Vorwort
Bist du ein Muslim, dann werde ein guter Muslim.
Bist du ein Christ, dann werde ein guter Christ.
Bist du ein Hindu, dann werde ein guter Hindu.
Habe volles Vertrauen in deine Religion und führe ein ideales Leben.
Das ist wahre Hingabe und wahre Befreiung.
Sathya Sai Baba
Genau wie man die Spitze eines Hauses
mittels einer Leiter oder eines Bambusstabes
oder einer Treppe oder eines Seiles erreichen kann,
so verschieden sind die Mittel und Wege
mit denen man sich Gott nähern kann,
und jede Religion in der Welt zeigt einen dieser Wege.
Sri Ramakrishna (1836 – 1886)
Dies ist eine Sammlung von vier Schriften, die entstanden sind, um aus der persönlichen Entwicklung heraus den christlichen Glauben neu zu formulieren.
- Warum soll der christliche Glaube neu formuliert werden?
- Steht nicht alles in der Bibel, was wir wissen müssen?
- Ist es überhaupt erlaubt, den christlichen Glauben neu zu formulieren?
Die meisten Menschen verbinden mit dem christlichen Glauben ein starres Dogmengebäude, das die Kirchen vorgeben und das nur übernommen oder abgelehnt werden kann. Da jedoch der Glaube seinem eigentlichen Sinngehalt nach nicht bloß in einem nach außen gegebenem Bekenntnis besteht, sondern vor allem darin, woran der Mensch in seinem Inneren glaubt, kann der wirkliche Glaube eines Menschen nur in einem dynamischen Prozess in ihm selber wachsen und reifen. Dabei kann nicht nur die Bibel verschieden gedeutet werden, sondern es ist zu hinterfragen, ob die Bibel wirklich als einzige Quelle christlicher Lehren gesehen werden muss. So geben es die meisten christlichen Glaubensgemeinschaften vor. Doch bei dieser vermeintlich ketzerischen Frage kann man sich durchaus auf die Bibel selber berufen. Denn in ihr steht:
Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.
Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird,
der wird euch in alle Wahrheit leiten.
Denn er wird nicht von sich selber reden;
sondern was er hören wird, das wird er reden,
und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.
Johannes 16,12-131
Den Geist dämpfet nicht;
die Weissagung verachtet nicht;
prüfet aber alles, und das Gute behaltet.
Meidet allen bösen Schein.
1 Thessalonicher 5, 19-22
Wer diese Bibelstellen unvoreingenommen auf sich wirken lässt, kann der wirklich noch behaupten, alle Neuoffenbarungen für Teufelszeug zu halten, wäre von der Bibel so angeordnet?
Sicher, aller böse Schein soll gemieden werden. Der Geist der Weissagung aber soll nicht ausgelöscht werden. Und zu Jesu Zeiten konnte noch nicht alles gesagt werden. Die Auffassung also, mit der Bibel sei alles abgeschlossen – „solo scriptura“ / „allein durch die Schrift“ – ist ein lutherischer Glaubenssatz, aber nicht ein biblischchristlicher.
Ich halte es also nicht nur für erlaubt, sondern sogar für geboten und notwendig, seinen Glauben ohne vorgefasste Dogmen in sich selber wachsen und reifen zu lassen und dementsprechend neu zu formulieren. In diesem Sinne wendet sich dieses Buch an den christlichen Kulturkreis und möchte die Christen aufrufen, zu ihren eigenen Wurzeln zurückzufinden.
Die Esoterikwelle trägt die Menschen aus der westlichen Zivilisation meistens zu anderen Religionen und mystischen Traditionen. Dieses Buch möchte aufzeigen, dass die Gründe hierfür oftmals in Missverständnissen der eigenen Wurzeln bestehen. Es möchte aufzeigen, dass die christliche Religion „vollwertig“ ist, dass ihr also nichts fehlt, was man woanders suchen müsste. Nicht das freie verstandesmäßige Denken, nicht das Dienen im Sinne einer Karmabewussten Ethik, nicht die Hinwendung zur gesunden Ernährung, auch nicht die Meditation oder „die Erleuchtung“. Alles ist im Christentum enthalten – wenn man den Mut hat, es von den vorgegebenen Dogmen zu befreien, es auf eigene Weise neu zu begreifen, es in sich selber neu erstehen zu lassen.
Dieses Buch geht von dem Glauben an die Einzigartigkeit der christlichen Religion aus. Es sollen jedoch keine anderen religiöse Wege diskriminiert werden. In jeder Religion ist die Wahrheit enthalten, die bei rechter Auslegung und Befolgung zum Ziel führt: zum Leben im Einklang mit den göttlichen Gesetzen, zur Erlösung, zur Erleuchtung, zur unio mystica und schließlich zum Durchschreiten des Himmelstores. Es kommt nicht darauf an, welcher Religion ein Mensch folgt und welchen Namen er seinem Gott gibt. Sondern es kommt darauf an, mit welchem Herzblut er seinen religiösen Weg geht.
Als Christ glaubt der Autor an das Wort Christi
…niemand kommt zum Vater denn durch mich.
Johannes 14,6
Christus ist also, bildlich gesprochen, das Himmelstor, durch das einst jeder Mensch, egal welcher Religion, hindurchgehen muss. Somit ist die christliche Religion einzigartig, denn sie bietet ihren Jüngern von vornherein den Himmelsschlüssel, zu dem ein jeder religiöse Pilger eines anderen Weges erst später gelangt, wenn nicht im Erdenleben, dann auf den geistigen Ebenen. Die Besonderheit der christlichen Religion, die sie aus den anderen Religionen heraushebt, wird besonders im ersten Teil „Christentum und Erleuchtung“ beschrieben. Jedoch ist es nicht entscheidend, zur vollkommenen Religion zu finden, sondern inwieweit der religiöse Mensch sich selber der Vollkommenheit annähert.
Anders gesagt: Manch ein Hindu oder Buddhist oder Jude oder Moslem gelangt gemäß der Reife seiner Seele vielleicht eher zu Christus, also zum Himmelstor in der geistigen Welt, als mancher Taufschein-Christ. Diese Schrift geht also von der Auffassung aus, dass in jeder Religion die Aspekte der EINEN göttlichen Wahrheit enthalten sind, und dass jede Religion ihre Anhänger zur vollen göttlichen Wahrheit führen kann – solange der religiöse Pilger nicht dogmatisch gebunden ist, sondern bereit ist, neue religiöse Erkenntnisse auf seinem Weg zu integrieren. So gibt es also letztendlich nur eine Religion mit vielen verschiedenen Namen, Symbolen und Formen. Gerade aber aus dem Gedanken der Einheit aller Religionen, ergibt sich die Frage, weshalb ein Christ sich genötigt glaubt, woanders zu suchen.
Es gibt in jeder Religion institutionalisierte Formen, die nicht mehr viel mit der ursprünglichen Botschaft gemein haben. Und es gibt auch in jeder Religion die vom menschlichen Machwerk befreiten Wurzeln, die authentische Lehre des Gründer-Propheten, die ungetrübte Quelle. Ist es unsere Aufgabe, zur ungetrübten Quelle eines fremden Wasserlaufs zu finden? Oder ist es unsere Aufgabe, zur ungetrübten Quelle des EIGENEN Wasserlaufs zu finden?!
Zu den institutionalisierten Formen der Religion gehört es auch, ein „heiliges Buch“ zu proklamieren. Für einen geistig mündigen spirituellen Sucher ist das natürlich eine unsagbare Zumutung. Denn die Proklamation eines „heiligen Buches“ bedeutet, seine Urteilsfähigkeit am Eingang des Tempels abzugeben. Die nummerierten Verse eines „heiligen Buches“ erlangen den Status von Gesetzesparagraphen und dürfen somit nicht mehr hinterfragt werden. Andere Bücher werden damit herabgestuft oder sogar verboten.
Wer Bücher heiligspricht, wird andere Bücher verteufeln.
Der reife Leser lässt beides hinter sich.
Eine solche Herangehensweise fußt auf einer geistigen Unsicherheit, auf dem Bedürfnis, sich an etwas festzuhalten. Somit wird kolportiert, es gäbe ein Buch, das von A bis Z direkt von Gott gegeben wäre. Daran könne man sich dann festhalten. Man braucht also nicht mehr selber zu denken, ja man darf es nicht mehr.
Natürlich ist eine solche Herangehensweise für einen geistig mündigen Bürger eine Zumutung und eine Beleidigung seiner Urteilsfähigkeit. Die Proklamation von „heiligen Büchern“ hat sicher einen Großteil dazu beigetragen, dass sich viele Menschen der Religion entfremdet haben. Jedoch hat das nur etwas mit den menschgemachten institutionalisierten Formen einer Religion zu tun, nicht mit ihrer ungetrübten göttlichen Quelle. Denn die Essenz der Religionen besagt, dass nur EINER heilig ist: Gott. Die Essenz der Religionen besagt auch, dass es auf Erden nichts Vollkommenes geben kann: keinen vollkommenen Guru, keine vollkommene Gemeinschaft, keine vollkommene Religion und kein vollkommenes Buch. In jedem Buch gibt es Wahrheit und Irrtum.
Wer Bücher oder Menschen oder Gemeinschaften heiligspricht, wird auch andere Bücher oder Menschen oder Gemeinschaften verteufeln. Ein vorurteilsfreies Denken bedarf der Vermeidung beider Extreme.
Die Idee von einem „heiligen Buch“ ist natürlich nichts anderes als ein „goldenes Kalb“. Es ist ein Götze, der uns vom wahren Gott im eigenen Inneren ablenkt. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als unser geistiges Urteilsvermögen zu gebrauchen und weiterzuentwickeln. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ein Bild von der Wahrheit wie ein Mosaik IN UNS SELBER...