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Cognitive Fähigkeiten

Grundlagen und Ergebnisse der Wissenschaften auf den aktuellen Gebieten der Hirnforschung und der Erforschung cognitiver Fähigkeiten

AutorClaus Hoheisel
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl508 Seiten
ISBN9783739287478
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Grundlagen und Ergebnisse der Wissenschaften auf den Gebieten der Hirnforschung und der cognitiven Fähigkeiten des Menschen.

Dr. rer. nat. und Dr. phil.; Privatdozent der Ruhruniversität Bochum, Forschungspreis der Universität Dortmund.

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Leseprobe

3 Bewußtes und Unbewußtes


3.1 Bewußtsein

Es werden nun die wesentlichen Erkenntnisse der heutigen Neurowissenschaften und der Psychologie bezüglich des Bewußten und des Unbewußten vorgestellt.24 Die überwiegende Anzahl der Bewußtseinsforscher ist davon überzeugt, daß Bewußtsein sowohl von der Innenperspektive als auch von Außenperspektive zu definieren und zu untersuchen ist.

Bewußtsein ist keineswegs ein einheitliches Phänomen, wie viele glauben. Es zeigt sich in ganz unterschiedlichen Zuständen, welche ein Individuum erlebt und darüber berichten kann. Zu diesen Zuständen gehören:

  1. Wahrnehmung von Vorgängen in Umwelt und im eigenen Körper
  2. Mentale Zustände und Tätigkeiten wie Denken, Vorstellen und Erinnern
  3. Emotionen, Affekte und Bedürfniszustände
  4. Erkennen der eigenen Identität und Kontinuität
  5. Zugehörigkeit des eigenen Körpers
  6. Wissen und Kontrolle der eigenen Handlungen und mentalen Akte
  7. Anschauung des Selbst und des eigenen Körpers in Raum und Zeit
  8. Wirklichkeitscharakter des Erlebten sowie Unterscheidung von Wirklichkeit und Vorstellung

Diese Aufzählung kann erweitert werden, enthält aber die wesentlichen Merkmale.

Die Bewußtseinszustände (4) – (8) können als Hintergrund-bewußsein bezeichnet werden, vor welchem die Bewußt-seinszustände (1) – (3) das ständig wechselnde Aktual-bewußtsein aufbauen. Beide bilden dann den sogenannten Strom des Bewußtseins, welcher nur im Tiefschlaf und in Bewußtlosigkeit unterbrochen wird. Dieser Strom des Bewußtseins hängt direkt mit dem später noch zu besprechenden autobiographischen Gedächtnis zusammen.

Das Bewußtsein an sich gibt also nicht, sondern stattdessen verschiedenartige Bewußtseinszustände, welche dementsprechend auch von unterschiedlichen, meist überlappenden Teilsystemen unseres Gehirns erzeugt werden. Wichtig ist, daß die Tätigkeiten der letzteren in die Aktivitäten der Großhirnrinde einfließen. Nur die Großhirnrinde ist nämlich in der Lage, Bewußtsein herzustellen.

Bewußtsein hat eine modulare Organisation. Dies geht daraus hervor, daß einige Bewußtseinszustände ganz unabhängig von anderen sein können, wie durch entsprechende Patientenbefragungen festgestellt werden konnte.

In welcher Weise sich bewußte Zustände von unbewußten Zuständen unterscheiden lassen, war lange Zeit nicht klar. Inzwischen wird aber eine deutliche Abgrenzung zwischen diesen Zuständen von der Mehrheit der Forscher akzeptiert, und zwar sowohl bezüglich der jeweiligen Funktionen dieser Zustände als auch bezüglich der Beteiligung verschiedener Hirnzentren. Es gibt jedoch immer auch Übergänge zwischen diesen Zustandsarten.

Man hat im Hinblick auf Bewußtseinsaspekte der Hirnzentren unspezifische und spezifische Systeme zu unterscheiden. Zu den ersteren gehören Kerngebiete der Formatio reticularis, welche eine grundsätzliche Bedeutung für Wachheit und Bewußtsein und für die Steuerung allgemeiner Aufmerksamkeit haben. Hierzu werden die medianen Raphe-Kerne gezählt, besonders der serotonerge Raphe-Kern (Nucleus dor-salis raphes), Kerne der medialen Kerngruppe und der lateralen Kerngruppe. Die letzteren enthalten den cholinergen Nucleus tegmenti pedunculo-pontinus, parabrachiale Kerne, Nucleus subcoeruleus und den noradrenergen Locus coeru-leus.

Die Kerne der medialen Kerngruppe bilden das aufsteigende aktivierende System. Diese erhalten ständig Informationen von allen Sinnessystemen. Wenn sich Auffälligkeiten ergeben, erhöhen sie anhand der Erregung der intralaminären Kerne des Thalamus den generellen Aktivitätszustand der Großhirnrinde und dadurch unsere Wachheit. Spezifischer arbeiten die mediane Kerngruppe und die laterale, besonders der dorsale Raphe-Kern, der Nucleus tegmenti pedunculo-pontinus und der Locus coeruleus. Man nimmt an, daß die erregenden Bahnen des letzteren über den Neuromodulator Noradrenalin den übrigen Teilen des Gehirns die Anwesenheit neuer bzw. auffälliger Reize in der Umwelt melden und zur Aufrechterhaltung von extern gesteuerter Wachsamkeit für Reize beitragen, während der Nucleus tegmenti pedun-culo-pontinus und das basale Vorderhirn mit Hilfe des Neuro-modulators Acetylcholin über die Bedeutsamkeit von Reizen informieren.

Die serotoninhaltigen Projektionen der Raphe-Kerne scheinen jedoch eher einen dämpfenden Einfluß auf die Zielgebiete zu haben, vor allem auf den Cortex, um impulsive Handlungen zu verhindern. Die genannten Kerne der Formatio reticularis sind die einzigen Strukturen im Gehirn, deren Zerstörung zur Bewußtlosigkeit führt. In den nächsten beiden Abbildungen 3.1-1 u. 3.1-2 finden sich in zwei Ansichten die Projektionen der Raphe-Kerne und sowie einige der hier erwähnten weiteren Kerne.

Abbildung 3.1-1 Die wichtigsten serotonergen Systeme im Gehirn entstehen in den Raphe-Kernen des Hirnstamms. Serotonin wird in einer Gruppe von Hirnstamm-Kernen synthetisiert, den sog. Raphe-Kernen. Deren Neurone projizieren in einem großen Bereich vom Vorderhirn bis zum Rückenmark. In der vorliegenden sagittalen Ansicht des Gehirns sind die Raphe-Kerne zu sehen. Im Gehirn bilden die letzteren eine kontinuierliche Ansammlung von Zellgruppen nahe der Mittellinie des Hirnstamms. Gezeigt werden aber vor allem die rostralen und die kaudalen Gruppierungen. Die rostralen Raphe-Kerne projizieren hauptsächlich in die zahlreichen Vorderhirnstrukturen. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 1410

Abbildung 3.1-2 Koronare Ansicht des Gehirns. Zu sehen sind die wichtigsten Hirnstrukturen, welche durch serotonerge Neurone der Raphe-Kerne innerviert werden. Kandel et al. Principles of Neural Science New-York 2013, p. 1410

In den nächsten Abbildungen 3.1-3 und 3.1-4 werden die aufsteigenden noradrenergen Projektionen des Locus coeruleus ebenfalls in zwei Ansichten dargestellt.

Abbildung 3.1-3 Der größte Anteil noradrenerger Projektionen des Vorderhirns entsteht im Locus coeruleus. Gezeigt wird eine sagittale Ansicht des Gehirns. Noradrenalin wird in verschieden Hirnstamm-Kernen synthetisiert. Der größte dieser Kerne ist der Nucleus Locus coeruleus. Axone aus dem Locus coeruleus projizieren rostral zum Vorderhirn und weiterhin zum Cerebellum sowie zum Rückenmark. Die Axone aus den noradrenergen Nuclei im lateralen Hirnstamm Tegmentum projizieren zum Rückenmark, zum Hypothalamus, zur Amygdala und zum ventralen Vorderhirn. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 1411

Abbildung 3.1-4 In koronarer Ansicht des Gehirns werden die Nuclei des Locus coeruleus dargestellt. Es sind die wesentlichen Zielgebiete der Neurone aus dem Locus coeruleus angezeigt. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 1411

Im Thalamus stellen die laterale Kerngruppe, Corpus geni-culatum mediale (CGM) und Corpus geniculatum laterale (CGL) die entsprechenden Umschaltpositionen der aufsteigenden somatosensorischen, auditorischen und visuellen Bahnen dar. Letztere bilden daher die Grundlage für unsere bewußten Sinneswahrnehmungen.

In den somatosensorischen Kernen werden ebenfalls Affe-renzen aus den Vestibulariskernen des verlängerten Marks, aus dem Cerebellum, dem Pallidum und der Substantia nigra zur Großhirnrinde umgeschaltet. Diese und die somatosen-sorischen Bahnen vermitteln Informationen über Lage und Bewegung unseres Körpers und dessen einzelnen Teilen. Dadurch können die Grundlagen unseres Körperbewußtseins gebildet werden.

Das Pulvinar ist die größte thalamische Kerngruppe und hat in räumlich geordneter Weise Verbindung mit dem assoziativen Cortex. Es ist wichtig für die visuelle und auditorische Steuerung der Aufmerksamkeit, hat aber auch Funktionen beim Sprechen und symbolischen Denken. So stellt es ein starkes cognitives thalamisches Zentrum dar.

Die intralaminären Kerne und die Mittellinien-Kerne sind mit dem Striatum und dem Isocortex eng verbunden. Sie regulieren zum größten Teil die Wachheits-, Bewußtseins- und Aufmerksamkeitszustände mit Hilfe der Afferenzen von den retikulären Kernen und deren Verbindungen zum präfrontalen und parietalen Cortex.

Damit zusammenhängend sind sie auch über Verbindungen zum frontalen Augenfeld an aufmerksamkeitsgesteuerten Augenbewegungen beteiligt.

In den folgenden Abbildungen 3.1-5, 3.1-6, 3.1-7 sind die besprochenen Kerne und Kerngruppen größtenteils dargestellt. Abbildung 3.1-5 zeigt zunächst die Lage des Thalamus im Gehirn.

Abbildung 3.1-5 Lage des Thalamus im Gehirn. Angrenzende Strukturen sind die Basalganglien, das Mittehirn und die pontinen Kerne. Außerdem ist der ventrolaterale Kern des Thalamus zu sehen. Kandel et al. Principles of Neural Science New York 2013, p. 367

Die nächste Abbildung 3.1-6 stellt die wichtigsten thalamischen Kerngebiete und weitere Strukturen dar.

Abbildung 3.1-6 Wichtige Kerngebiete und weitere Strukturen des Thalamus. Der Thalamus ist eine wichtige Zwischenstation für den Fluß sensorischer Information von peripheren Rezeptoren zum Isocortex. Somatosensorische Information wird von den dorsalen Wurzelganglien weitergeleitet zum ventralen posterioren lateralen Kern und von dort zum somatosensorischen Primärcortex. In ähnlicher Weise erreicht visuelle Information aus der Retina den lateralen genikulären Kern, welcher diese dann weiterleitet zum visuellen Primärcortex im Okzipitallappen. Jedes...

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