In diesem Abschnitt möchte ich darauf verzichten, die verschiedenen Konzepte der Religionspädagogik zu beschreiben. Es soll auch nicht darum gehen, Erlebnispädagogik als Alternative zu bereits bestehenden Konzepten zu beschreiben (wie oben bereits festgestellt, ist das nicht möglich), vielmehr soll es um die Frage gehen, wie sich die Religions-pädagogik in all ihren Formen von Erlebnispädagogik bereichern lassen kann. Dazu werde ich die Konzepte nur soweit beschreiben, wie sie für dieses Thema relevant erscheinen.
Zuvor möchte ich deutlich machen, worum es in der Religionspädagogik m.E. grundsätzlich gehen sollte.
Religionspädagogik ist in erster Linie Pädagogik. Von der Pädagogik sind ihre Ziele und ihre Grundsätze bestimmt. Das bedeutet, daß von der Religionspädagogik kein einheitliches Bild gezeichnet werden kann, da sie ebenso vielfältig ist, wie die Pädagogik im Allgemeinen. Dennoch gibt es Grundaufgaben und - ziele, die sich gesellschaftlich und geschichtlich entwickelt haben, und die heute die Pädagogik bestimmen.
Das Wort Pädagogik (griech.) bezeichnet die Erziehungswissenschaft. Pädagogik ist dabei abgeleitet von Pädagoge, was im Griechischen ursprünglich Kinder- oder Knabenführer bedeutete. Das waren Sklaven, die Kinder aus dem Haus der Eltern in die Schule und wieder zurück führten. Daraus entwickelte sich dann die Bedeutung von Aufseher oder Betreuer und schließlich von Erzieher oder Lehrer[32]. Es wird deutlich, daß Pädagogik eine Wissenschaft ist, pädagogisches Handeln Erziehung bedeutet. Dabei läßt der Wortursprung zu, Erziehung auch als Begleitung zu bezeichnen.
Erziehung wird beschrieben als „Unterstützung und Förderung des heranwachsenden Menschen, die ihn in seiner geistigen und charakterl. Entwicklung befähigen soll, sich sozial zu verhalten und als selbständiger Mensch eigenverantwortlich zu handeln“[33]. Als allgemeines Ziel wird genannt, „den jungen Menschen in die bestehende Kultur einzufügen und ihn zur selbständigen Persönlichkeit zu entwickeln“[34]. In diesem letzten Zitat werden zwei Seiten der Erziehung deutlich. Erziehung kommt nie ohne Normen und Werte aus, da sie den zu Erziehenden befähigen muß in der Gemeinschaft mit anderen zu leben. Die Normen und Werte werden dabei von der Kultur, in der erzogen wird, bestimmt. Andererseits muß Erziehung gewährleisten, daß der zu Erziehende autonom wird und kritisch die Werte und Normen überprüft. Erziehung muß demnach den Menschen befähigen in der Spannung zwischen Anpassung und Individualität zu leben.
Dem Menschen auf seiner Suche nach einem sinnerfüllten Leben, das dieser Spannung standhalten kann, will die Religionspädagogik den Glauben als sinnstiftende Instanz anbieten, die Orientierung und Emanzipation ermöglicht. Grundlage ist ein positives, christliches Menschenbild. Der Mensch ist von Gott dazu geschaffen in Freiheit und Eigenverantwortung in der Schöpfung zu leben. Der Mensch ist jedoch auch als soziales Wesen geschaffen, daß in Gemeinschaft mit Gott und seinen Mitmenschen leben soll. So bedeutet Freiheit immer gleichberechtigte Freiheit aller Menschen. In diesem Sinne stiftet der Glaube Werte und Normen. Die Werte und Normen sind nicht unumstößlich, sondern entwickeln sich mit der Gesellschaft und Kultur. Sie sind nicht im Sinne von Unterwerfung zu verstehen, sondern von Ermöglichung eines Lebens, daß die Würde jedes Menschen achtet.
Grundlage des Menschenbildes ist die Ebenbildlichkeit von Mensch und Gott. Diese Ebenbildlichkeit ist schöpfungstheologisch begründet und offenbart in Jesus Christus. Der Mensch ist dazu geschaffen, Gegenüber Gottes zu sein, und das Leben in dieser Welt verantwortlich zu gestalten. Das bedeutet im Hinblick auf pädagogisches Handeln:
Dem positiven Menschenbild ist ein positives Gottesbild hinzuzufügen. Gott muß als derjenige vermittelt werden, der Leben und Freiheit schenkt. Die Orientierungen und Gebote sollten in ihrer ursprünglichen Weise zum Sprechen kommen, nämlich so, daß sie Leben und Freiheit ermöglichen wollen, für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft. Gott schuf den Menschen mit freiem Willen und will mit seinen Maßstäben helfen, diesen freien Willen sinnvoll einzusetzen. Autoritäre und unterdrückende Gottesbilder muß die Religionspädagogik abbauen. Dazu wäre es notwendig, dem Einzelnen deutlich zu machen, wo diese ihren Ursprung haben, wodurch sie geprägt wurden (Erziehung, übermittelte Moral...). Mit den zugrundeliegenden Werten und Vorstellungen muß sich der Heranwachsende auseinandersetzen, einerseits um seine Identität zu finden, andererseits um das geprägte Gottesbild erneuern zu können. „Das Gefühl der Sinnerfülltheit des Lebens hängt von der Bewahrung der Identität ab. Kernstück jeder Pädagogik sollte die Hilfe für den Heranwachsenden sein, seine Identität zu klären. Ein Teil dieser Hilfe ist die Analyse der moralischen Vorstellungen, denen das Individuum ausgesetzt war und die es übernommen hat.“[35] Das Individuum wird gestärkt, um Gott ein Gegenüber zu sein.
Diese oben beschriebenen pädagogischen Ziele spiegeln sich im Leben Jesu wieder. So ist die Offenbarung in Jesus Christus Orientierung und Vorbild, wie Menschen als selbständige Persönlichkeiten zusammen leben können und dabei in Gott verwurzelt sind. Das kommt in der Predigt Jesu vom Reich Gottes zum Ausdruck. Das Reich Gottes ist zwar noch nicht vollendet, stiftet aber als Vision Hoffnung und gibt Kraft und Zuversicht, sich für diese Welt und die menschliche Gemeinschaft einzusetzen.
Menschen diesen Glauben nahezubringen, kann dabei nur in realen Zusammenhängen geschehen, d.h., „wenn im Zusammenspiel von gesellschaftlich verbreiteten Interaktionsmustern und Symbolen die religiösen Elemente identifizierbar sind und bedeutsam erscheinen“[36]. Religionspädagogik muß demnach immer von den konkreten Lebensumständen ausgehen und sich daran orientieren. Sie muß fragen, welche religiösen Werte und Symbole hilfreich sein können. Erst wenn diese Werte und Symbole in der Realität bedeutend sind, können sie auch auf eine höhere Realität (Gott) hinweisen, d.h. der Mensch transzendiert sie. Wenn transzendieren bedeutet Bewußtsein und Erfahrung zu überschreiten[37], muß demnach immer eine reale Erfahrung vorhanden sein. Der Glaube muß erfahrbar sein.
Die grundlegenden Erfahrungen macht der Mensch im Umgang miteinander. Dabei ist die Gemeinde wichtigster Lern- und Erfahrungsbereich. Hier erfahren Menschen, was Annahme bedeutet, Zuwendung, Liebe, Vergebung, Toleranz und Vertrauen. Das gilt besonders, wenn die Familie (als erste Instanz) und auch Kindergarten, Schule etc., diese Erfahrungen, nicht bieten können. Der Gemeinde kommt eine große Aufgabe bei der religiösen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, sogar der Erwachsenen zu. Sie ist als Gemeinschaft der Gläubigen das Abbild der Gemeinschaft von Mensch und Gott. Wenn diese Gemeinschaft als wertvoll erfahren wird, kann diese Erfahrung transzendiert werden. D.h. Gott wird als Stifter der Gemeinschaft erkannt und somit für das eigene Leben relevant.
Es wird deutlich, daß zwischen den Bereichen (Schule und Gemeinde) der Religionspädagogik unterschieden werden muß: In der Schule ist es nur schwer oder punktuell möglich, solch eine Gemeinschaft zu schaffen. Hier geht es hauptsächlich darum, Werte und Orientierungen des Glaubens als Möglichkeit von Lebensproblembewältigung anzubieten. In der Gemeinde hingegen ist ganzheitliches Lernen möglich. Werte, Normen und Glaubensgrundsätze werden nicht nur kommunikativ vermittelt, sondern können erlebt werden. Dabei geht es nicht nur um Probleme, sondern um den ganzen Menschen, d.h. er erfährt die Gemeinschaft als wertvoll und sinnstiftend für sein Leben. Die Gemeinschaft schafft also Raum für Erlebnisse, ohne daß diese pädagogisch herbeigeführt werden müssen, aber reflektiert werden sollten.
Ausgehend von der Reich-Gottes-Verkündigung muß Gemeinde in die Welt hinauswirken. Wenn Gemeinde ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt, wird der Glaube wirklich lebensrelevant.
Zu den eigenen Erfahrungen mit Glaube und Gemeinschaft muß nun das Zeugnis der Bibel treten. Wenn sich die Erfahrungen und Symbole der Bibel (etwa wie ‘Reich Gottes’) mit den eigenen Erfahrungen decken oder ihnen ähneln, können auch diese Glaubenserfahrungen für das Leben relevant werden. „Verarbeitungsmechanismen müssen gelernt werden, um Erlebnisse als Erfahrungen zu festigen, zu erweitern. Erlebnisse können nicht vermittelt werden. Erst Erfahrungen sind vermittelbar.“[38] Das Hinzutreten der biblischen Überlieferungen kann solch einen Mechanismus darstellen.
Die Symbole und Aussagen der Bibel bilden das Fundament der Gemeinschaft, als Vergewisserung, daß Gott in der Geschichte wirkt und präsent ist, als Verständigungsgrundlage über die individuellen Erfahrungen hinaus und als Grundlage für religiöse Riten und Traditionen (religiöse Praxis). Die Riten und Traditionen sind dabei entwicklungsfähig, aber m.E. notwendig, um Glauben weitervermitteln zu können.
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