1 Einführung
1.1 Die digitale Revolution geht uns alle an
Im Laufe der Geschichte durchleben Gesellschaften und auch Unternehmen kleinere und größere Revolutionen. Heute durchleben wir die digitale Revolution (always on, second screen, soziale Netzwerke, Realtime-Kommunikation etc.), die in den letzten Jahren immer stärker die verschiedenen Industrien erfasst und gefordert hat. Dass es sich hier um eine Revolution handelt und nicht um z. B. eine Adaption oder Evolution lässt sich gut aus Abbildung 1.1 ablesen: Die Veränderung betrifft mehrere Fronten, die gleichzeitig angegangen werden müssen, um auf die sich verändernde Wettbewerbssituation reagieren zu können.
Für die digitale Revolution in Unternehmen trifft dies in den meisten Fällen zu1. Jede Industrie bzw. jeder Markt durchlebt die digitale Revolution früher oder später. Für die einzelnen Unternehmen hat das jeweils eine Transformation zum „Digitale Enterprise“2 zur Folge. Eine der ersten Industrien, die diese Transformation durchlebt hat, ist die Finanzbranche, vor allem die Banken. Weitere Beispiele sind die Telekommunikation, Versicherungen oder der Bildungssektor.
Ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich jedoch ein Unternehmen auf diesen Wandel reagiert bzw. ob es die veränderte Marktsituation als Evolution oder Revolution versteht, sind E.ON und RWE. E.ON will sich mit seiner künftigen Strategie radikal neu aufstellen:
„Die künftige E.ON-Strategie basiert auf drei fundamentalen Marktentwicklungen und Wachstumsbereichen: dem globalen Wunsch zur Nutzung Erneuerbarer Energien (insbesondere Wind- und Solarenergie), dem Einsatz der Verteilnetze für eine dezentrale Energiewelt und auf den sich verändernden Kundenbedürfnissen.“3
Ziel ist es, die Veränderungen innerhalb von zwei Jahren zu vollziehen, was auch eine Aufspaltung des Konzerns beinhaltet:
„Die künftige Struktur soll in zwei Phasen im Verlauf der Jahre 2015 und 2016 umgesetzt werden.“4.
Abbildung 1.1: Klassifizierung von Veränderungen in Bezug auf Ausmaß und Geschwindigkeit. Die Revolution ist bestimmt durch die hohe Geschwindigkeit und das Ausmaß der Veränderung5
Im Gegensatz dazu setzt RWE mehr auf Evolution und das liest sich in der Strategie wie folgt:
„Um dem Anspruch unseres Leitbildes gerecht zu werden, haben wir uns drei strategische Ziele gesetzt. Wir wollen (1) unsere Finanzkraft stärken, (2) RWE leistungs- und wettbewerbsfähiger machen und (3) den nachhaltigen Umbau des europäischen Energiesystems erfolgreich mitgestalten.“6 Man setzt somit darauf, Bestehendes stärken oder effizienter zu machen.
Die zentrale Herausforderung auf dem Weg zum digitalen Enterprise ist es, diese Transformation zu leisten. Denn die Erfahrung ist: Nur ca. 30 Prozent der Transformationen sind erfolgreich7, wobei die Investitionen in die Transformation oft sehr hoch sind – mit ungewissem Ausgang.
Warum wird bei einer 30-prozentigen Erfolgsaussicht so viel Geld investiert?
Als Erstes ist diese Transformation die einzige Möglichkeit, sich langfristig am Markt zu halten. Stellen sie sich nur vor, in der Telekommunikation würde es von einem Anbieter keine Möglichkeit des „schnellen Internets“ geben. Würde es heute diesen Provider noch geben? Wohl eher nicht.
Auch ist es schwierig, die Investitionen abzugrenzen, zum anderen ist diese geringe Erfolgsaussicht wenigen bewusst und transparent. Oft fehlt es auch an konkreten Messgrößen, mit denen der Erfolg (oder Misserfolg) sichtbar gemacht werden kann. Es werden viele Transformationen von Unternehmen begonnen, ohne dass diesen die Komplexität und Vielschichtigkeit des Vorhabens wirklich bewusst ist. Auch fehlen oftmals die entsprechenden Instrumente und Werkzeuge, um diese Herausforderungen zu meistern. Diese Instrumente und Werkzeuge werden in diesem Buch vorgestellt.
Es sind Driver, Leadership und Masterplan die beschreiben, was getan werden muss, um die Erfolgsaussichten von Transformationen zu steigern. Über das Transformation Portfolio wird die Umsetzung gesteuert, während der Business-Enterprise-Architekt die Transformation auf Kurs hält.
Neu ist in diesem Zusammenhang die Rolle des Business-Enterprise-Architekten, die der Notwendigkeit entspringt, dass die klassische Enterprise-Architektur zum einen eine große Nähe zur IT aufweist, zum anderen aus unserer Erfahrung eine eher deskriptive und auf Transparenz zielende Disziplin ist, um die Zusammenhänge im IT-Umfeld zu beschreiben. Was im Rahmen der digitalen Revolution jedoch nötig ist, ist eine aktive Rolle, die sowohl das Business als auch die IT bzw. Technik inkl. der Organisation mit ihren Menschen erfasst und so aktiv die Transformation ermöglicht.
Dieses Buch basiert auf drei Grundpfeilern:
- praktische Erfahrungen der Autoren,
- wissenschaftlich untermauerte Ideen und Thesen,
- praxiserprobte und anerkannte Frameworks aus den Domänen IT und Business
Auf diesen drei Grundpfeilern wollen wir in diesem Buch aufbauen und stellen daher hier die wichtigsten Erkenntnisse und Frameworks vor. Der wissenschaftliche Ansatz umfasst die Darstellung der Analyse von repräsentativen realen Transformationsprojekten, angereichert durch Experteninterviews von Verantwortlichen in Transformationsinitiativen aus unterschiedlichen Unternehmen. Validiert werden die gewonnenen Erkenntnisse durch eine breit angelegte Umfrage.
1.2 Konzept des Buchs
Die meisten Kapitel weisen graue Kästen auf, um verschiedene Dinge, welche wichtig sind, hervorzuheben. Zum einen ist es in der Regel zu Anfang eines Kapitels ein kurzer Hinweis darauf, welche Fragen in diesem Kapitel beantwortet werden. Zum anderen nutzen wir sie auch für Beispiele und Verweise auf die Case Study „LiftUp“. In den Kapiteln nutzen wir weiterhin die grauen Kästen zum Hervorheben von Definitionen oder als Zusammenfassung wichtiger Aspekte.
Bei den Abbildungen verwenden wir deutsche und englische Beschriftungen. Alle Abbildungen, die dazu dienen, einen Sachverhalt dieses Buchs zu verdeutlichen, haben deutsche Beschriftungen. Englische Beschriftung haben wir in allen anderen Fällen verwendet, z. B. für die Darstellung von Frameworks, die im Rahmen der Erstellung des Transformationsziels – des Masterplans – genutzt werden. Diese sind in der Regel aus englischsprachiger Literatur entlehnt und nicht alle der verwendeten Begriffe lassen sich treffend und kurz ins Deutsche übersetzen.
Ähnlich sind wir auch bei der Verwendung der Fachbegriffe verfahren. Für den deutschen Lesefluss wäre es oft angenehmer, auch einen deutschen Begriff zu verwenden. Doch nicht immer ist dies ohne Umschreibung des Originalbegriffs möglich. Da aber viele Begriffe mittlerweile auch Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden haben, werden oft auch die englischen oder eingedeutschten Versionen der Fachbegriffe alternierend verwendet (Beispiele: Enterprise Architecture, Enterprise-Architektur, gemanagt, Treiber, Driver)
Die meisten englischen Zitate sind sinngemäß ins Deutsche übersetzt und mit Quellenangaben versehen, sodass das Original bei Interesse nachgeschlagen werden kann.
Anmerkungen zum Buch
Anbei finden sie ein paar Anmerkungen zu Begriffen und Bezeichnungen, die wir im diesem Buch verwendet haben. Auch möchten wir Ihnen an dieser Stelle ein paar Einblicke in die Entstehung und Intention der Case Studygeben.
Begriffserläuterungen:
- Organisation, Funktion, Geschäftsbereich, Unternehmen: Im Buch verwenden wir die Begriffe Funktion und Geschäftsbereich mit gleicher Semantik. Eine Funktion eines Unternehmens ist oft auch als ein Geschäftsbereich ausgebildet (Beispiel: Personalabteilung ist eine Funktion und oftmals auch ein Geschäftsbereich, insbesondere in größeren Unternehmen). Manchmal schreiben wir, dass ein Unternehmen oder ein Geschäftsbereich sich einer Transformation unterziehen muss. Die hier vorgestellten Aspekte gelten für Funktionen, Geschäftsbereiche und Unternehmen gleichermaßen. Es muss nicht immer ein ganzes Unternehmen transformiert werden. Mit Organisation meinen wir üblicherweise die Struktur einer Funktion, eines Geschäftsbereichs oder sogar eines Unternehmens. Der Begriff Silo-Organisation fällt nicht explizit in diesem Buch, aber wir sind uns sehr wohl darüber im Klaren, dass viele Unternehmen noch in Silos organisiert sind. Im Rahmen einer Transformation muss diese Silo-Struktur aufgebrochen werden.
- Frameworks: Generell ist hier anzumerken, dass die vorgestellten Werkzeuge (Frameworks) immer auch in angemessener Form konfiguriert werden sollten, da es nicht darum geht, ein Problem für ein Werkzeug zu finden, sondern ein passend konfiguriertes Werkzeug zur Lösung einer Aufgabe. Bei der Anwendung der in diesem Buch vorgestellten Frameworks und Vorgehensweisen gibt es keinen wesentlichen Unterschied, ob ein Unternehmen betrachtet wird oder ein Geschäftsbereich/Geschäftseinheit. Manche der Frameworks selbst sind sehr umfangreich und es gibt Bücher und Beratungsunternehmen, die sich auf diese Frameworks spezialisieren. Wir wollen nicht ausschließen, dass es durchaus lohnenswert sein kann, bei der einen oder anderen Methode tiefer einzusteigen. Für den Anfang reicht es unserer Erfahrung nach jedoch meist, sich an den grundsätzlichen Strukturen...