[68][69]Teil 2 – Wie kann ein Change Management-Prozess gelingen?
Aus den Erfahrungen anderer lernen
[70]2.1 „Blaupausen gibt es nicht”. Die Herausforderungen in einem Veränderungsprozess sind sehr unterschiedlich
Überblick
Blaupausen – also fertige Rezepte, die nur noch kopiert zu werden brauchen – gibt es nicht. Veränderungsprozesse laufen jedes Mal unterschiedlich ab. Es geht bei Veränderungsprozessen um jeweils unterschiedliche Ziele. Hinzu kommen die unterschiedlich beteiligten Gruppen und Menschen sowie die entsprechenden unterschiedlichen zugrunde liegenden Strukturen.
Das verdeutlichten auch die Gespräche: Ein Change-Management-Prozess bei einem Projekt im Ausland hat völlig andere Voraussetzungen und Ansprüche, als z. B. einer, bei dem es um den Aufbau einer Selbstständigkeit geht. Als neu gewählte Bürgermeisterin stehen viele Entscheidungen an, es muss eine „eigene Handschrift” gefunden werden, ganz bestimmt ohne „Blaupausen”. Es ist wieder eine völlig andere Dimension, wenn sich eine große Organisation im öffentlichen Dienst verändert oder Verwaltungen eine Fusion bewältigen müssen.
Dr. Amir Barekzai beschrieb die Unterschiedlichkeit seiner Aufgaben, die er jedes Mal neu und anders gestalten musste. Für ihn war das immer wieder eine Herausforderung, die er als motivierend erlebte. Jedes Mal spielen sehr unterschiedliche Faktoren eine Rolle, sodass sich ein Festlegen-Wollen auf Allgemeingültiges verbietet.
Sicherlich muss das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden, bewährte Konzepte und Techniken helfen bei der Planung und erfolgreichen Bewältigung des Prozesses. Aber es gibt keine Kopien oder Wiederholungsrezepte, die sich deckungsgleich übertragen ließen. Jede Führungskraft oder jeder Bürgermeister muss den eigenen Weg finden.
Z. B. Personalabbau wie beim RP Darmstadt. Diese Veränderung wurde von „ganz oben”, eben von dem damaligen Ministerpräsidenten gefordert und angestoßen. Die Veränderungsaufgabe hieß ganz klar, Mitarbeiter zu entlassen.
Eine schwierige Aufgabe, die bei einer Behörde eine Situation entstehen lässt, in der Personalabbau die einzige Möglichkeit ist.
Von allen Beteiligten, von der Führungsebene bis hin zu den Mitarbeitern wurde erwartet, dass der eigene Aufgabenbereich überprüft und infrage gestellt werden muss.
Dieser Abbau hat die gesamte Behörde stark belastet. Selbst für die Mitarbeiter, die bleiben durften, weil sie ahnten, dass der Preis für den Arbeitsplatzerhalt in einer erheblichen Mehrbelastung bestehen würde. In einer solchen Situation können keine schematischen Rezepte zur Anwendung kommen, sondern es ist eine individuelle und sensible Lösungsfindung gefragt.
Zitat Manfred Litschko: „Immerhin wird das RP (wie alle Verwaltungen im öffentlichen Dienst) mit Steuergeldern finanziert. Das ist auch das Motiv, warum Offenheit und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit (was machen wir hier?) so wichtig ist. Leitlinien im klassischen Sinne gibt es nicht, sondern eher einen Verhaltenskodex. Ein Leitbild ist kein Selbstzweck.”
Beispiel Fusionierung von Verbandsgemeinden – gerade aktuell in Rheinland-Pfalz. Es gibt keine Blaupausen, denn die Gestaltung der Fusionen ist von vielen Faktoren abhän[71]gig: den beteiligten Verbandsgemeinden, deren „Machern”, also der Verwaltungsspitze, dem Gemeinderat und den Orts- und Verbandsbürgermeistern, dem Ausgang von Wahlen, den unterschiedlichen Kennziffern in der Region. Bei Fusionen geht es um Gewinner und Verlierer. Wer nimmt das ernst? In der ersten Zeit nach der Fusion sind in der Regel noch nicht alle Führungspositionen besetzt. Dies führt zu erheblicher Verunsicherung sowohl bei den infrage kommenden Führungskräften als auch bei deren Mitarbeitern. So versucht jeder Betroffene, sich durch die unterschiedlichsten Manöver in eine möglichst vorteilhafte Position für die Stellenbesetzung zu bringen. Fusionen sind Folge einer politischen Entscheidung. In den Augen der internen Beobachter wird jede Position entweder mit „einem von unseren Leuten” oder mit „einem von den anderen” besetzt.
Bei einer Reorganisation oder Prozessoptimierung ist es notwendig, die Mitarbeiter zu überzeugen und ins Boot zu holen. Was tun, wenn sie die Kooperation verweigern? In jedem Veränderungsprozess werden die Mitarbeiter anders reagieren und es müssen andere Lösungen gefunden werden.
Umstrukturierungen lösen immer Aufgeregtheit und Unruhe aus. Die vorhandenen Seilschaften werden aktiv, und jede Seite versucht, seine Verbündeten erstens auf Linie und zweitens in Stellung zu bringen. Ein beliebtes Spiel in größeren Organisationen. Die Aufregung ist nachvollziehbar, denn das Arbeitsumfeld wird für vieler Mitarbeiter und Führungskräfte durcheinander gewirbelt. Das löst unterschiedliche Emotionen aus: Ängste, Irritationen, Enttäuschung, Ärger.
Burkhard Höhlein beschrieb nicht nur Prozessoptimierung, sondern auch wie notwendig die Einführung eines neuen IT-Programms war, um alles weitere, was sich bei dem Change ergab, darüber abwickeln zu können. Er sagt aber auch:
„CM habe ich nie gelernt, ich bin da rein gesprungen, ins kalte Wasser gegangen, wo man mich hingestellt hat. Man hat mir Vertrauen entgegengebracht und Erwartungen an mich gestellt. Wir hatten damals eine besondere Situation.”
Beispiel Leitbilder. Diese können nur dann umgesetzt werden, wenn sie mit Leben gefüllt sind. Das ist wiederum abhängig von den Führungskräften. Leider werden Leitbilder gerne an die Wand gehängt und anschließend vergessen.
So verschiedenartig sich diese Problem- bzw. Fragestellungen darstellen, so verschieden sind es auch die Konfliktpotenziale und die entsprechend erforderlichen Veränderungsstrategien.
Auf das Thema Konflikte wird noch im Kapitel 2.3 näher eingegangen.
Burkhard Höhlein sagte auch: „Kommunikation ist auch ein Problem, diesem wichtigen Thema wird ebenfalls Raum gegeben.”
Führungskräften bleibt kaum eine andere Wahl als die, regelmäßig Gespräche zu führen, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Die gemeinsame Sprache verspricht, dass wichtige Begriffe und ihre Verwendung im Vorfeld geklärt werden. Was immer wieder verdeutlicht, wie notwendig es ist, dass diejenigen Führungskräfte oder Personen, die einen Veränderungsprozess initiieren (müssen), im Vorfeld einer Veränderung viel Zeit investieren sollten, um mit ihren Mitarbeitern und den sonst beteiligten Personen zu kommunizieren. Die Zeitinvestition soll nicht in endlosen Diskussionen und Workshops versinken. Nur wenn ein Problem wirklich verstanden wird, besteht die Chance, eine tragfähige Lö[72]sung dafür zu entwickeln. Ansonsten sollte gar nicht erst gestartet werden. Das gilt unabhängig davon, dass es keine Blaupausen gibt.
Was jedoch als Blaupause genutzt werden kann, ist das Wissen darüber, lange und ermüdende Analysen zu vermeiden. Diese können Veränderungen eher verhindern als voranbringen; erfahrungsgemäß sollte man sich bei Veränderungen gemeinsam auf Regeln verständigen.
[73]2.2 „Veränderung kommt immer von außen”: Veränderungsbedarf analysieren – was muss verändert werden und warum?
Meinen Gesprächspartner/innen ist eines gemeinsam: Keine/r von ihnen hat sich den Veränderungsprozess ausgesucht – immer waren es äußere Umstände, die dazu führten, dass Veränderung unumgänglich wurde. In unterschiedlichsten Lebenssituationen stellten sie sich die Frage, wie es weitergehen soll. So entschied sich Klaus Schwope für die Selbstständigkeit, Manfred Kirk, seine Heimatstadt zu verlassen, Dr. Amir Barekzai dafür, mit seiner Arbeit in Afghanistan die Chance wahrzunehmen, dort mit seinem Wissen arbeiten zu können.
Ilona Volk sagte: „Zum Beispiel die Ämterzuschnitte habe ich nach meiner Wahl so belassen, denn nach einem längeren Nachdenkprozess habe ich mir gesagt, das ist nicht gewinnbringend. Man muss nicht grundsätzlich etwas verändern, wenn es auch andere Wege gäbe. Ich habe es so belassen wie es war und habe versucht, mich lieber inhaltlich einzubringen.”
Das waren keine schnellen Entscheidungen. Davor standen immer umfassende Überlegungen, um festzustellen, in welche Richtung es weiter gehen kann und soll.
Notwendigkeit zu Veränderung lässt sich in fast allen Bereichen beobachten: in der eigenen privaten Welt, aber auch in der Wirtschaft oder im Bildungswesen. Z. B. erneuert sich das normale Alltagswissen in rasender Geschwindigkeit, spätestens alle fünf Jahre. Wer sich dem entzieht, wird irgendwann nicht mehr mitreden können – ganz unabhängig vom Alter. Oder denke man daran, wie vor 20 Jahren Urlaub gemacht und wie Urlaub definiert wurde und wie das heute aussieht. Genauso beschleunigen sich die Veränderungsprozesse in den Bereichen Freizeit, Musik, Sprache …
Veränderung macht Angst – und bietet Chancen. Auch wenn eine Veränderung in einer Organisation von außen vorgeben wird, kann sich nach Analyse und Diagnose der Situation die Erkenntnis ergeben, dass die Veränderungsprozesse sinnvoll sind und dazu beitragen, die Überlebensfähigkeit der Organisation zu erhalten. Das heißt, die Veränderung kann notwendig sein, um eine positive Weiterentwicklung zu ermöglichen. Beispiele wie das Regierungspräsidium Darmstadt oder die Kommunal-Akademie Rheinland-Pfalz zeigen das auf. Bei beiden sehr unterschiedlichen Organisationen hat der Veränderungsprozess zu einer...