Krankheiten und Virusinfektionen, die sich weitläufig ausbreiten, werden ganz allgemein als Seuchen oder Seuchenzug bezeichnet.[79] Die Medizin unterscheidet tierische Seuchen, die sie als Epizootie bezeichnet (z.B. Kaninchenpocken), und Seuchen, die von Mensch zu Mensch übertragen werden. Eine Infektionskrankheit, die von Mensch zu Mensch übertragen wird und im statistischen Mittel genau eine Folgeinfektion bewirkt, wird als Endemie bezeichnet. Dabei verbleibt die Krankheit in der Bevölkerung, breitet sich jedoch nicht weiter aus. Besitzt eine Krankheit indes eine höhere Basisreproduktionsrate als eins, bewirkt also mindestens zwei oder mehr Folgeinfektionen, bezeichnet man sie als Epidemie. Hierbei steigt die Anzahl der Neuinfektionen innerhalb einer Population zunächst stark an und sinkt später durch das Verhältnis infizierter oder bereits immuner Personen zur Anzahl gesunder Personen wieder ab, bis die Krankheit schließlich ausstirbt.[80] Bis zu einer vollständigen Beendigung kann es zu mehreren Infektionswellen kommen, die im Abstand von mehreren Wochen auftreten.[81]
Der Begriff Pandemie ist aus dem griechischen pan (= alles) und demos (= Volk) abgeleitet und bezeichnet den überregionalen oder sogar globalen Ausbruch einer Krankheit, die Menschen betrifft.[82] Eine solche Krankheit kann sich auch durch Mutation eines tierischen Virus entwickeln, wie es international beispielsweise beim H5N1-Virus befürchtet wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterteilt die Entstehung einer Pandemie deswegen in sechs Phasen: von der Entdeckung eines Virus-Subtyps bei Tieren (Phase 1), der als gefährlich für den Menschen eingeschätzt wird (Phase 2), über die erste Infektion eines Menschen (Phase 3) und die Übertragung von Mensch zu Mensch (Phase 4) bis zur wachsenden Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch (Phase 5) und seiner Ausbreitung in der gesamten Bevölkerung (Phase 6).[83]
Pandemien sind keine Phantomrisiken, sondern bereits seit der Antoninischen Pest (165/167 n. Chr.) tatsächlich belegt.[84] Auch gegenwärtig besteht mit den 38,6 Millionen Menschen, die weltweit mit dem HI-Virus infiziert sind, eine akute Pandemie, deren Verbreitungsgeschwindigkeit jedoch aufgrund des Übertragungsweges verhältnismäßig langsam ist.[85] Bekannte Pandemien der letzten hundert Jahre waren beispielsweise die Spanische Grippe (20-50 Millionen Tote von 1918-1919), die asiatische Grippe (1 Million Tote 1957), die Hong Kong-Grippe (700.000 Tote 1968) und die vielfältigen Formen der Pest mit insgesamt 40 Millionen geschätzten Todesfällen (541, 1347-1352, 1896-1945, 2006), deren Erreger ebenfalls heute noch aktiv sind.[86] Damit forderte allein die Spanische Grippe innerhalb eines Jahres mehr Todesopfer als der erste Weltkrieg in den knapp 5 Jahren zuvor.[87]
Auslöser für derartige Infektionskrankheiten können Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten oder Prionen[88] sein, die den Organismus durch den Austausch von Körperflüssigkeiten, über die Atemluft (Tröpfcheninfektion), durch Nahrungsaufnahme, oder den Kontakt zu Tieren und Insekten erreichen und infizieren. Zu diesen Infektionskrankheiten zählen unter anderem Borreliose, Cholera, Milzbrand (Anthrax), Tuberkulose und Typhus, welche über Bakterien übertragen werden, sowie AIDS, Grippe, Pocken und SARS, die durch Viren übertragen werden. Je nach Art der Infektion ist mit einer Inkubationszeit von einem Tag bis zu mehreren Jahren zu rechnen, bis die ersten Symptome erkennbar werden. Der Erreger kann in dieser Zeit durchaus auf andere Personen übertragen werden. Bei vielen Virustypen wird der Patient, sofern er den Verlauf der Krankheit überlebt, immun gegen eine erneute Infektion des gleichen Typs, was jedoch für jede neue Form eines Erregers erneut zu verifizieren ist.
Infektionskrankheiten stellen weltweit die häufigste Todesursache dar.[89] Aktuell hat die WHO aufgrund des inzwischen in 37 Ländern aufgetretenen Grippeerregers H5N1 die Pandemiephase 3 ausgerufen.[90] Da zufällige Mutationen jedoch ebenso schnell auftreten können wie kriminell motivierte Verbreitungen („Bio-Terrorismus“), lässt sich über Wahrscheinlichkeit und Form einer potentiellen nächsten Pandemie keine verbindliche Aussage treffen.
Das Ausmaß einer Pandemie lässt sich grundsätzlich anhand von wenigen Vektoren skizzieren. Die Ansteckungsgefahr und damit verbunden die Geschwindigkeit der Verbreitung, die räumliche Ausbreitung, die Mortalität und die Möglichkeit einer Einflussnahme in Form von Impfungen oder Behandlungen mit antiviralen bzw. antibakteriellen Medikamenten sind entscheidende Größen, die sich gleichwohl nach Art des Erregers grundlegend unterscheiden können.
Höchste Ansteckungsgefahr und Verbreitungsgeschwindigkeit bestehen bei der Übertragungsform der Tröpfcheninfektion, die als Worst Case die Grundlage für das Szenario darstellen soll. Für einen vollständig übertragbaren Erreger dieser Art rechnet die WHO am Beispiel von Influenza mit einer räumlichen Ausbreitung auf alle Kontinente innerhalb von drei Monaten.[91]
Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht in Anlehnung an die beiden gemäßigten Grippe-Pandemien von 1957 und 1968 in seinen Hochrechnungen für eine neue Pandemie von einer Erkrankungsrate von 30 % der Bevölkerung aus.[92] Aus unternehmerischer Sicht müssen zusätzlich zu den tatsächlich erkrankten Mitarbeitern diejenigen gezählt werden, die aufgrund ähnlicher Symptome eine Infizierung vermuten, aus Angst vor einer Ansteckung am Arbeitsplatz oder auf dem Weg dorthin zuhause bleiben, wegen ausgefallener Verkehrsmittel den Arbeitsplatz nicht erreichen können, kranke Angehörige oder auch Minderjährige, die wegen Kindergarten- und Schulschließung unbetreut sind, versorgen oder wegen indirekter Folgen der Pandemie andere Aufgaben wahrnehmen müssen.[93] Zu letzteren zählen Mitgliedschaften bei THW und freiwilligen Feuerwehren genauso wie beispielsweise der Versuch, eine ausgefallene Heizung selbstständig zu reparieren, weil keine Notdienste verfügbar sind. Insgesamt kalkulieren Unternehmen deshalb im Worst Case-Szenario mit einer kumulierten Abwesenheit von bis zu 50 % der Belegschaft.[94] In der Regel kann für die meisten Infektionskrankheiten mit Ausnahme von AIDS und Tuberkulose von einer Inkubationszeit von wenigen Tagen ausgegangen werden, der ein Krankheitsverlauf von mehreren Tagen bis Wochen folgt.
Die Mortalität einer Pandemie hängt entscheidend vom Virustyp und der Möglichkeit einer medikamentösen Einflussnahme ab. Von den seit 2003 am H5N1-Virus erkrankten Patienten starben mehr als 50 %, was jedoch im Falle einer Verfügbarkeit von Medikamenten entscheidend verringert werden könnte.[95] Medikamente, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können, gibt es beispielsweise gegen bekannte Grippeviren oder Pesterreger, jedoch keineswegs in ausreichend produzierter Anzahl für die Größenordnung einer Pandemie. Impfstoffe, die einer Infektion vorbeugen können, müssen für nahezu jeden Virustyp individuell entwickelt werden (genetischer „shift“) und würden somit frühestens nach 2,5 bis 5,5 Monaten verfügbar sein.[96] Nach dem nationalen Pandemieplan würden in Deutschland allerdings etwa 7 Mio. Menschen zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung sowie der öffentlichen Infrastruktur und Sicherheit vorrangig mit Impfstoffen versorgt werden, was die Verfügbarkeit für private Haushalte und Unternehmen weiter verzögert.[97] Aktuell empfohlene Grippeimpfungen zur Vorbeugung einer durch H5N1-Erreger ausgelösten Pandemie beispielsweise schützen nachweislich nicht gegen H5N1, sondern sollen nur „Kapazitätserhöhungen bei den Impfstoff produzierenden Unternehmen (..) erreichen.“[98]
Die hohen Krankheitsraten würden global erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und das öffentliche Leben haben. Rettungsdienste und medizinische Einrichtungen wären durch die eigenen Personalengpässe und die große Anzahl von Erkrankten überlastet; und auch die Behörden könnten zeitweise Probleme haben, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.[99] Eine Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Trinkwasser und anderen essentiell notwendigen Gütern und Dienstleistungen wäre erschwert.[100] Panik, Plünderungen und weiteres kriminelles Verhalten wären eine denkbare Folge.[101] Unternehmen müssten ebenfalls mit dem Ausfall von Zulieferern, Outsourcern, Dienstleistern und Kunden rechnen, wobei gerade die Nachfrage je nach Branche unterschiedlichste Entwicklungen nehmen kann, wie im Rahmen von Kapitel 4.2.1.2 aufgezeigt werden wird. Der gesamte Güter- und Warenverkehr wäre durch Kontrollen und Mobilitätseinschränkungen gestört, wenngleich Logistikunternehmen wie UPS und Fed Ex angeben, für dieses Szenario detaillierte BCP implementiert zu haben.[102] Längere Stromausfälle wären wahrscheinlich und in...