Cross-Skating in Schweden: Sportliches Stockholm
Artikel 85 von Frank Röder am 14. Juli 2012
Schweden sind gut gelaunt, sozial, naturverbunden, hilfsbereit und reich. So das Vorurteil, das auch überwiegend zu stimmen scheint. Bei einem Kurzurlaub in Stockholm war ich zunächst gespannt, ob man sich in einer Großstadt ohne Langeweile eine Woche lang beschäftigen kann. Man kann, denn Schwedens Hauptstadt ist äußerst abwechslungs- und kontrastreich.
Stockholm ist mit rund 2 Millionen Einwohnern nicht nur reich an Bevölkerung, auch die Ausdehnung ist beeindruckend. Ein Grund sind die vielen Grünzonen in der Stadt, die zum Stadtrand immer mehr zunehmen, so dass man bei einer U-Bahn-Fahrt in die Außenviertel ständig das Gefühl hat, “jetzt aber endgültig” die Stadt verlassen zu haben und in die schwedische Natur einzutauchen. Weit gefehlt: Es kommt immer noch ein Stadtteil – und noch einer – und noch einer. Aber schon wenige hundert Meter vom zentralen Stadtkern kann man in Stockholm in viel grüner Umgebung wandern, laufen, schwimmen, Rad fahren und cross-skaten.
Die Wege dafür sind von hervorragender Qualität, mit griffigem Asphaltbelag wie auch Feinschotter, und sie bieten oft herrliche Ausblicke über das hügelige Stockholm und/oder die Natur. Aber Vorsicht: Nur weil Schweden sonst recht flach ist und Stockholm an der Küste liegt, ist es dort alles andere als eben. Die Stadt wurde nämlich auf Felsen erbaut, die eine oft erstaunliche Straßenführung erzwingen. Steigungen von bis zu 20 % können auf Fußwegen vorkommen und die zahlreichen Radfahrer in Stockholm haben äußerst beeindruckende Bergfahrerqualitäten.
Besonders die Tatsache, dass ich in einer Woche dort kein einziges E-Bike, aber bestimmt einhundert “Fixies” (sportliche Räder mit nur einem Gang) gesehen habe, hat mich beeindruckt. Berge gibt es also reichlich in Stockholm, sie sind aber für Einheimische offenbar kein großes Hindernis. Cross-Skater müssen in städtischen Bereich außerdem oft mit antikem Kopfststeinpflaster rechnen, welches ein Vorankommen auf Cross-Skates unmöglich macht. Daher meine Empfehlung für die Fortbewegung auf Kurz- und Mittelstrecken: zu Fuß gehen. Man sieht mehr und hat den Fotoapparat immer knipsbereit.
Abb: Viel Ufer und auch kleine Strände gibt es in und um Stockholm
Ich selbst stand auch auf Waldwegen mit Steigungen, die ich so bisher nicht erlebt hatte: kurz und knackig, für manchen Nicht-Fußgänger leider unbezwingbar. Zum Glück sind sie nie wirklich lang. Doch Cross-Skater scheint es in Stockholm nur wenige zu geben. Ich bin einem Rollskiläufer auf einem flachen Radweg begegnet und habe drei weitere von der U-Bahn aus gesehen. Diese Stadt ist also noch Cross-Skating-Entwicklungsland.
Man kann in Stockholm mit der U-Bahn zügig von einer zur nächsten Umgebung wechseln: Altstadt, Strand (davon gibt es dutzende), Wald, Sportanlage, Sumpf, Wanderweg (inner- und außerstädtisch), Wohnviertel, Shoppingzentrum, Museum, Freizeitpark – das alles scheint im Zeitrahmen von 45 Minuten möglich zu sein, bequem und stressfrei. Das nenne ich Lebensqualität! Eine interessante Beobachtung: Rund 25 % der U-Bahn Benutzer sind “i-Borgs”! Sie hängen an den Kabeln ihres i-Phones wie der Patient an der Infusion. Wir haben uns nicht getraut auszuprobieren, was passiert, wenn man den Stecker herauszieht.
Was man, nach meinem Geschmack, in Stockholm nicht versäumen sollte:
Bootstour durch den Schärengarten (in der Ostsee, 3 bis 4 Stunden, nur ca. 15 €)
mindestens einen Blick von einem erhöhten Punkt (Stadshuset, Dächertour, Globen etc.)
gratis und schön: Aussichtsfelsen oberhalb der Münchenbryggerriet (Münchner Brauerei) auf Södermalm
Spaziergang durch das historische Zentrum Gamla Stan
Spaziergang durch eine/s der Parkanlagen/Naturreservate (kaum zu unterscheiden)
Das allein zwingt schon mindestens zwei Tage Aufenthalt auf, wenn man die “Basics” gesehen haben möchte. Reiseführer sind aber vielleicht etwas weniger naturorientiert als ich und empfehlen eher Attraktionen wie den Wachwechsel und manche andere glamouröse Shows sowie andere klassische Sehenswürdigkeiten. Der Nachteil ist dort häufig, dass sich viele Touristen die Füße platt treten und man gegen Wartezeiten und Voranmeldepflicht ankämpfen muss.
Wer noch mehr Zeit hat, sollte sich vielleicht auch die folgenden interessanten bis beeindruckenden Dinge nicht entgehen lassen:
Dächertour auf dem Gericht (525 Kronen = ca. 60 €, Buchung über http://www.upplevmer.se, Stora Gråmunkegränd 14-12, Stockholm, Tel. 08-22 30 05, info@upplevmer.se)
Bootstour über den Märarsee (Süßwasserseite von Stockholm)
Vasa Museum (altes Segelschiff)
Cross-Skating in Stockholm, nicht lebenswichtig, aber gut möglich, sofern man etwas fitter ist. Es gibt auch felsige Abschnitte, auf welchen man gar nicht cross-skaten kann.
Cross-Skating Strecken in Stockholm:
a) Insel Södermalm ab U-Bahn “Skanstull” am Westufer entlang bis Långholmen (bergig! Ab dort besser wandern) oder sogar am Nordufer weiter bis U-Bahn “Slussen”
b) Parktour: Djurgården und Ladugårdsgärdet (zusammenhängend)
c) Strand-Tour: http://www.gmap-pedometer.com/?r=5559234
Abb: Schärengarten vor Stockholm
Außerhalb Stockholms gibt es gute Fernradwege, aber für befahrbare Waldwege kann keine Gewähr übernommen werden, da das Straßen- und Wegenetz nicht sehr dicht ist und Teile des Landes fast naturbelassen brach liegen.
Kontraste in Stockholm oder im Vergleich zu Deutschland:
Arm und Reich: Arm fällt weniger auf, weil es ein sehr gutes soziales Netz in Schweden gibt, aber trotzdem gibt es berüchtigte Viertel (z. B. Tensta) und auch Bettler. Traurig, denn an anderer Stelle wird Reichtum in Stockholm sehr schamlos (schweden-untypisch) zur Schau getragen.
Umweltschutz: Stockholm gilt als eine der umweltfreundlichsten Städte der Welt; so versucht sie sich zu präsentieren und wahrscheinlich stimmt es sogar. Die Verkehrsführung ist gut gelungen, denn es ist für eine Millionenstadt recht leise und man hat sogar in einem Hotel nur 1 km neben einem dem innerstädtischen (!) Inlandsflughafen erheblich mehr Ruhe als in 15 km Entfernung vom Frankfurter Flughafen (Was machen die Schweden anders?). In dieses positive Bild passt so gar nicht, dass 50 % der Elektrizität Schwedens aus Atomkraftwerken stammen.
Hunde: In Stockholm sieht man nur wenige Hunde und dann meist mit gut erzogenen, fast immer angeleinten Herrchen, die keinen Dreck hinterlassen. In einer Woche nur drei Hundehaufen zu finden, egal ob in der Stadt, in Parks, im Wald und sogar in der Natur, das macht Stockholm praktisch zur hundekot-freien Zone. Keine Angst mehr beim Überschreiten von Grünflächen – einfach herrlich und das krasse Gegenteil von vielen deutschen Städten!
Zigarettenkippen: Die ganze Stadt ist sonst auffällig sauber, auf Bahnsteigen und an Bushaltestellen jedoch wimmelt es nur so von Zigarettenkippen nach deutschem Vorbild – ein dickes Pfui für beide Länder.
Abb: Empfehlenswerte Dächertour in Stockholm. Man sollte schwindelfrei sein und besser die Cross-Skates unten lassen.
Öffentliche Verkehrsmittel: Gut organisiert, kaum Wartezeiten, funktionierende Kartensysteme – das schafft Freunde des öffentlichen Verkehrs. Ein Stockholmer braucht eigentlich nur eine Dauerkarte und ein Boot um am Wochenende in den Schärengarten oder Mälarsee hinauszufahren. Ohne Konzept (mein Fehler!) benötigte ich knappe zwei Stunden vom Flughafen für gute 40 km zum Hotel. Danach hatte ich eine Sorglos-Wochenkarte für U-Bahn und Busse und einen U-Bahnplan und wusste damit alles, was ich zur Fortbewegung in Stockholm wissen musste. Dagegen in Deutschland: Nur 25 Minuten nach der Landung des Fliegers zog ich schon eine Bahnfahrkarte für den Katzensprung von rund 15 km vom Flughafen nach Hause. Warum abends Freunde mit Fahrdiensten belästigen oder ein teures Taxi nehmen, wenn die Bahn so nah ist? Hier die Gründe, dies doch zu tun: Ankunft zum ersten Umstieg nach 25 Minuten. Wartezeit zur Weiterfahrt 55 Minuten! Die Weiterfahrt endete 8 km von zu Hause entfernt wegen angeblicher Streckensperrung – kein Hinweis darauf auf dem Startbahnhof und andere Züge (ICE und Regionalexpress) fuhren von meinen Augen mit rund bis zu 200 km/h offenbar in jene “Baustelle” hinein. Wartezeitzeit auf den Bustransfer dann über 30 Minuten. Dann die Busfahrtzeit mit weiteren guten 20 Minuten. Durch die Initiative des Busfahrers konnten die Fahrgäste auf Zuruf aussteigen. So waren wir schon nach 2 Stunden und 22 Minuten zu Hause. Ich bin schon schneller gewandert und ich schwor mir bis 2020 keinen deutschen Zug mehr zu betreten. Es war schlicht zum Abgewöhnen. Das Vorbild Schweden (ebenso wie viele andere Länder) geht an unseren Verkehrsplanern wirkungslos vorbei.
Ein Grund mehr Schweden und besonders Stockholm einmal live zu erleben. Ich wünsche viel Spaß dabei.
++ hervorragendes öffentliches Verkehrsnetz
++ interessante Kunst- und Musikszene (Kunst in den U-Bahnhöfen)
++ viel Natur in und um Stockholm
++ beeindruckende Gebäude und Architektur
+ relativ leichte Verständigung auf englisch, schwedisch (!) oder deutsch
+ auffällig saubere Stadt, mit wenigen Ausnahmen
+ wenig Autoverkehr (für eine Millionenstadt) im Stadtzentrum
+ ziemliche leise...