Als ehemaliger Manager in verschiedenen DAX30-Konzernen und als erfahrener Leadership Coach, der seit über zwölf Jahren viele Konzerne, mittelständische Unternehmen und Verwaltungen begleitet, kann ich aufgrund meiner Erfahrungen feststellen: Burnout gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland. Stark gestiegene Zahlen bei Krankheitstagen durch psychische Belastungen und einige prominente Fälle bezüglich Burnout (Politiker wie Herr Platzek, Sport-VIPs wie Rangnik u. a.) haben Burnout stark in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Die zunehmende Bedeutung von Burnout lässt sich durch Statistiken untermauern.
Zahlen, Daten und Fakten zu Burnout in Deutschland
Das Robert-Koch-Institut, in Deutschland zuständig für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, hat in seiner „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland” festgestellt, dass bei 4,2 % der Befragten ein Burnout-Syndrom durch einen Arzt oder einen Psychotherapeuten diagnostiziert worden ist. Frauen sind mit 5,2 % häufiger betroffen als Männer (3,3 %). Die am häufigsten betroffene Altersgruppe sind diejenigen zwischen 40 und 49 Jahren. Interessant ist auch das Ergebnis zum Erleben von chronischem Stress. 13,2 % der Frauen und 11,1 % der Männer gaben an, unter chronischem Stress zu leiden. Diejenigen Befragten, die auch unter Burnout litten, gaben doppelt so hohe Werte bei der Stressbelastung an als Befragte, die nicht unter Burnout litten.1
Die Bundespsychotherapeutenkammer hat 2012 die Daten großer gesetzlicher Krankenkassen zur Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern aufgrund von psychischen Erkrankungen und insbesondere Burnout ausgewertet. Ein Ergebnis: „Dabei zeigte sich, dass die Anzahl der Krankschreibungen aufgrund eines Burnouts seit 2004 um 700 %, die Anzahl der betrieblichen Fehltage sogar um fast 1400 % gestiegen ist.”2 Über alle Krankenkassen hinweg ist seit einigen Jahren ein kontinuierlicher Anstieg der Krankheitstage und der Krankheitsfälle wegen Burnout festzustellen. Der Anteil der Arbeitsunfähigkeitsfälle hat sich in den Jahren 2004 - 2011 verachtfacht. Im Vergleich zu anderen Erkrankungen verursachen psychische Erkrankungen die längsten Ausfallzeiten, mit durchschnittlich etwa 23 Arbeitsunfähigkeitstagen je Fall. Eine Krankschreibung mit der Diagnose Burnout dauerte im Durchschnitt 2012 26 Tage. Die Bundespsychotherapeutenkammer stellt in ihrer Analyse fest: „Aktuell werden 5 % aller Krankschreibungen bzw. 12,5 % aller betrieblichen Fehltage durch psychische Erkrankungen verursacht. Damit hat sich der Anteil der AU-Tage aufgrund von psychischen Erkrankungen an allen betrieblichen Fehltagen seit 2000 etwa verdoppelt. Die Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen sind überdurchschnittlich lang.”3 Im Jahr 2012 waren in Deutschland psychische Störungen für mehr als 53 Millionen Krankheitstage verantwortlich, das sind 80 % mehr als vor 15 Jahren.4
Die Anzahl der vorzeitigen Berentungen aufgrund von psychischen Erkrankungen hat von 2001 mit 53.581 Fällen bis zum Jahr 2010 (mit 70.937 Fällen) massiv zugenommen. Der prozentuelle Anteil an allen Rentenneuzugängen liegt bei psychischen Erkrankungen 2001 noch bei 26,8 % und 2010 bereits bei 39,3 % mit zunehmender Tendenz. Mit 33,4 % aller Rentenneuzugänge bei Männern und mit 45,6 % bei Frauen sind bei beiden Geschlechtern psychische Erkrankungen die häufigste Diagnosegruppe für vorzeitige Berentungen.5
Abb. 1.1: Burnout betrifft nicht nur Individuen und Organisationen, sondern die gesamte Gesellschaft
Quelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA)6
Verschiedene weitere Studien mit unterschiedlichen Zeiträumen und Zielgruppen weisen darauf hin, dass sich mindestens 10 % aller Beschäftigten in ihrem Beruf überfordert fühlen, dauerhaft chronisch erschöpft sind oder sogar direkt von Burnout gefährdet sind.7
Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels in der Bundesrepublik Deutschland erhält das Thema Führungskraft und Gesundheit eine besondere Brisanz. Unternehmen möchten die Kraft der Führenden möglichst lange erhalten. Aber viele Führungskräfte äußern sich dahingehend, dass sie nicht den Eindruck haben, dass sie ihren derzeitigen Job bis zum Rentenalter durchhalten. Sogar europäische Befragungsergebnisse bezüglich Arbeitnehmern zeigen, dass sich eine hohe Anzahl von Mitarbeitern nicht in der Lage sieht, ihren Beruf bis zu einem Alter von 60 Jahren auszuüben.8 Wie sollen dann Führungskräfte bis zum Alter von mindestens 67 Jahren ihren anstrengenden Aufgaben gerecht werden?
Zur zunehmenden Häufigkeit von Burnout bzw. Depression und der Notwendigkeit von wirksamer Prävention meldet der „Informationsdienst Wissenschaft”9: „Jedem zwölften Versicherten der bundesweiten Krankenkasse KKH-Allianz wurde im vergangenen Jahr mindestens ein Antidepressivum verschrieben. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung hat die KKH-Allianz ihren Innovationspreis 2011 für dieses Gebiet ausgeschrieben. Vor fünf Jahren erhielt nur jeder sechzehnte Versicherte ein solches Medikament. Die Krankenkasse wertet das als ein Zeichen dafür, dass depressive Erkrankungen bei Frauen und Männern immer häufiger diagnostiziert werden. ‚Trotz dieser Tendenz kann leider nicht davon ausgegangen werden, dass psychische Erkrankungen heute rechtzeitig erkannt und Therapien schnell und effektiv eingeleitet werden’, erklärt Vorstandschef Ingo Kailuweit. ‚Denn zwischen dem Auftreten der ersten psychischen Beschwerden und dem Beginn einer umfassenden psychotherapeutischen Behandlung liegen bei jedem zweiten Betroffenen mehr als fünf Jahre.’ Gleich ob psychische Erkrankungen als Haupterkrankung oder begleitend auftreten: Für die Akteure im Gesundheitswesen stellen gerade deren Früherkennung und Prävention eine große Herausforderung dar.”
Nach einer Phase des Medienrummels um Burnout scheint nun Schritt für Schritt eine Versachlichung einzutreten, die auch von den Menschen forciert wird, die nicht Schlagzeilen produzieren, sondern sich seit vielen Jahren substanziell mit Burnout und mit Burnoutprävention auseinandersetzen. Das vorliegende Buch basiert auf jahrelangen empirisch gesammelten Erfahrungen und zeigt somit auch zahlreiche Fallbeispiele aus dem Alltag von Führungskräften auf. Es werden aktuelle Forschungsergebnisse ausgewertet und praktische Handlungsanleitungen gegeben, um Burnoutprävention im Alltag erfolgreich für sich selbst und seinen Verantwortungsbereich umsetzen zu können, und zwar auf wissenschaftlich fundierte, praxisnahe und wirksamkeitsorientierte Weise. Denn es ist mir wichtig, hilfreiche Unterstützung zur Prävention anzubieten, statt aufgescheuchten Aktionismus zu unterstützen. Aufgescheuchter Aktionismus ist das Gegenteil von nachhaltig ganzheitlicher Burnoutprävention, die unternehmensstrategisch ausgerichtet ist und die Zukunftsfähigkeit einer Organisation wesentlich stärkt. Ab und zu Gesundheitstage, Bewegungs- und Entspannungskurse oder eine Salatbar in der Kantine können nur ein leichter Anfang davon sein, eine nachhaltig wirksame Burnoutprävention und Gesundheitsförderung für sich selbst und seinen Verantwortungsbereich umzusetzen.
Wozu dieses Buch?
Angesichts zunehmender Belastungen in Folge von Internationalisierung, verstärktem Wettbewerb, Dynamisierung der internationalen Märkte und Flexibilisierung sowie Beschleunigung der Arbeitswelt stellt sich für Führungskräfte die Aufgabe, sich selbst vor einem Burnout zu schützen als auch ihre Mitarbeiter dabei zu unterstützen, keine dauerhafte, massive Erschöpfung zu erleiden. Die Anforderungen an Führungskräfte und deren Führungsqualitäten im Hinblick auf soziale Kompetenz und Führungsfähigkeit in schwierigen, herausfordernden Situationen steigen angesichts des demographischen Wandels, der internationalen Wettbewerbslage und infolge zunehmender Überlastung und Erkrankung von Mitarbeitern. Durch Personalabbau, der unter anderem Kosten einsparen soll, und aufgrund von Fluktuationen werden die verbleibenden Mitarbeiter häufig zusätzlich belastet. Mit diesen Mitarbeitern soll aber die durchschnittliche Führungskraft ein deutlich besseres Ergebnis erzielen als zuvor. So nehmen Überforderung, Dünnhäutigkeit, Konfliktpotenziale und die Einschränkung von persönlichen Tätigkeits- und Kreativitätsspielräumen zu. In dieser Situation gibt es einen Ausweg: die kompetente Fürsorge von Führungskräften für sich selbst und ihre Leistungsfähigkeit sowie ihre Resilienz gegenüber Burnout. Zudem das kompetente Vorgehen in der Unterstützung der Mitarbeiter im eigenen Verantwortungsbereich, damit diese weiterhin leistungsfähig bleiben, und nicht dauerhaft massiv erschöpfen. Im dritten Schritt geht es für Führungskräfte darum, innerhalb ihrer Organisation mitzuwirken, damit das Unternehmen insgesamt Maßnahmen ergreift, die wirksam Burnout vorbeugen. Ein solches aktives, ressourcenorientiertes Führungsverhalten kann salutogen, also Gesundheit fördernd und erhaltend wirken und somit einen wirkungsvollen Beitrag zur Vorbeugung von Burnout leisten.
Größere Führungsspannen sowie einseitige Kennzahlen-Orientierung im Topmanagement erschweren operativen Führungskräften das Führungshandwerk. Wieder einmal kommt der Führungskraft als Dreh- und Angelpunkt von Veränderung eine Schlüsselrolle zu. Organisationen aller Art sollten dabei ihre Führungskräfte nicht im Stich lassen, sondern massiv unterstützen, unter anderem durch die Vermittlung von Kompetenzen...