Curaçao – Holland unter tropischer Sonne
„Sind Sie die Tochter des Präsidenten von Venezuela?“ Karl hat auf dem Schildchen der Uniformbluse der Dame von Curaçaos Grenzkontrollbehörde den Namen Maduro entdeckt. Dieser Name aus dem benachbarten Venezuela wird ihm im autonomen niederländischen Überseegebiet noch öfters begegnen, unter anderem bei einem Bankhaus in der Hauptstadt Willemstad. Die rundliche, kaffeebraune Mittvierzigerin beweist Humor. „So, das glauben Sie? Präsident Maduro ist doch selber höchstens Mitte Fünfzig!“ lächelt sie geschmeichelt. Karl ignoriert die Rückfrage und entgegnet scherzend: „Wenn Sie Ihren Vater das nächste Mal sehen, richten Sie ihm bitte aus, er möge zurücktreten. Er richtet sein Land sonst noch zu Grunde.“
Nach diesem nicht ganz ernsthaften Abstecher in die venezolanische Innenpolitik drückt Frau Maduro huldvoll den Einreisestempel in Karls Pass und lässt ihn passieren. Kosimar und er durchschreiten die gekühlten Gänge des modernen Flughafengebäudes. Als sich die automatische Tür zur großen Empfangshalle öffnet, schlägt ihnen schon etwas tropische Hitze entgegen. Suchend schauen sie sich in der Halle um. Da hören sie den Ruf „Hallo, Karl!“ Es ist Frederieke, die holländische Besitzerin einer kleinen Ferienanlage in den Hügeln bei Sint Willibrordus im Westen der Insel. Vor 16 Monaten hat Karl ab Mitte Dezember 2015 – damals allein, weil die als Lehrerin „schulpflichtige“ Kosimar erst zu Weihnachten in die Karibik folgte – schon ein paar Tage auf dem ehemaligen Terrain des berüchtigten Sklavenhalters Jan Kok verbracht. Wo einst aus Afrika herbeigeschaffte Arbeitskräfte in der Salzgewinnung schuften mussten, haben Frederieke und ihr Mann Jeroen ein Urlauberparadies geschaffen.
Vom kleinen Pool der Anlage inmitten üppiger Vegetation fällt der Blick den Hügel hinunter auf das seichte Wasser der ehemaligen Salzfelder, die durch einen schmalen Trichter zwischen den Uferhügeln mit dem Meer verbunden sind. Sklaven schöpfen hier längst kein Salz mehr. Überhaupt ist dieses Geschäft zum Erliegen gekommen. Stattdessen haben nun Scharen von Flamingos die weiten Tümpel in Beschlag genommen. Auf einem Nachbarhügel ist das alte Landhuis von Jan Kok zu erkennen. Es leuchtet weiß in der Abendsonne. Wo einst die Familie des strengen „Hannes Hahn“ – wie der Name des Gutsherrn eingedeutscht hieße – in einem Garten umgeben von Dornengebüsch lebte, hat sich jetzt die Künstlerin und ehemalige Curaçao-Schönheitskönigin Nena Sanchez eingerichtet, deren farbenprächtige Skulpturen ein wenig an die Werke von Niki Saint-Phalle erinnern.
Auf dem Weg zum Abendessen im Williwood 1 kommen Kosimar und Karl am Eingang des einstigen Kok- und heutigen Künstlerinnen-Anwesens vorbei. Sie werden diese kleine Hazienda in den nächsten Tagen noch besuchen. Doch jetzt streben sie erst einmal dem Treffpunkt der Gegend um Sint Willibrordus zu. Einheimische aus dem ganzen Umkreis, zugewanderte Holländer und natürlich Touristen geben sich hier am Sonntagabend ein Stelldichein. Karl hatte diesen Ort an einer Straßenabbiegung kurz vor dem eigentlichen Dorf des Heiligen Willibrord schon bei seinem ersten Besuch schätzen gelernt. Das Toko Williwood hat seinen Namenszug auch jenseits der Straße hinter dem Sportplatz in großen Lettern an der Flanke des Hügels neben den Salzfeldern installiert. Das Vorbild neben der Filmmetropole in Kalifornien lässt grüßen. Im Williwood geht es nicht ganz so mondän, dafür aber wesentlich gemütlicher zu.
Im Winkel der Straßengabelung hat sich das Toko etabliert. Das Wort Toko stammt aus Indonesien, einer anderen ehemaligen holländischen Kolonie. Auf wundersame Weise ist es um den halben Erdball hierher gewandert. Es bedeutet „kleiner Laden“ und ist ein Platz, wo man alles Lebensnotwendige kaufen kann. Doch das Williwood ist wesentlich mehr. Der Verkaufstresen ist drinnen, aber auf der Veranda finden sich Stehtische, Bänke und Stühle. Und am Ende der Terrasse sind ein Schlagzeug, ein E-Piano und ein Bass aufgebaut. „Siehst du? Wie in dem Williwood-Newsletter angekündigt, den ich schon vor ein paar Tagen in Deutschland erhalten habe, gibt es heute Abend sogar Live-Musik“, freut sich Karl. Entsprechend voll ist die Veranda. So lassen sie sich schließlich auf dem Vorplatz nieder, wo auf der festgestampften Erde ebenfalls Tische und Bänke aufgebaut sind. Sie bleiben dort nicht lange alleine. Der Platz füllt sich mehr und mehr. Ein würdiger Graubart in olivfarbenem T-Shirt nimmt mit zwei ebenfalls tiefdunkelbraunen Freunden hier Platz. An den Nebentisch setzen sich eine etwas schwergewichtige braune Matrone, ihr Gatte in Shorts, offenem Hemd und Baseball-Kappe über dem grauen Kräuselhaar und eine Dame mit schneeweißer Lockenpracht, vielleicht die ältere Schwester des Ehemanns.
„Ich find’s toll, dass wir an einem populären Platz mitten unter Einheimischen sitzen“, kommentiert Kosimar die Lage. Karl stimmt ihr zu und bestellt die Spezialität des Hauses: „Zwei Goatburger bitte! Was für ein Bier für mich? Natürlich ein Carib!“ Kosimar ist skeptisch. „Da bin ich ja mal gespannt, wie mir der Hamburger mit Ziegenfleisch schmecken wird.“ Im Lautsprecher ertönen die ersten Akkorde des Keyboards. Dann werden sie auch schon aufgetischt, die „Göteborger“, wie Karl sie nennt.
Beschwingt von der Jazz-Musik, gut gesättigt und gut gelaunt machen sich Kosimar und Karl auf den Heimweg. Inzwischen ist es natürlich dunkel. Diesmal gehen sie an der Hauptstraße entlang und nicht quer durch das Jan-Kok-Viertel, wo sie auf dem Hinweg quasi an jedem passierten Anwesen von den Hofhunden angebellt worden sind. Karl erinnert sich, dass an dem Abzweig zu ihrer Lodge ein Riesenschlagloch den Fahrbahnrand zierte und eine Bogenlampe den Abzweig ausleuchtete. Bis dahin bleibt ihnen, als sie die Williwood-Beleuchtung hinter sich gelassen haben, nur das Mondlicht. Auf dem Abzweig zur Jan Kok Lodge erfüllen wieder mehrere Wachhunde ihre Pflicht. „Keine Bange, die Grundstücke sind alle vergittert“, beruhigt Karl seine Frau. Aber etwas mulmig ist auch ihm zumute, was er seiner ängstlichen Begleiterin natürlich verheimlicht. „Ich habe mir gestern Abend etwas Sorgen um Euch gemacht“, sagt ihnen Frederieke, als sie ihnen am nächsten Morgen den Schlüssel für den Leihwagen aushändigt. „Ich selber bin den Weg nach Williwood noch nie gegangen, geschweige denn bei Nacht.“ Kosimar und Karl werden in den nächsten Tagen Stammgäste im Toko. Aber von nun an nehmen sie immer das Auto.
Daai Booi Baai am frühen Morgen
Der erste Weg am ersten vollen Tag auf Curaçao führt sie an den Strand. „Het leven is mooi, bij Kees op Daai Booi. Dieser Wahlspruch, den der ehemalige Marineoffizier Kees in seiner Beach Bar an die Wand genagelt hat, ist so wahr, wie er wahrer nicht sein kann“, hat Karl seiner Frau versprochen. „Das Leben ist schön, bei Kees in Daai Booi. Du wirst sehen, das stimmt.“ Es ist noch früh am Morgen. Karl ist die zwei Kilometer nach Williwood und die nochmals zwei Kilometer zur Daai Booi-Bucht gejoggt. Unterwegs hat ihn die später aufgebrochene Kosimar im Kleinwagen überholt. Noch ein paar Kurven und dann liegt es endlich auch vor ihm, das paradiesische Ambiente der Bucht. Vor Kees‘ Kiosk breitet sich ein feinsandiger Strand aus, davor türkisfarbenes Wasser. Schatten spendende, auf vier Pfählen aufgeständerte Strohdachkuppeln sind über den Sandstreifen verteilt. Die Bucht ist an beiden Seiten von einer felsigen Steilküste flankiert. Von oben überschaut man die Pracht in Türkis besonders gut. Aber um die Farbenpracht unter Wasser zu entdecken, muss man sich eine Taucherbrille aufsetzen.
Doch zunächst gönnen sich die beiden Entspannung pur. In diesem Moment können sie sich keinen besseren Ort dafür vorstellen. Sie genießen die Ruhe und das Nichtstun an diesem relativ einsamen Strand. Ein braunroter Hahn mit schwarzen Schwanzfedern stolziert um den Kiosk herum, als Karl dort etwas zu trinken holt. „Ach da bist du ja, Jan Kok, du alter Sklaventreiber. Eigentlich ein viel zu gnädiges Schicksal, dass du als Hahn wiedergeboren bist und deine Zeit in Daai Booi verbringen darfst“, scherzt Karl mit ihm.
Blick auf Daai Booi von Hochküste
Als er gut ein Jahr zuvor allein hier war, hat Karl natürlich auch die wilde Hochküste erkundet. Von dort sind in der Ferne passierende Frachter zu erkennen. Durch ein Gestrüpp aus Kakteen und Dornenbüschen führt ein schmaler Pfad zur Nachbarbucht Porto Mari Baai. Nach zwanzig Minuten war er da, an diesem ebenfalls schönen, aber etwas mondäneren und nicht ganz so naturbelassenen Platz. Nach einem kurzen Zwischenstopp für einen kühlen Drink an der dortigen Bar hat er sich wieder ins Gestrüpp geschlagen, um zu Kees‘ spartanischerer Idylle zurückzukehren.
Taucherbrillen, Schnorchel und Flossen – für den nächsten Tag stehen sie auf dem Einkaufszettel. Beim Diveshop in der Piscadera-Bucht – oben im ersten Stock eines luftigen Holzhauses direkt am Strand – ist im Prinzip alles vorhanden. Nur das Schnorchler-Shirt in der richtigen Farbe fehlt. Wer länger an der Wasseroberfläche mit der Nase und den Augen nach unten dümpelt, um die Unterwasserwelt auszuspähen, sollte...