von Wolfgang Krahé und Heinz-Jürgen Weigt
Da mittelständische Unternehmen in gewisser Weise nichts anderes sind als mehr oder minder große Organisationen, treten in ihnen alle Entwicklungsprozesse und deren Komplikationen auf, wie wir sie auch aus Konzernen kennen. Daher könnte man sagen, dass Coaching im Mittelstand große fachliche und inhaltliche Überschneidungen mit Coaching in jedweder anderen vergleichbar großen und komplexen Organisation aufweist. Das eigentlich Spezifische am Coaching in mittelständischen Unternehmen ergibt sich aus deren spezieller Situation, die in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle, laut Cornelia Seewald2 in über 90 Prozent, darin besteht, dass mittelständische Unternehmen familiengeführt sind. Sie weisen also eine hoch individuelle Biografie und Tradition auf, die teilweise über mehrere Generationen hinweg eine geradezu lineare Entwicklung zeigt. Ein kleiner Teil mittelständischer Unternehmen hat zur Besonderheit, dass sie sich erst in der Gründungsphase befinden, also gerade keine Tradition haben, oder aber der traditionelle Kontext ging dadurch verloren, dass das Unternehmen verkauft wurde und insofern die gewohnte Unternehmenskultur zumindest eine heftige Erschütterung erlitten hat. Oft bildet gerade diese Veränderung in der Unternehmenskultur den aktuellen Anlass für die Unternehmensleitung, ein Coaching zu beauftragen.
Angesichts dessen, dass die Initiative, einen Coach anzufragen, in aller Regel nicht von einer eigenen Abteilung für Personalentwicklung ausgeht, sondern vom Eigentümer selbst oder einem seiner Vertrauten, ergibt sich daraus, dass der Kontakt zum Coach meist über persönliche Empfehlung zustande kommt. Zumindest die erste Phase des Coachings besteht dann darin (und muss auch darin bestehen), gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, zu klären, ob Coach und Unternehmen zusammenpassen, und – was häufig wegweisend ist – überhaupt miteinander herauszufinden, in welcher Weise denn dieses spezielle Unternehmen in dieser speziellen Situation von einem Coaching profitieren könnte.
Die spezifischen Anlässe entsprechen häufig dem, was Gudrun Happich und Markus Classen in ihrem Aufsatz von 2013 zu diesem Thema aufgelistet haben.3 Zu nennen sind hier:
Generationswechsel, eine der wesentlichen Krisen in familiengeführten Unternehmen; wir werden später darauf noch genauer eingehen.
Entwicklung von Führungsinstrumenten und Schulungen von Führungskräften in ihrer persönlichen und fachlichen Kompetenz.
Stressmanagement und Gesundheitsvorsorge der Mitarbeiter.
Mitarbeiterbindung und -gewinnung angesichts des drohenden Fachkräftemangels.
Konflikte zwischen Mitarbeitern oder auch zwischen unterschiedlichen Abteilungen, Verantwortungen, etc.
Differenzierung der Vision und der Darstellung des Unternehmens nach innen und nach außen als Voraussetzung für eine klare Marktpositionierung.
Coaching im Mittelstand unterscheidet sich, bei aller Ähnlichkeit, in vielfacher Hinsicht von Coaching in Konzernen oder Coaching auf rein individueller Ebene als persönliche Beratung. Diesen Unterschied werden wir im Folgenden ausführlich darstellen.
Dabei muss einschränkend erwähnt werden, dass entsprechend der in der Einleitung geschilderten individuellen Natur mittelständischer Unternehmen Coaching im Mittelstand nicht allgemein abstrahiert werden kann. Die Aufgabe eines Coaches verändert sich beispielsweise entlang der Größe eines Unternehmens. So ist er in kleinen Unternehmen oft Lehrer, Supervisor und Begleiter bei der Entwicklung basaler Unternehmensstrukturen und kommunikativer Grundformen. In großen Unternehmen ist seine Aufgabe mal systemisch, mal gruppendynamisch, seltener jedoch die eines Lehrers.
Wenn wir im Folgenden das Thema Coaching in mittelständischen Unternehmen vorwiegend am Beispiel eigentümergeführter Unternehmen abhandeln, verkennen wir dabei nicht, dass es ein breites Spektrum weiterer typischer Mittelstandskonflikte gibt, deren Erörterung aber den Rahmen dieses Buches bei Weitem sprengen würde. Familiengeführte mittelständische Unternehmen bieten sich insofern als Beispiel an, als dabei die Interaktion der relevanten Instanzen besonders gut sichtbar wird. Gerade in diesen Unternehmen hat Coaching schon lange Tradition, manche typische Entwicklungslinie ist relativ klar benennbar.
Wir werden im folgendem Aufsatz versuchen darzustellen, dass gerade in mittelständischen Unternehmen Coaching auf unterschiedlichen existenziellen Ebenen wirksam sein kann, je nach Indikation aber sowohl inhaltlich wie auch technisch unterschiedliche Vorgehensweisen verlangt.
Auch die Anforderungen an den Coach ändern sich erheblich, je nachdem ob seine Aufgabe darin besteht,
ein Mitglied der Eigentümerfamilie in einer bestimmten Lebenssituation zu begleiten,
die Eigentümerfamilie als Ganzes zu unterstützen, zum Beispiel bei einem Generationswechsel, beziehungsweise wenn intrafamiliäre Dynamiken so intensiv stören, dass das Funktionieren des ganzen Systems infrage gestellt ist,
die Interaktion zwischen Eigentümerfamilie und Management zu verbessern,
das Unternehmen dabei zu unterstützen, sich positiver, vielleicht auch sympathischer in seinem Umfeld darzustellen,
Führungskräfte zu qualifizieren oder etwa
Arbeitsteams zu unterstützen.