstruktion angesehen und unterliegt dabei einer performativen Definition, statt nur aus rein biologischer Sicht betrachtet zu werden (Hoff, 2003, S. 210).
Wird das Thema Gender in der Dimension der Populärkultur betrachtet, ergeben sich interessante und nennenswerte Einblicke. Ganz nach dem Motto „Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus“ werden die Geschlechter Mann und Frau gerade im amerikanisch-geographischen Raum sehr differenziert voneinander betrachtet und häufig mit den in der Gesellschaft verankerten Wertevorstellungen demonstriert. Frauen werden dabei gerade auf Werbeanzeigen typischerweise in lasziven Posen und als sexuelles Objekt klassifiziert, obwohl die Emanzipation der Frau dem teilweise widersprüchlich gegenübersteht (Kidd, 2014, S. 97ff.).
Wie unterschiedlich Gender darüber hinaus ausfallen kann, zeigt der Blick auf die Gesellschaft abseits vom „normalen“ Mann und der „normalen“ Frau: Weibliche bzw. männliche Transgender-Personen wollen wie ein Mann bzw. wie eine Frau wahrgenommen und behandelt werden ohne eine Geschlechtsangleichung vorzunehmen (Trans-Eltern, 2015). Für Travestie-Künstler ist die gesellschaftliche Zuordnung von Mann oder Frau irrelevant, sodass ein ständiger Wechsel zwischen beiden Geschlechtern vollzogen wird (Universität Duisburg-Essen, 2013). Und Popstars wie Madonna und Lady Gaga, die in ihren Bühnenshows oder Musikvideos immer wieder auf die Travestie-Szene hinweisen, zeigen deutlich, dass das menschliche Individuum auftreten und sich präsentieren kann wie es will.
Solche Musikstars, aber auch die LGBT-Bevölkerungsgruppe, sind dabei wesentlicher Bestandteil der Queer Theory. Während in unserer Gesellschaft die größtenteils vorhandene Heteronormativität klare Vorstellungen beschreibt, wie sich ein „richtiger Mann“ und eine „richtige Frau“ zu verhalten haben, behandelt die Queer Theory alles was von der Heteronormativität abweicht. (Bendl & Walenta, 2007, S. 71). Sie wird von Bendl und Walenta wie folgt beschrieben:
„Die Queer Theory ist...