Einleitung
Im vergangenen Jahrhundert eruierte eine Vielzahl unabhängiger Kommissionen die Wirkungsweisen von Cannabis. 1893 beauftragte das britische Parlament die Kommission zur Erforschung von Cannabis indica [Indian Hemp Commission] mit einer Bestandsaufnahme zu den Auswirkungen des Gebrauches von Cannabis auf die »soziale und moralische Verfassung« des indischen Volkes. Die Untersuchung kam zum Schluss, dass »der gemäßigte Gebrauch von Hanfdrogen mit keinerlei Übel einhergeht«. 1925 erforschte ein Ausschuss den Cannabiskonsum bei den US-Soldaten, die in der Region des Panama-Kanals stationiert waren und konstatierte, dass die Auswirkungen von Cannabis »offensichtlich stark übertrieben wurden«. 1944, zwanzig Jahre später, kam ein medizinisches Expertenteam, das vom damaligen New Yorker Bürgermeister Fiorello La Guardia eingesetzt worden war, zum – von diesem selbst formulierten – Ergebnis, wonach »die Missstände auf soziologischer, psychologischer und medizinischer Ebene, die Cannabis gewöhnlich zugeschrieben werden … übertrieben sind«.
Als Reaktion auf den gestiegenen Cannabisgebrauch in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beriefen die Regierungen der USA, von Kanada, Großbritannien, Australien und den Niederlanden Kommissionen ein, um die wissenschaftlichen Ergebnisse über die Gefahren von Cannabis für Einzelne und die Gesellschaft auszuloten. Der britische Wootten Report kam 1969 zu Ergebnissen, die mit denen der Indian Hemp Commission und von La Guardia übereinstimmten. Er folgerte, dass »ein langfristiger Gebrauch von Cannabis in moderaten Dosierungen keine schädlichen Auswirkungen« habe. 1972 resümierte der Bericht einer von der niederländischen Regierung eingesetzten Kommission: »Die physiologischen Auswirkungen des Cannabisgebrauchs sind als relativ harmlos einzustufen«. Die 1972 von Präsident Richard Nixon eingesetzte National Commission on Marihuana and Drug Abuse [Nationale Kommission zu Marihuana und Drogenmissbrauch] folgerte: »Die Kommission ist einstimmig der Meinung, dass der Konsum von Cannabis kein derart gravierendes Problem darstellt, dass es Strafverfolgungen von Cannabiskonsumenten oder Individuen, die es zu diesem Zweck besitzen, rechtfertigen würde.«
Die Erkenntnisse dieser Expertenkommissionen wurden im Verlauf des 20. Jahrhunderts von Extrempositionen bezüglich der Gefahren von Cannabis überschattet. In den 20er und 30er Jahren wurden Gesetze auf Bundes- und Staatsebene gegen Cannabis erlassen. Diese basierten in der Regel auf Aussagen leitender Polizeibeamter, Ankläger und staatlicher Drogendezernenten 1, wonach Cannabis zu gewalttätigen und verabscheuungswürdigen Verbrechen verleite. »Cannabissüchtige« stellten für die Polizei der USA ein »massives Problem« dar, ließ Harry Anslinger, Direktor des Federal Bureau of Narcotics [Bundesministeriums für Betäubungsmittel und psychotrope Substanzen]2, verlauten. Er behauptete, dass »50% aller von Mexikanern, Türken, Filipinos, Griechen, Spaniern, Lateinamerikanern und Negern verübten Gewalttaten« auf den »Missbrauch von Cannabis zurückzuführen« seien. Auf diesen Anti-Cannabisfeldzug schworen sich Organisationen ein, wie die World Narcotic Defence Association [Weltweite Vereinigung zum Schutz gegen Drogenmissbrauch], die International Narcotic Education Association [Internationale Vereinigung zur Drogenerziehung] und die Women’s Christian Temperance Union [Christlich abstinenter Frauenbund]. Sie alle propagierten die Meinung, Cannabis mache süchtig, bewirke Geisteskrankheiten und sexuelle Promiskuität.3 Ebenso behaupteten sie, dass »Cannabisdealer« den Stoff an Schulkinder verscherbelten, um sie süchtig zu machen.4
Ausgedehnte Untersuchungen und Undercover-Operationen auf den Schulhöfen in New York City veranlassten die La Guardia Kommission 1944 darauf hinzuweisen, dass die Öffentlichkeit unnötigerweise mit Hinweisen über Gefahren von Cannabis verunsichert worden sei. Nichtsdestotrotz wurden dreißig Jahre nach Beginn der National Commission on Marihuana and Drug Abuse noch immer dieselben Behauptungen aus den 20er und 30er Jahren ins Feld geführt. In den 50er Jahren bezeichneten Polizeibeamte Cannabis als »Sprungbrett« zu Heroin. Sie überzeugten den Kongress und die staatlichen Gesetzgeber davon, dass härtere Strafen für Cannabisdelikte – bis zu lebenslänglichen Verurteilungen – notwendig seien, um der Anzahl von Heroinsüchtigen entgegenzuwirken. In den 60er Jahren beteuerten Cannabisgegner die Gefährlichkeit der Droge, weil sie das Denkvermögen beeinträchtige und ein »Amotivationssyndrom« [Generelles Desinteresse, Lust- und Motivationslosigkeit] bewirke und somit die heranwachsende Generation zu akademischen Versagern verurteile. In den 70er Jahren erschienen die ersten wissenschaftlichen Berichte über gravierende organische Schäden durch Cannabis. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass Cannabis die Chromosomen schädige, das Immunsystem beeinträchtige und dauerhafte Gehirnschäden bewirke .5
In den vergangenen dreißig Jahren untersuchten Wissenschaftler mit Hilfe von Regierungsgeldern alle erdenklichen Gefahren, die von Cannabis für einzelne Konsumenten und die Gesellschaft ausgehen. Sie fahndeten nach Belegen für Delikte, psychische Schäden und Amotivation, die mit Cannabis in einem ursächlichen Zusammenhang stehen. Sie studierten die Auswirkungen der Droge auf das Verhalten, auf psychomotorische und intellektuelle Fähigkeiten und fahndeten nach Gemeinsamkeiten zwischen dem Gebrauch von Cannabis und anderer Drogen. Auf der Suche nach organischen Schäden durch Cannabis verabreichten sie Labortieren hoch dosiertes THC (dem für die psychogene Wirkung von Cannabis verantwortlichen Wirkstoff) und versetzten Petrischalen mit Kulturen menschlichen Zellgewebes mit THC. All diese Versuchsreihen mündeten schließlich in einer Flut von hochgradig spezialisierter Fachliteratur, welche diverse wissenschaftliche Disziplinen umfasst.
Mit diesem Buch wollen wir Journalisten, Parteiideologen, Lehrern, Eltern, Ärzten, Cannabiskonsumenten und all jenen, die über diese weltweit genutzte Droge mehr erfahren wollen, den Zugang zu den wissenschaftlichen Untersuchungen über Cannabis erleichtern. Unsere Ausführungen orientieren sich an einer Reihe allseits bekannter Behauptungen über negative Auswirkungen von Cannabis, die sich allesamt auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufen. Die zitierten Aussagen entstammen Regierungsberichten, Newsletters und Pressemitteilungen neueren Datums. Wir entdeckten sie in Informationsschriften zur Drogenaufklärung, in Anzeigen von Bündnissen für ein drogenfreies Amerika, in Reden von Regierungsmitgliedern. Ferner tauchten diese Statements immer wieder in unzähligen Artikeln von Tageszeitungen und Magazinen auf, die über negative Auswirkungen von Cannabis berichteten.
Auf der Suche nach relevanten Fakten für diese Behauptungen erforschten wir die wissenschaftliche Literatur. Dabei entdeckten wir immer wieder, dass Regierungsbeamte, Journalisten und sogar viele »Drogenexperten« die wissenschaftlichen Ergebnisse falsch interpretierten, unrichtig darstellten oder verdrehten. Da die hier aufgelisteten zwanzig Behauptungen, mit denen wir uns bei unseren Recherchen zu diesem Buch auseinandersetzten, jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren, entschlossen wir uns, sie als »Mythen« zu definieren. Wie allen Mythen liegt ihnen ein Funken Wahrheit zugrunde – aber nicht mehr.
Heute wie früher schüren Mythen über Cannabis in der Bevölkerung Ängste und sorgen dafür, dass Rufe nach einer verstärkten polizeilichen Kontrolle der Konsumenten laut werden. Mit den vorliegenden Fakten über Cannabis wollen wir eine Diskussion über den Umgang mit diesem Thema anregen, damit dieser weniger als bisher auf Sanktionen setzt und Eltern ihre Ängste nimmt. Wie die meisten US-Amerikaner glauben wir, dass psychoaktive Substanzen in die Hände von Erwachsenen gehören und nicht in die von Kindern. Außerdem sind wir davon überzeugt, dass Lügen und Übertreibungen hinsichtlich der Gefahren von Cannabis nicht geeignet sind, Jugendliche davon fernzuhalten, sondern eher einen gegenteiligen Effekt bewirken.
Ergebnisse der Kommissionen, Studien und Gerichtsentscheide
Indian Hemp Drugs Commission, 1894
Cannabis indica-Kommission
Die Kommission kam zum Schluss, dass ein moderater Genuss von Hanfprodukten keinerlei schädliche Auswirkungen hat.6
Panama Canal Zone Report, 1925
Report zum Gebiet des Panama-Kanals
Die Gefährdungen durch [Cannabisgenuss] … wurden offensichtlich stark übertrieben. … Für nennenswerte schädliche Einflüsse auf Konsumenten liegen keine Beweise vor.7
La Guardia Commission Report, 1944
Es gibt keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Gewalttaten und Cannabis … und Cannabis weist keine spezifische Stimulation des Geschlechtstriebes auf.8 Der Gebrauch von Cannabis führt nicht zu Abhängigkeiten von Morphin, Kokain oder...