2.1 Den Kundenentscheidungszyklus verstehen und definieren
Zum Verständnis unserer Kunden müssen wir erst einmal verstehen, wie Entscheidungen getroffen werden, nicht nur Kaufentscheidungen, sondern Entscheidungen jeglicher Art. Der menschliche Entscheidungsprozess ist eine spezielle Form des normalen kognitiven Prozesses, den jeder durchläuft, der vor eine Wahl gestellt wird. Zwei hervorragende Psychologen – Daniel Kahneman und Amos Tversky1, Gewinner des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 20022 – definierten diesen im Jahr 2000 klar in ihrer bahnbrechenden Studie Choices, Values and Frames.3
In seinem neuesten Buch Thinking Fast and Slow (dt. Schnelles Denken, langsames Denken) beschreibt Daniel Kahneman den kognitiven Prozess als zwei mögliche Pfade der Entscheidungsfindung:4 Eine schnelle Methode – er nennt sie System 1 – welche von Teilen unseres Gehirns ausgeführt wird, die Dinge automatisch durchführen und sich dabei auf unsere Erfahrung und die unmittelbaren Wahrnehmungen und Bedürfnisse des Körpers stützen. Und eine langsame Variante der Entscheidungsfindung – System 2 genannt – welche einen strukturierten und bewusst bedächtigen Prozess durchläuft. Während System 1 schnell ist und keiner großen Anstrengung bedarf, benötigt System 2 dagegen mehr Energie und reagiert weniger schnell auf Reize. Beide Systeme arbeiten nie vollkommen getrennt voneinander, sondern beeinflussen sich andauernd gegenseitig, wobei entweder das eine oder das andere je nach den Erfordernissen der Situation die Kontrolle übernimmt.
Trifft eine Person eine normale, bewusste Entscheidung zum Kauf oder zur Interaktion, dann sollte System 2 dabei die dominante Rolle spielen. Jedoch kommt es immer wieder vor, dass System 1 hier die Oberhand erlangt. Dies ist der Grund, warum die besseren Eigenschaften des besten Produkts zu einem niedrigeren Preis und bei weniger Risiko (alles Argumente für eine Entscheidung nach System 2) nicht immer auch zu seinem Kauf führen.5
Kunden als Individuen betrachten und nicht als Märkte
Der Begriff des One-to-One -Marketing wurde erstmals im Jahr 1993 von Don Pepper und Martha Rogers in ihrem bahnbrechenden Werk The One-to-One Future (dt. Die 1:1 Zukunft). geprägt.6
Peppers und Rogers vertraten einen revolutionären Ansatz, der die Geschäftswelt aufrüttelte. Er bestand darin, die Unterschiede zwischen einzelnen Kunden zu betrachten, sie nach Merkmalen zu gruppieren und diese Gruppen dementsprechend unterschiedlich zu behandeln.
Mittlerweile ist dies eine bewährte Geschäftspraxis, die auf die eine oder andere Weise von nahezu allen führenden Unternehmen angewandt wird.
Sehen wir nun diese Überlegungen im Kontext einer Entscheidung hinsichtlich eines Produkts, einer Dienstleistung oder einer Aktivität: Ein Individuum wird sich zunächst seiner Bedürfnisse oder Wünsche bewusst, dann sucht es nach Alternativen, die sein Bedürfnis befriedigen. Die besten Optionen werden nach einem komplexen Denkprozess bewertet und in eine Reihenfolge gebracht. Unter Einbezug aller Informationen wird eine Option anschließend ausgewählt oder ein Kompromiss gesucht, um eine Entscheidung zu treffen.
Abb. 2: Der Kundenentscheidungszyklus
Kahneman und Tversky erklären, dass diese Evaluierungskriterien dabei nicht rein logisch oder rational sind. Sie enthalten im Gegenteil eine starke emotionale Komponente, basieren auf persönlichen Werten und einer individuellen Risikotoleranz.
Und selbst nachdem eine Wahl getroffen wurde, nehmen wir sehr bewusst wahr, was geschieht, während wir uns der Entscheidung nähern und sie entsprechend ausführen. Eine Phase des ersten Gebrauchs und der regelmäßigen Nutzung ist der logische nächste Schritt. Dabei sammelt unser Verstand automatisch Informationen. Wir lernen also von dieser getroffenen Entscheidung – wir sammeln Input, auf das wir sowohl im System 1 (Erinnerungen) als auch im System 2 (logische Prozesskriterien) zu einem späteren Zeitpunkt zurückgreifen können.7
2.2 Das Kundenerlebnis – eine Definition aus der Kundenperspektive
Wie also beeinflusst der Entscheidungsprozess das Kundenerlebnis, wie wir es verstehen? Das Kundenerlebnis beginnt aus der Perspektive des Kunden schon in dem Augenblick, in dem ein potenzieller Kunde zum ersten Mal über ein Bedürfnis oder einen Wunsch nachdenkt und sich mit Personen aus seinem Umfeld diesbezüglich austauscht. Das ist der erste Schritt des Weges, der meist lange Zeit vor der Kaufentscheidung oder dem Kauf selbst stattfindet.
Zur Veranschaulichung wurde die Kundenerlebniskette erweitert, um ihren tatsächlichen Anfang und ihr tatsächliches Ende mit einzuschließen (siehe Abb. 2). Sie beginnt mit den frühesten Phasen der Entscheidungsfindung und endet mit einer Phase des Nachdenkens seitens des Kunden über seine Erlebnisse, die dann als neu gewonnene Erfahrungen und neu erstandene Bedürfnisse die Grundlage für die nächste Entscheidung darstellen können. Dieser sogenannte Kundenentscheidungszyklus umfasst das gesamte Kundenerlebnis und macht uns bewusst, dass die Bedürfnisse und Werte des Kunden bei jedem Schritt in Betracht gezogen werden müssen.8
Das Verhalten und die Bedürfnisse der Kunden verstehen
Unternehmen haben bisher Kundengruppen nach dem Wert unterschieden, den die Kunden für das Unternehmen haben sowie nach deren Verhalten während ihrer Interaktionen mit dem Unternehmen im Rahmen des herkömmlichen Kundenentscheidungszyklus (siehe Abb. 1) – der erst beginnt, nachdem der Kunde einen Kauf getätigt hat.
Im Hinblick auf unsere weiter gefasste Definition von Kundenerfahrung ist es für Unternehmen aber wichtig, schon viel früher im Prozess Bedürfnisse zu identifizieren (möglicherweise über neue Interaktionspunkte), damit jedem potenziellen Kunden die geeigneten Informationen und Antworten gegeben werden können, solange diese noch relevant sind.
Dies kann nur erreicht werden, wenn ein Unternehmen seine Kunden nicht mehr aus der Sicht der traditionellen Kundenentscheidungszyklen betrachtet, sondern sich selbst in die Perspektive des Kunden versetzt – und damit Einblick in viel frühere Stadien des Entscheidungszyklus gewinnt. Solch eine Herangehensweise ermöglicht Unternehmen eine Segmentierung und persönliche Betreuung ihrer Kunden dank der Tatsache, dass sie nicht nur deren Bedürfnisse kennen, sondern auch deren bevorzugte Kommunikationsformen in ihrem Umfeld während des Entscheidungsprozesses.
Augenmerk auf die Bedürfnisse
Definition: Bedürfnis9
Allgemein: Eine motivierende Kraft, die zu einer Aktion antreibt, um es zu befriedigen. Die Bedürfnisse rangieren von lebensnotwendigen Grundbedürfnissen (die für alle Menschen gleich sind und die durch lebensnotwendige Güter befriedigt werden) bis zu kulturellen, intellektuellen und sozialen Bedürfnissen (die je nach Ort und Altersgruppe unterschiedlich sind und durch notwendige Güter befriedigt werden). Bedürfnisse sind endlich, im Gegensatz dazu sind Wünsche grenzenlos. Siehe auch die Hierarchie der Bedürfnisse von Maslow.
Marketing: Eine Kraft, die ein bestimmtes Handeln in Menschen auslöst. Marketingexperten versuchen, diese im Rahmen von Werbeinitiativen zu identifizieren, zu fördern und zu befriedigen.
In der Geschäftswelt besteht die Tendenz, die Lieferung eines Produkts mit der Befriedigung von Bedürfnissen, Werten oder Wünschen zu verwechseln. Es ist ein großer Fehler anzunehmen, dass es ausreicht, ein sensationelles neues Produkt oder eine solche Dienstleistung anzubieten und dafür Werbung zu machen, um bei den Kunden ein Bedürfnis danach zu wecken. Fälle, in denen das in der Vergangenheit erfolgreich funktioniert hat, dürften eher auf einen glücklichen Zufall zurückzuführen sein. „Wenn wir Kundenbedürfnisse als einen Job definieren, den unsere Kunden erledigt haben wollen, dann stellen wir fest, dass Innovationen – egal wie radikal sie sind – niemals ein Kundenbedürfnis wecken können. Sie befriedigen vielmehr ein bereits bestehendes Bedürfnis nur auf innovative...