Das Vater-Projekt
Geheimwaffe für Karriere-Väter
Das Problem
Im Geschäft wie in der Familie stehen wir heute vor dem gleichen Schlüsselproblem: eine wahre Lawine neuer Möglichkeiten, aber keine Minute mehr Zeit.
Überlegen wir einmal, wie sich das Leben seit 1960 verändert hat. Damals lief das Berufsleben wie auf Schienen: Man stieg jeden Morgen in den gleichen Zug, tat die gleiche Arbeit bei derselben Firma und brauchte sich keine Sorgen zu machen, wo das nächste Gehalt herkam. Der Arbeitsplatz war sicher, die Rente auch, und die Welt veränderte sich nur langsam. Es war ein behagliches Dasein, wenn auch kein besonders spannendes.
Heute brauchen wir uns über Mangel an Abwechslung nicht mehr zu beklagen. Die natürlichen Barrieren von Raum und Zeit sowie die künstlichen der Tarife und Richtlinien zerbröckeln und schaffen für den Cleveren und Kreativen ungeahnte Chancen. Aber nicht für den Langsameren, Behäbigeren, vielleicht nicht so gut Informierten; er gewinnt nicht durch Hightech und Globalisierung, er verliert.
Und die Grenze zwischen Gewinnern und Verlierern, sie scheint mit jedem Tag dünner zu werden. Unser Karriere-Schiff macht gute Fahrt, und – rumms! – kommt der nächste Sturm. Eine neue Technologie, ein neuer Konkurrent oder der neue Abteilungsleiter. Je mehr wir strampeln in dem Glücksrad des Erfolgs, um so schneller dreht es sich. Keine Zeit für Pausen mehr. Die Lorbeeren von heute, sie sind morgen schon verwelkt.
Das Einzige, was zwischen uns und dem Abgrund liegt, ist Information – aber genau sie ist gleichzeitig ein Teil des Problems. Früher kam sie in gut verdaulichen Häppchen zu uns und wartete höflich, bis wir sie schlucken konnten. Heute stehen wir in einem wahren Hagelsturm von Fakten und Memos, die uns schier zu erschlagen drohen. Was wir nicht wissen, kann uns umbringen.
Wer hier überleben will, muss immer mehr Überstunden machen. Und Geschäftsreisen, trotz Internet und Video-Konferenzen. Das „Just in time“-Prinzip scheint nicht nur auf Lagerbestände, sondern auch auf Menschen angewendet zu werden. Piepser und Handy erreichen uns noch im Schlafzimmer. Ein Jahrzehnt der „Verschlankung“ hat unsere Terminkalender voll und unseren Job permanent unsicher gemacht. Aber er hat doch einen Sinn, der ganze Stress, oder? Wir tun es ja schließlich für unsere Kinder ...
Ja, die Kinder. Sie können es ja kaum erwarten, dass Papa lächelnd durch die Wohnungstür kommt. Wenn wir nur diesen Bericht bis 19 Uhr ins Internet kriegen, erwischen wir sie vielleicht noch, bevor sie ins Bett müssen. Und wenn es heute nicht klappt, dann vielleicht morgen oder nächstes Wochenende, nach dem Golfen. Wir hätten ja so gerne mehr Zeit für die Kids, aber einer muss ja die Brötchen verdienen. Gut, dass sie so tolle Mütter haben. Und sie sind ja vor allem Mutters Revier, auch wenn die berufstätig ist...
Aber halt, auch zu Hause schreiben wir nicht mehr das Jahr 1960. Damals hatte ein guter Familienvater im Wesentlichen zwei Aufgaben gegenüber den Kindern: Ernährer und Bestrafer; den Rest erledigte Mutter. Damals. Wer heute im Geschäftsleben steht und Kinder unter 18 Jahren hat, sieht sich mit einer wahren Revolution konfrontiert, in der das gerade karikierte Bild des abwesenden Vaters nicht mehr zieht. Nicht nur in der Firma, sondern auch zu Hause kostet Erfolg heute viel mehr Arbeit als früher. Und schmeckt viel besser.
Nicht nur in der Firma, sondern auch zu Hause kostet Erfolg heute viel mehr Arbeit als früher. Und schmeckt viel besser.
Es sind vor allem drei Trends, die unser Berufsbild als Väter dramatisch erweitert haben. Erstens: Unsere eigenen Eltern machten sich keine großen Gedanken über die Kunst des Erziehens; sie praktizierten sie einfach. Die heutige Gesellschaft zerbricht sich den Kopf darüber, wie man seine Kinder „richtig“ erzieht. Erziehungsberatung in Büchern, Magazinen und Websites ist zu einer regelrechten Industrie geworden – und manchmal stimmen die Ratschläge sogar.
Zweitens: Die gesellschaftliche Infrastruktur für die Kindererziehung ist vielerorts am Verkommen. Vorbei die Zeiten, wo man darauf rechnen konnte, dass Schule, Medien, Kirchen und Verwandtschaft die Erziehungsbemühungen der Eltern unterstützten (und Fehler korrigierten). Politische Korrektheit statt Lernen, Jugend- und Straßenkriminalität, Materialismus und Zynismus im Fernsehen, leere Kirchenbänke und geschiedene Ehen – es herrscht ein Klima, das es schwieriger denn je macht, seine Kinder richtig zu erziehen.
Doch es gibt auch Positives. Eng verbunden mit dem zweiten Trend ist der dritte: Männer und Frauen haben heute viel mehr Optionen in ihrer Lebensgestaltung. Die berufstätige Mutter hat bessere Jobs mit mehr Gehalt, und die Männer haben gelernt, dass „stark sein“ nicht automatisch Schweigen bedeuten muss. Frauen sind keine bloßen Zierpflanzen im Büro mehr, und wir Männer sind nicht mehr die großen Fremden in Kinderzimmer und Küche; wir können reichere, tiefere Beziehungen zu unseren Kindern genießen als der Geschäftsmann der 1960-er Jahre.
Diese Lockerung der Geschlechterrollen bedeutet indes nicht nur mehr persönliche Freiheit, sondern auch mehr Verantwortung. In einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft entstehen gesunde Familien nicht mehr von allein; die Eltern – beide Eltern – müssen sie in harter Arbeit aufbauen. Wir Väter werden dringend gebraucht – nicht mehr nur als Brötchenverdiener, sondern als gleichberechtigte Partner in der Erziehung, in der Schaffung jener warmen, geordneten „Kinderstube“, die den Unterschied in der Entwicklung hin zu Karriere oder Knast ausmachen kann. Unsere Frauen und die (anderen) Experten versichern uns, dass es unseren ganzen Einsatz braucht, dass wir täglich für unsere Kids da sein müssen – nicht nur physisch, sondern auch gedanklich und emotional.
Sie kennen die neuesten Verkaufsstatistiken für Ihre Abteilung? Sie wissen, wer die wichtigsten Konkurrenten sind? Sehr gut. Aber kennen Sie auch die Lehrer Ihrer Kinder? Die Namen ihrer Freunde? Ihre Hausaufgaben für morgen oder wie viel Süßigkeiten pro Tag sie haben dürfen?
Ja, wenn der Tag nur 48 Stunden hätte, seufzen wir. Für unsere Kinder da sein in ihren kritischen Entwicklungsjahren und gleichzeitig in der Firma nicht den Anschluss verpassen – wie soll das gehen? Ist es ein Wunder, dass viele Manager-Väter sich überfordert fühlen? 1979 gaben in einer Umfrage in den USA ganze 12 Prozent der Väter an, dass es stressig sei, die richtige Balance zwischen Beruf und Familie zu finden; 1989 waren es 72 Prozent. Wie viel Prozent waren es wohl 1999?
Das Beispiel von Don M., einem Freund von mir, mag die Lage illustrieren. (Ich verwende bei persönlichen Beispielen den Anfangsbuchstaben des Nachnamens, in einigen Fällen habe ich den Namen auch geändert; immer aber handelt es sich um real existierende, nicht erfundene Personen.) Don hat gerade seinen Betriebswirt gemacht. Er und seine Frau haben noch keine Kinder, aber er überlegt bereits laut, ob er Kinder und Karriere je unter einen Hut kriegen wird. Sein eigener Vater war Polizist mit einer 35-Stunden-Woche, und Don weiß jetzt schon, dass er seinen Kindern das nicht wird bieten können. Und Don ist kein Einzelfall. Konflikte zwischen Arbeit und Familie sind bei seinen Mitstudenten gang und gäbe.
Im Herbst 1998 beschrieb das Magazin Business Week das Dilemma in einem langen Artikel mit dem Titel „Die Papa-Falle“ (Untertitel: „Familien erwarten mehr von den Männern, aber woher die Zeit nehmen?“). Der Artikel zitierte Jeffrey Welch, einen Bank-Manager aus New York: „Ich würde mich gerne mehr in der Schule ... einbringen, aber mein Terminkalender lässt das nicht zu. ... Ich will, dass meine Kinder später einmal sagen können: ,Unser Vater war für uns da.’ Zur Zeit gelingt mir das nicht.“
Wie können wir der „Papa-Falle“ entkommen?
Wie können wir der „Papa-Falle“ entkommen? Der erste Schritt ist schlicht, dass wir uns vornehmen, unser Bestes als Väter zu geben. Wir bekommen ständig neue Aufgaben aufs Auge gedrückt, also übernehmen wir halt noch eine: unsere Verantwortung als Väter. Wir lieben unsere Kinder, wir wollen ihr Bestes und wir sind nicht die Leute, die sich drücken. Jobs kommen und gehen, die Familie bleibt (nun ja, hoffentlich). Also ran an die Arbeit!
Doch der Entschluss, ein guter Vater zu werden, ist nur der erste Schritt. Das Leben ist voll von Hindernissen, die uns das Vatersein schwer machen können, so dass wir uns schließlich fragen, ob der ganze Stress sich überhaupt lohnt. Noch schlimmer aber, als das schlechte Gewissen, nicht genug zu tun, ist das bohrende Gefühl, dass das, was wir tun, verlorene Liebesmüh’ ist oder gar alles nur schlimmer macht. Hier ein paar Beispiele für diese Hindernisse (Sie kennen sicher noch mehr).
Die...